Mind-Machines - Indikation: Nervenkitzel

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Premiere auf der Atari-Messe: Mind-Machine für den ST

Urlaub vom Monitor ist der Wunsch streßgeplagter Zeitgenossen mit Computerarbeitsplatz. Besitzer von »Mind-Machines« entspannen sich dagegen vor ihren Bildschirmen.

Eigentümlich ausgestattete Gesellen sitzen seit kurzem landesweit vor Atari-Monitoren: Die Augen von großrahmigen Brillen mit roten Gläsern geschützt, die Ohren durch Kopfhörer fest verstöpselt, halten sie heftigsten Lichtgewittern stand: Brainbuilding heißt ihre Antwort auf die Bodybuilding-Bewegung. Ihr Ziel: Entspannung durch Nervenreize. Ganz unbedenklich ist die Sache jedoch nicht.

Bis vor kurzem gab's noch keine »Mind-Machines« für den Atari. Am Stand von »Megabrain« wurden sie jetzt in Düsseldorf erstmals öffentlich einer staunenden künftigen Fan-Gemeinde vorgestellt. Es handelt sich dabei um ein Hardware-Software-Arrangement, das durch Licht- und Klangreize Einfluß auf die Gehirntätigkeit nimmt. Genauer gesagt verändern rhythmisch blinkende LEDs die Frequenz der Hirnwellen und geben dabei Wellenmuster vor, die das Gehirn stimulieren können.

Stufenlos läßt man sich in unterschiedliche Stimmungslagen versetzen. Hochfrequente »Beta«-Wellen mit ihrer geringen Amplitude entsprechen einem angeregten Wachzustand. Niederfrequente, hochenergetische »Alpha«Wellen simulieren Entspannung. Noch energiereicher aber auch langsamer sind »Theta«- Wellen. Sie gaukeln dem Gehirn eine tiefe Entspannungsphase vor. Nach Herstellerangaben ist die Mind-Machine in der Lage, beide Gehirnhälften zu synchronisieren und auf identischen Frequenzen schwingen zu lassen. Konzentration und Merkfähigkeit sollen auf diese Weise gefördert werden.

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Das Cockpit der Mind-Machine: Steuerung am ST-Bildschirm

Geplagte EDVler, so glaubt »Megabrain«, sollen sich an ihrem Arbeitsgerät auch erholen können. Also: Tabellenkalkulation raus, »Illumi- nator« rein und ein paar unverzichtbare Utensilien zusammengesucht. Solcherart gerüstet, kann der Feierabend am Monitor beginnen. Was wird benötigt? Atari, Hardware-Adapter, LED-Brille, Kopfhörer und Programmdiskette. Und so könnte eine »Mind-Session« in etwa ablaufen: Computer einschalten und den »Megabrain Illuminator« laden. Jetzt testet das Programm kurz, ob der Neuling auf Lichtblitze besonders empfindlich reagiert. Ferner wird darauf hingewiesen, daß Epileptiker, Psychotiker, Menschen mit Hirnschädigungen und Schwangere keine Mind-Machines anwenden dürfen. Dann erscheint das Menü. Hier lassen sich bereits implementierte Session-Programme wählen, die mit vorgefertigten Licht- und Klangmustern arbeiten.

Für den Anfang lädt man eine Session und klickt den »Start-Button«. Insgesamt acht rote LEDs flackern nun rhythmisch vor den Augen. Gleichzeitig setzt ein leicht gequälter Computer-Sound ein und erinnert daran, daß man Kopfhörer trägt. Mit den Reglern am Hardware-Adapter lassen sich Lichtintensität und Lautstärke nach eigenem Gusto variieren. Fühlt man sich bei der gewählten Einstellung subjektiv wohl, ist es an der Zeit, die roten Brillenklappen zu schließen, um andere visuelle Umweltreize auszusperren. Es darf entspannt werden...
Die Augen sind geschlossen. Die Haltung bequem, der Gürtel gelockert und alles vergessen, was die Entspannung behindert. Die Maus wird nun langsam vor- oder zurückgeschoben. Schub nach vorn erhöht die Frequenz. Anfängern werden 10 Hz behagen. Bewegt man die Maus zurück, flackern die Dioden langsamer und der Klang aus den Kopfhörern wird zunehmend träger. Hinter den geschlossenen Augenlidern geht die eigentliche Light-Show ab. Jede Frequenz produziert andere Licht- und Farbspiele. Einmal sind es von blau nach rot changierende Kreise, die auf der Netzhaut zu pulsieren scheinen. Dann wieder rast man durch zu Spiralen verschlungene Tunnelwände. Auf dem Trip durch die Szenarien der eigenen Innenwelt gibt es eine Menge zu entdecken.

