Ein Atari ST ist die Zentrale im MIDI-Maschinenpark des Komponisten und Tonmeisters Andy Seidler. Er berichtet uns, was der ST, Herzstück einer 400000 Mark teuren Studioeinrichtung, in seinem Studio alles anstellt.
Die Leuchtdiode taucht die Zigarettenschwaden in dem düsteren Studio in ein unwirkliches, gelb-rotes Licht. Das kaum hörbare Surren der 40-MByte-Festplatte verstummt so schnell, wie es begonnen hat. Dann zerfetzt eine Maschinengewehrgarbe die Trommelfelle der Besucher. Andy grinst und druckt seine fast abgebrannte filterlose Zigarette im Aschenbecher aus.
Der 28jährige Andy Seidler ist ein Musik-Allroundtalent: Er musiziert. Er programmiert. Er komponiert. Er ist ein Computerhardware-Fachmann. Und er hat sich nach zwei Jahren Arbeit als Tonmeister bei einer Münchner Werbefilmagentur mit einer eigenen Firma, der »Soundwave Studio GmbH« selbständig gemacht.
Seit Anfang des Jahres vertont Andy in seinem selb stausgebauten Studio in einem Schwabinger Hinterhof Werbefilme, komponiert Musik und mischt Computergrafik mit digitalen Soundeffekten zu anmutig klingenden Kompositionen zusammen.
Herzstück seiner 400000 Mark teuren Studioeinrichtung: ein 64-Kanal-Inline-Mischpult mit einer 16-Spur-Einzoll-Analog-Bandmaschine. »50000 Mark hat mich das Geschoß gekostet« erzählt Andy stolz. Mit dem Mischpult bringt Andy die Musik, die er auf seinem MIDI-System komponiert hat, mit benötigten Originaltönen auf dem Master-Band zusammen. Originaltöne? »Sprache beispielsweise«, erklärt Andy und zeigt auf die wandhohe Glasscheibe, in der sich die roten Lämpchen seines Maschinenparks widerspiegeln. »In dem Sprachstudio kann ein Sprecher seinen Text parallel zu einen Film sprechen, den er auf dem Großbildprojektor sieht.« Andy wird vor Stolz über sein vier mal vier Meter großes schalldichtes Separee in seinem Sessel ein paar Zentimeter größer. »Und sogar eine komplette Band bringe ich da unter.«
Wieder bewegt sich der Mauszeiger, wieder blitzt die Leuchtdiode auf. Diesmal startet ein Überschall-Kampfbomber zu einem Angriff direkt durch unsere Köpfe.
Zufrieden lehnt sich Andy in seinem Drehsessel zurück und greift sich erneut das Zigarettenpäckchen, während die mannshohen Boxen und unsere Ohren noch eine Weile nachklingen. »Natürlich«, freut er sich spitzbübisch, »habe ich auch melodischere Sachen.« Das beruhigt. »Ich sammle schon seit Jahren alle digitalisierten Töne und Geräusche, die ich bekommen kann.« Mit Tonstudios in Holland, der Schweiz und den USA tauscht er per Datenfernübertragung regelmäßig Töne und Samples aus.
Vor allem für Film- und Werbeproduktionen sind Geräusche wichtig: »Für meine Kunden ist es einfacher und billiger, sich aus meinem Atari ST den richtigen Maschinengewehrsound herauszusuchen, als ihn bei Außenaufnahmen mitzuschneiden.«
Mehr als 80000 Geräusche hat Andy in seinem Atari ST in einer Adimens-Datenbank gespeichert. Mit dem Programm »Steinberg Twenty-Four« kann er sie über seinen »Akai S612«-Multisampler jederzeit wiedergeben.
