Anläßlich unseres Besuchs bei Perihelion in Cambridge standen uns Dr. Tim King, der das Betriebssystem Helios entwickelt, Jack Lang, der für die Hardware des ABAQs verantwortlich zeichnet, und Richard Miller, Designer des Charity Chips, während eines ausführlichen Gespräches Rede und Antwort.
ST-Magazin: Warum haben Sie sich für den T 800 als Prozessor für Ihre Workstation entschieden?
Dr. Tim King: Bei Mikrocomputern gab es eigentlich bis jetzt keinen wirklichen Sprung in der Entwicklung. Es ging immer schrittweise voran: zuerst die 8-Bit-Maschinen, dann die 16-Bitter und zuletzt die 32-Bit-Prozessoren. Erst parallele Systeme, die auf Transputern basieren, stellen einen tatsächlichen Entwicklungssprung dar. Dies äußert sich darin, daß man gezwungen ist, Programme nach einer neuen Philosophie zu schreiben. Wir sind nun in der Lage, die Leistung des Computers schnell beträchtlich zu erhöhen. Nimmt man zehn zusätzliche Transputer, so erhöht sich die Leistung um den Faktor 10, nimmt man 100, so verfügt man über 100mal mehr Leistung.
ST-Magazin: Neben den Transputern macht in letzter Zeit ein weiterer Prozessor von sich reden, der neue MC 78000 von Motorola. Was halten Sie von diesem Chip?
Dr. Tim King: Ich sehe beim MC 78000 Probleme mit seiner Geschwindigkeit, denn die soll ja enorm sein. Doch wie soll dieser Chip seine Geschwindigkeit wirkungsvoll einsetzen, wenn wir die folgenden Zahlen zugrundelegen: Normales On-Chip-RAM hat eine Zugriffszeit von etwa 50 Nanosekunden, sehr schnelles von 33 Nanosekunden. Für Zugriffe auf externes RAM sind gar 80 Nanosekunden nötig. Dies macht die Prozessorgeschwindigkeit zunichte, da der Chip durch Wartezyklen gebremst wird. Hier stößt man auf physikalische Grenzen, die sich nicht durch immer schnellere Prozessoren überwinden lassen. Durch parallele Datenverarbeitung läßt sich aber die Leistungsfähigkeit eines Computers erhöhen, ohne durch die eben aufgeführten Probleme behindert zu werden.
ST-Magazin: Was sind die Stärken von Helios?
Dr. Tim King: Ein nicht zu unterschätzender Vorteil von Helios ist mit Sicherheit, daß sich die Befehle sehr an UNIX anlehnen. Dadurch sind Anwender, die von UNIX-Workstations kommen, in der Lage, Helios mehr oder weniger sofort zu bedienen. Weiter ist hier die Portierbarkeit von Helios zu nennen, denn dieses Betriebssystem ist nicht ausschließlich für den Einsatz auf Transputern entwickelt. Es ist durchaus denkbar, Helios beispielsweise für einen Computer mit MC 68000-Prozessor umzuschreiben. Die Entwicklung von Helios auf einem T 800 liegt nur daran, daß dieser Prozessor die leistungsstärkste zur Zeit erhältliche CPU ist.
ST-Magazin: Wie wir erfahren haben, entwickeln Drittanbieter bereits verschiedene Programmiersprachen für den ABAQ unter Helios.
Dr. Tim King: An Pascal, BCPL, ADA und Lisp wird zur Zeit gearbeitet, ein Modula 2-Compiler ist fast fertiggestellt und ein C-Compiler und Basic arbeiten bereits unter Helios.
ST-Magazin: Wie verständigen sich Entwickler, die Software für diesen neuen Computer programmieren? Wie unterstützt Perihelion diese Entwickler?
Jack Lang: Zunächst kann jeder Entwickler die dreibändige Dokumentation zum ABAQ von uns erwerben. Ferner versenden wir eine Liste an die Softwarehäuser, in die jeder Entwickler auf Wunsch aufgenommen wird, um so den Gedankenaustausch anzukurbeln. Zusammen mit Atari wollen wir eine Diskussion, die sich durchaus auch auf sehr spezielle Themen beziehen kann, in dieser Gruppe anregen.
ST-Magazin: Der ABAQ verfügt über einen Farb-Blitter. Für welche Anwendungen wurde er entwickelt und was zeichnet diesen Custom-Chip aus?
Richard Miller: Der ABAQ unterstützt nur Grafikauflösungen in Farbe. Allein diese Tatsache bestimmte wesentlich das Design des Blitters.
Farbgrafik bereitet in jedem Fall besondere Probleme. Bei jeder Veränderung der Grafik müssen sehr viele Bits sehr schnell bewegt werden. Das erfordert zusätzliche Hardware, die sich allein um diese Aufgabe kümmert. Beim ABAQ werden alle Farbveränderungen hardwaremäßig auf dem Blitter durchgeführt. Eine der wichtigsten Eigenschaften des Blitters ist die Fähigkeit, Pixel mit ihren Farben zu vergleichen. Die theoretischen Grundlagen dafür lieferte uns die Universität Bath. Wir verwenden dabei eine 32 x 32 Bit große Maske im Blitter, in die wir die Pixel zweier Grafikausschnitte beliebig einiesen. An jedem Pixel lassen sich vier unterschiedliche Vergleichsoperationen durchführen. Abhängig vom Ergebnis der Vergleiche schreiben wir dann in den Quelloder den Zielblock neue Werte. Das ist auch schon der Kern der Sache.
