Wenn es um animierte 3D-Vektorgrafik, Rendering und Raytracing geht, sind TOS-Computer im Vergleich zum Amiga bisher rechte Waisenknaben. »Phase 4« ist eine der raren Neuerscheinungen.
Spätestens seit Filmen wie »Terminator 2« oder »Der Rasenmähermann« ist die Begeisterung für Computergrafik und künstlich erzeugte fotorealistische Bilder groß wie nie zuvor.
Bei den ersten Schritten wird dem ambitionierten Hobbyisten jedoch klar, daß der Weg zu eigenen Computertrickfilmen sehr sehr mühselig und zeitaufwendig ist und daß auch die größte Geduld weder die Performance einer Silicon Graphics Workstation noch die jahrelange Profi-Arbeit eines Pixar-Teams ersetzen kann.
Auf dem Atari ST sah es mit Rendering, Raytracing und 3D-Animation im Vergleich zu konkurrierenden Systemen lange Zeit ohnehin ziemlich traurig aus.
Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten fand z.B. die Cyber-Serie der US-Firma Antic Software zahlreiche Freunde. Mit »Cyber Sculpt«, »Cyber Paint 2.0«, »CAD 3D 2.0« und »Cyber Control« machten sie aus der Not eine Tugend und brachten teilweise erstaunliche Ergebnisse zuwege. Unglücklicherweise gab es Schwierigkeiten mit nachfolgenden TOS-Versionen, so daß die Programme nicht sauber auf dem Mega STE und dem TT liefen. Mittlerweile hatte auch Antic Software die Weiterentwicklung aufgegeben und so war die Cyber-Serie leider zum Sterben verurteilt.
Hoffnung gab es 1992 mit »DynaCADD/3« von Ditek. Mittlerweile scheinen sich jedoch die Gerüchte zu bestätigen, daß DynaCADD/3 in absehbarer Zukunft nicht für TOS-Computer erscheinen wird, da andere Betriebssysteme aus wirtschaftlichen Gründen vorgezogen werden müßen. Was DynaCADD/3 angeht, wird es beim Silberstreif am Horizont bleiben. Außerdem wäre der CAD-Profi trotz des angekündigten Sensationspreises für den privaten Geldbeutel wahrscheinlich eine Schuhnummer zu groß.
Ausschließlich für den TT entwickelt wurde »InShape« von Roald Christesen, ein 3D-Modeler und Shader mit Rendering-Fähigkeiten, dessen Entwicklung sicherlich noch nicht ihren letzten Stand erreicht hat. Voraussetzung für den Betrieb von InShape ist allerdings ein TT nebst VGA-Monitor.
Nach dieser »Marktübersicht« bleibt eigentlich nur festzustellen, daß InShape in Deutschland bisher das einzige ernstzunehmende Produkt für 3D-Konstruktion und Rendering unter dem TOS-Betriebssystem war. Mit »Phase 4« hat es jedoch Konkurrenz bekommen.
In den USA gibt es Phase 4 bereits seit 1991, das von Lexicor Software entwickelt und vertrieben wird. Nachdem zögerliche Versuche gescheitert waren, das Programmpaket in Deutschland über die Firma 3K zu vertreiben, begann 1992 der Eigenvertrieb über eine kleine Europavertretung in Wien. Letzter Stand der Dinge: Richter Distributor hat offiziell den Phase-4-Vertrieb für Deutschland übernommen, die Pflege des Produkts bleibt weiterhin bei Lexicor in den USA.
Die uns vorliegende Testversion des Phase-4-Pakets bestand aus »Chronos 3D«, dem Herzstück, und »Cyber Sculpt«, einem alten Bekannten aus der Cyber-Serie zur Konstruktion von 3D-Vektorobjekten. Ferner gehört »Prism Paint« zum Phase-4-Paket, in der Produktbeschreibung etwas hochtrabend »Retouschierwerkzeug« genannt (ein eher bescheidenes Rastergrafik-Malprogramm), »Prism Render«, ein auflösungsunabhängiges 3D-Programm für fotorealistisches Rendering bis 24-Bit True Color. Zusätzlich zum Paket gibt es noch »Genesis«, ein Zusatztool, mit dem sich fraktale Welten, synchronisierte Hintergründe, Warp-Effekte und 2D-Sternenszenarien zur Untermalung der animierten 3D-Objekte herstellen lassen oder »Vektorize« zur Vektorisierung von Schriften in 3D2-Bilder zum Einbinden in Chronos. Last not least ergänzen kleinere Tools und Utilitys die Palette um Phase 4, beispielsweise ein Player zum Abspielen fertiger Animationen und Filme mit bis zu 60 Frames pro Sekunde, ein GIF- und PNT-Viewer zum schnellen Betrachten von Bildern oder ein TT-RAM-Utility.
