Lavadraw Plus: Der Vulkan bricht aus

Neuester Streich in Sachen Grafik-Software ist ein Schwarzweiß-Malprogramm der Extraklasse. Der Preisbrecher Lavadraw Plus wird in Düsseldorf auf der Atari-Messe vorgestellt. Wir haben vorab einen Blick auf seine ungewöhnliche Funktionsvielfalt geworfen. Lavadraw Plus bietet nicht nur ausgefeilte Effektbefehle, sondern auch Zeichenoperationen über die Bildschirmgrenzen hinaus.

Moderne Grafiksoftware verrichtet nicht mehr klaglos ihren Dienst, sondern will wissen, was Sie Vorhaben. Weil diese Programme Grafiken verarbeiten, die größer sind als der Bildschirm, verlangen sie vor der praktischen Zeichnerei einige Theorie. So auch Lavadraw Plus. In direktem Bezug zur vorhandenen Druckerauflösung legen Sie die gewünschte Zeichenblattgröße fest. Dabei gehen Sie vom DIN-A4-Format aus. Neben der Ganzseite bietet das Startmenü von Lavadraw Plus die Größen 1/2 A4 und 1/4 A4. Eine Drehung des Blattes um 90 Grad ist leider nicht vorgesehen. Außer der Steuerung für Laser-Drucker mit 150 oder 300 dpi stehen Treiber für 24-Nadel-Drucker mit 180 oder 360 dpi Auflösung sowie eine 240-dpi-Version für die 9-Nadel— Drucker zur Verfügung. Die unmittelbare Anpassung des Zeichenformats an die Druckerauflösung vereinfacht den Grafikaufbau erheblich und verhindert die beim Ausdruck sonst oft auftretenden Bildverzerrungen.

Eine Anpassung an die verbreiteten Handy-Scanner von Cameron sowie an den 200-dpi-Scanner von Print Technik ist ebenfalls vorhanden. Ein offenes Software-Konzept erlaubt die Einbindung anderer Treiber.

Die maximal unterstützte Blattgröße von 3200 x 4600 Pixeln bei 400 dpi erfordert eine erhebliche Speicherkapazität von zirka 1800 KByte. Diese Kapazität erreicht natürlich nur ein Mega ST4. Doch auch die kleineren Typen der ST-Reihe bleiben nicht »vor der Türe«, sofern sie mit mindestens 1 MByte RAM und ROM-TOS ausgestattet sind. Bei einer Auflösung von 200 dpi ist eine DIN A4 große Zeichenfläche zugänglich. Da Lavadraw Plus ziemlich tief in die »Betriebssystem-Kiste« greift, läuft es nur mit dem Blitter-TOS oder jüngeren ROM-TOS-Versionen. Eine Anpassung an Großbildschirme ist in Vorbereitung und aufgrund der geringen Verbreitung dieser Monitore noch nicht in der vorliegenden Version eingebaut.

Stellt der Computer fest, daß sich Ihre Bilderträume wegen der erforderlichen Speichergröße jeder Realisation entziehen, berechnet er auf Wunsch die maximale vertikale Auflösung neu. Andernfalls bleibt Ihnen nur die Beschränkung auf kleinere Formate oder die Erweiterung des RAM-Speichers.

Fand die vorgenommene Parametereinstellung die Billigung des Programms, erscheint das Hauptmenüfeld (Bild 1). Dieses füllt mit über 70 Funktionen fast die halbe Bildschirmfläche. Diese große Menüfläche ohne Untermenüs gewährt dem Anwender direkten Zugriff auf alle wesentlichen Aktionen.

Den auf dem Bildschirm sichtbaren Bereich verschiebt das Programm bei Mausklick auf die Pfeilsymbole in bemerkenswerter Geschwindigkeit. Das Feld ganz rechts eröffnet eine ungewohnte, aber schnelle und komfortable Form, den Schirm zu plazieren: Je nach Mausaktionsrichtung bewegt sich der dargestellte Bildausschnitt; die Betätigung der Maustaste fixiert die gewählte Position. Alternativ verschieben Sie nur das kleine Rechteck im rechten Fenster des Hauptmenüs, und der Schirm ist entsprechend zurechtgerückt.

