Zauberkästen für Computer-Magier: Zwei Assembler-Tutorials im Vergleich

Das Schreiben professioneller Computerprogramme gilt für viele Computer-Fans als höchstes, jedoch häufig auch unerreichbares Ziel. Mit dem Atari ST sind einige fast ausschließlich im professionellen Bereich angesiedelte Programmiersprachen wie beispielsweise »C« in die Hände der Hobby-Programmierer gelangt. Selbst das in Profi-Kreisen häufig belächelte »Basic« erlebt dank einiger besonders leistungsfähiger Implementationen auf dem ST einen zweiten Frühling.

Mit Hilfe dieser sogenannten »Hochsprachen« bewältigen inzwischen Profis und Amateure fast sämtliche Aufgaben des Programmieralltags auf dem ST. Doch trotz aller Geschwindigkeitsrekorde der Hochsprachen-Compiler lassen sich Spitzenleistungen in der Abarbeitungsgeschwindigkeit nach wie vor nur mit der maschinennahen Programmierung in »Assembler« erzielen. Superprogramme wie »STAD« oder »TEMPUS«, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen, demonstrieren eindrucksvoll die überragende Leistungsstärke der Assembler-Programmierung.

Leider zählt die Assemblersprache immer noch zu den geheimnisumwitterten Zauberwerkzeugen einiger weniger Computer-Magier. Doch nicht mehr lange! Zwei Software-Firmen sind angetreten, die Zauberformeln der Programmiersprache Assembler auch Anfängern zugänglich zu machen.

Der Hüthig Verlag hat zu diesem Zweck das Softwarepaket »Assembler-Tutor« (Tutor heißt Lehrer, Erzieher) auf den Markt gebracht, das zum relativ niedrigen Preis von 38 Mark lediglich eine einzige Diskette enthält, auf der in einer Textdatei auch eine kurze Gebrauchsanweisung zu finden ist. Eingedrucktes Handbuch liegt nicht bei. Der Assembler-Tutor selbst ist als eine Art »Bildschirm-Buch« konzipiert, das 29 Kapitel umfaßt, durch die man sich am Bildschirm »hindurchlesen« soll.

Mit der Help-Taste kommt man jederzeit aus dem Tutor heraus in ein mitgeliefertes Assembler-/Debugger-Programm. Bei Verlassen des Assemblers gelangt der Assembler-Lehrling ohne Verzögerung durch Nachladen des Textes wieder in den Assembler-Tutor zurück. Auf diese Weise lassen sich die gelesenen Beispiele während des Textstudiums erproben. Leider übernimmt der Assembler keine Beispielprogramme aus dem Text des Tutors, was zumindest bei längeren Programmen von Vorteil wäre.

Einzelne Befehle lassen sich — ähnlich wie in einem Interpreter — mit dem Assembler direkt ausprobieren. Zum Schreiben eigenständiger Testprogramme steht ein Editor zur Verfügung, der allerdings nur zeilenorientiert arbeitet. Mit dem Debugger werden anschließend die Programme schrittweise abgearbeitet und auf Fehler untersucht.

Der Tutor selbst führt währenddessen seinen geduldigen Lehrling zielstrebig durch die Welt der Assembler-Programmierung.

Der Kurstext verzichtet weitgehend auf »Expertenkauderwelsch«, der didaktisch wohldurchdachte Aufbau erlaubt es auch Anfängern, ohne Vorkenntnisse zum angestrebten Lernziel zu gelangen. Will man jedoch tiefer in die Assembler-Programmierung eindringen und eigene Programmier Projekte in Assembler verwirklichen, bedarf es unbedingt eines zusätzlichen Assembler-Handbuches (zum Beispiel der 68000-Assembler-»Bibel« von Werner Hilf und Anton Nausch aus dem TEWI-Verlag).

Mit ihrem »Assembler-Tutorial« hat die Firma CCD eine andere Lehrmethode gewählt. Voraussichtlich ab Ende April 1988 kommt für 98 Mark ein gewichtiges Paket auf den Markt, das in zwei dicken DIN-A5-Ring-Ordnern alles das enthält, was das Herz eines Assembler-Aspiranten höher schlagen läßt. Wer sich erst einmal durch die locker und leicht verständlich geschriebene Einführung gearbeitet hat, verfügt über ein fundiertes Grundwissen in der ST-Hardware, den Zahlensystemen und den Adressierungsarten.

Der zweite Teil des Kurses befaßt sich mit sämtlichen Befehlen des 68000-Prozessors. Er erläutert jeden Befehl mit Hilfe eines kleinen Beispiels. Die Befehlsbeschreibungen sind nach den Gesichtspunkten Benutzungshäufigkeit und Wichtigkeit sortiert. Am Ende des Kapitels befinden sich zwei sogenannte Quick-Referenz-Listen, in denen die Befehle sowohl nach ihren verschiedenen Verwendungen als auch in alphabetischer Reihenfolge sortiert sind.

