Computer, MIDI und Musik: Köln, das Mekka der Computer-Musik

Unter dem Motto »Mensch-Maschine-Kommunikation« fand in Köln die 14. Internationale Computer-Musik-Konferenz (ICMC) statt. Diese bedeutende internationale Tagung wird jährlich von der »Computer Music Association« (CMA) ausgerichtet und war erstmalig in der Bundesrepublik zu Gast. Sie dient dem wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Austausch in den Bereichen Musik, musikalische Informatik und Computertechnologie. Eine Gruppe von Musikern, Informatikern, Ingenieuren, Studenten und Interessierten, die sogenannte Gimik e.V. (Initiative Musik und Informatik Köln), organisierte die Konferenz mit großem Engagement. Die Gimik-Gruppe verfolgt das Ziel, in Köln ein Institut für Computermusik aufzubauen. Dieses Institut soll Forschungsaufgaben im Bereich der Computer-Musik übernehmen und entsprechende Konzerte, Workshops, Vorträge und Konferenzen organisieren und ausrichten. Gimik hat diese Ziele mit der Organisation der 14. ICMC bereits zum Teil realisieren können. So gliederte sich die Konferenz in eine Fachmesse mit Produkt-Demonstrationen (EXPO), in ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Konzerten sowie in Fachvorträge und Diskussionen. Der überwiegende Teil der Vorträge hatte gemäß dem Hauptthema der Konferenz den interaktiven Computereinsatz bei musikalischen Darbietungen zum Inhalt. Als weitere Themenbereiche standen die computerunterstützte Komposition und Analyse, die algorithmische Improvisation und die digitale Klangerzeugung auf dem Konferenzprogramm. Dabei fiel auf, daß sich sowohl im Bereich der wissenschaftlichen Forschung wie auch bei der praktischen Anwendung ein Trend weg vom Großrechner hin zu den kleinen leistungsfähigen Personal Computern abzeichnet. Da sehr viele musikalische Anwendungen natürlich auf die MIDl-Schnittstelle angewiesen sind, verwundert es nicht weiter, daß einige interessante Lösungen für Atari ST-Computer präsentiert wurden. Als besonders herausragendes Beispiel sei hier das von Peter Beyls vorgestellte System »OSCAR« genannt. Dieses am Institut für Künstliche Intelligenz der Universität Brüssel entwickelte Programm simuliert das Verhalten eines Musikers. OSCAR dient als Partner bei einem Konzert, er (oder sie?) »hört« musikalische Informationen (Melodien, Rhythmen etc.), verarbeitet diese nach bestimmten Kriterien und erzeugt eine neue eigenständige Musik. Man könnte das System als autonomen improvisationsfreudigen Musiker verstehen, der nach der Beschreibung von Peter Beyls einen »individuellen«

Gehobenes Niveau

Charakter besitzt. So ist es in einer Live-Performance durchaus denkbar, daß sich OSCAR durch die eintreffenden musikalischen Informationen nicht ausreichend »stimuliert« fühlt und deshalb auf selbständige Aktionen verzichtet. Insgesamt zeichneten sich die Vorträge und Diskussionen durch ein wissenschaftlich anspruchsvolles Niveau aus, die rege internationale Beteiligung bewies die große Bedeutung der Computermusik in der aktuellen Diskussion. Für ein breiteres Publikum war jedoch vor allem die Fachmesse in den Räumen der Industrie und Handelskammer Köln (IHK) von Interesse. Dort stellten einige wichtige Firmen der Computertechnik- und Musikelektronik-Branche ihre Produkte aus. Das durchgängig digital arbeitende Mischpult zur Nachbearbeitung von Masterbändern am Stand der Firma Siemens/ Neve erlaubte jedem Interessierten einen Einblick in die modernste Technologie der Audio-Signal Verarbeitung. Siemens/Neve stattete unter anderem die Studios des WDR in Köln mit zwei großen digitalen Mischpulten aus. Der eindeutige Schwerpunkt der EXPO lag im Bereich MIDI-Software. Einige führende Hersteller und Vertriebsfirmen für MIDI-Hard- und Software hatten sich in Köln versammelt, um wichtige Anwendungen und ein reichhaltiges MIDI-Equipment vorzustellen, »mev München« führte zum Beispiel an einem Apple Macintosh mit großem Bildschirm die Partiturherstellung in einer ausgezeichneten Qualität vor. Die Demonstration eines MIDI-Mikrofons, das Sprache oder Gesang in MIDI-Daten übersetzt, fand große Beachtung. Außerdem war die in Deutschland noch nicht so gut bekannte MIDI-Software von Intelligent Music, Passport und Dr.T’s zu bewundern. Die meisten Firmen hatten sich jedoch unter dem großen, blau-weißen Atari-Himmel versammelt. C-Lab, Hybrid Arts und Steinberg zeigten ihre ausgezeichneten Sequencer-Programme, Notendruck-Software und Soundeditoren.

