Atarium: Eine Woche Atari

Die Entwicklerkonferenz, der Netzwerk-Standard und das TOS 1.4

Die letzte Augustwoche war für Atari-Programmierer die vermutlich ereignisreichste Woche seit langer Zeit. Am Montag fand bei brütender Hitze die schon seit langem geplante und mit Spannung erwartete Entwicklerkonferenz statt. Nachdem sich bereits auf der CeBIT einige verständlicherweise ungeduldige Entwickler daran gemacht hatten, Standards für den Datenaustausch zu beschließen, nahm Atari Deutschland die Angelegenheit nun selbst in die Hand.

Richtlinien für GEM-Programme

Erster Tagesordnungspunkt war das XBRA-Verfahren für vektorverbiegende Programme, das sich seit seiner ersten Veröffentlichung an dieser Stelle [1] ständig wachsender Beliebtheit erfreut. Als De-facto-Standard, der zudem noch dem Programmierer enorme Vorteile bei sehr geringem Aufwand bietet, hatte er es leicht, als erstes die Hürde zum offiziellen Atari-Standard zu nehmen. Damit ist das XBRA-Verfahren für Programme, die sich »sauber programmiert« nennen wollen, künftig eine Pflicht. Zur Unterstützung der Programmierer wird Atari Beispielroutinen zur Einbindung in Modula-2 durch Thomas Tempelmann und ANSI-C durch Gereon Steffens verfassen und gemeinsam mit der XBRA-Dokumentation den Programmierern verfügbar machen.

Nächstes Gesprächsthema waren die Benutzerrichtlinien für GEM-Applikationen. Ãhnlich wie beim Macintosh soll es in Zukunft auch für den Atari verbindliche Richtlinien zur Verwendung in GEM-Programmen geben. Diese Standards stellen eine Ergänzung und Klärung der bereits von Digital Research an verschiedener Stelle veröffentlichten Richtlinien [2 bis 4] dar. Im einzelnen besprachen die Entwickler die Themenpunkte »Zwischenablage«, »Standard-Menüs und Shortcuts« sowie »Tastaturverwendung«.

Von der Zwischenablage gibt es für eifrige Leser dieser Kolumne im Grunde genommen nichts Neues zu berichten. Alles, was ich in den vergangenen Monaten hier beschrieben hatte, beruhte schließlich auf den neuesten Unterlagen von Digital Research. Dieter und Jürgen Geiß - Entwickler der Adimens-Version für den ST - stellen ein Public-Domain-Accessory für das Clipboard zur Verfügung. Es erlaubt Ihnen nicht nur den Inhalt der Zwischenablage zu verwalten, sondern auch den Inhalt von allen Dateien in Standardformaten im Fenster darzustellen. Mittels einer GEM-Message-Schnittstelle können Sie die dazu benutzten Routinen auch aus eigenen Programmen heraus ansprechen. Den dazugehörigen Quellcode und vieles Wissenswerte mehr finden Sie in dem Buch »Vom Anfänger zum GEM-Profi« [5], auf das man gespannt sein darf und das ich sicherlich sobald als möglich an dieser Stelle unter die Lupe nehmen werde.

Hand in Hand mit der Verwendung der GEM-Zwischenablage geht natürlich eine Vereinheitlichung der wichtigsten und allgemeinsten Standard-Menüs, also dem Datei- und dem Edit-Menü. Auch hierzu gibt Atari eine offizielle Dokumentation heraus. Soviel schon mal hier: Analog zu GEM/3 auf dem PC trägt das erste Menü in Zukunft immer den Namen des geladenen Programms in Großbuchstaben. Also nicht etwa das Atari-Symbol und auch nicht den nichtssagenden Titel »Desk«. Für das Datei-Menü lehnen sich die beschlossenen Richtlinien an die von Digital Research benutzten und dokumentierten Konventionen an, wie sie beispielsweise in GEM-Draw oder GEM-RCS zu finden sind. Das Edit-Menü wurde mangels eigener Vorstellungen von Digital Research sehr eng an die Funktionen des Macintosh angelehnt.

Ebenfalls untrennbar mit der Zwischenablage ist die Frage nach Standard-Dateiformaten verbunden. Bekanntlich hat ja bereits Digital Research eine ganze Reihe von Formaten vorgegeben, die fast jede Anwendung abdecken. Dazugekommen ist das 1WP-Format von 1st Word Plus. Dieses dürfen Sie von jetzt an als Standard ansehen. Wem dieses Format nicht reicht, sollte auf das neue GEM/3-»Out«-Format zurückgreifen. Damit ist eine Mischung von Text, Pixel- und Vektorgrafik leicht machbar. Und auch beim IMG-Format, in dem Sie bekanntlich die Farbpalette nicht ablegen können, ergab sich nach längerem Brainstorming eine einfache Lösung: Ein Programm speichert einfach zusammen mit dem IMG-File ein begleitendes Metafile mit den fehlenden Farbinformationen. Atari Deutschland wird auch zu den verschiedenen Dateiformaten neue Dokumentationen herausgeben.