Um die Übersicht zu erleichtern, ist die Icon-Sammlung in mehrere Funktionsbereiche untergliedert. Ganz links sind die allgemeinen Zeichenbefehle angeordnet, daneben stehen die nützlichen Hilfsfunktionen. Es schließt sich die gut sortierte Effektabteilung an. Rechts davon sind die allgemeinen Parameter zugänglich. Des weiteren bietet Lavadraw im benachbarten Bereich mehrere Textfunktionen an. Dort rufen Sie auch externe Programmodule auf. Mit dem Blick auf die Blattposition sowie dem Zugriff auf die verschiedenen Überblicks-Modi schließt das Menü ab. In dem freien Feld unter dem EXIT-Symbol erscheint der jeweils angewählte Modus im Klartext. Das stellt besonders in der Einarbeitungsphase eine erhebliche Erleichterung dar.

Greifen wir aus dem großen Angebot die Funktionen heraus, die nicht zur »Normalausstattung« gehören. Neben den üblichen Grafikoperationen bietet das Menü einen »Kreis durch 3 Punkte«, der manch umständliche Konstruktion mit Radien und Umfängen erspart. Auch der allerorten anzutreffende Polygonzug ist inbegriffen. Er besitzt hier die angenehme Eigenschaft, gesetzte und mit einer Linie verbundene Punkte im nachhinein zu verschieben. Erst mit Verlassen der Funktion nimmt das Programm die Positionierung endgültig an. Als Bonbon steht bei den linienorientierten Zeichenbefehlen eine automatische Bemaßung zur Verfügung. Sie rechnet die Bildschirmabmessungen in Zentimeter oder Meter um.

Eine besonders pfiffige Art, Kurven zu zeichnen, verbirgt sich hinter dem »Bogen durch x Punkte«. Wie schon beim Polygonzug, setzen Sie zunächst einige Punkte, die das Programm nach Mausklick mit einer möglichst glatten Kurve verbindet. Verschieben Sie jetzt per Maus einen der angewählten Punkte, so folgt die Kurve automatisch. Wünschenswert erscheint uns noch eine nachträgliche Verdopplung oder das Löschen eines Punktes.

Bild 1. Die Kommandozentrale von Lavadraw Plus

Wer gerne mit Füllmustern jongliert, dem bietet Lavadraw gleich drei Wege. Neben dem üblichen »Füllen« stehen Ihnen die Muster als Pinsel-Farbe zur Verfügung. Wem das zu eintönig erscheint, dem sei die Anwendung der Sprühdose empfohlen. Sie läßt sich neben den Mustern auch mit einem beliebigen Bildausschnitt »laden«. Sagen Ihnen die eingestellten Füllmuster nicht zu, dann fangen Sie per Snap-Befehl einfach neue ein.

Allgemeine Hilfsmittel

In der Abteilung »Allgemeine Hilfsmittel« finden sich zwei Besonderheiten. Zunächst stellt Ihnen die Lupe nicht nur einen vergrößerten Bildausschnitt zur Bearbeitung zur Verfügung, sondern bietet neben dem üblichen Freihandzeichnen die Funktionen Rechteck, Kreis und Linie. Aktivieren Sie den Radiergummi-Modus, verschwinden Punkte in einem unsichtbaren, per Maus in Größe und Position veränderbaren Rechteck. Wer einmal einen Bildschirmausschnitt von überflüssigen Füllrasterpixeln befreien mußte, weiß diese Lupe besonders zu schätzen.

Für die nachträgliche Vergrößerung oder Verkleinerung eines Zeichnungsausschnitts in Breite oder Höhe, am Ende gar maßstabsgetreu, standen bisher kaum wirksame Befehle zur Verfügung. Auch hier bietet Lavadraw eine komfortable und qualitativ hochwertige Lösung. Hinter dem Symbol »Ausschnitt formen« verbirgt sich ein leistungsfähiger Verzerralgorithmus, mit dessen Hilfe Sie einen rechteckigen Ausschnitt nahezu beliebig und nach x- und y-Achse getrennt verformen. Dabei erlaubt die Einblendung der aktuellen Ausschnittsgröße in Prozent eine exakte Anpassung an bereits vorhandene Bildteile. Als besonderer Pfiff erscheint der bearbeitete Ausschnitt entweder in der dunklen Darstellung — besonders für Strichzeichnungen geeignet — oder skaliert. Damit bearbeiten Sie vor allem gescannte Bilder auf einfache Weise (Bild 3 unten).

