Macintosh-Emulator Spectre: Zauber-Apfel auf dem ST

Der Apple-Macintosh zeichnet sich bekanntlich ja nicht nur durch erstklassige Grafik-Software aus, sondern bietet auch auf dem Gebiet des DTP sehr viel. Nicht umsonst galt der Mac von jeher als »Nonplusultra«.

Mit dem Spectre funktioniert die Emulation des Macintosh auf dem Atari ST leider noch nicht klaglos

Spectre emuliert einen Mac Plus, allerdings stehen nicht 1024 KByte, sondern nur 832 KByte Hauptspeicher zur Verfügung, wenn man den Spec re — wie wir es getan haben — mit einem MByte RAM verwendet. Der Spectre benötigt Platz für eigene Software. Ein Mega ST 2 oder 4 kennt da weniger Probleme.

Das Handbuch in Englisch gibt Anweisungen für die Installation. Ein wenig stören die etwas krampfhaften humoristischen Passagen, die der Herausgeber wohl zur Auflockerung eingestreut hat. Sie tragen nicht zum Verständnis bei.

Einer fotokopierten und dem Handbuch beiliegenden »Spectre 128 compatibility list« (Stand ?) ist zu entnehmen, daß mit wenigen Ausnahmen eigentlich alles an guter und teurer Mac-Software laufen soll.

Die Ausnahmen, die bei unserem Test abgestürzt sind: Cricket paint 1.0, Day Keeper, Filemaker 4, Font/da Juggler, Freehand II, Jazz, Laser FX, Mac Paint 2.0, Mac Author, Letra Studio, MacSpin, Mac-Terminal, MacWrite vor .4.6, MaxRam, MiniCad, MS-File 1.0, MS-Word vor 4.0, Phoenix 3D, PowerDraw, Stepping Out, TOPS, Trapeze. Hier nun eine Liste der Programme die nur eingeschränkt arbeiten, d.h. die nicht drucken, nur mit Disketten arbeiten oder nicht alle Funktionen bieten: Disk Express, Fastback, Diskfit, MacTools, MAcZAp, Symantec Util. 1.0, OMNIS 3 + , Overvue, Printshop, Prof. Composer (hier heißt es lapidar: works, but no sound), Quark express, Ragtime 1.0, Red Ryder. Die Spiele, die für den Mac erhältlich sind, laufen fast alle nicht, nur Tetris funktioniert — auch als DA.

Nun hatten wir keinen Zugriff auf alle Programme und auch nicht die Zeit, alles auszutesten, aber einiges konnten wir überprüfen: Works 2.0, Superpaint 2.0, ReadySetGo 3./4.0, Word 3.02, MacDraw, FileMaker Plus, Stuff it.

Blackout und More 1.1. Mit diesen Programmen gibt es keine Probleme, was die Lauffähigkeit angeht.

Auf die liebgewordene Systemumgebung (DAs, Inits, CDEVs) muß man nicht ganz verzichten. Wir probierten Suitcase (1.0), Deskpaint, Disktools 2.0, Scanman, das DA von Glue (SuperViewer) und die von Apple mit dem System gelieferten DAs aus. Inits wie Oncue, Superclock, Flashwrite und Capture Init funktionieren ohne Probleme. Scsi-Saver läuft ebenso nicht wie der uralte Screensaver »Macsbug«. Da der Terminkalender Smart-Alarms nur mit Macsbug zusammen korrekt die Erinnerungsmeldungen bringt, fällt dieses Programm leider auch weg. Der Bildschirmschoner »Blackout 1.21« schont statt dessen den Mac/Atari-Bildschirm.

Das Handbuch warnt drastisch vor einigen, dem Mac-Nutzer in Fleisch und Blut übergegangenen Aktivitäten beim Spectre: Z.B. kann ein normaler Neustart oder das Ausschalten aus der Finder-Menüleiste das Ende der Daten der Festplattenpartition, die für den Mac reserviert wurde, bedeuten (statt 17 MByte nur noch 779 KByte auf der Platte). Man sollte also tunlichst darauf verzichten. Ebenso schafft man sich Probleme, wenn man versucht, eine Diskette unter dem Finder zu formatieren; dies kann auch die neueste Version von Spectre, Spectre GCR (Group Coded Recor-ding = Apples Diskettenformatier- und Speichermethode) nicht uneingeschränkt.

Startet man das Spectre-Programm auf dem Atari als Atari-Anwendung, kann man Disketten auch im Macin-tosh-Format formatieren. Der Spectre zeigt übrigens an, ob es sich um eine Diskette im Mac (oder Spectre-Format) handelt, indem er einen kleinen Mac in das Diskettensymbol einfügt. Von Spectre im Macintosh-Format formatierte Disketten werden anstandslos vom Original-Macintosh verarbeitet und auch danach wieder vom Spectre. Es tauchen dennoch manchmal einige unerklärliche und nicht reproduzierbare Phänomene auf: Von Zeit zu Zeit werden Disketten plötzlich für den Spectre unlesbar, obwohl sie für den Original-Mac noch einwandfrei zu verarbeiten sind. Oder es verschwinden Icons, die eben noch da waren. Man kopiert unter dem Spectre-Finder von der Diskette auf die Atari-Fest-platte; die normalen Meldungen erscheinen - aber anschließend ist beim Öffnen des entsprechenden Ordners die kopierte Datei nicht da. Oder das Kopieren meldet plötzlich »Disketten/Plattenfehler«. In der Regel hilft es, den Vorgang zu wiederholen; zum Teil auch mit gedrückter Alternate-Taste (entspricht der Options-Taste des Mac). In 99 Prozent der Fälle hilft bei den oben erwähnten Problemen der Einsatz von Disk-Tools; mit diesem DA kann man sich eigentlich immer helfen.

