»Graffiti« — ein Zeichenprogramm erscheint am Horizont

Alles neu macht der Mai

Ein neues Grafikprogramm? Na und?! Damit lockt man niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Die meisten Anwender haben sich längst für eine Software entschieden mit der sie klarkommen, und sensationelle Neuerungen gehören eher zur Ausnahme denn zur Regel. Eine solche Ausnahme jedoch verspricht ein Programm zu werden, dessen Autoren ihr Können mit den bislang vorgestellten Werken bewiesen haben. So ist das Team von K+L Datentechnik aus Bad Endbach vielen Atari-Freunden durch die »Lavadraw«-Programmfamilie bekannt. Das jüngste Erzeugnis dieses kleinen Unternehmens trägt den Namen »Graffiti«, ein Begriff, der eher an impulsive Underground-Kreativität erinnert, denn an die nüchterne Welt der Computergrafik. Daß mit entsprechenden Mitteln der Programmierung auch Werkzeuge für spontane, kreative Tätigkeit realisierbar sind, möchte Graffiti unter Beweis stellen. Wir warfen einen prüfenden Blick auf die Vorversion »1.31 - A 132 C«.

Das anwenderfreundliche Konzept dieses Programms richtet sich ebenso an den ambitionierten Grafik-Amateur wie an den DTP-Profi, der sich ein Pendant zum »Calamus« wünscht. Demzufolge ist die Bedienungsoberfläche von Graffiti der des Calamus nicht unähnlich, wie Bild 1 belegt.

Bild 1. Die »Main-Page« von Graffiti — Ähnlichkeiten mit Calamus sind nicht zu leugnen

Die obere Bildschirmzeile beherrscht das Hauptmenü. Den Abbildungsmaßstab der zu bearbeitenden Zeichenfläche verändert der Grafik-Freund über entsprechende Icons in drei Stufen. Daneben stehen die verschiedenen Ein- und Ausgabe-Verfahren Diskette, Scanner und Drucker zur Verfügung. Die folgende Gruppe gestattet den Zugriff auf die wichtigsten Mausparameter, informiert über die aktuellen System-Faktoren und erlaubt die Nutzung von Accessories. Rechts davon steht der Mülleimer zum Loschen der Zeichnung parat, die Aktivierung des »Augen-Symbols« bewirkt die Übersicht auf die gesamte Fläche, und die sich überkreuzenden Pfeile lösen eine mausabhängige freie Positionierung des »Bildschirmfensters« auf der Zeichenfläche aus. Das Notausgangssymbol schließlich führt zum Programmende.

Das wesentliche Merkmal des neuen Programms dürfte die erstmals zur Verfügung stehende Möglichkeit sein, eine Zeichnung in mehreren Zoom-Modi und dabei ohne Beschränkung auf die Bildschirmkanten zu bearbeiten. Je nachdem, welches Icon im oberen linken Teil des Hauptmenüs aktiv ist, wirken die Zeichenbefehle auf eine bildschirmgroße (1:1), im Verhältnis 1:8 oder 1:16 verkleinerte Fläche.

Wer nun einwendet, die Zugriffe auf die zwangsläufig verkleinerte Darstellung der gesamten Zeichenfläche entbehrten der notwendigen Genauigkeit, auf den wartet eine angenehme Überraschung (Bild 2). Wir positionieren das Fadenkreuz über dem geschrumpften Abbild des gescannten Druckers. Dabei erleichtert der am linken Rand erscheinende Ausschnitt (1:1) die Suche sehr Trotzdem reagiert die Maus entsprechend des gewählten Maßstabs.

Bild 2. Zeichnen auf der Übersicht — im Kasten in Bildmitte der links gezeigte Ausschnitt nach Betätigen der TAB-Taste.

Damit war Konstantinos Lavassas, einer der Programmierer von Graffiti, nicht zufrieden. Kurzerhand dachte er sich ein Verfahren aus, auf Wunsch im dargestellten l:l-Ausschnitt zu positionieren. Per TAB-Taste verändert sich der Bedienungsmodus, und die Maus bewegt nun ein zweites Fadenkreuz im links sichtbaren Ausschnittsfenster.

