Wechselplatte SR 444: Die Winchester im Gepäck

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Ataris neue Wechselplatte wurde zum System passenden Design präsentiert

Die Technik der dauerhaften Speicherung von Informationen geht auf eine uralte Tradition zurück, denn bereits die Urmenschen versuchten, ihre Daten für die Nachwelt (oder vielleicht nur für den Nachbarn) festzuhalten. In diesem Sinne könnte man die platten Höhlenwände mit den ersten Höhlenzeichnungen der Menschheit durchaus als Urform des modernen Plattenspeichers betrachten. Auch wenn damals die Masse des Speichermediums die Masse der Daten bei weitem übertraf.

Beim Entwurf von Massenspeichern für Computer hat sich die moderne Industrie also schamlos der innovativen Ideen unserer Vorfahren bedient. Damit wird wieder einmal deutlich: Kaum ein Gedanke ist wirklich neu, alles ist schon einmal dagewesen.

Auch die Idee der Wechselplatte mit Kapazität ist nicht neu. Nur verfügen die bisherigen Wechselplatten nicht über die Zugriffszeiten von schnellen Festplatten, die sich Ataris Entwicklungschef Shiraz Shivji wünscht. Bis jetzt! Shivji hat bei der amerikanischen Firma SyQuest Technology die Lösung für seine Atari- Wechselplattenstation gefunden.

Auf der CEBIT '88 gaben die zwei ersten Prototypen des neuen Gerätes ihr DeutschlandDebüt. Während der ersten Messetage behandelte Atari die SR444- Wechselplattenstation noch als geheime Verschlußsache und zeigte sie quasi hinter hermetisch geschlossenem Vorhang. Fragen nach dem Hersteller des Laufwerkes, nach dem Speicherprinzip, nach dem Preis oder gar nach dem Termin der Auslieferung beantworteten die Atari-Verantwortlichen mit geheimnisvollem Lächeln.

Nur ein paar technische Daten machten die Runde: 44 MByte Speicherkapazität auf einer 5 1/4-Zoll-Wechselscheibe bei einer mittleren Zugriffsgeschwindigkeit von 25 Millisekunden stellen so manche Festplattenstation in den Schatten. Ein ungläubiger Blick auf und in die Wechselkassette bestätigte zumindest einen Teil der Aussagen. In einem ein Zentimeter hohen Plastikgehäuse klapperte tatsächlich nur eine silbernglänzende Metallscheibe mit 130 Millimeter Durchmesser. Nach Messehalbzeit präsentierte Atari den neuen Massenspeicher-Riesen mit Zwergenappeal dann dem Messepublikum.

Vom vorbei strömenden Publikum nur wenig beachtet, zeigte der schmucke Neuling unter Ataris Massenspeichern, was in ihm steckte, nämlich tatsächlich etliche Megabyte an Speicherkapazität. Ob wirklich 44 MByte zur Verfügung standen, war leider nicht exakt festzustellen. Wegen einiger Unsicherheiten bezüglich der Treibersoftware (die Testversion eines neuen AHDI und HDX) und der Anpassung an die Wechselplattenstation ließen sich höhere Partitions noch nicht fehlerfrei ansprechen.

Inzwischen war einem unserer Redakteure auf der CeBIT zunächst ein Name ins Ohr geweht, und wenig später die Kopie eines Datenblattes in die Jackentasche gefallen. Die Informationen bestätigten die vorher mündlich verkündeten Daten und machten uns erst recht neugierig auf eine eingehende praktische Erprobung. Peter Henseleit, Leiter der Abteilung Hardware-Support in Raunheim, war auch sofort bereit, uns knapp zwei Wochen nach der Messe auf seinem Testtisch in Raunheim Hand und ein paar Benchmark-Tests an Ataris Zukunftsspeicher legen zu lassen.

