Größer, bunter, schöner: Zweiter Teil unseres Berichtes zur Atari-Messe

Die größte Atari-Messe der Welt nahm in Düsseldorf ein rekordbeladenes Ende: Eine Rekordzahl an Ausstellern drängte sich auf einer Rekord-Ausstellungsfläche von 4000 m2, um den Besucherrekord durch die schmalen Gänge der Messehallen 1 und 2 zu schleusen. Auch das Team des ST-Magazins war für Sie unter den weit mehr als 30000 Besuchern und sammelte alle wichtigen Neuvorstellungen, Ereignisse und Eindrücke.

Die Software gab auf der »Atari 88« den Ton an. Ausländische Firmen aus Großbritannien und Holland unterstrichen die internationale Bedeutung der Messe. Zahlreiche MIDI-Stände belegten die starke Präsenz des ST im Musikbereich.

Brandheiße Nachrichten gibt es über die Anwendungssoftware zu berichten.

Die für Vielschreiber wichtigste Nachricht stammt diesmal von Atari selbst: In diesen Tagen kommt »Ist Word plus Version 3.0« auf den Markt, die die Version 2.02 ablöst. Erfreulicherweise konnte der englische Hersteller GST jene verhängnisvolle Macke aufspüren und beseitigen, die zu zerstückelten Textdateien bei einigen Anwendern führte. Daneben liegen die Verbesserungen eher im Detail. So sollen endlich die wichtigsten Menüpunkte auch mit Tastaturkürzeln erreichbar sein. Nach Auskunft von Atari-Softwarechef Herrn Lehmann ist Ist Word plus Version 3.0 datenkompatibel zur bisherigen Version 2.02.

Der kleine Umrüstsatz von Eickmann macht aus dem SM 124 einen Multisync-Monitor

Auch Data Becker wartete mit Neuigkeiten zum Thema Textverarbeitung auf: »Beckertext 2.0« heißt das jüngste Kind aus dem Düsseldorfer Softwarehaus. Die neue Version wurde um eine Fußnotenverwaltung sowie ein Accessory zur Gestaltung großer Überschriften erweitert.

Beckertext 2.0 zeigt alle Grafiken schon auf dem Bildschirm und erlaubt die Verwendung von bis zu zehn Zeichensätzen. Die beiden Aufsteiger (?) in die Atari-Oberliga, Star-Division und WordPerfect,— waren auf der Messe übrigens nicht vertreten.

Ganz anders hingegen bei Computertechnik Kieckbusch. Hier hatte man dafür gesorgt, daß der jugoslawische Programmierer von »Steve« auf der Messe die Version 3.0 vorführte. Zahlreiche Desktop Publishing-Funktionen konnte man bereits begutachten. Aber Jakopin ist noch nicht ganz zufrieden. Er will eine »erstklassige Schrifterkennung« integrieren, für die er noch etwas Zeit benötigt.

Die neue, angenehme Art, den Atari ST zu bedienen, heißt bei Computerware Gerd Sender »Neodesk« und kostet 89 Mark. Dieses Programm ersetzt das Desktop und bietet neben einigen neuen Funktionen auch trickreiche Details. So wird etwa die Anzahl der nebeneinander dargestellten Icons auf die Breite des geöffneten Fensters abgestimmt. Mit einer Suchmaske zeigt Neodesk der Übersicht halber nur Dateien mit einer wählbaren Extension an. Programme lassen sich mittels eines Icons auf den Bildschirm ablegen und von dort direkt starten.

Der ST im Videostudio mit dem neuen Genlock-Interface von Print Technik

Daneben bietet Neodesk eine Reihe nützlicher Hilfen, die man im Original-Desktop vergeblich sucht. Dazu gehören Batch-Dateien und die Tastenbedienung aller Menüs.

Strahlende Gesichter waren bei Victorsoft zu sehen. Mit den Verkaufszahlen von »1st Address« ist Oliver Victor zufrieden und denkt an eine erweiterte Version mit dem obligaten Plus dahinter. Diese Dateiverwaltung soll es dann sogar mit »Adimens ST« aufnehmen können. Das Ergebnis wird mit Spannung erwartet. Adimens ST erscheint in diesen Tagen übrigens in der Version 2.3 bei Atari.

