AT-Emulatoren: Big Blue im ST

Bereits kurz nach der Präsentation des »ATonce« von »Vortex« zog der Entwickler des »PC-Speed« nach und stellte seinen »AT Speed« vor. In unserem Vergleich mußten die Emulatoren beweisen, was in ihnen steckt.

Das Thema »MS-DOS für den ST« ist so alt wie der ST selbst. Schon nach seinem Erscheinen im Jahre 1986 präsentierte Atari einen XT Emulator: Aus der grauen Kiste ist jedoch nie etwas geworden.
So nahm die Geschichte ihre Fortsetzung mit der Ankündigung des »Superchargers«, der allerdings viel zu spät erschien. Den Durchbruch schaffte erst Hans Sack mit seinem »PC-SPEED«: ausgestattet mit einem NEC V30 erreicht der »ST PC« Nortonfaktor 4.
Doch handelt es sich beim PC-Speed nur um einen XT Emulator: Software, die die Eigenschaften eines AT ausnutzt, läuft nicht. Seit Sommer diesen Jahres sind nun mit dem »ATonce« von »Vortex« und dem PC Speed-Nachfolger »AT Speed« von Hans Sack Geräte erhältlich. Sie funktionieren den ST zum AT um, Big Blues 286-PC wanderte also in den ST Hätte das »IBM« je gedacht?

**Testprogramm**
                       ATonce         AT-Speed
CPU
-relativ zu XT         345%           349%

MIPS
-relativ zu AT          82%            83%

CHIPTEST 
-CPU #1                 61%            62%
-CPU #2                 73%            74%
-Video #1               72%            77%
-Video #2               57%           240%
-Video #3               58%            46%
-Festplatte            180%            75%

Landmark AT-MHz          8,5 MHz        7,9 MHz
-relativ zu XT         440%           410%

CHECK IT 
-Drystones             1163           1163
-Video char/sec        3640           6902
-Whetstones           23100          23200
-Disk (Bytes/sec)       325,9          306,0

Norton SI 
-CI (CPU-Index)         6,7            6,7
-DI (Disk-Index)        5,6            2,9
-PI (Perf.-Index)       6,3            5,4
-relativ zu XT        440%           410%
(Norton-SI-Werte relativ zu XT, PI = CI + DI)

SST 
-Drystones            1138           1138
-Video char/sec       2970           4590
-Whetstones          14000          15000

Windows 3.0 laden       23s            24s 
Textscrolling           37s            46s
(1151 Zeilen in 47947 Bytes) 
LHARC                  424s           417s
(56 Dateien mit 999657 Bytes)

Die verschiedenen Benchmark-Tests für unsere AT-Emulatoren weisen keinen eindeutigen Sieger aus

Beide Emulatoren ähneln sich sowohl auf der Hardware- wie auf der Softwareseite stark. Sie arbeiten mit ähnlicher Geschwindigkeit. Auch die Preise unterscheiden sich kaum. Guter Anlaß, beide Produkte Punkt für Punkt unter gleichen Bedingungen zu testen.

Die Kandidaten - ATonce und AT Speed - werden in einem kleinen Karton ausgeliefert. Darin findet man neben der Platine die IC-Sockel, die auf die 68000-CPU zu löten sind, ein Handbuch und eine Diskette mit der Installationssoftware.
Der Einbau verläuft bei beiden Geräten gleich. Wer nicht löten möchte und noch einen freien Megabus hat, verwendet den gegen Aufpreis erhältlichen Steckadapter. Bei Vortex gibt es sogar einen Steckadapter für den Atari STE, dessen 68000er in einem PLCC-Gehäuse sitzt.

Beide Platinen sind sehr sauber und kompakt verarbeitet. Während beim AT Speed drei GALs zum Einsatz kommen, verrichtet beim ATonce ein Gate-Array den Dienst. Die »Handbücher« beider Produkte sind eher als Heftchen zu bezeichnen, die nur die wichtigsten Informationen vermitteln. Im Anhang von AT Speed findet sich ein Verweis auf ein Buch aus dem Heim Verlag, das sich mit dem AT Speed auseinander setzt. Ähnliches ist bereits für den PC-Speed erschienen und durchaus zu empfehlen. Die bessere Einbauanleitung bietet aber der ATonce: anstatt zum Teil wenig aussagefähig Fotos zu verwenden, hat man sich bei Vortex die Mühe gemacht und detaillierte Zeichnungen angelegt.