Zuletzt ein Blick auf die Funktion »reduzierendes Lasso«: Auch dies ist kein üblicher Befehl, gestattet er doch das Einfangen eines beliebigen Bildausschnittes. Dabei paßt sich das Lasso exakt den Umrissen des Ausschnitts an. So bewegen Sie auf dem Bildschirm wirklich nur das, was Sie benötigen.

Die Abteilung »Special Effects« ist mit zwölf Symbolen reichlich bestückt. Von Konturverstärkung bis zu automatischer Schattengenerierung mit wählbarem Schattenmuster reicht die Palette. Einen Ausschnitt verzerren Sie auf vielfältige Weise. Brauchen Sie einen Bildteil leicht aufgerastert? Kein Problem. Per Verknüpfungsbefehl verwandelt Lavadraw eine schwarze Zeichnung in eine graue. Dazu stehen die schon von Lavadraw 3.1 bekannten Effekte wie Dreiecksverformung, Kugel- oder Tonnenspiegelung bereit. Bild 2 vermittelt Ihnen einen kleinen Eindruck, welche Fähigkeiten hinter diesen Befehlen stehen.

In der Parameter-Ecke erhalten Sie Zugriff auf diverse Feinheiten. Den Maßstab ändert das Programm auf Kommando zwischen 1:1 und 1:1000. Je nach Wunsch nehmen Sie horizontal oder vertikal Maß und tragen die festgestellten Werte an den betreffenden Kanten ein. Sollte ein größeres oder anders aufgeteiltes Blatt erforderlich sein, nehmen Sie eine nachträgliche Anpassung vor.

Natürlich verfügt Lavadraw auch über Textfunktionen. Mit diversen verschiedenen Schriftarten fügen Sie beliebigen Text in Ihre Grafik ein. Die Textimportfunktion gestattet, in Verbindung mit dem Aufruf des von Ihnen favorisierten Texteditors, auch größere Textpassagen bis 100 Zeilen komfortabel und bequem einzubringen. Dabei überfordern Sie das Programm auch bei Formatierungswünschen, wie links- oder rechtsbündig, mittenzentriert oder Blocksatz, nicht. Zur direkten Texteingabe bietet das Programm einen Einzeileneditor, der maximal eine Bildschirmbreite bearbeitet. Ein mehrzeiliges Pendant erlaubt die Textpositionierung über das gesamte Blatt. Sollten die vorhandenen Zeichensätze nicht genügen, eröffnet der zum Lieferumfang gehörige Zeichensatzeditor den Zugriff auf Signum-Fonts. Alternativ lassen sich auch beliebige Bildausschnitte in einen Font integrieren.

Bild 2. Kleine Übersicht der integrierten Effektfunktionen

Die bisher beschriebenen Funktionen wirken sich nur auf den am Bildschirm sichtbaren Bereich aus. Sind Arbeiten gefordert, bei denen beispielsweise ein Kreis weit über die Bildschirmgrenzen gezogen wird, zeigt Lavadraw weitere starke Seiten. Bislang blieb nur der Griff zu Schere und Leimtopf, um aus mehreren Bildschirmhardcopies ein Ganzes zu basteln. Das gehört der Vergangenheit an. Lavadraw gestattet die Bearbeitung einer kompletten DIN-A4-Seite in der Auflösung 400 dpi, sofern der Speicher reicht. Sie kopieren beispielsweise Ausschnitte, die größer sind als der physikalische Bildschirm. Ebenso steht Ihnen ein auf der gesamten Arbeitsfläche wirksamer Radiergummi zur Verfügung. Einzig ein Block-Move-Befehl fehlt noch.

Die Funktionen in der letzten Zeile des Hauptmenüs beziehen sich auf das ganze Blatt. Dazu zählen Rechteck, Kreis und Kreis durch drei Punkte, Ellipse und Füllen. Die Kopierbefehle und das Radiergummi haben wir bereits genannt; es fehlen noch die Kinoprojektion — damit »werfen« Sie einen Bildausschnitt an eine imaginäre Leinwand — und die Drehfunktion. Hier stellen Sie den gewünschten Drehwinkel in Grad ein. Auch wenn Sie die Zielausrichtung nicht kennen, bleibt Ihnen durch die Kontrolldarstellung des Blockes das ansonsten unvermeidliche Probieren erspart.

