Bit für Bit im Rampenlicht

Daß der ST ein unterhaltsamer Bursche ist, weiß jeder. Doch was passiert, wenn sich die Image-Profis einer Werbeagentur des kleinen Entertainers annehmen? Sie entdecken die digitale Illusion, entwickeln Werbespots als Computerfilm und betrachten das Elektronen-Hirn als das »Werbemedium der Zukunft«. Wir waren vor Ort: In Würzburg besuchten wir ein Grafiker-Team, das auch Fernsehwerbung mit dem ST produziert.

Wer kürzlich eine maßgeschneidert verpackte Kokosnuß mit der Post ins Haus bekam, hat aller Wahrscheinlichkeit nach etwas mit technischem Zeichnen zu tun. Hinter der ungewöhnlichen Postsendung steckte das Kreativ-Team der Würzburger Agentur »Inline Design«. Es brachte die tropischen Früchte bei der Markteinführung eines neuen Fachmagazins zum Thema »Konstruieren« unters ausgewählte Techniker-Volk.

Auch sonst stellt das Inline-Trio, bestehend aus Rainer Mittelstädt (30), seinem Bruder Egbert (26) sowie Hennry Wirth (32), allesamt diplomierte Kommunikations-Wirte, sein Faible für ausgefallene Einfälle unter Beweis. Was vor fünf Jahren als Grafikstudio begann, und heute in lichtdurchfluteten Räumen nahe der Würzburger Innenstadt unter dem Namen »Inline Design« firmiert, mauserte sich zu einem Atelier für Grafik-Design, Fotografie, Illustration, Computerdesign sowie Video- und Audio-Produktionen.

Computerfilm und DTP komplett auf dem ST

»Wir betrachten uns als Spezialisten für ungewöhnliche Lösungen«, so Egbert Mittelstädt, Fachmann für Computer-Animationen innerhalb des Inline-»Triumvirats«. Die oft horrenden Kosten computergestützter Werbespots reduzierte das Inline-Team durch eine ebenso pragmatische wie ungewöhnliche Idee, so daß selbst für Kleinbetriebe das neue Werbemedium erschwinglich bleibt: Fernsehreife Computer-Animationen produziert das Inline-Team mit Hilfe eines STs und handelsüblicher Grafikprogramme zu einem Bruchteil bisher üblicher Kosten. Jetzt, nach fast einjähriger Computer-Clip-Produktion, stoßen die Würzburger Individualisten auf positive Resonanz — sogar auf Medien-Messen wieder Frankfurter »Broadcast«, bei der hochkarätige Animations-Studios anwesend sind. »Da lächelt niemand mehr darüber«, erläutert Egbert Mittelstädt, denn »die Kostenvorteile erschließen ganz neue Kundenschichten«. Interessenten müssen sich nur über das Ziel und die Informationsmenge ihres Computerfilms im klaren sein. Mit diesem Wissen zeichnet das Inline-Team Bild für Bild ein Storyboard.

»Moving Image Design« (MIG) nennt sich das Grafikkonzept, das Inline Design auch auf Medienmessen präsentiert.
Farbenfroh:»Die Grenzen des Systems nutzen« sagt Egbert Mittelstadt. Mit wenigen Farben produziert er ansprechende Grafiken.

Erst wenn der Papier-Spot den Segen des Kunden bekommen hat, beginnen die eigentlichen »Dreharbeiten«. Am Ende erhält der Auftraggeber wahlweise eine Videokassette mit der fertigen Animation, oder noch besser, weil flexibler, er spielt den Film auf seinem eigenem ST ab. So ist der Kunde in der Lage, eigenständig die Szenen-Folge und Preisangaben innerhalb des Filmes dem aktuellen Angebot anzupassen. Oder die Werbewirkung der Animation mit eigenen Mitteln zu steigern, wie es der Würzburger Ableger des Privatsenders »Radio Charivari« demonstriert: Die Radiomacher haben die anfangs als Blickfang auf Messen eingesetzte Inline-Animation mit eigenen Jingles (Erkennungsmelodien) unterlegt und strahlen sie seitdem als TV-Werbespot im örtlichen Privatfernsehen aus. Inline-Animationen wirbeln Logos (Erkennungszeichen) und Grafiken zwei- und dreidimensional mit einer Dynamik über den Bildschirm, die den teuren High-End-Brüdern nicht nachsteht. »Gute Animationen lassen sich auch mit einfachen Werkzeugen verwirklichen, wenn die Grundidee des Spots überzeugt.« Praktisch beweist Egbert Mittelstädt diese These mit seinen Haupt-Werkzeugen »Imagic« und »Cyberpaint«, zwei handelsüblichen Programmen für 2D- und 3D-Animationen: »Man muß sich die technischen Grenzen des Systems zunutze machen: Die geringere Auflösung des ST dient mir als Gestaltungsmittel, den Bildschirmrand beziehe ich so in die Animation mit ein, daß er nicht stört. Die Einbußen in der Auflösung hat auch noch kaum jemand bemängelt.« Computer-Animationen nur aus der Grafiker-Perspektive zu betrachten, ist eines der Hauptanliegen des Inline-Teams. EDV-typische Effekthascherei erregt ihr Mißfallen, denn »die Mittel sind sekundär, sie dürfen keine Eigendynamik entwickeln«. So gesehen ist es auch eher Zufall, daß gerade der ST seine grafischen Eigenschaften professioneller Prüfung stellen darf: »Das Interesse am ST kam durch die Musik.« Schon Anfang 1986 hat sich der ST als MIDI-Standard zur Synthesizer-Steuerung so fest etabliert, daß für Inline-Designs Musikproduktionen die Anschaffung eines Ataris das Tor zur Computerwelt öffnet. Schon bald danach erwacht ihr grafisches Interesse. Videorecorder, -Kamera und ein Turbodizer- sowie SAM-Digitalisierer werden angeschafft. Als Application Systems Heidelberg im April 1988 »Imagic« auf den Markt bringt, zählt das Inline-Team zu den Imagic-Anwendern der ersten Stunde. »Auch wenn Imagic nur 2D-Animationen erlaubt und den Gelegenheits-Benutzer ziemlich überfordert, ist es seitdem unser Hauptwerkzeug«. 3D-Animationen entstehen mit Cyberpaint, die R. Mittelstadt am Ende immer in Imagic einbindet. Schnell war damals klar: »Man kann die Kunden nicht durch Theorie überzeugen«. Folge: »Um sie auf den Geschmack zu bringen, haben wir anfangs viel hineingebuttert«. Rein praktisch spiegelt sich das in einer Reihe von Animationen wieder, die den angepeilten Firmen als fix und fertige Werbespots angeboten werden. »Leute, die wissen was Computeranimation ist, sind zunächst abgeschreckt: zu teuer, das kann ich nicht bezahlen! Diesen Kunden mußten wir erstmal an konkreten Beispielen klarmachen, daß es preiswerter geht. Allerdings muß man den meisten Leuten ohnehin erklären, was Computer-Animation überhaupt bedeutet, daß es sich dabei auch um ein Werbemedium handelt.«