Dem erfolgreichen Einbau folgt die Installation der Software. Obwohl das Install Programm von AT Speed unter GEM läuft, kann es der gelungenen Software des ATonce nicht das Wasser reichen Vortex läßt schon bei der Installation die Einteilung des Speichers oberhalb 1 MByte in Expanded und Extended Memory zu. Auch die Zuordnung der Festplatten-Partitionen löst ATonce eleganter und logischer als der Mitbewerber. Spätestens seit dem Erscheinen von AHDI 3.0 stiftet di AT Speed-Lösung, alle Partitionen als logische Laufwerke darzustellen, große Verwirrung: Wenn die erste Partition als BGM-Einheit angelegt ist, dann läuft im Installationsprogramm D nicht unter D, sondern unter C - verwirrend genug?

Beim Start der »ATs« fällt beim AT Speed eine angenehme Eigenschaft auf. Installiert man die AT Speed-Software als Accessory, kann man den AT von jeder (GEM-)Applikation aus starten. AT Speed rettet dabei den ST Speicher. Verläßt man den AT, befindet man sich wieder an der Stelle im ST, wo man unterbrochen hatte. Damit entfällt zumindest das Neubooten des STs.

Auch die Konfiguration der emulierten Hardware ähnelt sich bei den Testkandidaten. Beide Emulatoren unterstützen den Atari-Laser SLM 804 an der Druckerschnittstelle LPT1. AT Speed verwendet nur den Diablo Treiber von Atari. ATonce unterstützt zudem Laserbrain von DMC. Man kann also zwischen einem Diablo 630 und Meinem Epson FX80 wählen. An LPT2 wird der Centrontics-Anschluß des STs umgesetzt. Der ATonce bietet zwei serielle Schnittstellen, COM1 und COM2. An einer Schnittstelle wird die Atari-Maus als serielle Maus emuliert. Die andere Schnittstelle bedient die RS232 des ST. Per Installation läßt sich festlegen, welche Schnittstelle unter C0M1 und welche unter C0M2 ansprechbar ist.

Beim AT Speed ist der Einsatz der Schnittstellen nicht so sauber gelöst. Für DOS-Programme existiert nur COM1, der wahlweise eine Maus oder ein Modem bedient. Maus und Modem können also nicht gleichzeitig arbeiten.

Vielfältige Grafikauflösungen

Beide Karten sind in der Lage, mehrere PC-Grafikkarten zu emulieren. AT Speed gaukelt den DOS-Programmen auf Wunsch eine CGA-, eine Hercules-, eine Olivetti- oder eine Tandy-Karte vor. Besonders die letzten beiden Grafikauflösungen bieten sich an, da sie mit der hohen bzw. niedrigen Auflösung des STs identisch sind. Bei der Hercules-Emulation greift AT Speed - soweit vorhanden - auf Hyperscreen' zurück und stellt damit die volle Auflösung von 720 x 348 dar.

Der ATonce bietet CGA, Hercules, Olivetti und Toshiba an. Die letzten beiden sind fast identisch. Es gibt aber DOS-Programme, die sich mit nur einer der Grafikkarten vertragen. ATonce unterstützt in der Hercules-Emulation den Autoswitch-Overscan (siehe Test 9/90). Beide Emulatoren bieten Programme an mit denen man unter MS DOS die Emulation umschalten kann.

Als sehr wichtiges Kriterium für die Wahl des einen oder anderen Emulators muß die Kompatibilität zum Original ATgelten. Während ein normaler XT scheinbar recht einfach in den Griff zu bekommen ist, hat ein AT Emulator mehrere Klippen zu umschiffen. Zunächst einmal kennt der Intel 80286 zwei verschiedene Betriebsmodi. Der erste ist der Realmodus, indem sich der Prozessor weitgehend wie sein kleiner Bruder 8086 verhält; dieser Chip oder ein Lizenzprodukt kommt in vielen XT zum Einsatz. Der Realmodus ist unter MS-DOS üblicherweise aktiv. In dieser Betriebsart bereiten beide Emulatoren von Anfang an keinerlei Probleme.

