Videotext-Decoder am ST-ROM-Port: Der bunte Video-Bote

Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als man seinen Heimcomputer-Arbeitstag auf die fern-sehfreien Nachtstunden verlegen mußte, nur weil der Rest der Familie die (zugegebenermaßen einseitig) zum Computermonitor erklärte bunte Flimmerkiste unverständlicherweise als Fernsehgerät mißbrauchte? Anstelle von Pacman oder den Space-Invaders durften die elektronischen Abbilder von Kuhlenkampf und Köpke die Mattscheibe zur besten Computerzeit bevölkern. Welch ein Grauen!

Nach dem Motto »Willst Du mich nicht immer, will ich Dich überhaupt nicht mehr!« entzogen die Computer jedoch alsbald dem heimischen Pantoffelkino die digitale Ansprache und kommunizierten fortan über eigene Monitore flimmerfrei in Farbe und Schwarzweiß mit ihren Benutzern. Nur veigessen wollten sie diese schmachvolle Niederlage nie und nimmer!

Doch der Tag der Rache ist gekommen! Die Computer drehten den Spieß um und bemächtigten sich des öffentlich-rechtlichen Videosignales. Da besitzen nämlich die Fernsehge-waltigen die Frechheit, seit einiger Zeit in die Neujahrsansprache unseres Bundeskanzlers und in die dreiundvierzigste Wiederholung der »Feuerzangenbowle« digitale Daten hineinzumogeln. Und wer kann schon besser mit Digitalem umgehen als unsere O/1-Genies auf dem Schreibtisch.

Bildschirmtext wird mit Videotext ST zur Mausspielerei

Die Rede ist hier von »Videotext«, einem Informationsdienst der Fernsehanstalten. Die Videotext-Daten kommen kostenlos mit dem Fernsehsignal ins Haus. Bekanntlich setzen sich diese bunten Bilder aus vielen Bildzeilen zusammen, die Zeile für Zeile über Antenne oder Kabel in den Heimfernseher gelangen. Beim deutschen Fernsehsystem sind es genau 625 Zeilen, von denen der Zuschauer jedoch lediglich 587 zu sehen bekommt. Ein Teil der nicht sichtbaren 38 Bildzeilen dient der Synchronisation des Bildaufbaus, der Rest ist von keinerlei Bedeutung für das Fernsehbild.

In diese Zeilen packen ARD und ZDF (und andere europäische Sender in den Kabelnetzen) Text- und Grafikdaten aller Art, eben den sogenannten »Videotext«. Videotext stellt eine Art Zeitung dar, deren Seiten nicht als bedrucktes Papier, sondern als Textseite auf dem Bildschirm eines Fernsehgerätes mit Videotext-Decoder (Aufpreis zwischen 100 Mark und 200 Mark) erscheinen. Eine Videotextseite enthält maximal 24 Zeilen mit je 40 Zeichen. In eine Bildzeile passen die Digitalinformationen für eine Textzeile. Videotext benutzt inzwischen 12 Bildzeilen des Fernsehbildes. Bei 25 Vollbildern pro Sekunde lassen sich somit in jeder Sendesekunde 300 Textzeilen oder etwa 12 Videotextseiten übertragen.

Die Seiten einer Videotext-Zeitung (bei ARD/ZDF gut 300) werden zyklisch ausgesendet, besonders wichtige Seiten, wie zum Beispiel das Inhaltsverzeichnis oder die Seiten mit dem alphabetischen Index, erscheinen in jedem Zyklus mehrfach. Im Videotext-Modus des Fernsehgerätes wählt man durch Eingabe der Seitennummer auf der Fernbedienung die gewünschte Seite an. Der Videotext-Decoder liest die Seite aus den zyklischen Signalen aus und stellt sie auf dem Fernsehschirm dar.