Doch leider hatten wir die Rechnung ohne die amerikanische Mutterfirma gemacht. Die beorderte nämlich die beiden Prototypen ins heimische Silicon VaIley zurück. Von unserem Besuch in Raunheim kehrten wir mit fast leeren Händen zurück. Peter Henseleit überließ uns jedoch ein Bündel wichtiger Tips und einen der berechtigten Schuhkartons aus Blech - das Gehäuse der alten Festplattenstation SH204, mit Netzteil und Host-Adapter, aber ohne weiteren Inhalt.

Man kann das von Atari verwendete SyQuest-Wechselplatten-Laufwerk SQ 555 nämlich problemlos über Ataris Hostadapter-Platine für die SH204 ansteuern. Die Platine der SH205 ist leider nicht geeignet. Wo aber sollten wir das SyQuest-Laufwerk in der Kürze der Zeit - der Readaktionsschluß war bereits verstrichen auftreiben? Wie es der Zufall will, residiert die EuropaVertretung von SyQuest Technology in Deutschland. Verkaufsdirektor Schuh verschaffte uns in kürzester Zeit alle notwendigen technischen Unterlagen, die deutsche Vertriebsfirma Kontron Datensysteme GmbH in Eching stellte das Laufwerk zur Verfügung.

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Die Wechselplatte ist deutlich schneller als die Festplatte

In der Praxis erwies sich schließlich der Prototyp-Nachbau als fast so problemlos wie von Atari versprochen. Das Auspacken des Laufwerkes und der Anschluß an Hostadapter und Netzteil waren lediglich eine Sache von Sekunden. Und so stand sie denn endlich vor uns im Testlabor Ihres ST-Magazin: Die Wechselplattenstation SR444, zwar nicht im originalen Atari-Gewand, aber mit dem Prototyp technisch identisch.

Die SQ 555 besitzt einen eigenen Controller, der über den bekannten SCSI- (Small Computer System Interface-)Bus ansprechbar ist. Sie speichert die Daten im sogenannten RLL-Verfahren. Die Speicherscheibe in der Wechselkassette ist mit Servo-Daten vorformatiert, die für eine exakte Führung der beiden Schreib-Lese- Köpfe sorgen. Am SCSI-Bus verhält sich die SQ 555 wie ein gewöhnliches Festplattenlaufwerk und lässt sich den Erfordernissen des STBetriebssystems entsprechend mit einer Sektorgröße von 512 Byte formatieren.

Besonders interessant stellt sich die selbsttätige Plattenpflege dar. Von der Handhabung her eine Wechselplatte, entspricht die SQ 555 speichertechnologisch der Winchester-Technik, wie sie auch von echten Festplattenlaufwerken benutzt wird. Bekanntlich sind Winchester-Laufwerke sehr anfällig für Staubpartikel im Plattengehäuse. Daher produziert man sie unter Reinraum-Bedingungen, die Gehäuse sind vollkommen luftdicht verarbeitet.

Eine derart klinische Sauberkeit ist in dem Plastikgehäuse der Speicherkassette natürlich nicht zu erreichen. Zwei Tricks verhelfen der SQ 555 zur notwendigen Datensicherheit: Nach dem Einschieben der Kassette fährt das Laufwerk die Platte bis auf eine Drehzahl von 4500 Umdrehungen pro Minute hoch und schleudert damit die Staubpartikel von der blanken Scheibe. Danach fällt die Drehzahl auf die normalen Betriebswerte. Die besondere Formgebung des Kassetten-Innenraumes bewirkt in Zusammenhang mit einem Ventilator-Effekt der sich drehenden Scheibe eine stete Durchspülung des Gehäuses mit gefilterter Luft. SyQuest gibt eine Luftaustauschrate von einem Austausch des gesamten Luftvolumens pro Sekunde an.

