Im Reich der Tonmeister: Ein Besuch in der »School of Audio Engineering«

In der SAE lernen die Studenten mit Hilfe des Atari ST das MIDI-System kennen

Alles begann auf der Lehrmittel- und Bildungsmesse Didacta ’89. Unser Redakteur Wolfgang Klemme kam mit Jochen Veith ins Gespräch, der Lehrer an der Münchner Zweigstelle der SAE ist. Es stellte sich heraus, daß der Atari ST in der Ausbildung zum Tonmeister oder Studio-/Rundfunkassistenten eine wichtige Rolle spielt.

Wieder in München, beschließen Wolfgang Klemme und Volontär Thomas Bosch nochmals zur Schule zu gehen. Diesmal allerdings nicht als Lernbegierige, sondern um den Atari ST in der MIDI-Stunde zu erleben. Nach einer kurzen Irrfahrt durch den Münchner Osten erreichen wir die angegebene Adresse: Weißenburger Straße, Nummer 19. Erstaunt stehen wir vor einem großen grauen Gebäude. Nur ein verstaubtes Kupferschild bestätigt uns, daß im Rückgebäude die SAE untergebracht ist. Wir klingeln. Keine Reaktion. Wir öffnen die unverschlossene Türe — und befinden uns in einem heruntergekommenen Aufzug. Drei Stockwerke später betreten wir edlere Bereiche. Ein weiträumiger Flur mit rotem Teppich, ein rot-goldenes Zierbecken, große helle Fenster und zahlreiche Türen machen einen einladenden Eindruck.

Der Atari ST als zentrales Steuersystem im MIDI-Verbund

Hinter einer der Türen erklingt ein fetziges Gitarren-Solo. Vorsichtig öffnen wir die Tür. Der Gitarrero wirft uns einen vernichtenden Blick zu, so daß wir den Raum schnell wieder verlassen. Nächster Versuch. Im folgenden Raum treffen wir neben mehreren Racks voll Expandern, Equalizern und MIDI-Controllern auf ein 24-Kanal-Mischpult, um das sich vier junge Männer scharen. Wir stellen uns vor. Einer der Männer begrüßt uns freundlich. »Ich bin Michel Schreiber und das ist mein Kollege Jochen Veith. Ihn kennen Sie ja bereits.« Die beiden anderen Männer sind Schüler, oder, wie sie die SAE intern bezeichnet, »Studenten«. Um die Studenten nicht bei der Arbeit zu stören, verlassen wir mit den Lehrern das Studio. Sie laden uns zu einem Rundgang durch die Räume der SAE ein. »Hoffentlich hat Sie das Gebäude nicht erschreckt. Es ist alt und bietet leider zu wenig Platz. Wir sind derzeit auf der Suche nach größeren Räumen. Vielleicht schreiben Sie das auch in Ihrer Zeitschrift?«

Wir betreten einen kleinen Raum. Ein Student sitzt vor einem 8-Kanal-Misch-pult, einem Tonbandgerät sowie einem Rhythmuscomputer der Marke Yamaha. »Das ist ein sogenannter ’Edit-Platz’. Hier lernen die Advanced Students' den Umgang mit größeren Mischanlagen.« Der nächste Raum ist bedeutend größer. Hier befinden sich mehrere Schreibtische, jeder mit einer 8-Spur-Bandmaschine ausgestattet. In einer Ecke entdecken wir einen DX11-Synthesizer, verbunden mit einem Equalizer, einem Tonbandgerät und einem Atari 1040 ST. Michel Schreiber ist unserem Blick gefolgt. »Hier lernen unsere Advanced Students’ den Umgang mit MIDI. Der Atari ST ist hierfür aufgrund seiner eingebauten MIDI-Schnittstellen der ideale Computer. Dieser Arbeitsplatz ist mobil, das heißt wir können das ganze Equipment — mit Ausnahme des Synthesizers — in einen (Musik-)Koffer packen.« Auf dem Monitor läuft kein Steinberg- oder C-Lab-Programm. Akzeptiert die SAE diesen Studio-Standard nicht? »Es ist nicht so, daß uns für Schulungen die Steinberg- und C-Lab-Sequenzer zu kompliziert sind. Aber wir arbeiten von Anfang an mit der leistungsstarken Software von Hybrid Arts — und so wird es auch bleiben.«

Die Studenten arbeiten selbständig an den Tonbandgeräten. Wie kontrollieren die Lehrer ihre Schützlinge? »Jeder Student legt das Ergebnis seiner Arbeit in Form einer Audio-Kassette in den Schrank. Abends hören sich die Lehrer das Band auf Unsauberkeiten oder grobe Fehler an. Sie legen einen Zettel mit ihren Bemerkungen in die Hülle und stellen die Kassette zurück.« Jochen Veith nimmt eine Kassette aus dem Schrank. Auf dem beigefügten Zettel steht: »Du hast Dir große Mühe gegeben. Trotzdem enthält das Band noch ein paar geringfügige Übersteuerungen. Mach’ es noch einmal, dann ist es perfekt.«

Wir betreten das Aufnahmestudio der SAE, den Raum, aus dem uns zu Beginn unseres Besuches der eifrige Gitarrist verwiesen hatte. Auch diesmal stören wir eine Aufnahme, doch die Studenten haben glücklicherweise Verständnis für unsere Arbeit. Oder freuen sie sich einfach über die unerwartete Pause?

