In Deutschland sind Dr. T's Produkte nur Insidern ein Begriff. In den USA allerdings ist der »Keyboard Controlled Sequenzer«, kurz KCS, nicht nur in Studios ein absoluter MIDI-Bestseller.
Der »KCS Omega« ist mit dem Begriff Sequenzer eigentlich nur ungenügend umschrieben. Er ist sehr viel mehr. Das Paket besteht aus einer ganzen Reihe von verschiedenen Modulen jedes erfüllt seinen bestimmten Zweck und erst nach einer Weile lernt man Modul für Modul richtig schätzen. Auf vier randvollen Disketten finden sich neben dem Hauptmodul »KCS 4.0 Level II« ein Graphic Song Editor, das »Quickscore« Notendruckmodul, noch einen grafischen Editor namens »Tiger« und einige MIDI-Utilities aus dem Public-Domain-Bereich. Einer der Hits im Omega-Paket aber ist der wahrhaft faszinierende »Programmierbare Variations-Generator« (PVG) und sein »Master Editor«. Der PVG ist ein äußerst flexibles Kompositions- und Arrangementwerkzeug, das völlig selbständig Musik nach bestimmten Kriterien kreiert oder vorgegebene Riffs variiert. Es liegt am Anwender, wie er den PVG einsetzen möchte.
Schon als einfaches Editing-Tool bietet er enorme Vorteile gegenüber herkömmlichen Sequenzern: Angenommen wir hätten eine Hi-Hat-Spur mit IGtel-Noten im Einzelschrittverfahren, also »Step-by-Step«, aufgezeichnet. Damit es nicht ganz so steril klingt, variieren Komponisten meist die Anschlagdynamik der einzelnen Noten. Anstatt nun die entsprechenden Felder einer jeden Note zu ändern, lassen wir den PVG diese Spur innerhalb fester Grenzen bearbeiten. Das Ergebnis ist ein sehr viel natürlicher wirkendes Schlagzeug.
Ein ähnliches Prinzip kennt die Malerei längst: . Mit einem Tuch tupft der Maler Pastellfarben als Hintergrund oder Füllmuster. Der Künstler ist dabei nicht am einzelnen Punkt interessiert, sondern am globalen Effekt. Ebensolche Elemente gibt es in der Musik. Während man in der Natur Zufallsformen wie die Gestalt von Wolken, der Wuchs eines Baums oder die Vielfalt einer Wiese als ästhetisch schön empfindet, gesteht man dem Künstler Zufallsprodukte nur widerstehend zu. Doch auch der PVG richtet sich wie ein Baum nach einem bestimmten Bauplan, nach einer musikalischen Logik, also nach Vorgaben. Der Anwender muß dabei nicht alle Parameter selbst einsetzen. Das Programm setzt auf Wunsch die restlichen Werte ein bzw. behält die Originalparameter. Für viele Stimmen ist diese Art der Eingabe eine echte-Alternative zu zeitintensiven Step-by-Step-Methode. Blitzschnell erhält man riesige Menge musikalisches Material, das man nur noch nach brauchbaren Teilen durchsuchen muß der Rest wandert in den Papierkorb.
Die Bedienung ist an sich recht simpel: Bearbeitet wird immer die Sequenz bzw. der Track, der sich in dem Moment im Editor befindet, an dem vom KCS ins PVG-Modul gewechselt wurde. Startet man den PVG vom Desktop als Stand-alone-Programm, muß man das musikalische Material manuell einladen.
In die verschiedenen Felder gibt man einfach neue Werte ein und klickt OK. So verwendet ist der PVG ein einfacher Variations-Generator. Doch der PVG ist nicht umsonst programmierbar. Die Werte können dann als Presets eingegeben werden, wobei gleich ein ganzer Satz Felder ausgefüllt wird. Insgesamt sind 80 Presets möglich. Da auf einen Track auch mehrere Presets wirken können, empfiehlt es in bestimmte Presets nur wenige Parameter aufzunehmen.