Kritischer dagegen der Protected Mode: Erst hier sind beim 80286 alle Fähigkeiten erreichbar, insbesondere die direkte Adressierung von mehr als 1 MByte RAM. In diesem Modus zeigten beide Emulatoren erhebliche Schwierigkeiten, die aber in den neuesten Versionen (AT once 1.16 und AT Speed 2.11) behoben sind. Das läßt sich mit Windows 3.0 beweisen, denn der neue Standard für grafische Oberflächen auf MS-DOS-Systemen nutzt alle vorhandenen Hardware-Features »gnadenlos« aus. So läuft Windows 3.0 im Protected Mode, wenn die Hardware dies zuläßt. Auf einem Mega ST4 hat man Zugriff auf die gesamten 4-MByte Speicher. So lassen sich mehrere Anwendungen gleichzeitig im Speicher halten, ohne daß Speicherbereiche auf Platte geswapped werden.

Allerdings fällt der Geschwindigkeitsverlust des AT Speed im Protected Mode auf. Während im Realmodus der Grafikaufbau noch sehr flott ist, geht Windows 3.0 im Protected Mode wesentlich gemächlicher zu Werke. Beim ATonce fällt die geringere Geschwindigkeit dagegen kaum ins Gewicht.

Problematische Schnittstelle

Eine weitere Hürde für eine hundertprozentige Emulation ist der in PCs normalerweise vorhandene 8520-Chip, der die serielle Schnittstelle der PCs und ATs versorgt. Die Emulation dieses Bausteins scheint sehr schwierig zu sein, denn beide Produkte haben so ihre Probleme damit. »Telemate« und »Telix«, die die Verwaltung der seriellen Schnittstelle selbst übernehmen, bringen unter AT Speed kein Byte über die Leitung. Bei Vortex scheint man der Lösung des Problems ganz nahe zu sein: DTR und CD werden schon richtig behandelt, auch das Senden klappt schon. Der Empfang jedoch funktioniert mit einem Modem noch nicht. Erst bei der nächsten Version kann man dann vielleicht auch dem Hobby DFÜ unter MS-DOS frönen.

Maus und Tastatur laufen unter beiden Emulatoren zufriedenstellend. Das Problem »Backslash hat« erfuhr eine unterschiedliche Lösung. Beim ATonce erzeugt man einen Backslash mit ALTERNATE-»~«; die Anzahl der ob der ungewöhnlichen Tastasturbelegung falschen Anschläge beim Versuch, einen langen Pfadnamen einzugeben, sollte man besser nicht zählen. Dafür ist der Backslash in allen getesteten Programmen erreichbar.
AT-Speed verwendet die Tastenkombination ALTERNATE-SHIFT Ü, die ja auch unter TOS gilt. So bleibt die Umgewöhnung erspart. Dafür sind einige Programme (z.B. Windows 3.0) nicht gewillt, diese Tastenkombination als Backslash zu akzeptieren. Nur die direkte Eingabe des ASCII-Codes per Alternate-Zifferntasten hilft dann noch weiter.

Die Maus läuft bei beiden Produkten problemlos: Kein Programm mit Mausunterstützung hat den Dienst versagt. Die Video-Emulationen sind uneingeschränkt lauffähig. CGA und Hercules unterstützt fast jede Software. Auch die Olivetti-Karte, die von der Auflösung her ideal für den ST ist, akzeptieren recht viele Programme. AT once verwendet in den monochromen Auflösungen den Blitter und gewinnt so einiges an Geschwindigkeit.

