GEM oder nicht GEM - Das ist hier die Frage?

Mit Gemini 1.1, Neodesk 2.05 und Aida 1.10 treten drei Kandidaten an, die triste GEM-Oberfläche vom Bildschirm der Atari-Anwender zu verdrängen.

GEMINI zeigt mit der Fülle an Icons, was es kann. Diese Icons werden nach eigenem Gutdünken entworfen.

Nahezu alle grafischen Shells entstanden aus der Unzufriedenheit von Programmierern mit der Oberfläche, die die Entwickler von GEM dem Atari ST mit auf den Weg gegeben haben. Im Laute der Jahre haben sowohl TOS als auch andere Shells deutlich an Leistungsfähigkeit gewonnen (TOS eher weniger). Nachdem die Version 1.4 des Atari-Betriebssystems Verbreitung gefunden hat, und einige wichtige Ungereimtheiten berichtigt wurden, stellt sich die Frage, ob Alternativen zur eingebauten Oberfläche des ST überhaupt noch eine Berechtigung haben.

Wären die grafischen Shells, die auf dem Markt angeboten werden, nur aufgewärmte Versionen von Digital Researchs Oldtimer, so würde sich diese Frage mit einem klaren NEIN beantworten lassen. Doch davon sind diese drei Oberflächenstreiter weit genug entfernt. Nachdem Julian Reschke in [2] bereits auf die Entstehungsgeschichte der Gemini-Shell eingegangen ist, muß sich Gemini nun mit zwei weiteren kommerziellen Produkten messen lassen.

Seit Anfang Januar 1990 wird über die MAUS-Mailboxen Bonn und Münster die Gemini Version 1.1 vom 29. Dezember 1989 verbreitet. Diese unterscheidet sich von ihrer Vorversion durch vier neue Kommandos für den Kommandozeileninterpreter Mupfel — more, print, noalias und cookie sind hinzugekommen Weiterhin sind Mupfel-Systemaufrufe von Anwenderprogrammen jetzt resistent und die Alias-Liste, die Belegung der Funktionstasten und die Environment-Variablen wer den problemlos an etwaige Neu-Inkarnationen von Mupfel weitervererbt. Mupfel überzeugt durch seine Kompatibilität zur Bourne-Shell.

Unix-Freaks werden sich wie zu Hause fühlen. Seine Flexibilität uberzeugt, daß sogar Ein-/ Ausgabe Umleitungen von der seriellen Schnittstelle möglich sind. Manche Programme benutzen die RS232-Schnittstelle, um Fehlermeldungen auszugeben. Zum ordnungsgemäßen Betrieb von Gemini ist TOS 1.2 oder 1.4 unbedingt erforderlich, zum Nutzen anderer Zeichensätze wird GDOS bzw. AMC GDOS empfohlen. Die schaumgeborene grafische Benutzeroberfläche Venus ist nun mit deutschen Dialogen und Menüs ausgestattet.

Dem Arbeitsbildschirm von AIDA wird hier auf die Finger geschaut, die Objekte und Befehle sind übersichtlich gegliedert

Die Einträge im Dateiverzeichnisfenster können mit beliebigen Zeichensätzen angezeigt werden Das zeigt Ihnen bereits das Console-Window Mupfel. Weiterhin ist uns positiv aufgefallen, daß Gemini über einen Abfalleimer à la Macintosh verfügt. Befindet sich eine Datei dort, so ist sie noch nicht vollends für den Benutzer verloren, es ist immer noch möglich, sie mittels Kopieren aus dem von Gemini verwalteten Trashcan-Verzeichnis in das Leben zu rückzuholen. Venus ist eine Shell im eigentlichen Sinne, sie übersetzt die mausigen Kommandos des Benutzers in Kommandozeilen, die die darunterliegende Mupfel dann ausfuhrt. Das ist ein ebenso interessantes wie speichersparendes Konzept, denn was im Mupfel bereits vorhanden ist, muß in Venus nicht noch einmal ausprogrammiert werden. Weniger gefiel uns, daß die einzige Möglichkeit, Icons zu verändern oder neu zu definieren, über einen externen — und meist unkomfortablen — Resource-Editor führt. Hier wäre ein Ansatz für eine der nächsten Versionen, sich ein Beispiel an Neodesk zu nehmen und einen Gemini-eigenen Iconeditor mit bereitzustellen.

Die neue Version 1.1 stellt, wie bereits 1.0, eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz für die anderen, teilweise weitaus teureren grafischen Shells dar. Während des Testbetriebes von Gemini konnten wir keine Probleme ausmachen, die nicht doch durch eine Fehlbedienung her vorgerufen waren (If everything eise fails, read the documentation). Die Dokumentation liegt, wie bei Shareware üblich, als Textdatei dem Programm bei, im Falle von Gemini (Mupfel und Venus) hat diese den stattlichen Umfang von insgesamt 92 KByte. Wie im übrigen das gesamte Gemini durchaus kein speichertechnisches Leichtgewicht ist, das Vergnügen mit den Zwillingen zu arbeiten, kostet satte 200 KByte Hauptspeicherplatz. Die Registrierung von Gemini ist nach wie vor bei den beiden Autoren gegen eine Sharegebühr von 50 Mark möglich.

Wer mit dem Begriff Sharegebühr oder Shareware (erst ausprobieren, dann zahlen) nichts anzufangen weiß, dem sei Thomas Tempelmanns Grundsatzartikel in [1] empfohlen. In den Maus-Mailboxen gibt es darüber hinaus seit Anfang des Jahres bereits eine vernetzte Gemini Benutzergruppe, die ein direkter Draht zu den Entwicklern Geminis ist.

Mit AIDA ein »ST-Logo« zaubern geht wunderbar einfach

Neodesk ist von allen drei Testkandidaten am stärksten am Original GEM orientiert, und das mit allen seinen Vorteilen und einigen seiner Nachteile. Was den GEM-Freak am meisten an Neodesk fesseln wird, ist die Fülle an Icons, die mit dem mitgelieferten Iconeditor mühelos erweitert werden kann. Die Anzeige der Dateiicons ist an der Breite des aktiven Fensters orientiert. Ist ein Dateifenster also einmal schmäler als der Bildschirm, so werden einfach mehr Zeilen benützt. Ein dau erndes Betätigen des horizontalen Sliders entfällt. Neodesk 2.05 bietet einige Features, die nunmehr bereits im TOS 1.4 Ein gang gefunden haben: Dateien lassen sich verschieben, Warmstart über die Tastatur ist möglich etc. Daß Neodesk hauptsächlich als grafische Shell ihren Dienst tut, sieht man nicht zuletzt daran, daß ein Kommandozeileninterpreter nur äußerst ru dimentär vorhanden ist. Hier täte man gut daran, einen etwas komfortableren Vertreter dieser Gattung dem ansonsten guten Lieferumfang beizufügen, ln


Andreas Schallmaier
Aus: ST-Magazin 04 / 1990, Seite 82

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