Auch hier leistet der Atari ST treue MIDI-Dienste. Eingebaut in ein fahrbares Rack steuert er die MIDI-Signale bei Aufnahmen mit Synthesizern, hier ein Roland D-50 sowie ein Roland MIDI-Keyboard. Hier lernen die Studenten den Umgang mit größeren Maschinen wie dem bereits erwähnten 24-Kanal-Misch-pult. Wir schießen noch ein paar Fotos und nehmen anschließend mit den beiden Lehrern im Empfangsraum Platz. Wem kam eigentlich die Idee zur SAE?

Die School of Audio Engineering wurde 1977 in Sydney (Australien) gegründet und ist heute das größte Ausbildungsinstitut für dieses Fachgebiet. Die Idee kam von Tom Misner, einem gefragten Tonmeister, Produzenten und Studio-Akustiker. Was muß ein Interessent mitbringen? »Der Student sollte Kenntnisse in Musik, Grundmathematik und englischer Sprache haben. Das Wichtigste ist jedoch, daß er ein absolutes Interesse für den zu erlernenden Beruf mitbringt. Zu Beginn nimmt er an einer Aufnahmeprüfung teil. Hier werden grundlegende Dinge wie Noten- und Harmonielehre geprüft, aber auch Fragen nach grundlegender Mathematik und Physik sind dabei, zum Beispiel das Ohmsche Gesetz. Auch diese Dinge benötigt der Student in seinem späteren Beruf.«

Der Umgang mit Mischpulten und Mehrspur-Tonbandmaschinen gehört zur täglichen Arbeit eines SAE-Studenten

Die Ausbildung zum Studio- und Rundfunkassistenten dauert sechs Monate. Der Audio-Engineer muß 15 Monate aufbringen (Diplomstufe) und ein Tonmeisterkurs nimmt 12 Monate Zeit in Anspruch. Ein Lehrgang besteht aus Vorlesungen und der praktischen Arbeit an den Geräten. Weiterhin bietet die SAE Spezialkurse für die Industrie an, zum Beispiel einwöchige Rundfunkseminare oder Kurse zur Digitalen Aufnahme. Der Student kann zwischen fünf verschiedenen Kursen denjenigen aus wählen, der ihm zeitlich am besten zusagt. Außerdem ist es inzwischen realisierbar, einen angefangenen Kurs an einer anderen SAE-Filiale zu beenden. Hier wählen Sie zwischen Deutschland, Österreich, England, Australien und den Vereinigten Staaten.

Ganz billig ist die Ausbildung zum Audio-Engineer nicht. Die Einschreibegebühr beträgt 320 Mark. Für die monatliche Kursgebühr zahlen Sie 445 Mark und die Prüfgebühr beträgt nochmal 150 Mark extra. Die Gesamtkosten belaufen sich immerhin auf stolze 7145 Mark. Etwas billiger kommen die Studio- und Rundfunkassistenten weg: Sie zahlen 180 Mark Aufnahmegebühr und »nur« 295 Mark im Monat. In den Preisen sind Lehrmaterial und praktische Studiozeit bereits inbegriffen.

Lohnt sich die Ausbildung? Betrachtet man die Liste der Absolventen und ihre momentane Anstellung, darf man diese Frage mit einem klaren »ja« beantworten. Ehemalige Studenten arbeiten heute beim Fernsehen, in professionellen Tonstudios, öffentlichen Schauspielhäusern und Filmateliers.

Inzwischen ist es spät geworden. Nach einem letzten Rundgang durch die Räume der SAE verlassen wir das große graue Gebäude und bereiten uns auf eine weitere Irrfahrt vor. Wo ging’s doch gleich wieder zur Hans-Pinsel-Straße in Haar...? (tb)

Unverbindliches Informationsmaterial erhalten Sie bei folgender Adresse:

SAE München, Weißenburger Straße 19, 8000 München 80

An kleineren Geräten lernen die Studenten das Nacharbeiten von Mehrspur-Aufnahmen

EZ-Track ist Public Domain

Der bekannte 20-Spur-MIDI-Sequenzer »EZ-Track« von Hybrid Arts darf seit Mitte Mai 1989 frei kopiert werden. Lesen Sie den Bericht auf den Public Domain-Seiten (Seite 25)! (tb)


Thomas Bosch
Aus: ST-Magazin 07 / 1989, Seite 135

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