Yamaha SY77 Musik-Synthesizer

Lange hat er auf sich warten lassen, der endgültige und offizielle Nachfolger des DX7, des erfolgreichsten Synthesizers überhaupt. Viel ist seit Erscheinen des DX7 passiert: Multi-Mode, Samples und integrierte Digitaleffekte sind selbst in der unteren Preisklasse kein Thema mehr, das Aufsehen erregt. So liegen die Erwartungen an die Neuerungen und die Leistungsfähigkeit des SY77 denn auch entsprechend hoch. Bei einem Preis von 5500 Mark muß das Gerät die Ansprüche einer Käuferschicht erfüllen, die im professionellen MIDI-Studio produziert und sich nicht allein mit einer nahezu unbegrenzten Soundpalette und hervorragender Klangqualität zufriedengibt. Deshalb durchleuchten wir den SY77 im Rahmen dieses Tests auch hinsichtlich des Einsatzes als Multi-Mode-Klangerzeuger in Verbindung mit dem ST und Sequencing-Software.

Der SY77 ist ein digitaler Synthesizer mit Tendenz zur Workstation, da er einen 16-Spur-Sequenzer, vier Digitaleffekte und Einzelausgänge integriert. Das nicht gewichtete 61-Tasten-Keyboard, drei Wheels (Handräder zur Klangbeeinflussung) sowie diverse programmierbare Controller lassen alle Möglichkeiten für artikulierte Spielweise offen.

Die 128 Werksounds im internen ROM bilden eine solide Grundlage. Weitere 64 Klänge lassen sich im internen Speicher ablegen. Wem das nicht ausreicht, dem stehen zwei Wege offen:

  1. Ein integriertes Disketten-Laufwerk, das leider dem veralteten MSX-Standard verhaftet ist und dementsprechend langsam arbeitet, archiviert Sounds und Songs auf 3 1/2-Zoll-Disketten.
  2. Wahlweise zwei Card-Slots (Einschubschächte für Speicherkarten) erlauben die Einschleusung neuer Sounds und sogar AWM-Samples.

Kern der menügesteuerten Benutzeroberfläche ist das beleuchtete 240x64-Punkt LC-Display, das nicht nur ganze Listen von Sounds und Parametern auf einen Blick zeigt, sondern auch Hüllkurven, Effekt-Routings oder Sequenzer-Events grafisch darstellt. Die Liste der Bedienungselemente umfaßt Slider (Schieberegler) und Alpha-Dial (Drehregler) sowie diverse Menütaster und sonstige Buttons, die durch den wohlgeordneten Parameterdschungel mit weit über tausend Funktionen führen. Für Einsteiger ist das Gerat aufgrund seiner Komplexität schwer zu durchschauen.

Wer es allerdings lieber einfach halten und von der Klangsynthese Abstand nehmen möchte, wird nach kurzer Einarbeitung sehr schnell mit dem SY77 arbeiten können.

Ohne speziell auf die Arbeitsweise der äußerst komplexen RCM-Klangerzeugung (Realtime Convolution Synthesis) einzugehen, hier ein kleiner Exkurs für Synthesizer-Erfahrene durch die Klangfähigkeiten des Synthesizerteils: SY77-Sounds, Voices genannt, bestehen aus bis zu vier Elements, die sich einzeln im AWM- oder AFM-Mode fahren lassen. Die Elements sind in Balance, Transposition, Feinstimmung, Panorama sowie Tastatur- und Dynamikzone separat programmierbar. Zusätzlich stehen für alle Elements gemeinsam ein Effektsetting und eine aus 64 Presets sowie zwei freidefinierbaren Plätzen wählbare Micro-tuning-Skala zur Verfügung. Ein AWM-Element schöpft aus einem 4-MByte-ROM, das seinerseits mit 112 digitalisierten Natursounds und Wellenformen im linearen 16-Bit-Format gefüllt ist. Sampling-Rates von 32 bzw. 48 kHz und die Auflösung mit 24 Bit intern und 22 Bit an den Wandlern sorgen für erste Klangqualitat. Diese Natursounds werden durch zwei digitale Echtzeitfilter, eine Hüllkurve und diverse Module (LFO, Pitch EG) geleitet und klanglich geformt. Ein AFM-Element ist eine weiter-entwickelte DX7-Struktur mit sechs Operatoren, ein Syntheseprinzip, das in diesem Rahmen nicht zu erklären ist, dem allerdings ein ausgezeichneter Ruf vorauseilt. Für DX7-Kenner sei erwähnt: Im SY77 sind es jetzt 45 Algorithmen, drei programmierbare Feedbackwege, erweiterte Hüllkurven mit Loops, erweitertes Scaling sowie ebenfalls zwei digitale Filter pro Element. Da auch Drumsets zum Klangrepertoire gehören, kann der Drumcomputer hier und da eine Pause einlegen. Das Tüpfelchen auf dem i bilden vier DSP-Prozessoren, die jeweils ein komplettes Effektgerät simulieren.

