Treffpunkt COMDEX '88

16-MHz-Aufrüstung, Expander-Box, Desktop Publishing und viel neue MIDI-Software setzten den Schwerpunkt bei der Vorstellung neuer Produkte auf der größten Computermesse der Welt.

Besonderes Aufsehen erregte bei Atari auf der COMDEX Frühjahrsmesse in Atlanta der »ST-Accelerator« von Strange Systems. Er verdoppelt die Taktfrequenz des Atari ST. Der Einbau ist allerdings relativ kompliziert. Er erfordert den Tausch des bisherigen Prozessors in eine 16-MHz-Version, das Bohren von einigen Löchern in das Gehäuse und knifflige Lötarbeit. Der Hardwarezusatz läßt sich bei allen ST-Modellen einbauen und arbeitet mit jeder Betriebssystem-Version. Das schließt nicht nur die unterschiedlichen TOS-Versionen, sondern auch zum Beispiel die Unix-Abkömmlinge wie OS-9 oder Idris ein.

Nach Aussage des Entwicklers gibt es keine Kompatibilitätsprobleme mit vorhandener Software. Trotzdem läßt sich während eines Programmlaufs die Taktfrequenz wieder auf die bisherige Geschwindigkeit von 8 MHz herunterschalten. Ataris Chefentwickler Shiraz Shivji ist von dem Umbau nicht überzeugt. Bei einem persönlichen Gespräch sagte er: »Um wirklich die doppelte Geschwindigkeit zu erreichen, braucht man wesentlich schnellere RAMs; und die sind sehr teuer.«

Die gleiche Firma bietet einen »ST-Expander« an. Dieser Hardwarezusatz erlaubt nicht nur den Einbau von PC-Karten, sondern auch den Ausbau des Speichers bis zu 16 MByte. Der »Expander« erweitert den ST außerdem um einen Netzwerkanschluß und serielle und parallele Ports.

Welche PC-Karten dann für den ST geeignet sind, konnte uns der Firmensprecher noch nicht mitteilen, da das Design des Expanders noch nicht feststeht. Wie wir erfuhren, ist die Expanderbox mit einem starken Netzteil, einem Kühlventilator und einem Sockel für den Atari Blit-ter ausgestattet. Der »ST-Expander« ist in einem stabilen Metallgehäuse untergebracht, das auch als Monitorständer dient. Als voraussichtlichen Liefertermin stellt sich Firmensprecher Kevin Henderson Ende ’88 vor. Bereits im Sommer ’88 können interessierte Hardwarefirmen detaillierte Informationen über den ST-Expander Einfordern, um zum Beispiel Zusatzkarten zu entwickeln.

Ausgefeilte Fenstertechnik und kinderleichte Bedienung gepaart mit guter Leistung: Master Track für MIDI-Fans

Der ST-Accelerator kostet 249 Dollar, der Preis für den ST-Expander soll bei etwa 200 Dollar liegen.

Antic präsentierte auf dem Atari-Stand die komplette Cyber-Palette inklusive der neuen Version 2.0 von Cyber-Paint (Test in dieser Ausgabe). Ein Anziehungspunkt war ein Monitor, der animierte Cyber-Sequenzen zeigte. Weitere Programme sind in Vorbereitung. Unter anderem »Shadow«, die »Antwort zum Multitasking-Filetransfer«. Mit »Shadow« wickelt der ST alle Datentransfers per Multitasking im Hintergrund ab. Während die Übertragung läuft, darf der Anwender in den Desktop zurückkehren, mit anderen Programmen arbeiten und sogar einen Reset auslösen. Laut Antic arbeiten alle Programme einwandfrei mit »Shadow«, ohne daß sie den Datentransfer beeinträchtigen. Nur das Ausschalten der Stromzufuhr am ST unterbreche den Datenfluß. Das bemerkenswerte Utility kostet 29,95 Dollar und ist sofort lieferbar.

»Master-CAD«, das 3D-CAD-Programm eines venezuelischen Softwarehauses, beeindruckte durch schnelle Zoomeffekte und einfache Bedienung. Mit keinem anderen Programm ist es so einfach, dreidimensionale Objekte zu definieren. Der Monitor ist dabei das Fenster zu einem riesigen Arbeitsbereich mit einer Seitenlänge von 4000 Kilometern in jede Richtung. »Master-CAD« wird in den USA von Michtron zum Preis von 249 Dollar vertrieben.