Das Team: Egbert Mittelstadt (26), Hennry Wirth (32), Rainer Mittelstädt (30) sind »Inline Design« (v. l. n. r.).
Großprojekt: Fünf Wochen Arbeit für 90 Sekunden Computerfilm. Eine »Calamus-Werbeshow Ist Inllnes bisher aufwendigste Animation.
Im Atelier: Alle drei haben in Würzburg studiert, zusammen entwickeln sie dort neue Image-Konzepte.
Imagic: Alle Shows lauton unter diesem Animationspogramm. Das Bildmaterial entstammt anderen Grafikprogrammen oder ist wie hier selbst digitalisiert.
Dritte Dimension: 3D-Animationen entstehen mit »Cyberpaint«. Sequenzen werden in die Imagic-Animation eingebunden.
Desktop Publishing: Mittlerweile hat der ST bei Inline Design auch alle Satzaufgaben im Griff. Heute ist Rainer Mittelstadt Calamus-Spezialist.
Der »Charivari«-Spot (o.) Im Würzburger Privatfernsehen. Rechts: »Calamus«-Spot.

Neuland für die Kunden

Grafik-Orgien bis zu 2,5 MByte Länge entstehen, obwohl »die Größe noch kein Kriterium für den Arbeitsaufwand der Animation ist«. Die Kundenwerbung erweist sich als langwierig, »sie braucht sehr viel Geduld, Vorleistung und persönliche Kontakte«. Das bisher größte Projekt des überwiegend mittelständischem Kundenkreises kommt aus der ST-Branche: In fünf Wochen entwickelte Inline Design einen 90 Sekunden langen Computerfilm für das Desktop Publishing Programm »Calamus«.

Die »Calamus-Show« läuft zur Zeit übrigens auch bei vielen Atari-Händlern. Zum Anlaß der diesjährigen Landesgartenschau erarbeitete das Inline-Team für die Stadt Würzburg das Konzept eines Fremdenverkehrs-Systems, dessen Terminals Ortsunkundigen an neuralgischen Punkten in der Stadt weiterhelfen: Ein Projekt, das voll auf dem ST und Imagic aufbaut. Wären potentielle Kunden nicht immer noch zurückhaltend, hätte das Inline-Team kaum mehr einen Ansatz für Kritik. Die Technik erfüllt jedenfalls ihre Aufgabe: »Imagic und der ST stellen für uns zur Zeit den goldenen Mittelweg dar. Eine höhere Auflösung würde Animationen aufgrund des beschränkten Arbeitsspeichers erheblich reduzieren. Je besser die Bildqualität ist, desto mehr Arbeit haben wir damit. Nicht nur die Animation ist für den Kunden dann unbezahlbar, auch die Hardware wird sehr teuer.« Ähnlich sieht es bei der Software aus: »Es gibt noch so viel zu entdecken, daß große Verbesserungen vorerst nicht nötig sind. Mehr Funktionen liefern nicht automatisch bessere Ergebnisse. Wünsche haben wir trotzdem: Man könnte aus Imagic und Cyberpaint vielleicht ein Programm machen, die Daten-Kompatibilität verbessern, bessere Systemfonts einbauen und den Arbeitsspeicher erweitern.« Mittlerweile ist das Inline-Team aber so zufrieden, daß der ST auch sämtliche Satzaufgaben übernommen hat. Heute ist Rainer Mittelstädt Calamus-Spezialist: »Der ST liefert bei erheblich niedrigeren Kosten die gleiche Qualität wie ein Macintosh«. Zurück bleibt eine Menge Überzeugungsarbeit, die Inline Design bei seinen Kunden leisten muß: »Wir übernehmen ein Stück Pionierarbeit. Der Markt ist prinzipiell da, die Leute wissen’s nur noch nicht.« (ps)

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Tarik Ahmia
Aus: ST-Magazin 02 / 1990, Seite 34

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