Software nach Maß

In einem Projekt zwischen der ETH Zürich und ADI entsteht ein neues Adimens.

Ein rasantes Entwicklungstempo kennzeichnet den Computerbereich. Schnellere Prozessoren, höher auflösende Grafik und immer komplexere Programme verblüffen die Computerwelt in kurzen Abständen. Nicht nur die Technik schreitet in Riesenschritten vorwärts, sondern auch die Benutzung vereinfacht sich immer mehr. Grafische Benutzeroberflächen sind ein großes Schlagwort in diesem Bereich.

Aber ist das wirklich so? Die neue Technik mit der bestehenden zu vergleichen, ist relativ einfach. Eine neue Benutzeroberfläche zu beurteilen dagegen schwer. Ist sie nur optisch ansprechender gestaltet, macht es nur mehr Spaß damit zu arbeiten, getreu dem Motto: Das Auge ißt mit — oder handelt es sich wirklich um eine Vereinfachung? Die Beurteilung fällt schwer, und auch eine grafische Benutzeroberfläche ist kein Allheilmittel, um den Einstieg in die digitale Datenwelt zu erleichtern.

Raimund Mollenhauer von ADI Software lauscht interessiert den Ausführungen von Dr. Spinas, ETH Zürich

Das Bundesministerium für Forschung und Technologie startete ein Forschungsprojekt, um diesen elementar wichtigen Bereich zu verbessern. Ein Team der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich kooperiert dabei mit der Firma ADI Software. ADI Software, im Atari-Bereich bestens bekannt durch die Datenbank Adimens ST, setzt die Vorstellungen des Züricher Teams programmtechnisch um.

Das ETH-Team testet die Benutzeroberfläche, die auf der bewährten Oberfläche von Adimens basiert, mit unterschiedlichen Benutzergruppen. Der eingesetzte Computer protokolliert dabei alle Eingaben, egal ob mit Maus oder Tastatur. Eine Videokamera hält alle Aktivitäten fest, die der Computer nicht erfaßt, wie etwa welche Arbeitsschritte einen Blick ins Handbuch erfordern, ob die Informationen schnell zu finden sind und ähnliches. Die Ergebnisse überraschen manchmal selbst die Arbeitspsychologen der ETH Zürich. Wir sprachen bei einem Besuch der ETH mit dem Leiter des Projekts, Dr. Philipp Spinas. Kurz und bündig formuliert er die Anforderungen an eine menschengerechte Benutzeroberfläche: »Flexibilität, Konsistenz, Individualisierungsmöglichkeiten und Transparenz«.

In einem ausführlichen Gespräch erläutert er Einzelheiten seiner Forschungsarbeit: »Je zufriedener ein Mensch mit seinem Arbeitsgerät ist, desto mehr Spaß macht ihm seine Arbeit und desto mehr leistet er. Eine Benutzeroberfläche darf nicht starr sein, sie muß Gestaltungsspielraum lassen.« Eine einsichtige Begründung.

Es gehört viel Wissen dazu, eine Benutzeroberfläche gut zu gestalten. Gibt es dafür ein Idealrezept? Auch Dr. Spinas verfügt darüber nicht, ein Beispiel verdeutlicht es: »Wir bekamen ein Programm, in dem der Programmierer die Oberfläche nach seinen logischen Vorstellungen aufgebaut hatte. Wir hielten es für günstiger, die Befehle gruppenweise nach Funktionsähnlichkeit zu gestalten. In den Versuchen stellte sich heraus, daß der Anwender auf beides weniger Wert legt als angenommen, sondern sich die am häufigsten angewandten Befehle in der oberen Menüzeile wünscht.«

Je nach Anwendung sind das ganz unterschiedliche Befehle. Aus diesem Grund muß der Anwender in der Lage sein, die Anordnung der Befehls- und Funktionsaufrufe nach eigenen Vorstellungen zu ändern. Keine leichte Aufgabe, weder für den Programmierer, noch für den Autor des Handbuchs, das sich oftmals genau nach der Menüstruktur richtet. Arbeiten mehrere Anwender mit demselben Programm, müssen sich ihre Einstellungen speichern lassen und bei Bedarf abrufbar sein.