Zum Rendern dreidimensionaler Objekte gehörte bisher »Render24« zum Phase-4-Paket, ein 24-Bit-True-Color-Raytracer. Da dieses Programm jedoch grundsätzlich mit einer Farbtiefe von 24 Bit arbeitet (auch wenn es gar nicht erforderlich ist), ist die Rechengeschwindigkeit auch auf dem TT schlicht unzumutbar. Lexicor hat bereits einen Nachfolger angekündigt, der bis 512 Farben gleichzeitig rendert und wesentlich schneller sein wird. »Phoenix 512« ist ein sog. Texture-Mapping-Programm, das 3D-Shapes mit beliebigen Materialoberflächen versieht. Es soll auf allen Systemen inkl. Falcon 030 laufen. Mit Phoenix 512 lassen sich auf dem TT 3D-Objekte einfärben bzw. rendern, was bisher nur auf STEs möglich war. Die Programme des Phase-4-Pakets sind allerdings auch einzeln erhältlich.
Chronos 3D, wie bereits erwähnt das Kernstück der Serie, arbeitete in der uns vorliegenden Testversion mit einem seriellen bzw. parallelen Kopierschutzstecker. Besser gesagt, es arbeitete nicht: Das Programm erkannte zunächst den offensichtlich defekten Key nicht und bestätigte damit alle vernichtenden Argumente gegen diese Art von Kopierschutz. Da die seriellen Ports von TT und Falcon030 außerdem aus 9poligen D-Sub-Anschlüssen bestehen, mußte zusätzlich ein Adapterstecker D-Sub-25pol. auf 9pol. verwendet werden, der das Ganze zu einem wackeligen 20-cm-Auswuchs an der TT-Rückseite degradierte. Mittlerweile steht jedoch fest, daß Phase 4 in Zukunft ohne Safekey auskommen wird - eine Betaversion lag uns bereits vor. Ohne das gewichtige Handbuch hätten Raubkopien ohnehin wenig Sinn.
Alle Programme werden momentan noch mit den englischen bzw. amerikanischen Original-Handbüchern ausgeliefert, die aber sehr ausführlich und außerdem in leicht verständlicher Sprache geschrieben sind. Sie setzten keinerlei Vorwissen voraus, so daß die Einarbeitung relativ schnell fortschreitet. Deutsche Übersetzungen sind außerdem bereits angekündigt und sollen so schnell wie möglich nachgereicht werden.
Die Arbeit an einem 3D-Vektorgrafik-Film beginnt mit Cyber Sculpt, dem altbekannten 3D-Objekt-Editor der Antic-Serie. Lexicor hat die Sourcen des Programms und die Weiterentwicklung komplett von Antic übernommen. An der Benutzeroberfläche des GEM-orientierten Programms hat sich seit 1989 wenig geändert, genausowenig wie am Original-Handbuch von Antic. Besitzer der veralteten Version können das deutsche Handbuch weiter verwenden. Das Programm läuft auf dem Mega STE und TT, allerdings nicht ohne Einschränkungen in allen Auflösungen. In TT mittel z. B. wird der 3D-Sichtbild-schirm nicht dargestellt, es hilft nur ein Reset. Auch TT low ist als Auflösung ungeeignet, da das Menü aus dem sichtbaren Bildschirmbereich verschwindet und somit nicht mehr bedienbar ist. ST low bietet zu wenig Bildpunkte. Bleiben also ST medium als Farbauflösung und ST High mit 640 x 400 Bildpunkten als die am besten geeignete Arbeitsauflösung. Daß hier keine Farben dargestellt werden, ist nicht weiter tragisch, denn Oberfläche und Farbe erhalten fertige 3D-Körper ja erst mit den Programmen Render 24 bzw. Phoenix 512.