Einen Mathematik-Coprozessor bietet Xetec für 199 Dollar an. Xetec verwendet einen Baustein von NEC. Zur Zeit sind ausschließlich Libraries für den C-Compiler von Megamax erhältlich.

Die Palette der Programmiersprachen für den Atari ST wächst stetig.

Der Aztec-C-Compiler von Manx, in Amiga-Kreisen bestens bekannt, wird ab Juni ’88 auch für den Atari ST lieferbar sein. Die Preise sind zwischen 199 und 749 Dollar gestaffelt. Während das preiswerteste Paket den Compiler, Assembler, Linker und einige Library-Routinen umfaßt, gehören zusätzlich ein Source-Debugger, Unix-Utilities und der Source-Code für alle Library-Routinen zur Spitzenversion des C-Compilers. Der Debugger kostet ohne Compiler 150 Dollar.

# Trends in aller Munde

Desktop Presentation: Ein neues Modewort, das auf der Comdex seine Runde macht. Jede Firma, die »in« sein will — und wer möchte das nicht auf einer Messe — präsentiert etwas, das sich unter diesem Begriff einordnen läßt. Darunter gliedern sich unter anderem die Bereiche Desktop Publishing und Desktop Video. Alles was sich in irgendeiner Form mit Präsentation befaßt, bezeichnet diese neue Wortschöpfung.

PS/2 und OS/2: Wie ein Branchenkenner so richtig formulierte: Die IBM-orien-tierte Computerwelt wartet auf die Anwendung, die den Umstieg auf IBMs neues Betriebssystem OS/2 unbedingt erfordert. Bisher bieten die Hersteller nur Umsetzungen von bestehenden MS-DOS-Programmen an, die auf einem schnellen MS-DOS-Computer genausogut (oder besser, da bereits alle Fehler behoben sind) laufen.

Drucker: »Der Matrixdrucker ist tot, hoch lebe der Laserdrucker!«, diese Devise ist nicht mehr »up to date«. Nachdem die Euphorie über die gute Druckqualität der Laserdrucker angesichts hoher Wartungs- und Betriebskosten abgeebbt ist, erleben die Matrixdrucker eine beeindruckende Renaissance. NEC beeindruckte, wie bereits auf der CeBIT, mit der neuen Version des Erfolgsmodells NEC P6 plus.

Professional plus Advanced

Publishing Partner von Softlogik bildet die Basis für die Professional-Version dieses Desktop Publishing-Paketes. Die neue Version wurde mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet und bekam auf der großen Desktop Publishing-Messe in Chicago trotz harter Konkurrenz von Programmen auf Sun-und Apollo-Workstations sowie dem Macintosh II, höchste Anerkennung gezollt.

Die Professional-Version beherrscht jetzt das automatische Textumfließen einer Grafik, automatische Trennung und Kerning, Objekte in Gruppen zu fassen, Text und Grafik in Gradschritten um unterschiedliche Drehachsen zu drehen (3D-Effekt), das Sperren von Objekten auf einer Seite und die Verwendung von Attributen beim Suchen und Ersetzen. »Publishing Partner Professional« kostet 199,95 Dollar.

Mit Deskset stellte Atari ein Satzsystem für Compugraphic-Satzsysteme vor. Da Compugraphic-Satzsysteme in Deutschland, anders als in den USA, nur eine geringe Bedeutung haben, ist fraglich, ob dieses System auch bei uns angeboten wird. Deskset soll knapp unter 500 Dollar kosten.

Das erste Produkt aus dem großen Softwarehaus Microsoft ist jetzt auch für den ST erhältlich: Microsoft Write. Es handelt sich dabei um eine Umsetzung der Macintosh-Version des bekannten Textverarbeitungsprogramms Word. Einfache Mausbedienung, zahlreiche Schriftarten (auch proportionale Schriften) zeichnen dieses Programm aus. Die Arbeitsgeschwindigkeit läßt auf den ersten Blick leider etwas zu wünschen übrig. Einen genauen Test finden Sie in einer späteren Ausgabe.

