Er in überarbeitetes »1st Word plus« kommt in diesen Tagen in den Handel. Wir konnten als erste einen Blick auf die Beta-Testversion werfen.
Als die ersten Seriengeräte des Atari ST im Sommer 1985 Eingang in die Computerläden fanden, sah es mit brauchbarer Software recht bescheiden aus. Wer dennoch für viel Geld diese unglaublich schnelle Wundermaschine mit der Maus schon in den Anfangszeiten sein eigen nannte, der mußte in puncto Textverarbeitung zunächst auf »SM-Text« setzen. Das war die unglückliche Übertragung eines kaufmännischen Textverarbeiters auf den ST. Gänzlich ohne GEM-Elemente, merkte man beim Schreiben nichts mehr von denjenigen Features, die den Atari interessant machten: die Maus, die GEM-Fenster und diese praktischen Menüs zum Herunterklappen. So mutete es fast als ein geschickt plaziertes Weihnachtsgeschenk an, als Atari-Deutschland und GST die erste Version von »1st Word« passend zum Fest auf den Markt brachten. Immerhin, jetzt wußte man, warum es sich gelohnt hatte, einen Atari ST zu kaufen.
Denn dieses neue Textsystem war so einfach zu bedienen, wie noch kein vergleichbares Programm zuvor. Alle Textattribute — wie die fette oder kursive Schrift — sah der Anwender schon auf dem Bildschirm in ihrer endgültigen Form. Gleiches galt für die Sonderzeichen, Einrückungen und alle Formatierungsbefehle: Die so schwierig auszusprechende Abkürzung WYSIWYG für »what you see is what you get« war in aller Munde. Die klare und logische Programmkonzeption ermöglichte auch, einem Computerlaien die Grundzüge der elektronischen Texterfassung in kürzester Zeit vor Augen zu führen. Ohne Steuerzeichen, schwer erlernbare Tastaturkürzel und Computerkauderwelsch war 1st Word einfach das Programm, mit dem man sofort loslegen konnte.
Viele Anwender wollten jedoch mehr. Zum Beispiel eine Trennhilfe, verschiedene Schriftarten und Grafiken im Text. Das englische Softwareteam aus Cambridge kam diesen Wünschen und Anregungen nach kurzer Zeit nach. Anfang 1987 hieß das erweiterte 1st Word nunmehr 1st Word plus. Geblieben war die einfache und logische Bedienung, hinzu kamen jedoch eine ganze Reihe von Funktionen, die aus dem puristischen Texteditor ein durchaus anspruchsvolles Textsystem machten. Es wäre müßig, den Funktionsumfang von 1st Word plus näher zu erläutern. Bei 25000 verkauften Exemplaren allein in Deutschland und unzähligen Raubkopien dazu, kennt fast jeder ST-Besitzer dieses Standardprogramm. Intim-Kenner der »Szene« behaupten, erst 1st Word plus habe dem ST auf die Beine geholfen.
Nun schien es Anfang dieses Jahres so zu sein, daß GST die Weiterentwicklung von 1st Word plus nicht mehr mit der Kraft und Energie betrieb, die zuvor den Sprung von 1st Word zu Word plus möglich gemacht hatte. Eine nur geringfügig veränderte Version 2.02 schien das allmähliche Ende weiterer Innovationen anzudeuten. Kein Wunder, schließlich war GST mit einem Desktop Publishing-Programm namens »Timeworks« vollauf beschäftigt. Als dieses fertiggestellt war, sprach jedoch nichts mehr dagegen, dem Verkaufshit 1st Word plus erneute Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Wir haben kurz vor Redaktionsschluß ein neues 1st Word plus, Version 3.11, erhalten. Dabei handelt es sich um eine Beta-Testversion, die noch nicht in allen Punkten der in Zukunft ausgelieferten Fassung entspricht. In unserem Testlabor erwies sich der Proband dennoch als äußerst zuverlässig und gutmütig arbeitender Texteditor, der gegenüber dem alten 1st Word plus eine ganze Reihe neuer Funktionen bietet. Die wollen wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Bühne frei für ein neues 1st Word plus!