Wir wollten von Dr. Spinas wissen, wo die häufigsten Fehler gemacht werden: »Viele Firmen entdecken jetzt Farben als zusätzliches Kommunikationsmittel.« Damit lassen sich Befehlsgruppen her-ausstellen, Zustände wie Minus- oder Pluswerte markieren. Zuviel Farben schaden aber mehr als sie nutzen. »Wir bekamen schon Programme zur Beurteilung, mit 16 Farben auf dem Bildschirm. Das gleicht einem Perserteppich und verwirrt den Anwender völlig. Nie mehr als fünf, deutlich unterscheidbare Farben sollten gleichzeitig auf dem Bildschirm zu sehen sein.« Dabei ist die richtige Kombination wichtig. Gut unterscheidbare Kombinationen, sogenannte Komplementärfarben, sind Gelb-Blau, Rot-Grün und Schwarz-Weiß. Oftmals wirkt die Darstellung überladen.

Zuviele Daten bekommt der Anwender auf einer Bildschirmseite präsentiert. Das Auge muß schnell Orientierungspunkte erfassen können. Dabei ist die konsistente Plazierung gleicher Aussagen wichtig. Gleiche Daten, beispielsweise Name und Adresse, müssen immer an derselben Bildschirmposition erscheinen.

Wichtig ist für den Anwender die Durchschaubarkeit des Systems. Zu jeder Zeit muß er, laut Professer Nierergelt der ETH, auf folgende Fragen schnell Antwort bekommen: Wo bin ich? Was kann ich hier tun? Wie kam ich hier hin? Wo kann ich hin und was kann ich dort tun?

Das schafft Vertrauen in den oft als undurchschaubaren Zauberkasten erscheinenden Computer. Genauso hilfreich ist eine »Leerlauffunktion«. Der Benutzer erforscht dabei die Menüstruktur, löst aber keine Funktionen aus.

Grafisch orientiert arbeitende Computer, wie ein Atari ST, bieten großen Spielraum, um diese Erkenntnisse zu nutzen. Je mehr Spielraum verfügbar ist, desto mehr Fehlerquellen sind allerdings auch vorhanden. Dr. Spinas: »Die Programme sollten dem Anwender die Wahl lassen zwischen Maus- und Tastenbedienung.« Dabei sollten sich die Tastaturbelegungen für die Befehlsaufrufe frei definieren lassen. Für einen Anwender mit großen Händen ist eine andere Belegung notwendig wie für jemanden mit kleinen Händen.

Eine der Denkzentren Europas: ETH Zürich

Grafiken sind nicht immer notwendig und oftmals als eine optische Spielerei eingesetzt. In manchen Fällen sind sie aber wesentlich schneller aufzunehmen, als Text- oder Zahlendarstellung. Dr. Spinas gab uns dazu ein Beispiel: »In einer Firma überwachte ein Mitarbeiter einen Produktionsvorgang auf einer Maschine. Wurde ein bestimmter Grenzwert überschritten, mußte er sofort reagieren. Die bisher verwendete Zahlendarstellung war ungeeignet. Nicht der Wert als solches war wichtig, sondern eine Tendenz festzustellen und eine Überschreitung zu melden. Eine Kurve, die sich auf eine Grenzlinie zu bewegt, hat sich bewährt.«

Wer erfahren ist im Umgang mit einem Computer, wer die Abläufe genau kennt, nutzt ihn effektiver. Ein großer Kritikpunkt ist die Bestätigung der Eingabe. Bei einem Personal Computer weiß der Benutzer, ob sein Befehl zum Speichern des Textes auf die Disketten ausgeführt wurde. Das Laufgeräusch ist hörbar.

Anders beim Arbeiten mit einer Festplatte oder gar einer RAM-Disk. Kann der Anwender sein eben benutztes Programm verlassen, um vielleicht eine gerade gezeichnete Grafik in Ist Word Plus zu laden oder nicht? Das fehlerfreie Speichern der Grafik meldet das Zeichenprogramm nicht. Wer sicher gehen mochte, prüft die Datei, indem er sie vor dem Verlassen des Programms noch einmal lädt und ansieht.

Die Bestätigung der Eingabe wäre für einen erfahrenen Benutzer oftmals hilfreich, für einen unbedarften Benutzer, der nicht weiß, was das kleine, flackernde Lämpchen an der Festplatte signalisiert, unabdingbar. Wichtig sind dabei gleiche Antwortzeiten. Wer glaubt, daß eine Wartezeit von zwei Minuten auf die Antwort des Computers mit einer kurzen Verschnaufpause gleichzusetzen ist, irrt völlig. Der Benutzer reagiert auf die vermeintliche Pause mit verstärkter Anspannung, er befindet sich im Unklaren über den Vorgang. (hb)


Horst Brandt
Aus: ST-Magazin 03 / 1989, Seite 12

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