Digitales Fotolabor: Photo Workstation II

Bilder mit bis zu 256 Graustufen liefert das Programm »Photo Workstation II«

»Photo Publishing« ist ein Schlagwort, das demnächst in aller Munde sein wird. So wünscht es sich zumindest die Göttinger Firma »Computer Photography«.

Einen ersten Beitrag dazu leistet das kleine Softwarehaus mit dem Programm »Photo Workstation II«. Nachdem es auf Heimcomputern keine »effektiven Techniken der foto-digitalen Bildverarbeitung« gebe, soll die »Photo Workstation II« auf jedem ST mit mindestens 1 MByte Arbeitsspeicher nun für einen Durchbruch sorgen.

Das Programm erfordert in der Grundversion einen Schwarzweiß-Monitor und verarbeitet intern bis zu 256 Grauwerte mit einer Auflösung von 640x400 Bildpunkten. Eine weitere Version unterstützt den Betrieb mit einem Farbmonitor.

Zur Zielgruppe gehören nicht nur Desktop Publishing-Anwender, die ihre Computergrafiken der Fotoqualität ein Stückchen näher bringen wollen: Besonders das Interesse der Hobby-und Profifotografen hofft »Computer Photography« zu wecken, denn ein »Fotolabor-Simulator« ist Teil der Photo Workstation II.

Computer Photography liefert das Programm auf einer einseitigen, nicht kopiergeschützten Diskette aus. Die Dokumentation besteht aus einem 30seitigen, DIN A5 großen Handbuch, dessen marmorierter und in Leinen gebundener Kartoneinband ein eigenes Flair vermittelt. Auf der Programmdiskette befinden sich neben dem Hauptprogramm noch zwei Bilddateien.

Die eigentliche Photo-Workstation II ist nur 57 KByte lang und wurde in C und Assembler verfaßt. Der Autor, ein promovierter Physiker, beschäftigte sich nach eigenen Angaben über Jahre an einem Institut der Max Planck Gesellschaft mit der digitalen Bildverarbeitung.

Was verstehen wir nun konkret unter dem Begriff »digitale Bildverarbeitung«?

Ein Computerbild auf dem ST besteht aus zigtausend Bildelementen (Picture elements, oder auch kurz »Pixel«). Der Computer hält das in Zahlen umgewandelte Bild ständig in seinem Speicher. Je mehr Bits für die einzelnen Bildpunkte zur Verfügung stehen, desto genauer läßt sich die Graustufe eines Bildpunktes speichern. In der höchsten Auflösung stellt der ST für jedes Pixel nur ein Bit bereit. Ein Bildschirmpunkt kann also nur schwarz oder weiß sein. So ein Pixel nimmt entweder den Wert 0 oder den Wert 1 an.

Enthält das Bild echte Graustufen, kommen weitere Werte hinzu: Die Pixeltiefe ist größer.

Die Photo Workstation II arbeitet intern mit einer Pixeltiefe von 1 Byte. Die verfügbaren 8 Bit pro Pixel erlauben maximal 256 verschiedene Graustufen.

Da der SM 124-Monitor technisch nicht in der Lage ist, 256 verschiedene Grauwerte darzustellen, behilft sich die Photo Workstation II mit einer »Pseudo-Grau«-Darstellung. Das Programm simuliert die intern gespeicherten Grauwerte durch eine Mischung schwarzer und weißer Punkte auf dem Bildschirm. Sich regelmäßig wiederholende und schematisch wirkende Strukturen vermeidet der Programmierer durch ein Verfahren, das zufällige abwechslungsreiche Texturen erzeugt.

Für ein Bild mit 8 Bit Pixeltiefe sind 256000 Byte RAM erforderlich. Das daraus berechnete und dann angezeigte Bild unterscheidet sich aber nicht von einem normalen Bildschirminhalt, ist also 32 KByte lang.

Grafiken aller gängigen Formate lassen sich laut Handbuch in der Photo Workstation II verarbeiten. Allerdings traten bei unserer gerade fertiggestellten 2.0-Version erhebliche Schwierigkeiten auf. Außer bei Degas-Bildern und Bilddateien mit 8 Bit Pixeltiefe stürzte das Programm beim Laden aller anderen Bildformate unmittelbar ab. Dieser Fehler soll zwischenzeitlich allerdings behoben sein.

Die Metamorphose von der starren und stufigen Computerschrift...
...zur gefälligen Zeichenfolge dauert nur ein paar Sekunden

Die Photo Workstation II ist vollständig in GEM eingebunden. Nach dem Start des Programms stehen vier Menüleisten bereit, die alle Funktionen zur Bildbearbeitung vereinen. Im Gegensatz zu anderen Grafikprogrammen arbeitet Photo Workstation II nicht objektorientiert (Linien, Kreise, Rechtecke, feste Füllmuster), sondern pixelorientiert. So ist das Programm in der Lage, die geometrische Lage der Pixel zu verändern und entstehende Lücken durch berechnete Zwischenwerte aufzufüllen. Dies ist besonders bei der Umrechnung eines ganzen Bildes von Vorteil (dunkler, schärfer etc.).