Gleich nach dem Start unseres Testexemplars fielen vier Veränderungen sofort auf. Zunächst ein langsam blinkender Cursor, der die starre Lichtmarke ersetzt. Dann eine geänderte Menüleistenbeschriftung, die Neuerungen bereits andeutet. Und schließlich wurde jenes undefinierbare Symbol von der rechten zur linken Seite versetzt, das zum Anzeigen des gerade aktuellen Zeilenlineals dient. Neugierig geworden, bewegten wir den Cursor in Richtung der Pull-Down-Menüs. Als das erste herunterklappte, bestätigte sich das Gerücht, das neue 1st Word plus werde fakultativ auch mit Tastaturkürzeln zu steuern sein. Nahezu jeder Menüpunkt läßt sich jetzt in Verbindung mit der Control- oder Alternate-Taste aufrufen. Die verwendeten Abkürzungen entsprechen nicht der Wordstar-Konvention, und das ist auch gut so. Mit ein wenig Assoziationsvermögen wird man sich CTRL-O für das Öffnen einer Datei oder Alternate-S/E für Start und Ende einer Blockmarkierung einprägen. In jedem Fall haben die Vielschreiber am meisten davon. Sie ersparen sich den Griff zur Maus und können damit schneller und effektiver arbeiten.
Die eigentlichen Editorfunktionen behielten die 1st Word-Macher weitgehend bei. Allerdings ist jetzt ein Blättern im Text mit der Control- und den Cursortasten möglich. Last not least wurde die Funktionstastenbelegung leicht modifiziert. Die Tasten F4 und F5 dienen jetzt dazu, ein Zeichen hoch- oder tiefzustellen, die alten Belegungen rücken dementsprechend ein Stück weiter nach rechts.
Gründlich überarbeitet wurden die Blockoperationen. Ließen sich früher nur ganze Zeilen mit der Maus als Textblock markieren, so ist es jetzt ein leichtes, einige Wörter, mehrere Sätze oder große Abschnitte auf den Buchstaben genau als Block zu kennzeichnen. Eine längere Betätigung der linken Maustaste leitet die Blockmarkierung nach wie vor ein. Dann wird aber der markierte Bereich invertiert hervorgehoben und es lassen sich wahlweise ganze Zeilen oder einzelne Buchstaben exakt dem gewünschten Textblock zuordnen. Dies ist eine echte Verbesserung, die das genaue Verschieben und Kopieren von Blöcken leichter und schneller macht.
Irritiert mußten wir feststellen, daß ein Menü »Block löschen« gänzlich fehlt. Diese Aufgabe soll offensichtlich das »Ausschneiden« erledigen. Der markierte Block wird in einen Puffer geschrieben und verschwindet an seiner alten Position. Will man den Block gänzlich löschen, so beläßt man es beim Ausschneiden. Fügt man den Textausschnitt an einer anderen Stelle ein, holt man ihn mit »Einkleben« wieder zurück. Für den fehlenden Eintrag entschädigen drei neue Menüpunkte, die eine Art Ablageverwaltung darstellen. Viele Anwender von »Adimens ST« kennen bereits das »Clipboard«. Etwas Ähnliches ist nun auch für 1st Word plus vorgesehen. Wenn Sie einen Textbereich markiert haben, sind Sie in der Lage, diesen in der Ablage zu speichern. 1st Word plus legt dazu einen Ordner namens »CLIPBRD« auf Diskette an. Den Text legt es zweifach ab. Einmal im 1st Word plus-Format mit Textattributen und zum anderen im reinen ASCII-Code. Der Pufferinhalt läßt sich von der Ablage an jede Stelle im Text einfügen. Bei Bedarf hängt es sogar einen weiteren Block an die schon bestehende Ablagedatei an. Dies ist praktisch, um mehrere Abschnitte eines alten Dokuments zu einem neuen zusammenzufügen. Schön wäre es, wenn sich noch die Zeit zum Ablegen eines Puffers auf Diskette verkürzte. Da haperte es noch mit unserer Betaversion.
