Becker Base: Entwicklungsumgebung für Anspruchsvolle

Beckerbase auf dem Atari ST als Dateiverwaltung oder Datenbank zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Es handelt sich bei diesem mächtigen Werkzeug vielmehr um eine Programmierumgebung zur Datenbankentwicklung. Was ist damit gemeint? Im Unterschied zu einer Dateiverwaltung (zum Beispiel: Datamat ST) erlaubt eine Datenbank die Verknüpfung von Datensätzen untereinander. Datenbanken erfüllen mitunter hochkomplexe Aufgaben, zumeist in größeren Betrieben und Institutionen. Stellen Sie sich etwa eine Firma vor, die die Verkaufsabrechnung und die Lagerverwaltung mit dem Computer erledigt. Wenn die aktuellen Verkaufsziffern zugleich von den Lagerbeständen subtrahiert werden, liegt in der Regel eine Datenbank vor. Der Verkäufer, der eine Rechnung ausstellt, merkt hingegen nicht, daß seine Angaben mit den Lagerdaten verrechnet werden. Er arbeitet nämlich mit einer leicht zu bedienenden Anwenderoberfläche, die zumeist eine Untermenge der komplizierten Datenbank und ihrer Sprache darstellt. Derartige Benutzeroberflächen generiert man durch ein Programm, das in der speziellen Datenbanksprache geschrieben wird. Und dazu dient Beckerbase.

Während die überwiegende Zahl vergleichbarer Datenbanken relational operieren (alle Daten sind frei miteinander verknüpft), arbeitet Beckerbase nach dem Netzwerkprinzip. Nicht alle, aber die meisten Daten werden miteinander verbunden. Beckerbase schränkt die Größe einer Datei nicht ein, sie hängt allein von der Kapazität

des Massenspeichers ab. Zu den fünf Feldtypen gehören ganzzahlige (integer) und normale (long) Zahlenwerte, ein Datumsund ein Textfeld (string) mit maximal 256 Zeichen. Jeder Datensatz umfaßt bis zu 65000 Zeichen.

Sie erhalten neben den zwei Programmdisketten die 250seiti-ge Anleitung der PC-Version, ergänzt durch ein Kompendium der Atari-spezifischen Abweichungen. Wer noch nie auf einem PC gearbeitet hat, muß in vielen Punkten umdenken und sich an Besonderheiten der PCs gewöhnen. Andererseits ist der ST-Sprößling vollkommen kompatibel zu seinem Vater. Dies gilt für die Menübefehle, das Daten-aufzeichnungsformat und mit Einschränkungen für die Benutzerführung. Denn hier muß sich der Atari-Anwender mit zwei verschiedenen Objektauswahl-Fenstern (GEM und Beckerbase) und zwei Befehlssprachen (Deutsch und Englisch) herumschlagen.

Nach dem Start des Hauptprogramms landen Sie zunächst in einer »Shell«. Ihnen stehen hier verschiedene Menüpunkte zur Auswahl. Zum einen können Sie mit vorgefertigten Beckerbase-Programmen arbeiten, etwa einer einfachen Adressenverwaltung. Oder Sie richten zum anderen eine eigene Datei für den persönlichen Bedarf ein. Und schließlich steht die Programmiersprache für komplexere Anforderungen bereit. Fertige Programme startet man mit dem Untermenü »Datenbank auswählen«. Nun ist eine programmierte Benutzeroberfläche aktiviert, die nur bestimmte Funktionen erlaubt. Bei der Adressendatei zum Beispiel das Eingeben, Ändern oder Drucken von Anschriften. Mit einem solchen Programm kann auch ein Beckerbase-Laie umgehen — sofern er sich nicht in den noch eingeblendeten Shell-Menüs verirrt und eine »falsche« Funktion anwählt.

Ein weiteres Handicap stellt die Arbeitsgeschwindigkeit dar. Sie ist beim Eingeben von Texten und Daten und bei Diskettenoder Festplattenzugriffen sehr gering. Zudem wurde am Tastaturpuffer manipuliert, so daß beim schnellen Tippen einzelne Buchstaben »verschluckt« werden. Schließlich soll eine »Mauszeiger-Box« die nichtnumerische Belegung des PC-Ziffernblocks simulieren (PgUp, End, PgDn etc.). Die entsprechenden Symbole erscheinen unten rechts im Blickfeld und sind mit der Maus zu markieren und anzuklicken. Durch diese Box entsteht Unruhe auf dem Schirm, weil sie je nach Cursor-Position erscheint und wieder verschwindet.

Wie schaut es mit der Einrichtung von neuen Dateien aus? Sie müssen sich dazu mit der Programmiersprache »DDL« anfreunden. Das Kürzel steht für »Data Definition Language« und bezeichnet die nötigen Befehle zum Deklarieren der Grundstruktur einer Datenbank. Diese Datenbank besteht aus beliebig vielen Einzeldateien, die sich wiederum aus Feldern zusammensetzen. Jedem Feld lassen sich eine oder mehrere Schlüssel-Funktionen zuweisen, so daß hierarchische »Vater-Sohn«-Beziehungen entstehen. Zur DDL-Sprache gehören die verschiedenen Feldtypen und Befehle zur Definition der Feld-Eigenschaften, zusammengenommen zwölf an der Zahl. Ein typisches DDL-Programm sieht in der Grobstruktur etwa so aus:

  Datei-Definition
       Feld-Definition 
           Feld-Eigenschaft
           Feld-Eigenschaft
           ...
       Feld-Definition
  Datei-Definition

Sie weisen also jeder Datei zunächst die Feldnamen und dann die Feld-Eigenschaften zu. Zusätzlich gibt es einen sinnreichen Weg, den Wertebereich eines Feldes schon bei der Eingabe via Tastatur zu begrenzen. Das ist ein Pluspunkt beim Abfangen von Fehlern. Auch hier ein Beispiel. Der »Allow«-Befehl gestattet folgende Eingaben:

string 40 bundesland 
   allow Nordrhein-Westfalen 
   allow Bayern 
   allow Hamburg
   allow Bremen
   ...

