Reifeprüfung für die Ohren: Erfolgreiche Musik-Nachhilfe mit dem »Computerkolleg Musik«

Viele Musiker kennen das Problem: Wollen sie ihre Ohren in der Kunst der Gehörbildung schulen, bedarf es in den meisten Fällen eines gleichgesinnten Übungspartners, der am Klavier oder einem anderen Instrument die Höraufgaben stellt und überprüft. Möchten sie für sich alleine üben, bleibt häufig nur, entweder eine Reihe von Höraufgaben auf einen Kassettenrecorder zu spielen und dann möglichst bald zu vergessen oder im »Blindflug« einige Intervalle oder Akkorde zu intonieren — zwei unbefriedigende Notlösungen, die noch dazu bei komplexeren Aufgaben typen wie rhythmischem oder skalen-orientiertem Hören kläglich versagen.

Hier hat der Atari ST seinen großen Auftritt. Er eignet sich in idealer Weise als geduldiger Übungspartner, der mit seiner eingebauten MIDI-Schnittstelle und dem hochauflösenden SM 124-Monitor geradezu prädestiniert ist für die grafisch-akustische Ein- und Ausgabe musikalischer Informationen.

Doch trotz aller Vorzüge des Systems und des offensichtlichen Bedarfs für derartige Anwendungen nimmt sich die Zahl der Gehörbildungsprogramme bescheiden aus. Viele der zur Zeit verfügbaren Programme beschränken sich zudem auf zufallsgenerierte Höraufgaben ohne jeden musikalischen Sinnzusammenhang und ohne Reaktion auf die Leistungsfähigkeit des Anwenders — eine individuelle Anpassung an den Leistungsstand des Lernenden ist nicht vorgesehen.

Die Osnabrücker Software-Firma CAMI-Group versucht nun, mit dem mehrteiligen »Computerkolleg Musik« für den Atari ST diese Lücke zu schließen. Pünktlich zur Frankfurter Musikmesse (Ende März) sollen im Schott-Musikverlag die ersten vier Teile dieses Gehörbildungskurses erscheinen. Vorgesehen sind bisher die folgenden Grundkurse: Intervalle, Leitern, Rhythmus und Akkorde. Alle Programme entstanden unter der Mitarbeit von Dozenten und Studenten des Fachbereichs Musik der Universität Osnabrück und sind mit dem selbstentwickelten Autorensystem »CAMI-Talk« programmiert.

Alle Kurse steuert der Schüler, inklusive der Eingabe der Aufgabenlösungen im interaktiven Dialog mit dem Computer, vollständig mit der Maus. Die Aufgabensteuerung erfolgt grundsätzlich adaptiv: Der Computer gleicht den Schwierigkeitsgrad der Übungen den Fähigkeiten des Lernenden an. Das Programm zieht hierzu zahlreiche Faktoren wie z. B. »Benötigte Zeit«, »Alter des Anwenders« (erfragt das Programm zu Beginn der Kurse in einer »Personalienbox«) und »Fehlerhäufigkeit« in Betracht. Sind Sie also ein Hörprofi und lösen einen Aufgabenteil in kürzester Zeit, überspringt der Computer die nächsten Level und steigert den Schwierigkeitsgrad selbständig. So steht der geübtere Anwender schnell vor schwierigeren Übungen.

Ebenso differenziert wie die Aufgabensteuerung präsentiert sich auch die Auswertung der einzelnen Höraufgaben. Hier beschränken sich die Programme nicht auf bloße »falsch/richtig«-Wertung, sondern geben gezielt Auskunft über die Art und häufig auch über die vermutliche Ursache der falschen Antwort. Das Programm unterscheidet ebenfalls, wie viele Versuche der Anwender bis zur richtigen Lösung benötigt.

Die Ausgabe der Übungen erfolgt sowohl über den eingebauten Soundchip des ST als auch Über die MIDI-Schnittstelle. Bei den Kursen »Intervalle, Leitern und Rhythmus« ist der Anschluß einer MIDI-Klangquelle zwar empfehlenswert, aber nicht zwingend erforderlich. Im Akkord-Kurs sind die Aufgaben nur noch mit MIDI-Equipment sinnvoll durchzuführen, da der Soundchip des ST bereits bei vierstimmigen Höraufgaben die Stimmen streckt. Bis auf das Modul »Rhythmus« enthalten alle Kurse außerdem zusätzliche Trainingsteile, in denen Sie per MIDI-Eingabe Ihr Wissen unter Beweis stellen.

Die Kurse weisen prinzipiell folgende vierteilige Gliederung auf:

  1. kurze theoretische Einführung in das Kursthema

  2. Vorübungen, die auf den eigentlichen Übungsteil vorbereiten. Im Programm »Leitern« spielt Ihnen das Programm z. B. mehrere 5-Ton-Folgen vor, die die für die im Kurs vorkommenden Skalen typischen Halb- und Ganztonschritte enthalten. Im »Rhythmus«-Modul haben Sie unter anderem Gelegenheit, zunächst mit einfachen halbtaktigen Pattern zu üben, bevor die »richtigen« Aufgaben beginnen.

  3. Im Übungsteil trainieren Sie unabhängig von der adaptiven Steuerung des Computers mit beliebigem Schwierigkeitsgrad.

  4. Im Aufgabenteil üben Sie unter der Oberaufsicht der grauen Eminenz ST. Dabei greift das Programm adaptiv in den Programmablauf ein und vergibt Punkte für die erbrachten Leistungen. Ein einmal erreichter Punktestand ist nach Beenden der Sitzung nicht verloren: Alle Benutzerdaten inklusive Punktestand und Namen sichert das Programm auf Diskette.

Mit dem »Computerkolleg Musik« liegt ein Programmpaket vor, das die wesentlichen Gebiete der Gehörbildung mehr als ausreichend abdeckt. Ob angehender Musikstudent, der sich auf die Aufnahmeprüfung an einer Hochschule vorbereiten möchte, oder ambitionierter Hobby-Musiker, der nicht nur nach Fingertraining, sondern auch nach etwas Ohr-Schulung strebt.

Zwar kann und soll Software gerade in der Musik niemals den menschlichen Pädagogen ersetzen, als Ergänzung zum Unterricht ist sie jedoch — besonders in diesem Fall — hervorragend geeignet. Auch der Preis (ca. 150 Mark für das Grundpaket mit einem Kurs, ca. 80 Mark für jeden weiteren Kurs) ist für Software dieser Qualität angemessen. (Kai Schwirzke/wk)

IMAC Systemlösungen, Dr. Bernd Enden, Wilhelm Mentrup-Weg 10, 4500 Osnabrück

Lustige Grafiken animieren den Anwender bei vielen Aufgaben


Aus: ST-Magazin 03 / 1990, Seite 13

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