SICOB 1990 - Neue Sterne oder nur alter Glanz?

Immer wenn sich der Frühling anmeldet und die CeBIT erneut der Vergangenheit angehört, wirft ein neues Messe-Spektakel seine Schatten über Europa: die SICOB im Parc deposition Nord bei Paris.

Seit vier Jahren wächst das Interesse an dieser Leistungsschau unter der Trikolore stetig. Die Zahl der ausländischen Teilnehmer stieg permanent an, so daß schon 1989 viele von einer zweiten CeBIT träumten. Wer mit solch hochgesteckten Erwartungen in diesem Jahr nach Paris fuhr, mußte zunächst eine Enttäuschung hinnehmen. Entgegen 1989 sank die Zahl der EDV-Aussteller, während dienstleistende Unternehmen aus den Bereichen Telekommunikation, Organisation, Service oder Schulung zunahmen.

Gleichermaßen hat die Zahl der vielen kleinen Aussteller stark abgenommen, die neben Branchengrößen wie Atari, Toshiba, IBM, Philips oder Goupil abwechslungsreichen Segen im eintönigen Imponiergehabe der Marktführer boten. Doch auch die besagten »Großen« stellten sich nicht mehr ganz so groß dar, so auch Atari Frankreich. Verfolgt man auch dort das Prinzip des Gemeinschaftsstandes, scheint in diesem Jahr der Rotstift Regime geführt zu haben. Im vergangenen Jahr zeigte Atari Frankreich sehr effektvoll, daß Gemeinschaftsstände Atmosphäre haben können. Auf dem diesjährigen SICOB begegnete dem Besucher leider ein weitaus kühlerer Stand. Ein Rechenexempel? Ein Unteraussteller ließ sich zu einer Prognose hinreißen: »Das Geschäft um den Atari ST ist derzeit zwar nicht rückläufig, nimmt aber auch nicht zu. Im letzten Jahr zeigte sich der Kunde investitionsfreudiger und setzte auf Atari. Da kamen die Ankündigungen zum Liefertermin des »TT« gerade recht. Leider konnte Atari jedoch weder den prophezeiten Termin gegen Ende 1989 noch den für dieses Frühjahr halten. Da ist es kein Wunder, wenn sich der Käufer abwartend verhält.«

Atari Frankreich mißt dem SICOB dennoch große Bedeutung zu und präsentierte sich mit einem ganz großen Gemeinschaftsstand.

Atari selber konnte nicht mit revolutionären Neuigkeiten glänzen, sondern mußte sich (wieder einmal) vielmehr um das gesprochene Wort bemühen. Dies zeigte sich auch deutlich auf dem gut besuchten Stand. Überall sah man während der gesamten Messezeit Besucher und Mitarbeiter in Gespräche vertieft. Viele Fragen bezogen sich auf die Hard- und Softwareentwicklung des TT. Allerorts schlug den Mannen um Ric Cabedoze, Directeur Technique Atari, offene Skepsis entgegen. Ob denn das Gerät überhaupt noch, und in welcher Konfiguration erscheinen werde. Leider ließ sich das Gerücht, der »TT liegt serienmäßig und auslieferungsfertig vor« nicht bestätigen. Hierzu Eric Cabedoze: »Wir erwarten die ersten Geräte im Juli, das stimmt. Aber sie sind für die Entwickler bestimmt und noch nicht für die breite Kundenschicht.«

Neuigkeiten kamen in diesem Jahr von einigen Softwarehäusern. Human Technologies z.B. sorgte mit ihrem Programm »ZZ-Volume« für Aufsehen. Dieses ist ein dreidimensionales CAD-Programm für den professionellen Bereich, welches durch seine hohe Bearbeitungsgeschwindigkeit überrascht. Hauptsächliches Anwendungsgebiet sieht Pierre Farrugia, Directeur Human Technologies, in allen Bereichen der Planung und Konstruktion. »Entgegen der Ansicht vieler CAD-Anbieter auf dem ST, liegt meiner Ansicht nach die Zukunft im dreidimensionalen Bereich.«

In der Tat leistet das Programm Erstaunliches. Die Bedieneroberfläche erinnert in Teilbereichen an das deutsche Produkt »Technobox-Cad« und ist gut durchdacht. Einmal konstruierte Objekte lassen sich in allen Perspektiven betrachten. Das Zeichnen der Objekte geht selbst bei komplexen Figuren sehr schnell vonstatten. Bei der Darstellung der dreidimensionalen Objekte erfolgt die Umrechnung erstaunlich schnell und läßt den Anwender selbst bei schwierigen Objekten kaum warten. Lediglich das Schreiben von Texten nimmt einige Zeit in Anspruch. ZZ-Volumen ist für den Einsatz in der Konstruktion und Planung (Architektur, Sanitär, Einrichtung, Dekoration) konzipiert, wo es auf dreidimensionale Darstellung ankommt. Das Programm läuft auf allen Großbildschirmen und bietet in der Farbdarstellung hervorragende Zeichnungsübersichten. Der voraussichtliche Auslieferungstermin zum Preis von 9428 frs ist Anfang Juni.