Mit seinem Atari ST, begeistert sich Andy, hat er nicht nur einen superschnellen Zugriff auf alle Sounds und Geräusche (»ich muß nicht mehr stundenlang Bänder hin- und herspulen und durchforsten«). Besonderer Vorteil der digital gespeicherten Geräusche: Sie sind GEMA-frei und per Computer fast beliebig veränderbar (Erklärungen zu GEMA und Timecode am Schluß). Darüber hinaus läßt sich der Sound über einen bestimmten Timecode steuern. »Mein Atari sampled einen immer schrilleren Pfeifton, im Film kommt der Körper von oben geflogen und wenn der am Boden landet, schickt der ST zeitgleich den dazugehörigen Plumps. Beides mischen wir dann in einem Aufwasch auf das Master-Video zusammen.«
»Vor allem für die ganzen MIDI-Sachen« setzt Andy seinen auf 2,5 MByte aufgerüsteten Atari 260 ST ein. »Neben den üblichen Sachen wie Buchhaltung, DFÜ und Textverarbeitung.«
»Wenn ein Kunde kommt, sehe ich mir seinen Film zunächst fünf- bis zehnmal an«, erklärt Andy seine Vorgehensweise beim Komponieren. »Es kann eine Weile dauern, bis ich eine Idee habe, wie die Musik aussehen muß, die zu dem Film gehört.« Jetzt entwickelt er mit dem MIDI-Programm »Twenty-Four« einen Rhythmus, der auf den Bildschnitt paßt: »so daß beispielsweise ein Schlagzeug parallel mit den Schritten eines Schauspielers läuft. Es folgen die Effekte, ein ’Plopp’ oder ein ’Huiiii’ — je nachdem, und der Entwurf einer Bassline. Der nächste Schritt ist Routine: Das Ganze immer wieder synchron zum Bild mitlaufen lassen, bis alles auf die Zehntelsekunde stimmt«. Erst danach baut er die Harmonien, »beispielsweise für E-Piano oder Bläser«, auf. Fünf Synthesizer und »diverse« Hall- und Effektgeräte, sowie zwei Rhythmuscomputer und einen Multisampler setzt Andy dafür ein. Weil »der ST über seine zwei MIDI-Schnitt-stellen zu wenig Geräte gleichzeitig steuern kann« übernimmt diese Aufgabe »MIDI-Temp«, ein MIDI-Merger. Und damit das gesamte MIDI-Arsenal synchron zum Timecode von Mischpult, Bandmaschine und Videoschnittsystem läuft, ist es an den »Steinberg SMP24« angeschlossen. Dieser Hardwarezusatz liest den ankommenden Timecode und schickt 25mal in der Sekunde über den Druckerport einen entsprechenden Impuls an den Atari ST.
Ist die Musik fertig, und sind auch die Stimmen von Sprechern und Sängern aufgenommen, tritt ein weiteres Schmuckstück der Soundwave Studio GmbH in Aktion. Erst drei Studios in Deutschland besitzen das digitale Studioschnittsystem »Adam + Smith Zeta 3«. Andy’s Studio ist eines davon.
Die Zigarette verglüht im Aschenbecher, weil der Besitzer gar nicht dazu kommt, sie fertig zu rauchen. Zu sehr sind seine beiden Hände damit beschäftigt, hin- und herzuzeigen, um dieses Wunderwerk der Technik zu beschreiben. »Zwei Sekunden nur braucht die Zeta«, seine Hände streicheln fast liebevoll die doppelt handtellergroße Eingabekonsole, »zwei Sekunden nur, um alle Babies vollkommen synchron zu ziehen.« Gesagt, getan. Ein paar Tasten gedrückt auf der Konsole, die wie ein überdimensionaler Zahlenblock aussieht, und überall im Studio gehen Leuchtdioden an. Mechanisches Kläcken ist aus allen Richtungen zu hören. Und dann laufen alle »Babies« tatsächlich im Gleichschritt: Ein Video flimmert auf dem Monitor, die Tonbandgeräte liefern brav ihre Musik dazu ab und auch der ST klimpert auf den angeschlossenen Synthesizern. Die Erklärung folgt auf dem Fuß: Die beiden 68030-Prozessoren verwalten den Timecode sämtlicher Maschinen und steuern sie dadurch. Warum nimmt Andy dafür nicht den ST? Ein Zug an der Zigarette und ein wissendes Lächeln folgen. »Weil er zu langsam dafür ist.« 25-mal in der Sekunde müßten für den Timecode Daten übertragen und ausgewertet werden. Dazu kommen die verschiedenen Steuerimpulse für die einzelnen Geräte. »Und das packt MIDI einfach nicht.«
Dann verrät Andy ein Geheimnis: »Ich bin gerade dabei, die Software zu schreiben. Ein ST soll als Steuerungscomputer sämtliche Funktionen in einem Studio übernehmen.« Ein hektischer Zug an der Zigarette. »Parameter, Schnitte, einfach alles.« Solch einen Computer als Universal-Studiogerät gibt es zwar bereits in den USA auf PC-Basis. Der ist allerdings zehnmal teurer als Andy’s Projekt auf ST-Basis kosten soll. »Das muß man sich vorstellen«, schwärmt er, »ein durchschnittlicher Spielfilm besteht aus rund 500 Einstellungen. Du gibst einmal das Drehbuch in den Computer ein und kannst dir auf Wunsch alles ausgeben lassen: Sämtliche Timecodes, die Schauspielerplanung — wann wer dazusein hat, sogar die Tagesdisposition zum Drehen.« Andy beugt sich aufgeregt nach vorne, begeistert von der eigenen Idee. »Und wenn alles abgedreht ist, übergibt der ST die gespeicherten Timecodes der einzelnen Einstellungen direkt an das Schnittsystem.« Bis zum Ende des Jahres will er die Software (»in C mit vielen Assembler-Routinen«) fertig haben.
