Editorial - Entertainment par excellence

Halten Sie Krawatten im Grunde für überflüssig? Ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut zumindest erklärt dies für eine typische Zeiterscheinung: Moderne Menschen orientieren sich immer weniger an Konventionen und verstärkt am Nutzen einer Sache. Im Klartext: Was sind im Winter Pfennigabsätze gegen wasserdichte Moonboots oder Krawatten gegen wärmende wollene Schals.

Von der Diskussion um Nutzen und Effizienz sind neuerdings auch Computer nicht ausgenommen. Daß Textverarbeitungssysteme den durchschnittlichen Papierverbrauch inflationär in die Höhe treiben, ist bekannt. Und weil Computer Prestigeobjekte sind, träumt mancher davon, Taschenrechner und Schreibmaschine gegen ein High-Tech-Chip-Ensemble mit Turbo-Board und obenliegendem Diskettenfach einzutauschen — um fortan an Problemen zu verzweifeln, die er ohne Computer nie hatte. Böse Zungen behaupten sogar, die Annahme, Computer sparten Zeit, sei ein geradezu klassischer Trugschluß. Zugegebenermaßen: Betroffenen fällt es nicht leicht, genau zu sagen, ob sie der Computer Zeit kostet oder spart. Wer macht sich schon die Mühe, alles haarklein zu notieren und hinterher nachzurechnen? Dabei ist durchaus nicht erwiesen, daß wir, einer weit verbreiteten Annahme zufolge, unsere Zeit mit Bildschirmspielen verplempern. Eher denkbar ist folgendes Szenario: Zigaretten- und kaffeebewehrt lösen wir mit klopfendem Herzen irgendeine Automatik aus. Der Computer dreht Pirouetten und schlägt Salti, die wir fortan nicht mehr beeinflussen können. Dennoch verfolgen wir die Darbietung mit Argusaugen, als gelte es, Haltungsnoten zu vergeben. Auch diesmal gab's keine Fehlermeldungen, Abstürze und Stromausfälle. Genausogut hätten's aber auch aus der Peripherie aufsteigende Rauchwolken oder andere spannende Vorkommnisse sein können: Entertainment par excellence.

Trotz solcher Intermezzi nehmen uns Computer zahllose zeitaufwendige Aufgaben ab. Wer möchte allen Ernstes wegen einiger Unkenrufe auf Serienbrief- und Mahnautomatik verzichten? Ganz abgesehen von unverzichtbaren Hilfen bei komplizierten Rechenoperationen, für die früher Stunden und Tage nötig waren. Kleine Bildschirmträumereien lassen sich angesichts dessen leicht verschmerzen.

Mit freundlichen Grüßen Ihr


Egbert Meyer
Aus: ST-Magazin 05 / 1991, Seite 3

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