Neuer Netzwerkstandard

Soweit die wichtigsten Ergebnisse dieses ersten Treffens mit dem Thema »GEM-Standards«. Auf jeden Fall waren nahezu alle mit den Ergebnissen zufrieden und sehen mit Spannung dem nächsten Treffen entgegen. An dieser Stelle ein dickes Lob an Harald Müller von Atari, der mit diesem Treffen vielleicht eine neue Ãra beim Software-Support eingeleitet hat. Bereits einen Monat vorher hatte Atari die führenden deutschen Netzwerkanbieter gemeinsam mit einigen Softwarehäusern zu einem »Netzwerkseminar« eingeladen. Resultat ist eine Standard-GEMDOS-Erweiterung die in Zukunft von folgenden Netzwerken unterstützt wird: Biodata, DM-Computer, GTI, Inotec, PAM, Riebl/Vortex und Transfertech (siehe Textkasten). Schade ist, daß die Teilnehmer weder bestehende MS-DOS-Funktionen vollständig, noch die GEMDOS-Namenskonventionen richtig beachtet haben. Aber: besser so als gar kein Standard. Immerhin darf man jetzt auf etliche Netzwerkversionen bekannter Programme hoffen. Schon am Donnerstag darauf folgte die offizielle Präsentation der Messe-Neuheiten. Atari selbst hatte ja für ausreichend Neugierde gesorgt, indem sie mit der Ankündigung »Zweimal Weltpremiere auf dem Computermarkt: Atari TT und ... « warben. Bevor ich meine Meinung zur neuen Hardware kundtue, gehe ich erst einmal auf die neue Systemsoftware ein. Diese wird uns ja - hoffentlich - sehr viel eher zur Verfügung stehen als die neuen Computer.

TT, STE und TOS 1.4/1.6

Atari ist bekannt dafür, sich bei der Systemsoftware sehr viel Zeit zu lassen. Nachdem aber nun bereits vor einigen Monaten die neue Festplattensoftware das Licht der Welt erblickte und Atari den Großmonitor SM 194 schon länger mit der angepaßten »SM194«-TOS-Version ausliefert, war auch die Zeit für das endgültige TOS 1.4 reif. Offiziell ist das neue TOS 1.4 jetzt fertig. Einen Spitznamen hat es auch bekommen: »Rainbow-TOS«, wegen des animierten Atari-Symbols in der Copyright-Box. Für das Rainbow-TOS erscheinen auch einige Utilities von den amerikanischen Systemprogrammierern Ken Badertscher und Allan Pratt. So beispielsweise der Maus-Beschleuniger »MACCEL«, der neue Hard-Disk-Cache »CACHEnnn«, das »TOS 14FIX«, das zwei bereits bekannte Fehler im TOS beseitigt, das »MAKEFAST«-Utility, mit dem Sie das - noch nicht dokumentierte - Fastload-Flag im Programmkopf setzen, und zuletzt der Festplattenparker »SHIPACC«. Die »Maus Münster (0251/80386) und andere Mailboxen bieten diese Programme Modern- und Akustikkoppler-Besitzern an.

Noch sind die neuen »Release Notes« zum TOS nicht verschickt, da können wir bereits mit der Dokumentation zu einer neuen XBIOS-Funktion aufwarten: Endlich gibt es eine legale Methode, die Stepgeschwindigkeit für die Disketten-Laufwerke zu setzen (siehe Textkasten). Weitere Neuigkeiten darf man auch vom GDOS erwarten. Nicht nur die Bezier-Funktionen aus GEM/3 sollen demnächst verfügbar sein - GDOS soll künftig auch mit Outline-Fonts arbeiten können. Damit hätten dann alle sauber programmierten GEM-Programme, die mit GEM-Fonts arbeiten, Zugriff auf beliebig skalierbare Fonts in allen benötigten Größen - Ach für all diejenigen, die ihren Schweiß in eigene Druckertreiber und Fonts gesteckt haben.

TOS 1.4 ist nun fertig, wie geht es weiter? Logischerweise mit TOS 1.6, das gewöhnlich gut unterrichtete Kreise im 1040 STE entdeckt haben. Das TOS im STE kann zumindest die erweiterte Farbpalette ansteuern und besitzt optimierte Grafikroutinen, wie Messungen mit QuickIndex gezeigt haben - vermutlich durch den Wegfall der Line-F-Routinen. Daß es für dieses TOS eine neue Versionsnummer gibt, erscheint auch mir wahrscheinlich.