Ein wichtiges Hilfsmittel für die Einarbeitungsphase befindet sich auf der mitgelieferten Diskette. Es handelt sich dabei um den »ST-Simulator«, ein Programm, das die Arbeit des Mikroprozessors im Atari ST auf dem Bildschirm sichtbar macht. Sogar das Verhalten eines einzelnen Befehles läßt sich auf dem Simulator-Desktop beobachten.

Leider ist der Simulator nicht in der Lage, den TRAP-Befehl des 68000-Prozessors auszuführen. Über solche TRAP-Aufrufe hat der Assembler-Programmierer Zugang zu den Betriebssystem-Routinen, wie beispielsweise die Ausgabe von Zeichen und Zeichen ketten auf dem ST-Bildschirm. Sozusagen als Ersatz haben die CCD-Programmierer jedoch eigene Unterprogramme eingebaut, die die Ein-und Ausgabe einzelner Zeichen steuern.

Textoberfläche mit Tastaturbedienung: einfach, aber bequem
Schritt für Schritt: ins Innere des Atari ST

Hat man auf diese Art die Benutzung der einzelnen Befehle geübt — in welchem Umfang dies geschieht, bleibt dem »Schüler« überlassen — führt der weitere Lehrgang direkt ins Betriebssystem. Wohlsortiert erklärt das dritte Kapitel die GEMDOS-, BIOS- und XBIOS-Routinen des TOS. Spätestens an dieser Stelle steht der Kauf eines Assemblers an, da dieses für jeden weiteren Lernfortschritt unentbehrliche Werkzeug nicht im Lieferumfang des Assembler-Tutorials enthalten ist.

Hat man das Thema Betriebssystem erfolgreich abgehakt, so ist das Ende des Kurses noch lange nicht erreicht. Für besonders verwegene Assembler-Neuprofis bietet der letzte Kursabschnitt eine ausführliche Einführung in die Programmierung aller VDI- und AES-Routinen. Die Beispielprogramme im Lehrbuchtext liegen als Programm- und Quelltext-Dateien auf der mitgelieferten Diskette vor.

Die beiden Produkte »Assembler-Tutor« und »Assembler-Tutorial« stellen empfehlenswerte Einführungskurse in die Assembler-Programmierung des 68000-Prozessors dar. Der preisgünstige Assembler-Tutor vom Hüthig Verlag führt den Assembler-Neuling an einer mehr oder weniger kurzen Leine durch die einzelnen Kapitel seines Bildschirmbuches und überläßt ihn anschließend der weiterführenden Literatur.

Das »Assembler-Tutorial« der Firma CCD baut dagegen — abgesehen vom simulatorgestützten Einführungsteil — mehr auf die Eigeninitiative des Kursteilnehmers, bietet auf der anderen Seite jedoch umfassende Informationen, die dank zahlreicher Referenzlisten auch bei einer weiteren Beschäftigung mit der Assembler-Programmierung von Nutzen sind.

Eine wohlgemeinte Warnung zum Schluß: Das Erlernen einer Programmiersprache wie Assembler ist nicht mit der Fähigkeit gleichzusetzen, auch sofort Programme zu schreiben. Die hier vorgestellten Assembler-Kurse vermitteln lediglich die notwendigen Grundbausteine, die erst in den Händen eines kreativen Programmierers zu schnellen, professionellen Programmen reifen.

(Andreas Käufer/Wolfgang Fastenrath/Ulrich Hofner)

Steckbrief

Produktname: Assembler-Tutor

Preis: 38 Mark

Hersteller: Hüthig Verlag

Stärken:

niedriger Preis □ direkt zwischen Tutor und Assembler umschaltbar □ Assembler und Debugger im Lieferumfang

Schwächen:

nicht alle Betriebssystemaufrufe erklärt □ nicht als Nachschlagewerk brauchbar

Steckbrief

Produktname: ST Total

Preis: 98 Mark

Hersteller: CCD

Stärken:

sehr umfangreiche Dokumentation □ gutes Preis-/ Leistungsverhältnis

Schwächen:

Assembler nicht im Lieferumfang □ keine Trap-Aufrufe im Simulator

Vertrieb: Dr. Alfred Hüthig Verlag GmbH, Postfach 102869, 6400 Heidelberg 1

Creative Computer Design (CCD), Burgstraße 9, 6228 Eltville



Aus: ST-Magazin 05 / 1988, Seite 56

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