Malerei mit Maus und Monitor

Kunst und Computer sind Begriffe, die sich zusehends besser vertragen. Mit ihrer guten Grafik stehen auch preiswerte Systeme wie der ST an der Grenze zum sinnvollen künstlerischen Werkzeug. Auch bei der Software sind deutliche Verbesserungen zu verzeichnen. Ist der grafische Durchbruch aber wirklich schon gelungen?

Für viele ist es bis heute ein Sakrileg: die Domäne menschlicher Kreativität wird elektronisiert. Was bisher als einer der größten Gegensätze galt, soll sich nun auf nahezu ideale Weise ergänzen: Kunst mit dem Computer als zeitgemäßes Ausdrucksmittel und gleichzeitig als Kulminationspunkt des Denkens, Fühlens, Könnens und der Ästhetik. Der Computer ist als grafisches Werkzeug endlich hoffähig.

Wie in der Bildhauerei, so bestimmt auch in der Computergrafik die Beherrschung der Arbeitstechnik die Qualität des Ergebnisses entscheidend. Beim Malwerkzeug Computer stecken nicht nur die Methoden, sondern vor allem Hardware- und Software-Voraussetzungen den Rahmen für diesen Entfaltungs-Spielraum ab. Je billiger ein System, desto enger sind diese Grenzen meist gesteckt.

Der ST stellt heute eines der preiswertesten Werkzeuge für den grafischen Einsatz dar. Dennoch erreichen einzelne Arbeiten ein beachtliches künstlerisches Niveau. Der Preisverfall der letzten drei Jahre schuf die Grundlage für dieses gesteigerte Niveau.

Alle sonst üblichen Arbeitswerkzeuge wie Farben, Papier, Stifte und Pinsel ersetzt beim Computer ein Malprogramm, das diese Werkzeuge simuliert. Der Bildschirm dient als Zeichenuntergrund, während mit der Maus gemalt wird.

Der Vorteil dieser Arbeitsweise liegt in der zeichnerischen Unterstützung durch den Computer. So stehen zahlreiche Funktionen wie zum Beispiel das Verzerren, Kopieren oder Einfärben einzelner Bildausschnitte zur Verfügung. In der Regel lassen sich einzelne Operationen auch wieder zurücknehmen. Malen auf dem Computer ist also recht fehlertolerant. Dem stehen allerdings Einschränkungen gegenüber, die für einen vollwertigen Ersatz der klassischen Malwerkzeuge nicht akzeptabel sind.

Obwohl beim Malen die Intuition eine große Rolle spielt, wird dieses Moment bisher von keinem Malprogramm berücksichtigt. Das Freihand-Malen mit der Maus liefert meist unbefriedigende Ergebnisse, da der direkte Kontakt zur Zeichenfläche fehlt. Nicht nur das »indirekte Malen« mit der Maus, sondern auch die Einschränkung der Auflösung und Farbauswahl machen aus dem Entwurf anspruchsvoller Bilder eher ein Denkspiel als ein Spiel der freien künstlerischen Entfaltung. Die wirklich gelungenen Grafiken sind entsprechend keine spontanen Geniestreiche, sondern akribisch geplante, auf Millimeterpapier entworfene und nach einem genauen »Schlachtplan« ausgeführte Meisterwerke. Denn die maximal darstellbaren 16 Farben des STs wollen zum größten Effekt wohl verteilt sein.

Das Farbproblem haben einige Programmierer bereits erkannt. Die ersten beiden Malprogramme für den ST, die nicht' nur 16, sondern 512 Farben gleichzeitig anzeigen, vergleichen wir in dieser Ausgabe. Beide Malprogramme lösen das Farbproblem softwaremäßig. Nachteilig Ein dieser Methode ist die teilweise Verlagerung der Bildschirmverwaltung auf den 68000-Prozessor. Der CPU, die sich normalerweise kaum um den Bildschirm kümmert, geht so wertvolle Rechenzeit verloren, die sie eventuell für ganz andere Zwecke benötigt.

Die vorhandenen Defizite zeigen, wie groß heute der Unterschied zwischen billigen elektronischen Malsystemen und der handwerklichen Methode ist. Annäherungen an das klassische Vorbild werden nicht nur mit mehr Speicher und besseren Grafikchips, sondern vor allem durch konzeptuelle Verbesserungen erreicht. Gerade hier ist es wichtig, daß sich der Computer voll an den Menschen anpaßt. Grafiktabletts und elektronische Stifte sind hier ein erste Schritt. Doch die sind für Gelegenheitskünstler noch zu teuer.

Trotz der lebendigen Grafikszene des STs und der großen Auswahl an Grafikprogrammen steckt die Low-Cost-Computerkunst noch in den Kinderschuhen. Aber auch mit Kinderstiefeln kann das Laufen Spaß machen, da die gebotene Qualität den meisten Hobby-Künstlern vorerst ausreicht. Auch mit dem jetzigen Filzstift-Niveau läßt sich wenigstens zeigen, wie vielseitig so ein Computer ist. Da fällt es dann auch nicht so sehr ins Gewicht, daß der Weg vom Kopf bis zum Bild einfach noch zu weit ist.


Tarik Ahmia
Aus: ST-Magazin 06 / 1988, Seite 110

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