Masterscore II: Was lange wähnt... (Teil 1)

»Masterscore II« ist erwachsen! Der Leistungsumfang hat sich verdoppelt — dennoch bleibt der Notensetzer gut bedienbar. Selbstverständlich kann kein Programm perfekte Musik auf Knopfdruck erzeugen, zumal der Musiker selbst die Qualität bestimmt.

Arrangement mit Gitarrengriffbildern

Für Komponisten, Bandleader, MIDI-Enthusia-sten und die alten, geduldigen Masterscore-Anwender öffnet sich nach langer Wartezeit wieder der Vorhang. Nachdem schon im Oktober 1989 (!) ein vielversprechender Beta-Testbericht [1] Notendruckbegierigen das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, ist es nun endlich soweit — Masterscore II wird ausgeliefert.

Bisher gab es zum einen Notendruckprogramme, die bei einer erstaunlichen Vielfalt gestalterischer Freiheiten einen großen Zeitaufwand mit sich brachten und eher wie Notensetzmaschinen arbeiteten. Auf der anderen Seite sahen sich Musiker gezwungen auf Feinheiten zu verzichten oder zum Erreichen passabler Satzergebnisse ihre Musik dem Computer anzupassen.

Schon beim Testen war eindeutig festzustellen, daß diese neue Ausgabe von Steinbergs »Meisterschreiber« nicht nur eine aufgemotzte Fassung der letzten Versionen [2] ist, sondern ein vom Arbeitsprinzip her neues, für den Anwender völlig offenes und damit komplettes Notensatzsystem darstellt.

Der Amateur, der seine Werke sauber zu Papier bringen will und endlich Notenhandschrift gegen Computersatzqualität eintauschen möchte, findet hier ein leicht zu bedienendes, komfortables Werkzeug. Profmotensetzer, Bandleader, Komponisten und Verleger, die außer auf hohe Druckqualität vor allem auf alle Notensatztechniken, gestalterische

Freiheiten, schnelle Umbruch- und Neusatzzeiten Wert legen, werden die Denkweise von Masterscore zu schätzen wissen. Notensatz besteht nach wie vor aus den beiden Komponenten: musikalische und grafische Inhalte — bei Masterscore wurde nun beides unter einer angenehmen Arbeitsoberfläche integriert.

Masterscore II versteht die Sequenzerformate von Twentyfour, Cubase, deren Ablegern Twelve und Cubeat sowie MIDI-Standardsongformat. Die Sequenzerdaten werden automatisch umgeformt — der so entstandene Rohsatz kann komfortabel optimiert und ergänzt werden.

In frühen Beta-Versionen war es möglich, direkt von M.ROS-fähigen Sequenzern, wie z.B. Cubase, Musik an Masterscore zu übertragen, um dort gleich am Notensatz zu arbeiten. Da allerdings Sequenzerarbeit und Notensatz von der Intention zu weit auseinanderliegen, macht die On-line-Verbindung wirklich wenig Sinn, obwohl sie technisch möglich wäre. Diese Option wurde mittlerweile verworfen. Auf M.ROS müssen Sie dennoch nicht verzichten, wie die Systemdateien zeigen. Alle Ausgaberoutinen laufen auch in Masterscore II M.ROS-koordiniert.

Wer freilich lieber direkt in Masterscore II seine Kompositionen eingeben will, kann das in vier Varianten tun:

  1. Über das seit Version 1.0 bewährte, nun stark erweiterte, ASCII-Keyboard, auf dem Sie in einer leicht zu erlernenden Notensatzsprache sämtliche Notentextanweisungen schreiben können. Dabei lassen sich auch Vorschlagsnoten, ja sogar beliebig verschachtelbaren N-tolen setzen.
  2. Mit der Maus, die durchaus in der Lage ist, komplexen Notensatz zu erstellen. N-tolen sind allerdings hier nicht setzbar.
  3. Im Quickstepmodus über die Atari-Tastatur. Hierbei ist der Textblock der Tastatur in einem raffinierten Schema mit Tonleitern, Vorzeichen etc. belegt. Der Quickstepmodus ist intuitiv angelegt schnell zu lernen.
  4. Schließlich ist noch ein Step-Input des Notentextes über ein angeschlossenes MIDI-Keyboard möglich. Dabei können Sie sogar Tonlängen, Vorzeichen etc. über das Keyboard ferngesteuert selektieren.
Voreinstellungen für das Layout
MIDI-Zuordnung und wichtige Voreinstellungen