Die Firma, die auch Zeta vertreibt, soll dazu einen vollkommen umgebauten ST liefern, »mit anderer Tastaturbelegung, anderen Tastenkappen und einem Auto-start-Programm.« Andy sinkt ganz seelig in seinen Sessel zurück: »Damit können wir die Musik- und Filmszene revolutionieren.«
Doch Andy hat noch mehr ST-Projek-te. Im Hinterzimmer des Studios, zwischen Telefaxgerät und Korkpinnwand, steht ein zweiter ST. Auf dem läuft seit fünf Monaten mit »Pandora-Mailer«, einer MS-DOS-ähnlichen Oberfläche, die (FIDO-)»MIDI-Mailbox«. Unter der Telefonnummer 089/448 5487 pflegt Andy damit nicht nur den Kontakt mit seinen Kunden, er will darüber auch »Deutschlands größte Online-Public-Domainsammlung für MIDI-Software« anbieten. Selbstverständlich für alle Computersysteme. Denn in Deutschland und in Großbritannien ist der Atari ST zwar die Nummer eins unter den Musikcomputern, vor allem aber im Musikstammland USA sind PC und Macintosh führend. Besonders für den Macintosh »gibt es enorm powervolle Software«. Aber auf absehbarer Zeit will der Tausendsassa bei seinen STs bleiben: »Ich kann es mir nicht erklären, der ST ist mir als Musikmaschine einfach sympathischer als PC und Mac«. (wk)
Soundwave Studio GmbH, Andy Seidler, Barerstraße 67. 8000 München 40
Die »Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte« GEMA verwaltet die Urheberrechte von Musikern und Komponisten. Musikautoren melden ihre Kompositionen an und bekommen nach einem bestimmten Schlüssel Geldzuweisungen. Die GEMA besorgt sich dieses Geld bei allen, die Musikstücke Dritter aufführen. Das sind vor allem die Radio- und Fernsehanstalten, aber auch Firmen, die ihre Werbefilme mit Musik untermalen. Für solche Firmen ist es daher billiger, Musik einzukaufen, die nicht bei der GEMA gemeldet ist, die GEMA-freie Musik.
Im Musik- und Filmgeschäft werden die meisten elektrischen und elektronischen Geräte über den Timecode (»Zeitcodierung«) gesteuert. Auf einer gesonderten Spur ist hier jeweils die aktuelle Zeit eingetragen. Der Timecode neben einem Bild eines Filmes hieße beispielsweise »3 Stunden, 15 Minuten, 8 Sekunden und 12 Bilder«. Diese Spur wird von modernen Musik- und Filmgeräten gelesen, die Bänder können absolut genau positioniert werden. Nur so ist es möglich, daß unterschiedliche Abspielgeräte absolut synchron laufen.
Fotos: Gunter Haake
Liebe MIDI-Freunde, wir bedanken uns für Ihre Teilnahme an unserem großen MIDI-Song-Wettbewerb.
Gleichzeitig müssen wir Sie aber um Geduld bitten. Alle Einsendungen, die den Redaktionen der Zeitschriften ST-Magazin und Soundcheck sowie der Firma Steinberg mit vollständigen Unterlagen zugegangen sind, leiten wir in diesen Tagen an die Jury weiter. Diese wird jede Einsendung genauestens prüfen und Sie schnellstmöglich informieren. (tb)