Der Illuminator eignet sich vor allem zum vorsichtigen Experiment. Editoren für Impulsraten, Klang- und Lichtmuster helfen bei der Entwicklung eigener Sessions, die unter sinnvollen Dateinamen abgespeichert, auf Disketten gehortet und wiederverwendet werden können. Wer Geselligkeit und Austausch schätzt, kann an seinen Adapter eine oder zwei weitere LED-Brillen und Kopfhörer anschließen. Da nur die Verwendung eines Steuerinstrumentes erlaubt ist, begeben sich die maximal drei Teilnehmer, einfühlsam vom Sessionleiter per Maus dirigiert, ins selbe Brainkino. In Gesprächen zeigt sich, daß jeder die Freqenzen anders erlebt und mit anderen Assoziationen verbindet.

Vor dem Kauf der HomeVersion einer Mind-Machine empfiehlt sich der Praxistest. in der Bundesrepublik gibt es neben fünf großen Studios in Berlin, München, Düsseldorf, Frankfurt und Köln eine Reihe kleinerer Einrichtungen für Reisen in die Innenwelt. Eine Sitzung kostet etwa 30 Mark. Weiterführende Lektüre ist in jeder gutsortierten Buchhandlung erhältlich. Das Feierabendvergnügen am Diodenadapter wird indes von kritischen Stimmen begleitet. Während der Erleuchter gerade beginnt, einen jungen Markt für sich zu erobern, machen vermehrt Psychologen auf mögliche unliebsam Begleitumstände aufmerksam. Werner Gross, Diplom-Psychologe und Sachverständiger in Frankfurt, vermutet sogar kritische Nebenwirkungen: »Bei Mind-Machines handelt es sich um elektrische Psychopharmaka, die zur Produktion körpereigener Morphine anregt. Unbedenklich bis gefährlich, je nachdem, wer diese Geräte benutzt. Bei Hirnschädigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Psychosen und Schwangerschaft muß dringend von der Anwendung abgeraten werden. Über Langzeitwirkungen können wir derzeit noch keine gesicherten Aussagen machen.« Ernsthafte Gefahren auch für latente Epileptiker, bei denen die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist. Der Bund Deutscher Psychologen jedenfalls, meldete die Zeitschrift »Hobby«, hält Mind-Machines für Verursacher von Wahrnehmungs- und Konzentrationsschwächen. »Megabrain«-Geschäftsführer Michael Scheel sieht in der illuminierten Entspannungsübung am Computer ein eher harmloses Vergnügen: »In der zweieinhalbjährigen Arbeitspraxis unserer Studios sind lediglich drei Fälle mit Komplikationen aufgetreten. Zweimal davon haben an Epilepsie erkrankte Personen nachweisbar unsere eindringlichen Warnungen in den Wind geschlagen.«

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Der Lichtmuster-Editor. Illumination bei geschlossenen Augen

Michael Nießen, einer der Entwickler der Atari-Mind-Machines, warnt allerdings vor übertriebenen Erwartungen: »Die positive Wirkung des Illuminators ist unumstritten. Aber: Mind-Machines sollen weder Therapeuten noch Mediziner ersetzen. Auf der anderen Seite begünstigen sie tatsächlich die vermehrte Endorphinproduktion. Ein undramatischer Vorgang, der uns aus dem Bereich sportlicher Dauerbelastung bekannt ist.« Wer sich für das Abenteuer Mind-Machine gewappnet fühlt, erhält zum stolzen Preis von 1398 Mark den Hardware-Adapter, LED-Brille, Kopfhörer, Programmdiskette und eine ausführliche Anleitung. Die Systemanforderungen sind für die aktuelle Programmversion bescheiden: Jeder ST eignet sich. Avisierte Updates sollen schon bald den Stereochip der Rechner aus der STE-Reihe nutzen. (em)

»Illuminator« ist erhältlich bei: »Megabrain«, Friedrich-Ebert-Str. 32, 4000 Düsseldorf, Tel. 0211/3567 57.


Ute Bahn
Aus: ST-Magazin 10 / 1990, Seite 38

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