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Unsere Testergebnisse sprechen für die Wechselplatte

Das gewählte Reinigungs- und Durchlüftungsverfahren scheint die Erwartungen seiner Erfinder zu erfüllen. Während unseres Testbetriebes und der nachfolgenden kurzen Praxiserprobung arbeitete die SQ 555 wie man es von einem Winchester- Festplattenlaufwerk erwartet, nämlich störungsfrei und problemlos. Nicht völlig ohne Schwierigkeiten erwiesen sich Formatierung und Partitionierung der Wechselplatte mit der Vorversion der neuen Atari-Festplatten- Software. Das Formatierungsprogramm »HDX.PRG« entnimmt die Formatierungs- und Partitionierungs-Parameter aus einer ASCII-Textdatei, die sich mit jedem Texteditor anpassen lässt. Wir konnten die SQ 555 zwar erfolgreich formatieren, die anschließend automatisch erfolgende Grundpartitionierung ließ sich jedoch nicht unseren Wünschen entsprechend beeinflussen. Die in HDX bekanntlich vorgesehene Neupartitionierung scheiterte an einer Fehlermeldung, die auf ein falsches Formatierformat hinwies. Unsere Vermutung, daß die SQ 555 mit dem eigenen Controller Statusdaten zurückgibt, die HDX nicht kennt und daher als fehlerhafte Formatierung interpretiert, bestätigte sich. Entfernt man nämlich die entsprechende Abfrage aus HDX (mit einem guten Debugger und einem noch besseren Programmierer), so lassen sich die Partitions nach Wunsch einstellen.

Bislang ist es weder uns noch Atari in Raunheim gelungen, die SQ 555 am ST bootfähig zu machen. Auch hier dürfte die Schuld bei der noch nicht vollendeten Treibersoftware oder bei der im Vergleich zu den ST-Festplattenstationen unterschiedlichen Struktur des Bootsektors liegen. Unser Stammprogrammierer Michael Bernards, der auch für die Benchmark-Programme verantwortlich zeichnet, arbeitet gerade an der Lösung dieses Problems. Für die Benchmark-Tests haben wir zwei Systemkonfigurationen benutzt. An einem Mega ST4 mit Zusatzdiskettenlaufwerk haben wir eine Festplattenstation SH205 (physikalisches Laufwerk 0, Partition C und D, je 10 MByte) und die nachempfundene SR444 als Laufwerk 1 mit den vier 10-MByte-Partitions E, F, G und H angeschlossen. Partition C diente als Autoboot-Laufwerk. Als Alternativ- Aufbau fungierte ein ähnliches System ohne Festplattenstation. Die SR444 (Laufwerk 0) war in die vier Partitions C bis F eingeteilt. Der Treiber wurde von einer Diskette gestartet.

Die verschiedenen Vergleichsdaten von SH205 und SR444 sind in Tabellen und Diagrammen dargestellt. Die SR444 hängt die eher gemächlich zu Werke gehende SH205 in jeder Disziplin deutlich ab. Bei allen Messungen war Turbo-Dos aktiv. Selbst bei den Ladezeiten von 1st Word Plus ergaben sich erstmals bei Festplattentests deutliche Unterschiede. Die SR444 benötigt für die gleiche Arbeit gut 30 Prozent weniger Zeit. In knapp 8 Sekunden ist 1st Word Plus arbeitsbereit. Zum Abschluß noch ein Wort zu den Kosten für ein derartig leistungsfähiges Massenspeichersystem wie dem »nachempfundenen« Prototyp der Atari- Wechselplattenstation SR444. Wir wissen nichts über Ataris Preisvorstellungen. Das Laufwerk SyQuest SQ 555 kostet augenblicklich bei Einzelabnahme ohne Mehrwertsteuer 2310 Mark, eine Wechselkassette 280 Mark. Mit handwerklichem Geschick stellt man sich bereits jetzt für etwa 3500 Mark einschließlich Mehrwertsteuer eine Wechselplattenstation mit den Leistungsdaten der künftigen SR444 zusammen.

Wer also nicht bis zur Auslieferung von Ataris großem Wurf bei den Massenspeichern warten will, mache sich sogleich an die Arbeit.

W. Fastenrath/H. Brandl



Aus: ST-Magazin 06 / 1988, Seite 38

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