Einen echten Leckerbissen für alle Musik-Fans hielt »Tommy-Software« aus Berlin bereit: »Soundmachine« ist ein dreistimmiger Digital-Synthesizer, der keine weitere Hardware benötigt. Wer bereit ist, für die Musik etwa 50 Prozent der Rechenzeit des ST zu opfern, entlockt dem ST digitalisierte Musik hoher Qualität. Sie läßt sich in alle gebräuchlichen Programmiersprachen einbinden. Inklusive Drum-Editor kostet Soundmachine 148 Mark.

Im Gegensatz zum letzten Jahr waren auch die professionellen Musiker stark vertreten. Neben den führenden MIDI-Anbietern Steinberg, C-Lab und Hybrid Arts, zeigten sich auch eine große deutsche Musikzeitschrift sowie MIDI-Clubs mit eigenen Ständen präsent. Mittlerweile gibt es sogar ein Netz von MIDI/Synthesizer-Mailboxen in Deutschland.

Auf dem Stand von Finke demonstrierte Stefan Stoske sein neues Grafikpaket, während uns GFA Systemtechnik die Highlights hinter verschlossenen Türen präsentierte...

Auch Stefan Stoske richtet sich mit seinem Mammutprojekt »Computer Aided Graphics« an die künstlerisch interessierten Anwender. CAG ist ein Grafiksystem, das alle Funktionen besitzen soll, die bei der Verarbeitung von Grafik an fallen. In der Tat besitzt CAG über 1200 Funktionen aus den Bereichen Malen, technisches Zeichnen, Effektmanipulation, Textsatz, Schriftmanipulation und Schrifterkennung. Eine kurze Vorführung bestätigte, daß es sich bei CAG um eines der interessantesten Programme der Messe handelte. CAG kostet 698 Mark und wird ab November mit einem 800 Seiten starken Handbuch ausgeliefert. Für 149 Mark liefert Stoske außerdem »Graphbase«, eine assoziative Bilderdatenbank, die nach Stichworten Grafiken sucht.

Software für den ST auf CD-ROM; Die erste Disk für Ataris CD-Player

Datenkompatibilität zwischen PC und ST hieß das Motto von zwei Ausstellern. Sowohl der »V-Manager« für Versicherungsagenturen als auch »Fibu-man« zur Finanzbuchhaltung liegen nun in erweiterter Fassung für MS-DOS und GEM/ TOS vor. Zwischen den beiden Computern läßt sich der Datenbestand via Diskette problemlos austauschen und weiterverarbeiten.

»Time is money«

Die Firma C.A.S.H. zeigt den großen Bruder ihres Buchführungsprogrammes »Time is money«. Die bisher fehlende Bilanzierungsfunktion besitzt nun TIM LI. Neben Bilanz- und Gewinn- und Verlustrechnung verarbeitet TIM II die Eingabe eines Privatanteils beim Buchen und die Angabe eines Steuerschlüssels bei der Benennung von Gegenkonten.

Die »Atari-Bibel« ist mittlerweile zwei Kilo schwer und 988 Seiten dick: Das »Atari ST Profibuch« aus dem Sybex-Verlag erschien auf der Messe in neuer Auflage, die bereits auf TOS 1.4 eingeht.

Eine Neuauflage erlebte auch der Schlagabtausch zwischen GFA und Omikron. Während Ataris Omikron-Basic 3.0 mit Handbuch für 10 Mark zu haben war, ließ es sich GFA nicht nehmen, sein Basic der Version 2 eine Mark billiger anzubieten.

Knupe GmbH aus Dortmund stellte ihr neues »PCB-Layout« für zweiseitiges Platinenlayout vor. PCB-Layout verarbeitet Platinengrößen bis zu 300 x 200 Millimeter, besitzt aber keinen Auto-Router. Dank der Auflösung von 1/zo Zoll läßt sich zwischen zwei IC-Pins auf jeder Seite noch eine Leiterbahn legen. Das CAD-Programm kostet 298 Mark.

Eine Vorversion von »Dyna-CAD« zeigte DMC. Das schnelle 2D- und 3D-Programm kostet 2298 Mark und unterstützt auch Großbildschirme.

