Blick in die Hexenküche der Calamus-Entwickler

Kurz vor dem letzten Federstrich

Gut Ding will gut Weile [haben! So dachte auch Casars »Ghostwriter« während des gallischen Krieges, wenn er frühmorgens sein Schreibgerät vorbereitete. Bevor er sich beim großen Feldherren zum Diktat einfand, hatte er den Papyrus-Bogen für den Tagesbericht fein säuberlich auf die Notizrolle gedreht und seinem Calamus, einem Schreibgriffel aus Schilfrohr, mit gekonntem Messerschwung die passende Feinschriftspitze verpaßt. Die Ausgabequalität dieses antiken DTP-Systems soll zeitgenössischen Berichten zufolge den Ergebnissen heutiger Computertechnologie in nichts nachgestanden haben.

Um den elektronischen Schreibgriffel unseres ST-Zeitalters dagegen war es seit Ende 1987 ruhig geworden. »DMC-Calamus«, das mit großer Aufmerksamkeit und vielen Vorschlußlotbeeren bedachte DTP-Programm für Atari ST-Computer, ging nach seiner ersten Präsentation auf der Atari- Messe in Düsseldorf zunächst einmal für ein paar Monate in strenge Klausur. So streng, daß die verschreckte Konkurrenz (und einige ST-Journalisten) dieses ehrgeizige Softwareprojekt schon hohn lächelnd zu Grabe tragen wollten.

Doch während der vermeintlichen Grabesruhe herrschte bei der Calamus- Entwicklermannschaft geradezu hektische Betriebsamkeit DMC hatte sich zu einem vollständigen »Re-Design« der internen Programmstruktur entschlossen. Der gewaltige Funktionsumfang ließ sich nur durch die weitgehende Modularisierung der Programmteile meistern. Zusätzlich sollten geringfügige Retouchen an der Benutzeroberfläche den ohnehin hohen Bedienungskomfort von Calamus deutlich verbessern.

Im Anschluß an die einschlägigen Frühjahrsmessen »Imprinta« und »CeBIT«, auf denen beeindruckende Zwischenergebnisse zu sehen waren, setzte die heiße Endphase ein, die bei Abfassung dieses Artikels ihren krönenden Abschluß (fast) erreicht hat Das derzeit vorliegende »Zwischen-Endprodukt« verweist sämtliche Zweifler und Skeptiker in ihre Schranken: Calamus wird kommen!

Aller Vorausicht nach (der letzte Federstrich unter dem Vertrag ist noch nicht vollzogen) übernimmt Atari selbst den Vertrieb der zwei verschiedenen Calamus-Versionen »Calamus« und »Calamus plus«. Die Grundversion »Calamus« (Preis: 398 Mark) besteht aus einem kompletten Text-Layout-System mit Vektor-Fonts für die Bildschirm- und die Druckerausgabe. Im sogenannten Drehtext-Modus lassen sich Textrahmen in 1/10-Grad-Schritten drehen. »Calamus« kann Vektor-, Pixel- und Halbton-Grafiken in entsprechende Rahmen laden, zurechtschneiden und die Größen der Grafiken verändern.

Dank der ausschließlichen Vektororientierung steuert »Calamus« alle Ausgabeeinheiten über dieselben Ausgaberoutinen an, man muß lediglich zwei Parameter für die vertikale und horizontale Punktauflösung modifizieren. Mit geeigneter Schnittstellen-Hardware ist ein 19-Zoll-Ganzseitenmonitor der Firma Matrix mit 1280 x 1024 Punkten Auflösung (wie in unserem Testsystem als Kontrollmonitor für eine DIN A4-Seite) genauso einfach anzupassen wie eine hochauflösende Photosatzmaschine. In der Auslieferversion wird »Calamus« übrigens den Matrix-Bildschirm als Arbeitsmonitor betreiben können.

Bereits die Grundversion genügt professionellen Anforderungen. Als Beweis für die hohe Qualität dieses ausgezeichneten DTP-Programmes haben wir die Seite, die Sie gerade lesen, komplett mit »Calamus« entworfen und über einen Atari-Laserdrucker SLM804 ausgedruckt Eine ähnlich gute Qualität läßt sich auch auf leistungsstarken 24-Nadel- Druckern erzielen.

»Calamus plus« (voraussichtlicher Preis: 998 Mark) stellt ein hochprofessionelles Satzsystem mit erweiterter Dokumentenverwaltung (zum Beispiel mit automatischer Indexerzeugung) dar. Zusätzlich zu den Funktionen der Grundversion sind ausgefeilte Pixel- und Vektor-Grafik- Routinen integriert, deren Funktionsumfang die bislang verfügbaren Spezialprogramme noch übertrifft Darüber hinaus enthält »Calamus plus« ein umfangreiches Programm zum Entwurf von Repräsentationsgrafiken.

Vektoren setzen Zeichen: Calamus mit kleinen Fontdateien und bequemer Fontauswahl

Soweit in aller Kürze das Neueste von »Calamus«! Ein ausführlicher Test folgt in der nächsten Ausgabe Ihres ST-Magazin. »Was lange währt, wird endlich gut!« sagt ein altes Sprichwort »Calamus« ist jedoch viel besser, als es bis jetzt ge»währt« hat.

(W. Fastenrath/H. Brandl)



Aus: ST-Magazin 06 / 1988, Seite 9

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