Überhaupt: der STE. Die Begeisterung der Massen wie auch der Kollegen hielt sich auf der Messe doch sehr in Grenzen. Grund genug für mich, in die Bresche zu springen und einmal ein paar positive Punkte aufzuzählen:

Für die geplanten 300 Mark Preisaufschlag gegenüber einem normalen 1040er ist das kein schlechtes Angebot. Nehmen Sie den Stereo-Sound, das Hardware-Scrolling und die neuen Joystick-Ports als kostenlose Zugabe. Mal im Ernst: Endlich hat Atari das zustande gebracht, was seit Jahren fehlte - richtige Produktpflege und eine Weiterentwicklung. Und dann war da noch der TT ... Wer ihn gesehen hat, kann verstehen, daß das Design während der gesamten Messe das Gesprächsthema Nummer 1 war. Selbst in der Atari-Diskussion auf Usenet wird bereits darüber geredet. So bemerkt Ken Badertscher zum Vorwurf, der TT sei eine »tiny ugly box«: »Well, that's been a point of some contention here at Sunnyvale, too. Some people don't like the new look. I find it very attractive.« (Zu deutsch etwa: Auch in Sunnyvale ist das Design nicht unbedingt auf einhellige Zustimmung getroffen. Ich find‘ ihn ganz hübsch.) Alwin Stumpfs Kommentar auf die »Eigenwilligkeit« des Designs läßt Interpretationen aller Art freien Lauf. »Diese Diskussion haben wir schon hinter uns.«

(ba)

Quellennachweis:

[1] Julian Reschke, »Saubere Fenster«, ST-Magazin, Oktober 1988
[2] Digital Research, »GEM AES Reference Guide«, Tim Oren, »Professional GEM«
[4] Balma/Fitler, »GEM Programmierhandbuch«, Sybex, Düsseldorf 1987
[5] Dieter und Jürgen Geiss, »Vom Anfänger zum GEM-Profi«, Hüthig-Verlag (erscheint in diesen Tagen)

Vereinheitlichung der GEMDOS-Schnittstelle für Netzwerkentwicklungen

1.Erweiterungen bekannter Funktionen
GEMDOS    
$3C long Fcreate() Erzeugen einer Datei setzt Exklusivität.
$3D long Fopen() negative Open-Modi
- 1 (shared write);
- 2 (shared read/write), sowie MS-DOS-Open-Calls müssen akzeptiert werden. Anmerkung: Aktuelle MS-DOS-Dokumentationen beschreiben beim Open-Modus Bits 4 bis 7.
$3E long Fclose() Nach Beendigung einer Dateibearbeitung müssen Sie diese Funktion benutzen, um das aktive Locking aufzuheben.
$41 long Fdelete() Exklusive Operation ohne »Pending« der betroffenen Datei,
$31 void Ptermres() Alle Lockings des Prozesses werden aufgehoben.
2. Zusatzfunktionen für Netzwerkbetrieb

Anmerkung: Diese Funktionen sind zumindest auf Ebene der Funktionsnummern nicht MS-DOS-identisch.

$60 long Nversion() Liefert Kennung des angeschlossenen Netzwerks (Low-Word: Bionet (1), A-Net (2), Elan (3), TSE-Net (4), Atlanet (5), PAMs-Net (6), Transnet (7); High-Word: Versionsnummer des jeweiligen Netzwerks)
$62
long Frlock (int handle,
             long start,
             long count)
Record-Locking: sperrt »count« Bytes an Position »start« der durch »handle« angegebenen Datei. Für »start« -1wird ab der aktuellen Position

in der Datei gesperrt.

$63
long Frunlock (int handle,
               long start)
Freigabe des bei »start« beginnenden Records.
$64
long Flock (int handle,
long count)
Sperrt ab der aktuellen Position in der Datei »count« Bytes.
$65 long Funlock (int handle) Hebt von Flock() gesetzte Sperre wieder auf.
$66 long Fflush (int handle) Leeren der internen GEMDOS-Puffer.
$7B long Unlock (char *path) Freigeben der Datei »path«.
$7C long Lock (char *path) Sperrt die Datei »path«.

Die neue XBIOS-Funktion »Floprate« bestimmt die Seekrate.

Mit dieser TOS-Funktion können Sie ab TOS 1.4 die Seekrates für beide Laufwerke setzen und abfragen. Auf älteren TOS-Versionen müssen Sie die vorher undokumentierten Systemvariablen verwenden:

TOS-Version Laufwerk A Laufwerk B

1.0 (RAM)   $6CA    $6CE
1.0 (ROM)   $A08    $A0C
1.2 (ROM)   $A4E    $A52

Deklaration in C:

int Floprate (int drive, int seekrate);

Aufruf in C:

sret = Floprate (drive, seekrate);  /* -> xbios(0x29, drive, seekrate) */

Aufruf in Assembler:

move.w  seekrate, -(sp) ; -> 10(sp)
move.w  drive, -(sp)    ; ->  8(SP)
move.w  #$29, -(sp) ; ->  6(sp)
trap    #14
addq.l  #6, sp

Parameter:

drive: Nummer des Laufwerks (0: A, 1: B)
seekrate: neue Seekrate oder -1, wenn die Seekrate nicht verändert werden soll.
sret: vorherige Seekrate
Die Seekrate kann folgende Werte annehmen:
0: 6 ms
1: 12ms
2: 2ms
3: 3ms

Ausschnitt aus »Atari ST Profibuch« - in Arbeit befindliche Auflage

Copyright (c) Julian F. Reschke & Sybex Verlag AG 1989


Julian F. Reschke
Aus: ST-Magazin 11 / 1989, Seite 64

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