Doch damit nicht genug: Makros sind in der Lage bis zu 16 verschiedene Presets in geordneter Reihenfolge, die alle zusammen auf bestimmte Felder wirken, aufzunehmen. Damit ist es z.B. möglich, den Anschlag alle Noten, die auf einem bestimmten Beat fallen, zu verstärken. Im Lieferumfang sind bereits Macros und Presets enthalten insgesamt faßt der Speicher 20 Macros. Die einzelnen Fenster erinnern an eine Tabellenkalkulation, Reihen und Spalten und viele, viele Zahlen. Die Datenfelder können dabei von Änderungen völlig oder teilweise ausgeschlossen werden. Eine Ornamentfunktion fügt nach bestimmten Kriterien zusätzliche Noten ein und eine Split-Pattern-Anweisung entscheidet nach komplexen logischen Tests, ob ein Pattern variiert wird oder nicht.
Auch die globalen Einstellungen führen zu einer Vielzahl von möglichen Ergebnissen. So kann bei fortlaufenden Änderungen entweder die Originalsequenz oder aber der variierte Track als Grundlage neuer Variationen dienen.
Die Kombinationsmöglichkeiten sind, wie ja auch die Musik an sich, unendlich. Freilich darf man nicht erwarten, daß jede Variation nun brauchbar oder im musikalischen Sinn brillant ist doch wie man jedes Instrument erlernen muß, so braucht man auch am PVG erst ein Gefühl für die Möglichkeiten. Man muß lernen, die richtigen Wertebereiche zu bilden, intuitiv die passenden Parameter zu erahnen und das richtige Futter zur Verfügung zu stellen, sprich entsprechend brauchbares Material verwenden.
Oft hören sich die Ergebnisse wie Schrottmusik an, und dies nicht etwa, weil das Material an sich schlecht ist, viel mehr fehlt einfach der richtige musikalische Kontext. Es ist wie mit Bach und Blues. Als Bach seine Brandenburger Konzerte schrieb lauerten alle Blues- und Jazzakkorde unter seinen Fingern, Bach erfand zwar Zwischendominanten und vieles mehr, aber einen Blues-Akkord konnte er einfach nicht begreifen. Hätte er zufällig einen angeschlagen, er hätte falsch geklungen! Warum? Der musikalische Kontext war einfach noch nicht vorhanden, die Sprache noch nicht entwickelt. Ein Jazzakkord kann nie isoliert betrachtet werden, er wirkt erst durch sein Umfeld. Ähnlich ist es mit Ergebnissen des PVG. Das Programm kreiert Musik, die wir zur Zeit vielleicht noch nicht verstehen. Wer zuhören kann, findet so unter Umständen auch den passenden Kontext, vielleicht sogar eine neue, andere Musiksprache.
Da wir uns einer gewissen Begeisterung, die der KCS Omega ausstrahlt, nicht verschließen können, setzen wir in der nächsten Ausgabe unseren Test mit den restlichen, nicht weniger interessanten Modulen fort. Im Mittelpunkt: der KCS Level II-Sequenzer. (mn)
Modul: Programmable Variations Generator
Hersteller: Dr. T
Preis: komplettes Paket 950 DM
Kopierschutz: Key-Diskette
Stärken: 384 Ticks pro Viertelnote; 64 MIDI-Kanäle; beliebige viele Songs; Macintosh-ähnliche Betriebsoberfläche; raffinierter Kompositionsalgorithmus; grafischer Zusatzeditoren; Echtzeitkontrolle bei Aufnahme; Notendruck mit PostScript
Einschränkungen: hohes Preisniveau; englische Handbücher
Fazit: Der PVG ist noch ein Zukunftsprojekt mit viel Raum für ungeahnte Möglichkeiten. Die größte Freude werden Tüftler und Bastler haben.