»Mirage«, ein Multitasking-Betriebssystem, war nun auch in einer Farbversion zu sehen. Die Mirage-Programmierer und APL-Spezialisten von GDAT zeigten außerdem eine Finanzbuchhaltung für Filmproduktionen.

Aladin lebt! Wer den Macintosh-Emulator nach der juristischen Intervention von Apple bereits totgesagt hatte, mußte sich in Düsseldorf eines Besseren belehren lassen. Dort präsentierte die niederländische Firma »Softpaquet« den Aladin 2.1. Für 600 Mark bekommt man den Emulator samt original Macintosh-ROMs, die für den ROM-Port des ST bestimmt sind. Die neue Version unterstützt nun auch Laserdrucker über PostScript, Großbildschirme und bis zu 4 MByte Hauptspeicher. Vielleicht gibt es demnächst sogar einen Aladin, der die Atari-Festplatte ansteuert.

MIDI: Ein Schwerpunkt auf der Messe

MS-DOS-Emulator ade

MS-DOS-Emulatoren hat die Branche offenbar endgültig begraben. Kein Hersteller überbrachte den Atari-Anwendern jedenfalls frohe Botschaft in Form eines funktionierenden Hardware-Emulators. Auch die Frankfurter Beta-Systems ließ die Chance ungenutzt, die mittlerweile erheblichen Zweifel an ihrer MS-DOS-Box »Supercharger« zu beseitigen: Sie war erst gar nicht zur Messe erschienen.

Bisher zwar auch nicht lieferbar, dafür aber zumindest in der Standvorführung zu sehen, waren einige (relativ) neue Atari-Produkte. Wie uns Sam Tramiel erklärte, ist das CD-ROM-Laufwerk schon lange produktionsreif, doch sei momentan zu wenig sinnvolle Software vorhanden. Zum derzeitigen Angebot gehört zum Beispiel das schweizerische Telefonverzeichnis und die Bibel. Zur Messe präsentierte Atari auch ein eigenes CD-ROM, das mit Programmen vollgepackt ist, darunter angeblich auch GFA-Basic und Ist Word Plus. Die Angebots-Situation soll sich bis zum Jahresende verbessern. Zu dieser Zeit will Atari dann auch die ersten Laufwerke ausliefern. Aus der PC-

Familie durfte man den 386er PC5 begutachten. Aufgrund der DRAM-Knappheit sind PCs bei Atari allerdings zur Zeit kein großes Thema. Auch der Transputer entwickelt sich gemächlich. 200 Stück sollen bis November ausgeliefert sein, die Serienproduktion des Standalone-Abbaques beginnt im Januar ’89 in Braunschweig. Völkerverbindend präsentierte sich der Atari-Stand mit der chinesischen Textverarbeitung »Sino-text«, die eine deutsche Universität entwickelte.

Garantiert lieferbar ist das »1st Card«-System von Brauch & Sauter aus Schwenningen. Hinter dem Kürzel verbirgt sich eine ausbaufähige Schnittstellenerweiterung nach dem Baukastenprinzip. Zur angebotenen Schnittstellenpalette gehören neben der RS232 auch ein 24-Bit-Parallel- sowie ein IEEE-488-Interface und AD-DA-Wandler. Während die Basisplatine 300 Mark kostet, sind die Schnittstellen zwischen 150 und 450 Mark zu haben.

Als »komfortable Alternative« zu Ataris Original preist RTS-Elektronik ihre »neue Flachtastatur mit fühlbarem Druckpunkt für alle Atari ST« an. Alte Tastaturen wandern nicht auf den Dachboden, nur die Tasten kappen werden zum Preis von 99 Mark ausgetauscht. Die Flachtastatur verfügt über große Tastenzwischenräume, die eine sichere Dateneingabe gewährleisten sollen. IBP-Gerätebau aus Hannover bietet ihren 19-Zoll-ST jetzt nicht nur in verschiedenen Portable-Versionen mit Monitor an, sondern stattet die Systeme auf Wunsch auch mit einer Einschub-Festplatte aus.

3K Elektronik stellte neben seiner Wechselplatte auch ein Netzwerk vor, das den DMA-Port nutzt. Die Verbindung zweier Arbeitsplätze mit dem Netzwerk kostet etwa 800 Mark.