Sie sehen, daß der Feldname »Bundesland« heißt und die Eingabe auf die namentlich genannten Länder beschränkt wird. Ein abweichender Eintrag würde zu einer Fehlermeldung führen. Gleiches gilt auch für die anderen Feldtypen. Die Befehle »Maximum« und »Minimum« geben obere und untere Grenzen für Zahlenfelder an. Die komplette Dateidefinition wird anschließend durch ein Zusatzprogramm compiliert. Dazu verläßt man die Beckerbase-Shell, startet den Compiler und wartet auf eventuelle Fehlermeldungen. Ist diese Prozedur überstanden, generiert der Anwender die Masken. Denn eine Definition allein macht noch keine Datenbank.

Eine Bildschirmmaske entwerfen Sie mit dem Layout-Editor. Wiederum müssen Sie Beckerbase verlassen und das Programm vom Desktop aufrufen. Der Editor bietet nicht den Komfort von Datamat und anderen Systemen, aber nach einiger Zeit des Ausprobierens erhält man recht ansprechende Ergebnisse auf dem Bildschirm. Dateidefinition und Maske zusammengenommen ergeben jetzt eine fast komplette Datenbank. Zum Schluß ist es nämlich notwendig, ein Initialisierungs-Programm in der »TDL«-Spra-che abzufassen. TDL heißt »Transaction Definition Lan-guage« und dient als höhere Programmiersprache von Beckerbase. Mit TDL weisen Sie der Dateidefinition eine Datenbank-Datei zu und binden das Layout ein. Das hört sich umständlich an, ist aber ganz einfach.

Es ist jetzt geschafft. Sie haben eine erste Datenbank mit Beckerbase aufgebaut. Der Weg dahin ist ohne Zweifel recht mühsam und beschwerlich. Die komplette Dateidefinition für eine einfache Adressenverwaltung nimmt immerhin über 500 Zeilen Programmcode ein. Das Handbuch schafft nicht immer Klarheit. Sätze wie »Ist der Schlüssel, auf den der Schlüsselzeiger zeigt, ausschließlich definiert, befindet sich nach dem ersten Lesezugriff der Datensatz mit dem kleinsten Schlüsselfeldwert relativ zur verbundenen Mutter-Datei im Arbeitsspeicher« muß man unter Umständen dreimal lesen.

Im Umgang mit der Datenbank leisten einige Menüpunkte aus der Shell hilfreiche Dienste.

Das Exportieren und Importieren von Daten und die Druckerausgabe realisiert man durch entsprechende Untermenüs, die in GEM-Manier erscheinen. Gleiches gilt für das Sortieren der gerade bearbeiteten Datei.

Weitergehende Anforderungen wird man durch Programmierung in TDL realisieren. Dazu definiert der Anwender neue Menüpunkte, die etwa mit den Cursortasten oder der Maus aktiviert werden. Sie sollten zumindest über Grundkenntnisse in Basic oder Pascal verfügen, bevor Sie sich an dieses Werkzeug heranwagen. TDL ist eine komplette höhere Programmiersprache mit 80 mächtigen Befehlen zum Einrichten und Abfragen von netzwerkartigen und hierarchischen Datenbanken. TDL enthält Befehle zur strukturierten Programmierung, zum Abfassen von Schleifen wie bei GFA-Basic oder Pascal. Sie arbeiten dabei entweder mit einem Interpreter, der jede Zeile sofort nach der Eingabe ausführt, oder Sie verfassen ein komplettes Programm mit dem eingebauten Editor, der über die Funktionstasten gesteuert wird.

Damit ist das Einsatzspektrum von Beckerbase umrissen: Es geht mit diesem Programm vor allem um Spezialanwendun-gen, die mit herkömmlichen Systemen nicht oder nur schwer zu realisieren sind. Hier liegen die Stärken von Beckerbase. Ein erfahrener und geduldiger Programmierer wird sicherlich den größten Gewinn aus diesem Programm ziehen. Wenn die Übertragung von Beckerbase auf den Atari ST mit mehr Sorgfalt und Liebe zum Detail vorgenommen worden wäre, könnte man es auch einem breiteren Benutzerkreis empfehlen. (uh)

Vertrieb: Data Becker GmbH, Merowinger Str. 30, 4000 Düsseldorf

Steckbrief
Produktname: Beckerbase ST
Preis: 99 DM
Hersteller: Data Becker
Stärken:
* Daten- und Befehls-kompatibel zur PC-Version * mächtige und umfangreiche Programmiersprache * günstiger Preis
Schwächen:
* Arbeitsgeschwindigkeit * unruhiger Bildschirm * verschluckte Buchstaben * schwierig zu bedienen

Michael Spehr
Aus: ST-Magazin 08 / 1988, Seite 36

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