Synthesizer-Show

Hybrid Arts präsentierte sein neues ADAP II, ein digitales Maste-ring System, das mit einem Mega ST und genügend großen Festplatten die digitale Speicherung von Musik in CD-Qualität erlaubt. Sinnvoll einsetzen läßt sich das System vor allem zur Nachbearbeitung von Masterbändern auf der digitalen Ebene. Dank der digitalen Speicherung treten beim Kopieren, Verschieben und Löschen von Teilen einer Aufnahme keine Qualitätsverluste mehr auf. Neben der Musiksoftware stellte die Universität Osnabrück am Atari-Stand ein Lernprogramm zur Gehörbildung vor. Das vor allem auf große Interaktions-Fähigkeit ausgerichtete Programm demonstrierte sehr anschaulich die Leistungsfähigkeit der von der CAMI-Group Osnabrück entwickelten Autorensprache CAMI-Talk. Sie eignet sich vor allem für die Entwicklung von interaktiven Tutorials. Als kleines Kontrastprogramm war eine Ausstellung alter Synthesizer zu bewundern. Dabei wurde manche Erinnerung an das vor-digitale Zeitalter der Musikerzeugung wach. Als kleine Attraktion waren sogar einige automatische Musikinstrumente aus dem Anfang dieses Jahrhunderts zu bestaunen. Vor allem der selbstspielende Flügel (nach dem Welte-Mignon Prinzip) erregte die Aufmerksamkeit der Besucher. Dieser Flügel ist in der Lage, auf Papierrollen gespeicherte Klaviermusik so wiederzugeben, wie sie der Pianist eingespielt hat. Ihre Abrundung erfuhr die ICMC durch den dritten Schwerpunkt, das umfangreiche Konzertprogramm. An fast allen Veranstaltungstagen fanden mittags und abends Konzerte mit Tonbandmusik, Solisten und sogar »Live«-Kompositionen statt. Große Namen wie Paul Lansky mit »Just more Idle Chatter« oder John McGuire mit »Vanishing Points« bewiesen einmal mehr, wie lebendig und musikalisch intelligent Elektronik und Computer heute in den Prozeß des Musikmachens einzubinden sind. Aber auch gegenteilige musikalische Eindrücke waren nicht zu überhören. Andre Werners »Canti Muti« zum Beispiel rief bei etlichen Zuhörern neben Ohrenschmerzen auch das Gefühl hervor, daß die schöne laute Welt der elektronischen Klänge zu gehaltvolleren musikalischen Aussagen fähig sein müsse. Insgesamt kann man der Gimik-Initiative zu ihrer Leistung gratulieren. Trotz kleiner organisatorischer Schwächen war die ICMC in Köln eine gelungene Veranstaltung. (W. Fastenrath/hb)


Wolfgang Klemme
Aus: ST-Magazin 12 / 1988, Seite 142

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