Microsoft Write kostet in den USA 129 Dollar und wird von Atari vertrieben.

WordPerfect beeindruckte die Messebesucher mit einer tollen Show

Auch die neueste Version der Textverarbeitung WordPerfect war zu sehen. WordPerfect 5.0 beherrscht nun die Grafikeinbindung und Makrodefinition und wird momentan nur für den PC angeboten. Allerdings macht das Programm auf dem ST bisher nicht die gleiche Furore wie im PC-Bereich, da noch viele Schwachstellen auszubessern sind. In den USA gilt es auf dem PC als absoluter Spitzenreiter und hat sogar Microsoft Word vom ersten Platz der Hitliste verdrängt. Den empfohlenen Verkaufspreis von 349 Dollar für die ST-Version unterbieten viele Shops allerdings mit Preisen unter 200 Dollar deutlich.

Ein weiteres großes Thema am Atari-Stand war MIDI. Kein Wunder, da der Atari ST der einzige Computer mit eingebauter MIDI-Schnittstelle ist. ln Deutschland als der MIDI-Computer längst erkannt, nimmt er jetzt auch hier einen immer größeren Stellenwert ein. Auch die Großen der Branche, unter ihnen Phil Collins und die Pointer Sisters, verwenden einen Atari ST als Studio- und Bühnencomputer.

Das Angebot der MIDI-Software nimmt laufend zu. Führend sind Firmen wie Hybrid Arts, Steinberg Research und C-Lab mit Paketen, die auch professionellen Ansprüchen genügen. Doch auch kleine Softwarehäuser entwickeln gute Software für den Heim- und semiprofessionellen Einsatz: Passport Design aus Kalifornien bietet zwei Versionen von »Master Track« an. Die Junior-Version für 129,95 Dollar und die Professional-Version für 349 Dollar.

Die Pro-Version findet nach Aussage von Denis Labrecque, Vice-President of Operations bei Passport Design, auch bei professionellen Musikern Einsatz. Sie wurde mit neuen Leistungsmerkmalen ausgestattet und läßt sich über die Tastatur bedienen. Beide Programme arbeiten in allen Auflösungen.

Das kleine aber feine Midisoft Studio fand bei den Präsentationen große Anerkennung. Von den führenden Zeitschriften für den Atari ST gelobt, fühlten sich die Entwickler angespornt, eine »Advanced Edition« — eine neue Wortschöpfung anstelle »Plus« oder »Version 2.0« — zu schaffen.

Zu den bisher schon zahlreichen Funktionen kommen nun noch beispielsweise die doppelte Anzahl an Tracks (jetzt 64 Spuren), die Unterstützung von bis zu 16 MIDI-Kanälen pro Track und das Transponieren in Echtzeit für jede Spur. Die »Advanced Edition« bietet die Firma Midisoft für 149 Dollar an.

Eine ganze Anzahl von Midi-Programmen kommt aus dem Softwarehaus Dr. T’s. Darunter drei Sequenzer, 13 Editoren für unterschiedliche Synthesizer, wie die von Roland, Korg, Kawai, Soundlab und fünf Kompositionsprogramme. Die Programme laufen in allen Auflösungen und sind mit der Maus zu bedienen. Als herausragend gilt dabei »The Copist«, ein Programm, um Noten zu schreiben. Drei Versionen sind erhältlich. Die Preise reichen von 99 bis 399 Dollar und unterscheiden sich in der Menge der zu verarbeitenden Seiten. Während die kleinste Version nur fünf Seiten gestattet, bietet die teuerste Version bis zu 100 Seiten und Datenkompatibilität zu Desktop Publishing-Programmen wie Pagemaker, Ventura Publisher und Publishing Partner Professional.

Eine ähnlich große Palette an MIDI-Programmen präsentierte das Softwarehaus Sonus. Dabei reicht die Preisspanne von 49 bis 375 Dollar und bietet damit für jeden Geldbeutel etwas. Herausragend ist dabei »Masterpiece«, ein Sequenzer, der zwei Synthesizer steuert. (am)



Aus: ST-Magazin 07 / 1988, Seite 8

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