Ebenfalls von Human Technologies stammt ZZ-Switch. Dies ist ein Umschalter, der den Betrieb von einem Atari-Laserdrucker an zwei Computern erlaubt. Der Preis beträgt 3558 frs.

Das schon in Deutschland vorgestellte Itos-Net von Multipoint ist nun ausgereift. Das unter Arcnet arbeitende System erreicht einen theoretischen Datendurchsatz von 2,5 MBit/s. Je nach Anforderung leistet das System im realen Betrieb jedoch derzeit »nur« 1,2 MBit/s. Die Netzwerkthematik erlangt immer größere Bedeutung, da aufgrund des starken professionellen Einsatzes die Forderung nach systemübergreifender Integration zunimmt. Die Sternstruktur gestattet den maximalen Anschluß von 255 Stationen bei einer Gesamt-Kabellänge von ca. 6,6 km (mit HUBs). Damit genügt Itos-Net schon jetzt den meisten Anforderungen, wobei die Entwicklung weitergeht. »Graal Base« der Firma EP (Editions Profil) ist eine anwenderfreundliche, unter GEM arbeitende Datenbank, die auch für den PC erhältlich ist. Der Maskenentwurf geht schnell vonstatten und ist auch für den Ungeübten kein Problem. Etwas einfacher als bei Adimens lassen sich Masken entwerfen, anlegen und verändern. Warnmeldungen helfen, Fehler bei der Anlage der Datenbank zu vermeiden. Der Hersteller erhofft sich durch die einfache Handhabung große Marktanteile zu erlangen, obgleich Adimens eine starke Konkurrenz ist. Editions Profil will mit einem guten Service und Installationshilfen den Vorsprung der Mitbewerber innerhalb dieses Jahres aufholen.

Dem deutschen Stiefkind »STE« messen einige französische Entwickler offenbar mehr Bedeutung zu, als ihre deutschen Kollegen. So gehen zumindest die Bestrebungen einiger Spieleprogrammierer in die Richtung STE. So soll bald erste Software die Fähigkeiten des STE ausschöpfen. Farbenpracht und Stereoklang sollen die Resultate sein, und mancher Programmierer träumt davon, dem Amiga das Wasser abzugraben. Doch davon scheint man noch weit entfernt zu sein. Doch sachte: Außer vielen Worten war auf dem SICOB in dieser Richtung nichts zu sehen. Atari Frankreich erhofft sich von dieser Seite neuen Wind für die (noch) schlaffen STE-Segel.

Auf der SICOB trifft sich, im Flair der Modedesigner und Parfümzaren, die Computerfachweit aus Europa und Übersee

Revolutionäre Ideen brachte der diesjährige SICOB nicht. Vielmehr bestätigte sich erneut die schon auf der CeBIT 1990 zu sehende Stagnation in Entwicklung und Produktion. Nur relativ wenig wirklich neue Programme waren zu sehen. Weiterentwicklungen bestehender Pakete ließen wenig Begeisterung aufkommen und die Erkenntnisse aus den eigenen Reihen, »es bleibt abzuwarten, was die Zukunft bringt; erst müssen die Lieferengpässe überwunden sein«, bedeutet in diesem Jahr sicherlich viel Arbeit.

Die Aussteller und Firmen gehen neue Wege in ihrem Gesamtkonzept. Eindeutig geht der Trend weg vom schnellen Massengeschäft und dem »Über den Ladentisch«-Verkauf. Auch im ST-Sektor verlangt der Kunde allmählich Service und Betreuung. Doch wie soll man das realisieren? Bei der derzeitigen Niedrigpreispolitik läßt sich kein Support finanzieren. Es bleibt zu hoffen, daß die zaghaften Versuche einiger Unternehmen Erfolg bescheren und der Kunde sein Motto »Gutes für wenig Geld« wandelt. Wie wäre es mit »Qualität und Beratung vor Niedrigpreisen«. (uw)

Human Technologies, 87 rue Billancourt, 92100 Boulogne
Editions Profil, 49 rue de la Vanne, 92120 Montrouge
Multipoint, 22 rue Defrance, 94300 Vincennes


Bernhard Reimann
Aus: ST-Magazin 07 / 1990, Seite 16

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