In den Versionen 1.89 und 2.02 des alten Word plus trat bisweilen der merkwürdige Effekt auf, daß eine Datei mit Fußnoten nach dem Laden regelrecht »zerstückelt« auf dem Bildschirm erschien. Darüber haben wir berichtet. GST hat den dafür verantwortlichen Fehler im Programmcode ausgemacht. Ob die gefundene Lösung tatsächlich ein zuverlässigeres Arbeiten garantiert, konnten wir in unserem Betatest noch nicht ohne weiteres verifizieren. Schließlich trat der Fußnotenfehler nur höchst selten auf. Wir haben dennoch insbesondere die Fußnotenverwaltung von 1st Word plus 3.11 umfangreichen Belastungsproben unterzogen, die der Testkandidat ohne Mühe überstand. Erst im Dauertest über Monate hinweg wird sich zeigen, ob GST bei der Fehlersuche erfolgreich war.
Sehr lobenswert ist eine kleine aber hilfreiche Verbesserung in diesem Programmteil. Es ist jetzt nämlich erlaubt, eine Offset-Ziffer anzugeben, von der an die Anmerkungen durchgezählt werden. Dies ist immer dann erforderlich, wenn ein größeres Dokument sinnvollerweise in mehreren Teile auf Diskette oder Festplatte vorliegt. Damit können Sie jetzt ihren Anmerkungsapparat dennoch einheitlich durchnumerieren.
Wenn auch in dem neuen 1st Word plus viele Funktionen deutlich verbessert wurden, so gibt es doch einige Kleinigkeiten, die noch immer stören. Es ist zum Beispiel ein bekanntes Phänomen, daß die Trennhilfe bei Wörtern in Anführungszeichen versagt. Dieser Fehler trat auch in unserer Betatestversion auf. Weiterhin behandelt das bisherige 1st Word plus beim wortweisen Löschen und bei der Rechtschreibprüfung getrennte Wörter, als seien die beiden Hälften eigene Wörter. Dieser unschöne Effekt wurde nur beim Spelling-Checker beseitigt.
Apropos Spelling-Checker. Die Rechtschreibkontrolle war nie ein besonderer Pluspunkt dieses Textverarbeiters. Störte in der Version 1.89 die Auswahlbox zum Hinzufügen eines neuen Wortes, so kritisierten viele Anwender an der Version 2.02 die unglaublich lange Ladezeit des Lexikons. Hier sind jetzt Veränderungen zum Zuge gekommen, die das Überprüfen der Texte auf Rechtschreibfehler zu einem wahren Vergnügen machen. Zum einen dauert es nur noch erträgliche 120 Sekunden, bis das mitgelieferte Lexikon im Speicher steht. Die nervtötende Zeit zum Dekomprimieren der Datei entfällt gänzlich. Zum anderen geht die eigentliche Prüfung des Textes mit Hilfe der Tasten Escape und Alternate-O äußerst effektiv vonstatten. Die erste bewirkt den Sprung des Cursors zum nächsten unbekannten Wort, die zweite die Aufnahme dieses Wortes in das Lexikon, sollte es richtig geschrieben sein. Dies alles geht mit einiger Übung unglaublich schnell. Und selbst die getrennten Wörter werden jetzt, wie bereits erwähnt, korrekt behandelt.