Das Laden einer Grafikvorlage beginnt immer mit der Angabe des Bildnamens über die File-Selector-Box. Anschließend müssen Sie eine von zwei Pseudo-Grau-Darstellungen wählen. Erst wenn Sie den Menüpunkt »Darstellung starten« anklicken, lädt der ST das Bild. Bevor die Grafiken endlich auf dem Bildschirm erscheint, rechnet der ST es auf die neue Pixeltiefe um.

Alle Bildmanipulationen der Photo Workstation II fordern ihren Rechentribut. Er liegt allerdings nicht, wie im Handbuch steht, zwischen zwei und zehn, sondern meist zwischen 30 und 60 Sekunden. Der Lohn besteht nicht nur aus ursprünglich langweiligen ST-Grafiken, die sich mit etwas Experimentierwillen gewaltig aufpeppen lassen: Besonders digitalisierte Vorlagen werden durch die zahlreichen Photo Workstation II-Funktionen zur dankbaren Knetmasse.

Transfer-Operationen verändern die Helligkeit einer Grafik. Sie simulieren ein komplettes Fotolabor.

Einige Transfer-Operationen sind in der Photo Workstation II bereits fest eingebaut. Neben einer Negativ- und Positiv-Umrechnung stehen auch Transfer-Operationen bereit, die einer idealen Filmentwicklung oder einer realistischen Schwarzweiß-Entwicklung entsprechen. Die Funktion »Enhance« überträgt die Helligkeitsverhältnisse eines beliebigen Ausschnitts auf das gesamte Bild. Jedes Bild läßt sich ebenso aufhellen wie verdunkeln. Drei Algorithmen simulieren optische Effekte. Der Tiefpaß-Filter ahmt den bekannten »Weichzeichner« nach. Die Funktion »Schärfer« hebt kleine Details hervor und verbessert die Konturen. Für den »Hochpaßfilter« gibt es keine Analogie. Er entspricht etwa der Differenz zwischen dem Original und dem durch »Tiefpaß« weichgezeichneten Bild.

Auf Wunsch läßt sich das Bild auch mit einem 5, 10 oder 20 Punkte breitem Raster unterlegen. Die als »Pixelation« bezeichnete Funktion unterteilt das Bild in gleich große Quadrate und faßt die Grauwerte einzelner Bildpunkte zu Quadraten einheitlicher Helligkeit zusammen. Die Photo Workstation II simuliert aber auch Prozesse, die ein normales Fotolabor nicht durchführen kann. Zu diesem Zweck lassen sich die Transfer-Funktionen selbst definieren. Nur die Ruhe bewahren! Nicht das Herumtüfteln an eigenen Formeln ist dabei gefragt. Innerhalb eines Rechteck-Diagramms müssen Sie nur mit ein paar Mausklicken die gewünschte Transfer-Funktion andeuten.

Geometrische Veränderungen erfährt das Bild durch Zoomen, Verkleinern, Verschieben, Ausschneiden und Überlagern. Bei allen Operationen kommt die Pixeltiefe von 8 Bit voll zum Tragen. Mit den Funktionen »Abrunden« und »Verfeinern« lassen sich auch grobschlächtige Vergrößerungen einfacher Degas-Bilder noch polieren, obwohl diese Operationen in erster Linie für die Nachbearbeitung von Schrift gedacht sind. Leider gilt für alle Operationen, daß die zum Beispiel durch eine Vergrößerung verschwundenen Teile verloren sind. Fertige Arbeiten speichern Sie entweder als »Momentaufnahme« in einem Degas-File oder im vollen Umfang mit allen Graustufen.

Für die Ausgabe sind Hardcopies auf Epson- oder NEC-kompatiblen Druckern vorgesehen. Auch der Atari-Laserdrucker wird unterstützt. Photo Workstation II ist ein sehr ungewöhnliches Programm, das die Bildverarbeitung auf dem ST von einer völlig neuen Seite angeht. Leider ist es bislang nicht frei von Macken und Unzulänglichkeiten.

Hierbei fällt zunächst die Anleitung auf. Denn was sich hinter der schönen Verpackung verbirgt, wird der komplexen Materie in keiner Weise gerecht. Sichtlich ist das Bemühen zu erkennen, eine anwenderbezogene Anleitung zu schreiben. Heraus kam leider nur ein 30 Seiten dünnes Heftchen, das selbst beim unbekümmertsten Anwender ein unbefriedigendes Gefühl hinterläßt. Um mit allen Operationen gekonnt umzugehen, sind zu wenige Grundlagen beschrieben. Nicht einmal der Unterschied zwischen der »Pseudo-Graustufe 1« und der »Pseudo-Graustufe 2« wird erklärt!

