MS-DOS ab Jahresmitte für den Atari ST: Der ST und die große weite Welt

Lange hat es gewährt. Nun scheint er doch noch gut zu werden. Der MS-DOS-Emulator, bereits für Oktober 1987 angekündigt (siehe Happy Computer 11/87), wurde erstmals auf der CeBIT präsentiert. Wir hatten schon vor der Messe Gelegenheit, den ersten Supercharger in den Frankfurter Entwicklungslabors eingehend zu betrachten.

Hauptgrund für die Verzögerung: Schwierigkeiten mit Herstellern. Verschiedene Unternehmen konnten das Herz des Superchargers, ein Gate-Array, nicht fertigen. OKI und IMP haben nun die Produktion übernommen.

Hier noch einmal kurz die wichtigsten Leistungsdaten: Standardmäßiger NEC-V30 Prozessor, das beschleunigte Äquivalent zu Intels 8086. 1 MByte RAM dienen als Hauptspeicher und werden außerhalb des Emulationsmodus vom ST als RAM-Disk genutzt. Ein Sockel für den Mathematik-Coprozessor ist ebenfalls auf der Platine. Sämtliche Schnittstellen, Maus und Peripherie des STs sind weiterhin nutzbar, 3,5-Zoll-MS-DOS-Disketten werden ohne Konvertierung gelesen und beschrieben. Eine spezielle Schnittstelle »TROL« gestattet mit 6 MByte/s schnelle Netzwerk-Anwendungen. Insgesamt verspricht man für den Emulator doppelte XT-Geschwindigkeit. Preis: zirka 600 Mark.

Als sich Microsofts Word zum erstenmal in Monochrom präsentierte, konnten die Entwickler endlich aufatmen

Was wir in Frankfurt als gerade fertiggestellten Prototyp sahen, war (subjektiv) bereits für einfaches XT-Tempo gut. Auch die Kompatibilitätstests überzeugten: So liefen Microsofts Word, Symphony, Lotus, Side-kick, verschiedene Utilities und Public Domain-Spiele. Letztere sind immer wieder die härtesten Nüsse für die Kompatiblen. Oft werden sie nur von Original-IBM-PCs verdaut.

Daß die Hardware schnell ist, konnten wir an Ort und Stelle überprüfen: Der bekannte Landmark-Benchmarktest zeigte den Supercharger als AT mit 10 MHz Taktfrequenz. Das Ergebnis führte sogar beim Beta-Team zu verblüfften Gesichtern. Gisbert Fischer, Geschäftsführer (2.v.l.), erfreut: »Wir hatten uns noch nicht getraut, Benchmarks zu fahren.«

Nun testet Landmark hauptsächlich die Prozessorgeschwindigkeit eines IBM-Kompatiblen, ohne vernünftig auf I/O und Zugriffe auf die Peripherie einzugehen. Dennoch: Rein hardwareseitig hatte der Supercharger mit diesem überraschenden Ergebnis bereits eine wichtige Hürde genommen. Alle Emulatoren der Vergangenheit scheiterten an unzureichender Geschwindigkeit.

Die Hardware von ST und Supercharger kommunizieren über den DMA-Port. Die meiste Zeit beansprucht die Übertragung des Bildschirms, der zehnmal in der Sekunde zum ST übertragen wird. Da auch Schnittstellen und Peripherie des ST angesprochen werden, ist der Port voll ausgereizt.

Anders die Software für den Datentransfer per DMA-Port. Sie scheint derzeit noch die stärkste Bremse im Gesamtsystem zu sein. Man habe, so Wolfgang Kreuzkamp, einer der Entwickler, die Übertragungsprogramme auf beiden Seiten »auf Sicherheit« konzipiert. Nach der Optimierung sei mit der vierfachen Transfergeschwindigkeit zu rechnen, insgesamt also mit der doppelten PC/XT-Performance.

Natürlich bringt die Kommunikation über den DMA-Port auch Nachteile mit sich. Werden weitere Peripheriegeräte zur Kommunikation mit dem Supercharger angeschlossen, so sind alle Wege doppelt so lang. Beispielsweise die Hard-Disk. Soll der Supercharger auf deren Daten zugreifen, werden Sie zuerst in den ST geladen und anschließend an den Supercharger weitergereicht. Hierdurch verlangsamt sich die Festplatte für den MS-DOS-Emulator um den Faktor 2. Dasselbe gilt für den Atari-Laserdrucker.

Laut Beta Systems liegen mittlerweile über 10000 Vorbestellungen allein aus Deutschland vor. Sollte diese Zahl zutreffen, so werden sich vermutlich weitere Entwickler an den Supercharger »anhängen«. Durch seine vielseitige und offene Schnittstellenarchitektur bietet der Supercharger denn auch ein weites Feld für Erweiterungen im Hard- und Softwarebereich. Man wolle, so Fischer, unabhängigen Entwicklern das Feld überlassen, wenn sich der Supercharger im Markt etabliert habe. Selbst werde man sich anderen High-Tech-Entwicklungen widmen.

In der Redaktion warten wir gespannt auf das Eintreffen der ersten Prototypen. Wenn der Supercharger hält, was erste Eindrücke und die Entwickler versprechen, wird er in der ST-Szene und darüber hinaus für Furore sorgen.

Mit MS-DOS unter seiner grauen Haube ist der Atari ST unbestritten der Computer mit den meisten Gesichtern: Ob Mac, Apple II (unter Aladin), C 64, Atari XL, CP/M-Z80: Der ST versteht die Standardsprachen der großen weiten Computerwelt. (Matthias Rosin)

Beta Systems Computer AG, Buckenheimer Landstr. 33-35, 6000 Frankfurt

Stolz: das Beta-Team mit einem der ersten Prototypen


Aus: ST-Magazin 05 / 1988, Seite 15

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