Nach Installation des Spectre und allen Voreinstellungen, startete das Spectre-Programm und nach Einlegen der Macintosh-Systemdiskette wurde diese nicht akzeptiert. Nach einigen Tasten-Tricks (Shift, Alternate, Control) akzeptierte der ST sie dann doch und wir konnten das System auf der Festplatte autobootfähig installieren. Aber das Phänomen wiederholte sich. Das Diskettenlaufwerk hatte, wie wir vermuten, sein eigenes System, Macintosh-Disketten zu erkennen. Wir haben einige Stunden damit verbracht, die gewünschte Software zu transferieren. Dies stand nun in krassem Gegensatz zu den Beschreibungen der Software-Hersteller. Der Grund für diese Störungen: Der Spectre ist empfindlich bezüglich der offensichtlich massenhaft im Atari auftretenden Störfelder. Man hat dies für die gängigen Atari-Modelle mittlerweile im Griff. Doch der von uns eingesetzte Mega ST 1 ist da anscheinend ein Problemfall. So schlossen wir kurzerhand ein externes Laufwerk an und bauten zusätzlich eine interne Abschirmung aus Alufolie, die der Spectre-Hersteller empfiehlt. Wir waren anfangs sehr skeptisch, ob diese vom Hersteller empfohlenen Tricks auch wirklich helfen würden, doch es stimmte: Mit dem externen Laufwerk lief es plötzlich wie »geschmiert«.

Die Arbeit mit dem Diskettenlaufwerk ist auch nicht ganz ohne; die Intelligenz des Mac, Disketten per Knopfdruck auszuwerfen, hat der Atari normalerweise nicht und auch mit dem Spectre ist das nicht anders. Man sieht nach dem »Auswerfen«-Kommando (auch ctrl-shift 1/2) einen blinkenden Buchstaben »A« für das interne und ein »B« für das externe Laufwerk. Nach dem Herausnehmen der Diskette verschwinden die Buchstaben. Sollte es einmal nicht funktionieren, dann muß man das Laufwerk abmelden, das heißt eine Funktionstaste drücken (»Fl«-internes, »F2«-externes Laufwerk). Diese Tasten helfen auch, wenn das jeweilige Laufwerk nicht erkennt, daß eine Diskette eingelegt wurde. Besonders interessante Entwicklungen können sich ergeben, wenn man eine Diskette in die laufende Anwendung einführt, z.B. mit »Speichern unter...« eine Sicherungskopie des gerade bearbeiteten Dokuments erstellen will.

Da kommen die wildesten Dinge vor, bis hin zum »Bitte Festplatte einlegen« (dann hilft Abmelden der Festplatte mit »F3«), Wir sind durch die verschiedenen Schwierigkeiten sehr vorsichtig geworden und haben uns angewöhnt, zwischendurch mit Disktools zu sichern. Beim Schreiben dieses Artikels tauchte ein uns noch unbekanntes Phänomen auf; wir rutschten beim Speichern auf irgendeine Taste und es erschien eine Atari-System-Kontrollzeile unten am Bildschirm, die uns über belegte Register, gelesene Sektoren etc. laufend informierte. Zweifellos kurzzeitig ungemein fesselnd, aber auf die Dauer etwas störend. Diese Zeile verschwand erst durch einen Neustart.

Der Spectre kann die Sound-Möglichkeiten des Macintosh nicht herbeizaubern.

Das Installationsprogramm bietet zwei Sound-Generator-Lösungen an, die im Speicherplatzbedarf differieren. Beide liefern Sound-Sequenzen, die in nichts an den Macintosh erinnern und auch häufig zu Abstürzen führen. Wir raten von der Benutzung ab, es sei denn, man ist ein Spiele-Freak, der natürlich die Sound-Unterstützung benötigt.

Der erfahrene Atari-Nutzer, mit Macintosh-Ambitionen, kommt im allgemeinen gut mit dem Spectre zurecht. Er sollte dennoch vorsichtig vorgehen, die einfachste Lösung von ungeklärten Fragen ist sicher, wenn man einen Original-Mac (für alle Fälle) im Zugriff hat.

Eines sollte aber klar sein: Die Emulatoren haben Zukunft, man kann nur hoffen, daß es Apple nicht gelingt, irgendwelche neuen rechtlichen Barrieren zu errichten. Als man in keinem Fall, weder mit Aladin noch mit den früheren Spectre-Versionen Macintosh-Disketten lesen konnte, erschienen die Emulatoren als totes Gleis.

Wenn die Entwickler des Spectre einige Probleme, die im Zusammenhang mit der Hardware des Atari stehen, lösen können, wird er eine ernsthafte Konkurrenz. PC-Speed läuft ebenso klaglos wie der Spectre und da muß man nachrechnen: ein Mac-Plus mit 17-MByte-Festplatte, ein PC mit 7-MByte-Fest-platte und ein Atari mit 6-MByte-Festplatte; alles zusammen für knapp 5000 Mark.

Da kann man auch die Kinderkrankheiten des Spectre GCR in Kauf nehmen! (mb)

Wertung

Hersteller: Gadgets Inc.
Preis: 299,95 Dollar inkl. Original 128K Apple-ROMs

Stärken: fast problemloser Diskettentausch
Schwächen: viele Standard-Programme laufen nicht, stürzen gerne ab

Fazit: preisgünstige Mac-Lösung, die noch überarbeitet werden muß

Gadgets lnc., 40 W. Littleton Blud # 210-211, Littleton. Colorado 80120


Frank A. Hoffmann
Aus: ST-Magazin 08 / 1990, Seite 46

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