Daß trotz dieser programmtechnisch sehr aufwendigen Lösung nahezu alle Funktionen in allen Auflosungsstufen arbeiten, hat sich das Team von K + L Datentechnik zum Ziel gesetzt. Dabei erwies sich die Anordnung sämtlicher Funktions-Icons auf einem Menü als wenig sinnvoll. Also teilte man — wie in Bild 3 sichtbar — auf: Der reichhaltige Vorrat an Zeichenfunktionen kam zum »Zeichnen«-Block, Befehle wie Kopieren, Spiegeln oder Drehen tauchen in der »Werkstatt« auf. Zahlreiche Effektfunktionen wie Schattieren, Tonnen- und Kugelspiegelung bilden ein eigenes Menü. Den Bereich »Bemassen« befanden die Autoren einer gesonderten Unterbringung für würdig. Die Bemaßungsziffern entstammen Objektfonts und stehen demzufolge in vielen Größen bereit (derzeit 1,5 bis 7 mm); die aus der technischen Zeichnerei bekannten Maßfelder erzeugt das Programm ebenso wie ein Zeichenblatt nach DIN. Und wer auf maßstabsgerechtes Vergrößern oder Verkleinern besonderen Wert legt, wird Graffiti sicher zu schätzen wissen: Die gewünschte Größe läßt sich sowohl grafisch per Maus, als auch per Eingabe eines Prozentwertes anwählen. Besonderes Augenmerk verdient die bereits komplett funktionstüchtige Text-Abteilung. Fünf verschiedene Fonts lassen sich im Ein-Zeilen-Modus ebenso wie im Pendant für ganze Textblöcke anwenden. Dafür haben die Autoren einen speziellen Editor entworfen. Auch hier hat Lavassas sein Steckenpferd »genaue Positionierung« mit Erfolg geritten, so daß sich selbst komplizierte Formeln mit Zeichenverschiebungen in der Vertikalen problemlos darstellen lassen. Die Positionierungsgenauigkeit gibt der Programmierer mit %6 mm an. Dezimal- und Normaltabulator, Textformatierungen (links- und rechtsbündig, zentriert, Flattersatz) und — darüber denkt man noch nach — vielleicht die Option »Spaltensatz« machen den Editor zu einem leistungsfähigen Grafik-Werkzeug.

Bild 3. Menü der Menüs — gesammelte Icons

Reichhaltig wie die Textfunktionen fällt die Ausgestaltung von Graffiti im Bereich Dateiformate aus. In Bild 4 lassen wir Sie einen Blick auf das geplante »Speichern«-Menü werfen — kaum ein Format, das hier nicht erscheint. Von einiger Bedeutung durfte der Punkt »FIP.SP.KONV« sein — sollte sich dahinter etwa eine HPGL-Anpassung verbergen? Die Spekulation ist nicht ohne jede Berechtigung, ließen die Autoren doch durchblicken, daß sie bereits an einem Modul zur Objekt-Grafik arbeiten, welches in weiten Bereichen dieselben Leistungen aufweisen soll wie der Pixel-Modus, und dann auch die Einbindung von Objekt-Fonts beinhalten wird.

Der vollständige Funktionsumfang entzieht sich derzeit allerdings noch einer genaueren Betrachtung; die Autoren erlauben den Blick über die Schulter, aber nicht in die Karten. Und für den Fall, daß das alles noch nicht genügt, stellt das Menü »Module« eine Art »Hintertürchen« dar, durch welches komplexe Programmerweiterungen nachträglich keine Probleme bereiten.

Bild 4. Auf die Diskette — fertig — los: die Dateiformate von Graffiti

Auch aus der Ausstattung, mit welcher Graffiti zu erwerben sein wird, machte man kein Geheimnis. Neben den zum Hauptprogramm zählenden Treibern für diverse Drucker und Scanner wird sich ein Fonteditor mit einigen Zeichensat-zen, evtl, ein Utility zum Formatieren von Disketten sowie mehrere Modul-Programme im Lieferumfang befinden. Für dieses Paket sollen etwa 400 Mark zu bezahlen sein.

Etwas zugeknöpfter zeigte sich das Graffiti-Team auf die Frage nach dem Erscheinungstermin. »Zur Messe ...«, hieß es. Als nächste öffnet die Atari-Messe in Düsseldorf im Herbst ihre Tore. Spätestens dann werden wir erfahren, welche Messe gemeint war. (uw)

K + L Datentechnik, Bahnhofstraße 11, 3551 Bad Endbach


Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 05 / 1990, Seite 111

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