Der interne Sequenzer ist für Computerbesitzer kaum interessant, kann er von den Funktionen her doch mit keiner guten Software mithalten. 15 Spuren und eine Patternspur für kurze Phrasen, z. B. Rhythmen, sind mit bereits 16 KByte ausgelastet. Dafür entschädigen komfortables Realtime-, Step- und Punch-In-Recording, komplexe Bearbeitungsfunktionen und eine einfache Bedienung nur teilweise.

In Heim- und professionellen Studios liegt das Haupteinsatzgebiet eines jeden Synthesizers in der Erzeugung hochwertiger Sounds, die dann vom externen Sequenzer aus abgerufen werden. Da im Studio professionelle Sequenzing-Features wie SMPTE-Synchronisation, Grooves und ein leistungsfähiger Event-Editor gefragt sind, kommt in der Regel Hochleistungssoftware wie hierzulande C-Labs »Creator/Notator« oder Steinbergs »Cubase« zum Einsatz. Da auch ein Keyboard meist schon vorhanden ist, interessieren am Synthesizer selbst lediglich die Sounds. Als »passiver Klangerzeuger« zeigt sich der SY77 von einer seiner besten Seiten. Koppelt man ihn mit einem ST und zugehöriger Sequenzing-Software, so bietet der SY77 Multi-Setups an, die vom externen Sequenzer aus ansteuerbar sind. Jedes Multi-Setup besteht aus maximal 16 Vöices, im Idealfall ist also für jeden MIDI-Kanal ein Sound vorhanden. Zwei Sounds auf denselben Kanal und damit eine Spur zu schleusen, ist leider nicht vorgesehen. Hier muß man im Sequenzer selbst Ab hilfe schaffen. Die Setup-Parameter lassen Abmischung, Transposition, Panning und vieles mehr bereits im SY77 selbst zu. Die 16 Voices teilen sich zwar im Multi-Mode die vier Effekte, doch die beiden Stereoausgänge erleichtern bei Bedarf das individuelle Nachbearbeiten von bis zu vier Audiowegen.

Wegen der umfassenden Klangpalette ist der SY77 zweifellos eine professionelle Soundfabrik, die in Kombination mit einem Computer bereits erschöpfende MIDI-Produktionsfähigkeiten bietet. Man braucht nicht unbedingt einen Sampler, einen Analogsynthesizer oder ein anderes digitales Gerät dazu, da der SY77 die Sounds dieser Geräte bereits in professioneller Qualität erzeugt.

Insgesamt ist der SY77 mit Einschränkungen der Vorreiter eines Trends für die Neunziger: Sämtliche denkbaren Soundgenres sind realisierbar, die Soundqualität ist durchweg Spitzenklasse, und Beiwerk wie Effekte, Sequenzer und Dis-ketten-Laufwerk sind ebenfalls an Bord. Daß die Multi-Setups und der Sequenzer Schwächen aufweisen, stört nur Anwender, die keine MIDI-Recording-Software verwenden. Alles in allem ein Instrument, das die Meßlatte wieder ein Stück höher setzt. (tb)

Wertung

**Name:**SY77 Musik Synthesizer
Hersteller: Yamaha
Preis: ca. 5500 Mark

Stärken: □ hervorragender Sound durch RCM-Synthese □ umfangreiche Soundpalette □ digitale Effekte und Drums □ 16-facher Multimode

Schwächen: □ keine Masterkeyboardfunktionen □ MSX-Disketten-Lauf-werk

Fazit: ein Maßstäbe setzender Synthesizer mit Schwächen im internen Sequenzer und im Performance-Bereich; ideal für MIDI-Recording


Peter Gorges
Aus: ST-Magazin 03 / 1990, Seite 145

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