Die »Atari ’88« war das wichtigste Ereignis für Atari-Anwender in diesem Jahr. Glaubt man der Zufriedenheit der Aussteller, so dürfen wir uns für den nächsten September auf eine rekordverdächtige »Atari ’89« freuen. Nach den Ankündigungen neuer Geräte wird das Publikum noch breiter gestreut sein.

(am/Michael Spehr)

Prämierung: Schulsoftware

Auf der Atari-Messe fanden im großen Forum an allen drei Tagen die Prämierungen der Preisträger des Schulsoftwarewettbewerbs zwischen ST-Magazin und Atari statt. Die Preisträger wurden dem Publikum vorgestellt, die Preise überreicht und die prämierten Programme erläutert.

In einer Diskussion zwischen Vertretern von Kultusministerien, Professoren und Lehrern fand eine Würdigung der Initiative beider Veranstalter und reger Erfahrungsaustausch zwischen den unterschiedlichen Gruppen statt.

Aufgrund der regen Beteiligung bei unserem Wettbewerb für Schulsoftware schließen wir nicht aus, diese Veranstaltung im nächsten Jahr zu wiederholen.

Computergrippe

Die Virenseuche ist ein ernstes und für Anwender oder Softwarehäuser gleichermaßen unerfreuliches Thema. Aus diesem Grund fand auf der Atari-Messe eine Diskussion über Computerviren statt. Die Teilnehmer waren Carsten Kraus von Omikron, Rolf Hilchner von GFA-Systemtechnik, Heinrich-Hermann Huth von Application Systems Heidelberg, Andreas Kraft von GData, Axel Dittes von C’t und Horst Brandl aus unserer Redaktion. Die Leitung hatte der prominenteste Virenforscher Deutschlands, Professor Klaus Brunnstein.

Professor Brunnstein ist Vorsitzender des Lehrstuhls für Informatik an der Uni Hamburg und leitet unter anderem ein Projekt, in dem bekannte Viren untersucht werden.

Nach einer Einleitung von Professor Brunnstein und einer Stellungnahme der Teilnehmer war die Diskussion eröffnet. Auch wenn nicht alle Sprecher aus dem Publikum mit hilfreichen Statements beitrugen, — »Es heißt nicht der Virus, sondern das Virus« — so macht allein die Beteiligung von mehreren hundert Teilnehmern das Interesse an dieser Thematik bewußt.

Der Konsens aus dieser Diskussion: Obwohl es kein Allheilmittel gegen Viren gibt, sollten Sie sich nicht verunsichern lassen.

Wir zogen daraus die Konsequenz, Sie weiterhin über Viren und deren Abwehr zu informieren.

Der älteste Messebesucher....

...war Dipl.-Ing. Othmar Hawelka. Der 72jährige Sachverständige aus Leverkusen interessiert sich sehr für Computer. Da er plant, von seinem MS-DOS-Computer auf den ST umzusteigen, machte er sich auf der Messe ein Bild vom Atari-Markt. Herr Hawelka bedauert, daß nur wenige ältere Menschen den Zugang zur Computertechnik finden. Er glaubt, daß das Computer-Chinesisch, aber auch die Sprache der jüngeren Generation die Hauptschuld an dieser Ausgrenzung trägt.

Lieber Herr Hawelka! Wir hoffen Sie auch auf der »Atari ’89« zu treffen!

Unglaublich, aber wahr...

Eine gute Portion erfrischenden Mutes legte eine Firma aus Bad Soden an den Tag. Sie gab sich als Vertrieb des »Virus Construction Set« zu erkennen und bot es mit dezenten Hinweisen feil: Der gefährlichste Viren-Generator für den ST war für 98 Mark als Version 2.0 zu haben. Das Gegenmittel verkaufte die Firma gleich mit. Das »Virus Filter Set« kostet weitere 98 Mark. Erstaunlicherweise ist dieser Stand von keinem Rollkommando erboster Atari-Anwender heimgesucht worden. Erst nach dem zweiten Messetag verschwanden die Verkaufshinweise.



Aus: ST-Magazin 11 / 1988, Seite 6

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