Eine gemeinsame Redaktion der beiden deutschen Fernsehanstalten betreut diese Videotext-»Zeitung«. Die regionalen dritten Fernsehprogramme bieten über ihre Sender ein zusätzliches Videotext-Programm mit regional differenziertem Angebot. Neben Informationen zum Fernsehprogramm liefert Videotext ein weitgespanntes Themenspektrum von laufend aktualisierten Nachrichten aus Politik und Sport, Informationen über Börsenkurse, den Wetterbericht bis hin zu Schachaufgaben und Kochrezepten.

Es war selbstverständlich nur eine Frage der Zeit, bis diese kostenlose Informationsfülle die unermüdlichen Hard- und Software-Technologen auf den Plan rief. Dank des Erfindungsreichtums der Münchener Firma Print Technik kann sich ab sofort auch der Atari ST an Videotext-Daten laben. Wir nahmen einen Prototyp des Videotext-Decoders für den ST unter die Lupe. »Videotext ST« wird einschließlich Software 398 Mark kosten.

Die Hardware besteht aus einer Platine mit ein paar integrierten Spezial-Bausteinen, die in den ROM-Port des ST eingeschoben werden muß. Die Seriengeräte sind in ein Gehäuse eingebaut. Ein aufsteckbares Kabel verbindet den Decoder mit der Video-Ausgangsbuchse eines Videorecorders oder eines separaten Fernseh-Tuners. Die mitgelieferte Software stellt die Videotextseiten sowohl auf dem monochromen ST-Monitor als auch auf einem Farbmonitor in der niedrigen Bildauflösung dar. Die Bildqualität auf einem RGB-Farb-Monitor übertrifft die Darstellungsqualität eines Videotext-Fernsehgerätes deutlich. Für die Monochrom-Darstellung sind Routinen im Programm integriert, die die Farben in graustufenartige Pixelmuster umrechnen.

Mausfanatiker nehmen die Seitenauswahl über eine noch sehr träge reagierende Dialogbox vor. Bequemer und vor allem schneller lassen sich die Seiten jedoch mit Hilfe des Ziffernblocks der STTastatur anwählen. »Einfangen« und Darstellen der vorgewählten Seiten funktioniert schnell, präzise und sicher.

Bildschirmtext bietet ein großes Angebot an Informationen: Reisewetterbericht

Über diese Grundfähigkeiten eines Videotextdecoders hinaus wartet das Print Technik-Produkt mit einigen wichtigen Zusatzfunktionen auf, die Vorteile des computergestützten Videotextbetriebs deutlich machen. So lassen sich die einzelnen Seiten mit allen Text- und Grafik-Informationen auf einem Datenträger (Diskette oder Festplatte) speichern (Dateigröße 1000 Byte) und jederzeit neu laden und anzeigen.

Zur Weiterbearbeitung in Malprogrammen können Sie decodierte oder geladene Seiten als Pixelbilddateien in die gängigen Dateiformate (monochrom und farbig) umwandeln und auf Datenträger speichern. Die reine Textinformation kann auf einem Drucker ausgegeben oder als ASCII-Textdatei gespeichert und in Textverarbeitungsprogramme übernommen werden. Die Firma Print Technik hat mit »Videotext ST« ein weiteres interessantes Produkt für den Atari ST auf den Markt gebracht. »Videotext ST« erweitert das fernsehorientierte Videotext-System um einige wichtige computertypische Funktionen. Der leider hohe Preis (bedingt durch die noch teuren Hardware-Bausteine) erfordert jedoch eine kritische Kosten-Nutzen-Analyse,

die bei wachsendem Informationsangebot des Mediums Videotext zugunsten des ST als Videotextcomputer ausfallen kann. Die Rache Ihres Computers am schnöden Pantoffelkino dürfte einem Computerianer nicht zu teuer sein!

(W. Fastenrath/H. Brandl)

Anbieter: Print Technik, Nikolaistr. 2, 8000 München 40

Steckbrief
Produktname: Videotext ST
Preis: 398 Mark
Hersteller: Print Technik
Stärken:
□ Videotextdarstellung in Farbe und Monochrom □ Informationen speichern □ einwandfreie Funktion □ leichte Installation
Schwächen:
□ Hoher Preis


Aus: ST-Magazin 06 / 1988, Seite 54

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