# Die »Photo Workstation II« im Überblick

Helligkeit

□ Aufhellen oder Abdunkeln
□ Simulation fotochemischer Entwicklungstechniken: Inversion, Solarisation, Tontrennung, frei wählbare Kontraststeuerung etc.
□ Übertragung bestimmter Helligkeitsverhältnisse auf das gesamte Bild
□ Verbesserung der Bildschärfe
□ Weichzeichner
□ Zusammenfassung einzelner Bildpunkte zu Quadraten einheitlicher Helligkeit

geometrische Struktur

□ beliebiges Vergrößern und Verkleinern
□ Verschieben
□ Herausschneiden von Teilen
□ Überlagerung mehrerer Bilder
□ Collagen
□ Schriftbearbeitung

Auch die Strukturierung des »Handbuches« läßt zu wünschen übrig. Anstatt den Anwender durch praktische Beispiele bei der Stange zu halten, muß er bis zur Hälfte der Anleitung einen Crash-Kurs der digitalen Bildverarbeitung über sich ergehen lassen. Erst dann darf er das erste Mal zur Maus greifen. Der wissenschaftliche Ursprung des Programms ist eben noch deutlich zu erkennen: Erst muß die Theorie stimmen, bevor sich jemand an der Praxis vergreift.

Das Handbuch sollte im zweiten Teil ausführlich auf die Grundlagen der Bildverarbeitung eingehen, es schreit nach illustrierten Beispielen und vollständiger Erklärung aller Funktionen.

Ideal für DTP: Photo Workstations interne Pixeltiefe von 8 Bit erlaubt auch bei starken Vergrößerungen fließende Grauübergänge

Daneben weist die Photo Workstation II noch einige Merkwürdigkeiten in der Bedienung auf. Abgesehen von dem schweren (und wohl behobenen) Fehler beim Laden der Bild- und Textdateien, sind einige Funktionen unsinnig gestaltet: Auch wenn Sie Ihr Bild immer nur in der »Pseudo-Graustufe 1« sehen möchten, verlangt das Programm bei jeder Berechnung des Bildes die erneute Anwahl der Graustufe. Bei der Bestimmung eines Ausschnitts muß das Fenster gleich beim ersten Aufziehen in Größe und Position genau stimmen.

Vergrößerungen lassen sich, wie überhaupt alle Funktionen, nicht rückgängig machen; zum Ursprungsbild führt nur das erneute Laden, und auch dann ist der alte Ladenamen aus der File-Selector-Box verschwunden. Wir vermißten außerdem eine Meldung (oder ein akustisches Signal), die auf den ersten Blick anzeigt, wann sich der ST zum Zahlenfressen verabschiedet hat (und damit fertig ist). Computer Photography sollte spätere Versionen um die einstellbare Schrittgröße bei Bildoperationen (wie etwa »Aufhellen«) und ein eingebautes Textediting ergänzen. Etwas seltsam erschien uns auch, daß die GEM-Leiste den obersten Zentimeter eines Bildes bedeckt und somit für Vergrößerungen unzugänglich macht.

Die Algorithmen zur Bildberechnung scheinen hingegen ausgereift und stabil. Sie bereiteten zu keinem Zeitpunkt Schwierigkeiten.

Insgesamt verfügt die Photo Workstation II noch über unübersehbare Ecken und Kanten. Der Kern des Programmes macht aber einen sehr guten Eindruck.

Kommen wir deshalb zum letzten Problem: der Preis. 498 Mark für ein Bilder-Utility stehen beim ST leider in keinem Verhältnis, wenn ein komplettes DTP-Paket wie Calamus nur 398 Mark kostet.

100 bis 200 Mark Kaufpreis, ein verbessertes Handbuch, die Beseitigung bestehender Ungereimtheiten und die Sache sähe schon ganz anders aus. Mit diesen Verbesserungen könnte die »Photo Workstation II« dann zu der Bildverarbeitung auf dem ST werden. (am)

Computer Photography, Stegemühlenweg 48, 3400 Göttingen

Steckbrief

Produktname: Photo Workstation II
Preis: 498 Mark
Hersteller: Computer Photography

Stärken:
□ 256 Graustufen □ leistungsfähige und flexible Funktionen zur Bildbearbeitung □ relativ einfache Bedienung

Schwächen:
□ teuer □ schlechtes Handbuch □ Ungereimtheiten in der Benutzerführung


Tarik Ahmia
Aus: ST-Magazin 08 / 1988, Seite 133

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