Für diese Operationen steht ein 32 Bit breiter Datenbus zur Verfügung: Mit vier Bitplanes lassen sich also acht Pixel in einem Taktzyklus bewegen. Da wir vier Millionen Taktzyklen in der Sekunde verwenden, schreibt der Blitter pro Sekunde 32 Millionen Bit in einen Zielbereich. In einem weiteren Modus läßt sich die Schreibgeschwindigkeit sogar auf 128 Millionen Pixel in einer Sekunde erhöhen. Das ist besonders für das Ausfüllen von Flächen nützlich.
Auch das Löschen des Bildschirmspeichers geht so sehr schnell. Schrift wird in diesem Modus mit 64 Millionen Pixel pro Sekunde auf den Bildschirm gebracht. »Nur« 64 Millionen Pixel, da zum Kopieren der Quellblock erst in die Maske geladen wird, die Geschwindigkeit halbiert sich also bei allen Kopiervorgängen. Wir brauchen einen so schnellen Blocktransfer, da auch What-You-See-Is-What-You-Get-Programme wie Textverarbeitungen und DTP-Soft-ware in der höchsten Auflösung mit einer vernünftigen Geschwindigkeit laufen sollen. Ich fürchte aber, daß die ersten WYSIWYG-Pakete für den ABAQ die gebotene Hardware nicht vernünftig ausnutzen, es wird erstmal eine Zeit dauern.
ST-Magazin: Wird die Geschwindigkeit des Blitters durch die Geschwindigkeit der Speicherbausteine begrenzt?
Richard Miller: Ja, die RAMs sind ein echter Flaschenhals. Wir verwenden ganz normale dynamische RAM-Bausteine mit einer Zugriffszeit von 120 Nanosekunden. Mit schnelleren RAMs wäre der Blitter noch schneller.
ST-Magazin: Wie wurde der Blitter designed?
Richard Miller: Ich habe den Chip von der ersten Skizze bis zum fertigen Prototypen selbst entwickelt. Das Design begann im Juli 1987, nach drei Monaten war der erste Prototyp fertig. Der erste Entwurf bestand aus einem Gate-Array mit 8500 Schaltungen. Der Blitter nimmt 97 Prozent des Arrays in Anspruch, was meines Wissens bisher noch nicht erreicht wurde. Wir haben ihm den Spitznamen »Charity« gegeben, ohne daß der Name einen besonderen Grund hätte. Nur zwei Tage vor der Comdex erhielten wir von National Semiconductor den fertigen Chip. In Las Vegas habe ich ihn dann in meinem Hotelzimmer persönlich auf die Platine gelötet, zuvor trank ich aber erst eine Margerita, um die Aufregung zu lindern...
ST-Magazin: Es heißt, daß bei der Chipentwicklung viel Zeit mit der Suche nach Fehlern vergeht.
Richard Miller: Ja, völlig richtig. Die Simulation und das Debuggen eines Chips dauert mindestens so lange wie der Entwurf der Schaltung. Die Schaltung wird nicht nur theoretisch überprüft, sondern anhand von Prototypen nach allen denkbaren Fehlern durchforstet. Charity besteht tatsächlich nur zur Hälfte aus dem Blitter. Charity ist für den ABAQ ein Master-Chip. Charity kümmert sich unter anderem um die Speicherverwaltung, den Refresh der RAMs und das Video-Timing. Außerdem läßt sich Charity frei programmieren. Die Grafikmodi sind beim ABAQ nur aus kommerziellen Gründen festgelegt, in Wirklichkeit sind sie aber programmierbar. Charity unterstützt deshalb auch Monitore mit einer sehr hohen Auflösung. Auf einen Interlace-Modus habe ich allerdings verzichtet, er ist einfach indiskutabel.
ST-Magazin: Dr. King, in welchen Anwendergruppen sehen Sie einen Markt für den ABAQ?
Dr. Tim King: Wir meinen, daß der ABAQ besonders für drei Märkte von Interesse ist. Zum einen wird diese Workstation mit Sicherheit in der Wissenschaft eingesetzt, denn hier kommt es auf eine hohe Rechenleistung an. Der ABAQ dürfte also für Universitäten und wissenschaftliche Institute sehr reizvoll sein. Einen zweiten Markt bilden die Softwarehäuser, die den ABAQ als Entwicklungsmaschine nutzen werden. Schließlich ist unsere Workstation für CAD-/CAM- und Desktop Publishing-Anwender eine verlockende Alternative, da es auch hier auf eine sehr hohe Rechenleistung ankommt.
ST-Magazin: Wie sehen Sie die Chancen, daß auch Grafiker den ABAQ nutzen.
Dr. Tim King: An der ständig wachsenden Nachfrage für spezielle PC-Karten oder 68000-Systeme im Low-Level-Bereich ist zu erkennen, daß dieser Markt sehr schnell wächst. Computer wie der ABAQ werden den Top-Level in diesem Bereich bilden.
ST-Magazin: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
(Ulrich Hofner/Tarik Ahmia)