Es empfiehlt sich, gleich beim Erfassen der rein musikalischen Informationen die Stimmaufteilung bzw. die Partitur festzulegen. In der Grand-Staff-Page können Sie beliebig viele Notensysteme definieren, benennen, mit geschweiften Klammern und Akkoladen versehen. Natürlich lassen sich diese Partiturmasken speichern und nachladen. In der Grand-Staff-Page werden ebenfalls die Schlagzeug-Notensysteme (mit eins bis zehn Linien pro Notenzeile) und die mehrzeiligen polyphonen Systeme definiert. Dabei können Sie Melodiestimmen durch mehrere Notenzeilen wandern lassen.

Optionen wie ausblendbare Pausen, Kirchenpausendarstellung, beliebig formbare Legatobögen, beliebig erweiterbare Artikulationsund Sonderzeichen-Tools und komplexe Blockfunktionen zeigen, daß Masterscore II gewaltig weiterentwickelt wurde.

Überhaupt vermittelt die Version II den Eindruck durchdachter Benutzerführung. Alle wesentlichen Arbeitswerkzeuge sind in einer Toolbox verstaut, die mit der rechten Maustaste jederzeit aufgerufen werden kann. Die sonstigen Standardfunktionen sind in logisch gut gegliederten Dropdown-Menüs zu finden.

Die Menüs im neuen Masterscore

Ist der Notentext er- bzw. überarbeitet, fügen Sie mit der Toolbox Gesangstexte, Akkordsymbole, Gitarrengrifftabellen sowie alle gewünschten Spielanweisungen und Sonderzeichen hinzu.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß jeder Anwender eigene Zeichen im Icon-Editor bauen kann. Dies trifft für Notenköpfe, Notenschlüssel und sonstige, in herkömmlichen Satzsystemen unerreichbare System-Icons zu. Somit steht selbst Neumensatz (gregorianische Choräle) oder moderner Cluster-Notation nichts im Weg. Wesentliche neue Features sind Vorschlags- und Stichnoten, die den gleichen Veränderungsmöglichkeiten unterworfen werden können wie normale und Schlagzeugnoten.

Neu ist auch die Möglichkeit, Gitarrentabellen gleich in den Notensatz mit einzubinden. Die Tabellen müssen nicht wieder neu positioniert werden, wenn der Notentext geändert wird, da sie — wie alle Symbole — sich an den Noten orientieren, zu denen sie gesetzt werden. Zusammen mit der Chords-Funktion, die Akkordsymbole für Lead-Sheet-Notation oder andere Akkordbezeichnungen zuläßt und transponierbar ist, lassen sich auch moderne Songbooks und Jazznotensatz gestalten. . Gesangstexte können Sie notenorientiert und in beliebigem Schriftstil setzen. Im Lieferumfang sind neben dem ATARI-Systemzeichensatz die Fonts Swiss, Times und Courier enthalten. Laut Steinberg sind weitere Fonts in Vorbereitung. Dabei wird die Verwendung von Vektorfonts überlegt.

In gewissem Sinne kann Masterscore II als Sequenzer arbeiten, da die gesetzte Musik abgehört und sogar wieder als MIDI-Datei gespeichert werden kann. Von Sequenzern eingeladene Daten lassen sich in Masterscore quantisieren und requantisieren.

Die beim Vorgänger eingeführte Möglichkeit, den Notensatz über Monitor oder über MIDI mitzuhören, ist nun stark verbessert. Die Ausgabe läßt sich auch auf M.ROS lenken.

Die Grafik-Ausgaberoutinen sind erheblich schneller als früher. Krönung der Freiheit: Der Anwender legt fest, in welchen Taktbereichen und welcher Qualität neu gezeichnet wird, was besonders beim Setzen des Notentextes hilfreich ist. (mn)

WERTUNG

Masterscore

Hersteller: Steinberg
Genre: Notensatzprogramm mit Sequenzer
Preis: 598 Mark

Stärken: schnelle Umbruch- und Neusatzzeiten, Icon-Editor, hohe Druckqualität, Lead-Sheet-Notation, gestalterische Freiheiten, schnelle Grafikroutinen

Einschränkungen: keine On-line-Verbindung mehr zu M-ROS

Steinberg Soft- und Hardware, Eiffestr. 596, 2000 Hamburg 26


Stephan König
Aus: ST-Magazin 03 / 1992, Seite 64

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