Lavadraw Plus verarbeitet die Formate der bekannten Grafikeditoren »Degas« und »Stad«, dazu das »*.IMG« sowie das »Screen«-Format. Zusätzlich legen Sie Bildschirmteile als »Objekt« im * IMG-Format ab. Auch das Calamus-Rasterformat wird unterstützt. Weitere Zusatzmodule für das Easydraw-Format und andere, objektorientierte Grafiken sind nach Angaben der Programmierer voraussichtlich im Herbst erhältlich. Je nach Größe der zu bearbeitenden Datei erfolgt der Zugriff über die »Bild«- oder »Arbeit«-Aktionen. Steht keine Festplatte zur Verfügung, speichert Lavadraw überformatige Kunstwerke auf mehreren Disketten.

Bei der Verwendung des *.IMG-Formats zum Speichern einer Bildschirmseite stellten wir übrigens eine kleine Unwilligkeit des Programmes fest. Lädt man eine nur wenige Augenblicke zuvor abgelegte bildschirmgroße Grafik per »Bild laden«, verweigert das Programm die Ladetätigkeit und verweist auf die Funktion »Arbeit laden«. Bei Verwendung anderer Formate wie Stad oder Screen passiert das nicht.

Zum Programm erhalten Sie ein umfangreiches und aussagekräftiges Handbuch, das auch den unerfahrenen Anwender schnell in die »Geheimnisse« der Computergrafik einführt. Ein Installationsprogramm erfragt alle nötigen Pfadnamen und legt sie in einer Parameterdatei ab. Auf diese Weise sparen Sie die »Klickerei« durch Dutzende von Unterverzeichnissen.

Bild 3. Die Bearbeitung einer kompletten DIN-M-Seite stellt für Lavadraw Plus kein Problem dar. Oben links der auf dem Bildschirm erscheinende Ausschnitt. Diese Grafik wurde bei einer Auflösung von 180 dpi entworfen und mit einem NEC P6 ausgedruckt.

Genug der Worte. Um alles zu beschreiben, was an sinnvollen Details in diesem Programm integriert wurde, fehlt der Platz. Lavadraw Plus, programmiert in Turbo C, Assembler und GFA-Basic, beherbergt in seinen knapp 250 KByte ein gerüttelt Maß an trickreichem und dennoch einfach und komfortabel zu bedienendem Grafikrepertoire.

Hervorzuheben sind besonders die einheitliche Gestaltung der Steuerungsmethodik sowie die schnelle Arbeitsweise. In den Punkten Funktionsumfang und Bildqualität zählt Lavadraw Plus mit Sicherheit zum Besten, was derzeit erhältlich ist. Allerdings ist die Konzeption der Bedienungsoberfläche wegen des großen Menüfelds etwas gewöhnungsbedürftig. Mit Ausnahme des fehlenden Quer-Blattformats und der etwas eigenwilligen *.IMG-Behandlung fanden wir keine Kritikpunkte.

Wer in erster Linie technische Zeichnungen anfertigt, ist mit einem CAD-System sicher besser, aber auch deutlich teurer bedient. Für Werbe- und Gebrauchsgrafik hingegen, zum Entwurf von Druckvorlagen für DTP, kurz für den gesamten, kreativ ausgelegten Grafikbereich ist das Programm eine gute Empfehlung. Ob Grafik-Amateur oder DTP-Profi, um Lavadraw Plus kommen sie kaum herum. (wk)

K & L Datentechnik, Bahnhofstr. 11* 3551 Band Endbach

Wertung
Programmname:Lavadraw Plus
Preis:ca. 150 Mark
Hersteller:K & L Datentechnik
Stärken:
□ komplette DIN-A4-Seite direkt zu bearbeiten □ umfangreiche Funktionsbibliothek □ sehr schnelle Bildschirmpositionierung □ unterstützt verschiedene Drucker- und Scannerauflösungen □ kein Kopierschutz □ übersichtliches Handbuch □ niedriger Preis □ Zeichensatzeditor mit mehreren Fonts im Lieferumfang enthalten
Schwächen:
□ kein DIN-A4-Querformat □ nur mit Blitter-TOS oder jünger
Fazit:
Universelles Grafikprogramm für nahezu jeden Anwendungsfall

Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 09 / 1989, Seite 20

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