Auf dem Falcon 030 tut sich momentan noch nichts, nach Angaben von Lexicor Software sollen jedoch bald für alle Systeme angepaßte Versionen erscheinen, die nicht nur absolut auflösungsunabhängig laufen, sondern auch diverse Grafikkarten unterstützen, z. B. die Mega Vision 300, die Matrix COCO, die Matrix C32, die Crazy Dots etc. 3D-Objekte lassen sich auf zweierlei Arten speichern: Als komplette 3D-Datei im 3D2- bzw. Render-For-Sculpt-3D4-Format (das Chronos weiterverarbeiten kann) oder als zweidimensionales Bild im Degas-Format (je nach Auflösung *.PI2, bzw. PI3) Daran, daß 3D-Computergrafik mühselig und zeitraubend herzustellen ist, hat sich auch mit Phase 4 wenig geändert. Cyber Sculpt arbeitet mit mehreren bewährten Varianten. Die sog. Spin-Extrude und Querschnitts-Funktionen verwenden zur Konstruktion von 3D-Objekten 2D-Schablonen. Eine Schablone ist zunächst ein zweidimensionales Gebilde (ein Polygonzug), das um eine Achse gedreht, wie eine Laubsägearbeit in die Höhe gestapelt oder in einer Kombination aus Drehung und Stapel um die dritte Dimension erweitert wird.
Auch auf dem TT ist der Bildaufbau besonders bei komplexeren Objektverknüpfungen zeitraubend langsam. Besonders wenn das Bild über Slider oder Scrollbalken bewegt wird, geht mächtig Zeit ins Land. Auf den kleinen STs ist die Rechengeschwindigkeit fast unzumutbar langsam. Mit der »Hide«-Funktion lassen sich jedoch nicht benötigte Objektteile wegklicken, was den Bildaufbau spürbar beschleunigt. Die Hide-Funktion ist nicht mit einer Hidden-Line-Funktion zu verwechseln, die perspektivisch genau nur die sichtbaren Vektoren zeigt. Eine echte Hidden-Line-Funktion besitzt Cyber Sculpt nicht. Dafür bietet das Konstruktionstool eine interessante Zusatzfunktion: Auf Wunsch reserviert das Programm sog. Stereo-Buffers, was in der passenden Farbauflösung (ST mittel) dazu führt, daß Objekte im 3D-Kontrollbildschirm in versetzten roten und grünen Linien dargestellt werden. Jetzt fehlt nur noch die 3D-Brille und der Raumeffekt ist perfekt... Mit den fertigen 3D-Vektorobjekt-Dateien geht’s dann in Chronos 3D. Chronos ist ein sog. Key-Frame-Animationsprogramm. Key-Frame-Animation bedeutet, daß bestimmte Schlüsselpositionen eines Computer-Trickfilms vom Anwender definiert werden. Key-Frames enthalten z. B. Art (z. B. Farben) und Lage von Lichtquellen, Start, Ende und Art von Bewegungsabläufen, Kameraposition (Perspektiven), Anzahl der Frames pro Sekunde (Animationsschritte, ein Frame ist ein einzelnes Bild aus dem kompletten Film). Die Software assistiert dem Master-Animator (also dem Anwender), indem sie gemäß seinen Vorgaben einen kompletten Film aus den Schlüsseldefinitionen errechnet.