Neben der Kompatibilität ist natürlich die Frage des Tempos von erheblicher Bedeutung. Doch sind der mitunter nur schlecht vergleichbaren Ergebnisse wegen die Geschwindigkeitstests ein heikles Thema. Um annähernd gleiche Bedingungen zu schaffen, hat die Redaktion beide Emulatoren auf derselben Platte installiert. Auf der ersten und zweiten Partition befinden sich Software und DOS (je MS-DOS -4.01) von ATonce bzw AT Speed. Auf einer dritten Partition, in beiden Fällen als Laufwerk E: angemeldet, liegt die Testsoftware.

Zum Test kamen die üblichen Benchmarkprogramme zum Zuge. Allerdings sagen die Ergebnisse der Benchmarktests allein noch nicht sehr viel aus. Deshalb haben wir alle Ergebnisse unkommentiert in der Tabelle aufgelistet; so kann sich jeder sein eigenes Bild machen.

Zur schlüssigen Bewertung mußten andere Kriterien herhalten:

  1. Komprimieren und Archivieren von Dateien mit LHARC 1.14.
  2. Ausgabe einer Datei auf den Bildschirm mittels TYPE-Kommando.
  3. Laden von Windows 3.0.
    Auf diese Weise gehen alle praxisrelevanten Faktoren (CPU, Bildschirmausgabe, Plattenzugriff) in das Testergebnis mit ein.

Schnelle Bildschirmausgabe

Die Resultate sind teilweise unerwartet und sogar verblüffend ausgefallen. So zeigen alle Benchmarkprogramme klare Vorteile bei der Bildschirmausgabe für den AT Speed an. Bei der Ausgabe einer Datei mittels TYPE Kommando auf den Bildschirm erwies sich aber ATonce fast 25 Prozent schneller als AT Speed.

Die beiden übrigen Tests beziehen die Festplatte in hohem Maße mit ein. Trotz des gemessenen Vorteile des ATonce in dieser Sparte komprimierte AT Speed schneller und lud auch Windows 3.0 nur minimal langsamer. Damit ist erneut bewiesen, daß man sich auf nicht hinterfragte Testergebnisse von Norton SI oder Landmark kaum verlassen sollte.

Beide Emulatoren hab mit den aktuellen Software-Versionen einen recht hohen Grad der Kompatibilität erreicht. Einen klaren Sieger gibt es nicht, denn auch die Ergebnisse der Benchmarks liegen zu nah beisammen. Leichte Vorteile kann man derzeit dem ATonce bescheinigen, dessen Software einen ausgereifteren Eindruck macht. Vor allem im Protected Mode ist ATonce schneller.

Ulrich Hilgefort/uw

ATonce

Vertrieb: Vortex, Flein
Preis: 498 Mark

Stärken:
hohes Emulationstempo der Bildschirmausgabe
Steckadapter für STE erhältlich
gute Installations-Software
unterstützt Laserbrain
zwei serielle Schnittstellen
benutzt im Hercules-Mode Autoswitch-Overscan
kaum Geschwindigkeitseinbußen im Protected Mode
verwendet den Blitter

Schwächen:
Probleme mit serieller Schnittstelle
ungewohnte Tastaturbelegung (Backslash)
Umschalten auf ST Modus erfordert Reset

Fazit: Beide Emulatoren liefern befriedigende Ergebnisse. Zur Auswahl sollten die Erfordernisse der gewünschten Anwendungen berücksichtigt werden.

AT Speed

Vertrieb: Maxon-GmbH
Preis: 549 Mark

Stärken:
hohes Tempo bei Zugriffen auf Massenspeicher
als Accessory installierbar
rettet beim Übergang zum AT den ST Speicher
benutzt im Hercules-Mode Hyperscreen und Overscan
Backslash an gewohnter Stelle
Video-Modi während des Betriebs umschaltbar

Schwächen:
mageres Handbuch
verwirrende Festplatteninstallation
unterstützt nur C0M1
deutliche Geschwindigkeitseinbußen im Protected Mode
Probleme mit serieller Schnittstelle
Backslash nicht von allen Programmen anerkannt

AT-Speed: Maxon-GmbH, Industriestraße 26, 7-6236 Eschborn ATonce: Vortex,Computersysteme, Falterstraße


Michael Bernards
Aus: ST-Magazin 10 / 1990, Seite 34

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