Ein oft gehörter Verbesserungsvorschlag ist leider nicht aufgegriffen worden. Es wäre sinnvoll und wünschenswert, ließen sich bestimmte Sonderzeichen aus dem Setzkasten auf eine Taste legen. Man denke etwa an naturwissenschaftliche oder fremdsprachliche Arbeiten, bei denen man einen erweitertem Zeichensatz benötigt. Um beim Erfassen derartiger Dokumente nicht immer auf den Setzkasten zugreifen zu müssen, läge es nahe, den numerischen Ziffernblock in Verbindung mit der Control-Taste zur freien Belegung vorzusehen. Programmtechnisch wäre dies am einfachsten durch eine erweiterte Info-Datei auf der Diskette zu realisieren. Schon jetzt werden in einer Datei namens »Word plus.INF« die wichtigsten Standardwerte zum Seiten-und Zeilenaufbau und zu den Dateipfaden gespeichert. Dies erspart in Zukunft die lästige Handhabung der »Formats«-Ordner und -Dateien. Leider fehlt noch immer ein veränderbarer Standardwert für die Trenntiefe, der sich ebenfalls in dieser Infodatei ablegen ließe.
Bekanntlich gestattete 1st Word plus bisher nur den Ausdruck eines Dokumentes mit jeweils ganzen Zeilenabständen. Dies wurde oft kritisiert. Die derzeit favorisierte Alternative von GST besteht darin, im Menü »Seitenformat« das Umschalten von normalem zu anderthalbfachem Zeilenabstand vorzusehen. Dann ändern sich die Layout-Voreinstellungen (Papierlänge etc.) automatisch mit. Ein zusätzlicher Befehl im Druckertreiber schaltet auf den neuen Abstand um. Diese Lösung gestattet es allerdings nicht, in einem Dokument die Zeilenabstände 1,0 und 1,5 zu kombinieren. Besser wäre es, wenn sich der anderthalbfache Abstand im jeweiligen Zeilenlineal einstellen und mit anderen Abständen kombinieren ließe. Dazu müßte man auch die Routine zur Berechnung des Seitenumbruchs modifizieren.
In der Zeilenlinealbox befindet sich nun auch ein Button »Proportionalschrift«. Leider ist die korrekte Ausgabe von proportionaler Schrift im Blocksatz noch nicht vorgesehen. Vielmehr wird lediglich mit diesem Schalter der Blocksatz ausgeschaltet und ein Befehl zum Umschalten auf die Proportionalschrift an den Drucker gesendet. Auch findet auf dem Bildschirm kein neuer Zeilenumbruch statt, der sich nach der tatsächlichen Buchstabenbreite richten müßte.
Hier und in anderen Punkten wäre es wünschenswert, wenn die Konzeption eines neuen 1st Word plus noch einmal überdacht würde. Dies gilt vor allem auch für ein Ärgernis, das unseres Erachtens das derzeitige Hauptproblem von 1st Word plus darstellt. Es sind die ausgesprochen langen Ladezeiten für umfangreichere Dokumente. Kaum ein anderes Programm benötigt so viel Zeit, um den Text von der Diskette zu holen.
Das letzte Wort über 1st Word plus ist allerdings noch nicht gesprochen. Nach Auskunft von Atari wird die uns vorliegende Betaversion in jedem Fall noch einmal überarbeitet. Insgesamt gesehen wurde der Klassiker 1st Word plus schon jetzt durch die hier beschriebenen Verbesserungen deutlich aufgewertet. Insbesondere zeigen viele Details, wie etwa die Fähigkeit, Kopf- und Fußzeilen für die erste Seite zu unterdrücken oder die Wahl zwischen Einzelblatt und Endlospapier im Druckmenü, daß man in Cambridge um die Erweiterung des Funktionsumfanges nach oben bemüht ist. Daneben ist es allemal ein gutes Zeichen, daß GST und Atari offensichtlich wieder Interesse zeigen, den Wünschen und Vorschlägen der Anwender nachzukommen. Gegenüber einem rundum erneuerten 1st Word plus 3.xx wird es die Konkurrenz in Zukunft sehr schwer haben. (uh)