Folgende Schritte sind notwendig, um mit Chronos 3D einen kompletten Trickfilm zu erzeugen: Zuerst müssen ein oder mehrere dreidimensionale Objekte im 3D2-Format geladen werden, die z. B. mit Cyber Sculpt konstruiert wurden oder jedem anderen Programm, das das 3D2-Format unterstützt. Über einen Konverter (z. B. Zusatzprogramm »Rosetta«) lassen sich auch Objekte von anderen Systemen (z. B. Pixar »MACrenderman«, »AutoCAD« DXF10, »AmigaSculpt«, *.RIB) ins 3D2- bzw. 3D4-Format übertragen und anschließend in Chronos importieren. Außerdem bietet die Österreicher Lexicor-Niederlassung registrierten Anwendern einen CAD3-D2-Pool, der eine wachsende Sammlung fertiger Objekte enthält. Anschließend wird die Position der Kamera sowie die Beleuchtung festgelegt, danach die Startpositionen der Objekte definiert. Anschließend wird die gewünschte Anzahl der Animationsbilder errechnet, was den Löwenanteil der Arbeitszeit beansprucht. Zum Schluß wird der komplette Trickfilm begutachtet und als Filmdatei gespeichert. Sie kann z.B. für Werbefilme auf Video aufgezeichnet werden. Je nach Farbanzahl, Zahl der Objekte und Bilder pro Sekunde variiert der Speicherbedarf. 20 MByte Reserve auf der Festplatte sind jedoch nicht zu hoch gegriffen. Einzelne Frames lassen sich mit einem Rastergrafik-Programm fein nachbearbeiten, bevor sie endgültig in den Film eingebunden werden. Dies geschieht mit dem Phase-4-Modul Prism-Paint, einem Malprogramm, das wie eine GEM-Umsetzung des altbekannten Degas Elite aussieht. Es läuft auflösungsunabhängig auf allen TOS-Computern und lädt Bilder von 2 bis 256 Farben - natürlich nur in der passenden Auflösung. Ansonsten erscheint eine Infobox mit Informationen zur nicht ladbaren Grafikdatei. Prism Paint unterstützt das eigene PNT-Format sowie die bewährten Degas-Elite-Standards PI1 bis PI3 und PCI bis PC3. Ferner lädt und speichert es GIF- und IFF-Images. Die Malfunktionen sind allerdings eher bescheiden und dienen erklärtermaßen nur zur Ergänzung der Phase-4-Palette (anspruchsvolle Poweruser weichen z. B. besser auf Artis 3 aus), dafür enthält das Programm Zusatzfunktionen zur 2D-Animation von Rastergrafiken, wie sie z. B. aus »Deluxe Paint III« bekannt sein dürften.
Alles in allem ist das Phase-4-Paket schon jetzt ein reichhaltiges und sehr interessantes Experimentierfeld, auch wenn zum perfekten Produkt sicher noch einige Updates und Anpassungen nötig sind. Noch etwas ist ebenfalls klar: Der Aufwand für wenige Sekunden Trickfilm ist ungeheuer. Wer keine eiserne Geduld mitbringt, sollte sich nichts vormachen und besser die Finger von Phase 4 lassen. Bei professionellen Anwendungen stellt sich natürlich die Frage, ob der Preisvorteil eines oder mehrerer TTs gegenüber einer Silicon Graphics Indigo oder Pixar etc. den Zeitverlust bei der Arbeit rechtfertigt. Begeisterte Hobbyisten dagegen sollten sich vor dem Kauf unbedingt nach drei Dingen erkundigen: der Lauffähigkeit aller Komponenten, speziell auf TT und Falcon, einer deutschen Dokumentation sowie nach den neuesten Zusatzmodulen und Hilfsprogrammen. (hu)
Vertrieb Deutschland: Richter Distributor, Hagener Str. 65, 5820 Gevelsberg
Vertrieb Österreich und Produktinfos: Lexicor Software Corp., Europavertretung, Herr Yat Siu, Cottagegasse 69/12, A-1190 Wien
Phase 4
Hersteller: Lexicor Software
empfohlene Hardware: TT, Falcon mit Einschränkungen, 4 MByte RAM, VGA-Monitor oder Multisysnc (bei Mega STE oder ST Grafikkarte), Festplatte
Paketpreis:
Phase 4 (Chronos 3D ST/TT, Cyber Sculpt, Prism Paint, Prism Render): 598 Mark Subskriptionspreis, dann 729 Mark
Einzelpreise:
Rendersculpt: 99 Mark Genesis: 99 Mark Rosetta 3D: 149 Mark Utilitys: 99 Mark Phoenix 512:169 Mark Vektorize: 99 Mark
Stärken: Komplette Produktpalette im Paket, sehr flexible Werkzeuge, hohe Bildqualität der fertigen Ergebnisse, relativ flotte 3D-Konstruktion, Objekte von anderen Systemen importierbar, 3D-Pool
Schwächen: noch nicht alle Komponenten auflösungsunabhängig, performance-bedingt enormer Zeitbedarf, Handbücher noch in Englisch
Fazit: Ein Produkt für (semi)-professionellen Einsatz und ambitionierte Hobbyisten, das man im Auge behalten sollte