Hardware-Rock & Software-Blues: ADAP-Soundrack-System macht den ST zum Musik-Computer

Ohne die klangvolle »Leihstimme« eines Synthesizers an der MIDI-Leitung krächzt und fiept der Atari ST nur schmalbrüstig in die weite Computerwelt hinaus. Die amerikanische Firma Hybrid Arts will dem ST jedoch schon bald neue »Stimmbänder« verpassen. Getreu dem Firmennamen handelt es sich dabei um ein Hybrid-System aus Hard- und Software.

Die Hardware des »ADAP-Soundrack« besteht aus je einer digitalen und einer analogen Einheit. Eine stabile Metallbox, in der die von ADAP benötigte Digital-Hardware untergebracht ist (die sogenannte Digital Box), findet über ein kurzes Platinenstück am ROM-Port des Atari Anschluß. Ein zirka 1,5 Meter langes Kabel verbindet die Digital-Box mit einem in der Musikelektronik üblichen 19-Zoll-Gehäuse, der sogenannten Analog Box. In diesem Gehäuse befinden sich neben der Stromversorgung je zwei Analog-Digital-und Digital-Analog-Konverter (AD-DA-Wandler) sowie Audio-Filter-Bausteine und die Audioanschlüsse (je zwei Ein- und Ausgänge). Die von ADAP unterstützten MIDI-Anschlüsse sind direkt im Atari ST eingebaut. Hybrid Arts verwendet AD-DA-Wandler mit einer Datenbreite von 16 Bit, die maximale Sample-Rate der Wandler beträgt 44,1 kHz. Diese Daten entsprechen den Qualitätsanforderungen der CD (Compact-Disk)-Norm.

Zum Lieferumfang gehören weiterhin ein Handbuch und zwei Disketten mit Software. Das Handbuch in englischer Sprache bietet eine ausreichende Einführung in das System. Außerdem vermittelt es einige Grundlagen über das Sound-Sampling, das Haupteinsatzgebiet des ADAP-Systems beim derzeitigen Stand der Software-Entwicklung.

Zur Aufnahme von Sound-Samples mit dem ADAP-System verbindet man eine Klangquelle mit dem Eingang der Analogbox. Leider reicht die Eingangsempfindlichkeit für niederohmige Signalquellen nicht aus. CD-Plattenspieler, Tonbandgeräte oder Mischpulte dagegen bereiten keine Probleme. Die Wiedergabe der gespeicherten Klänge erfordert eine externe Verstärkeranlage, der eingebaute Lautsprecher des ST-Monitors wird nicht einmal zu Kontrollzwecken herangezogen.

Geeignete Software soll den Atari ST mit ADAP-Soundrack-Hardware in ein vielfältig nutzbares »Musikgerät« für die unterschiedlichsten musikalischen Anwendungen verwandeln. Entwicklungsziel ist ein zukunftsträchtiges, ständig erweiterungsfähiges Musik-Computersystem, dessen Grenzen nur die Leistungsfähigkeit der Software bestimmt. Unserem Bericht liegen die Erfahrungen mit den noch nicht zum Verkauf freigegebenen Vorversionen (Version 1.10) der Software zugrunde. Zur Zeit simuliert die Software einen MIDI-kompatiblen 16-Bit-Sound Sampler, ein Digitalechogerät, einen Pitch Transposer, der die Tonhöhe eines Eingangssignals in Echtzeit nach oben oder unten verschieben kann sowie einen Tongenerator mit mehreren Schwingungsformen. Darüber hinaus gibt es, allerdings eher zur Demonstration künftiger Fähigkeiten, noch ein Oszilloskop und einen Spektralanalysator, die ebenfalls in Echtzeit arbeiten.

Das mit Färb- und Schwarzweiß-Monitor lauffähige ADAP-Steuer-Programm ist modular aufgebaut. Die Bedienung der einzelnen Module erfolgt nicht aus einer GEM-Benutzeroberfläche, sondern über anklickbare Wahlfelder in mehreren Bedienungsbildschirmen (»Page«). Jede Page besitzt am unteren Bildschirmrand eine Befehlsleiste, die den Zugang zu den einzelnen Teilprogrammen erlaubt.

Nach Anklicken des EDIT-Feldes in der unteren Bildschirmzeile wird die Edit-Page geladen. Mit ihr läßt sich der zur Zeit sicherlich wichtigste Einsatzbereich des ADAP-Systems steuern, nämlich das »Sampling«, also die digitale Aufnahme akustischer Signale und die Wiedergabe und Steuerung der Samples durch ein MIDI-fähiges Keyboard oder einen MIDI-Sequenzer.

Bild 1. Für Sammler: Sampling-Steuerung mit der Edit-Page

Für Aufnahme oder Wiedergabe läßt sich die Sample-Rate in vier Stufen von 44,1 kHz über 31,25 kHz und 22,05 kHz auf 15,6 kHz reduzieren. Die Sample Rate bestimmt die maximale Frequenz, die sich mit dem System aufnehmen läßt. Dabei gilt, daß die Sample-Rate mindestens doppelt so hoch sein muß wie die höchste aufzunehmende Frequenz. Wenn eine Frequenz von 20 Hz aufgenommen werden soll, muß die Sample-Rate also mindestens 40 kHz betragen. Compact Disks arbeiten mit einer Sample-Rate von 44,1 kHz und decken damit den menschlichen Hörbereich von 20 Hz bis 20 kHz ab. Mit dem ADAP-System läßt sich also CD-Qualität erreichen.

Außer durch die Sample-Rate wird die Qualität eines digital aufgenommenen Klanges auch durch die Bitbreite der A-D-Wandler bestimmt. Von dieser Bitbreite hängt die maximale Dynamik einer Aufnahme ab. 1 Bit verarbeitet 6dB Dynamikunterschied, 16 Bit ergeben also eine Dynamikbreite von 16x6, also 96dB. Das ADAP-System verwendet ebenso wie ein CD-Player 16-Bit-Wandler, bietet also auch hierbei die größtmögliche Qualität.

Je höher die Sample-Rate eingestellt ist, desto mehr Speicherplatz wird pro gesampleter Sekunde verbraucht. Eine Verringerung der Sample-Rate erlaubt längere Aufnahmezeiten. Die maximale Samplingzeit des ADAP-Systems beträgt in Mono bei 44,1 kHz auf einem ST mit 1 MByte zirka 7 Sekunden. Bei einer Samplingrate von 15,6 kHz erhöht sich die Gesamtzeit auf zirka 30 Sekunden. Mit einem Mega ST4 stehen in der niedrigsten Sample-Rate sogar fast 2 Minuten zur Verfügung, in CD-Qualität dann immerhin noch etwa 40 Sekunden.

Der Sampling-Vorgang wird durch Anklicken des Wahlfeldes »SAMPLE« gestartet. Will man beispielsweise aus einem laufenden Stück einer Compact Disk etwas »heraussamplen«, so hört man zunächst mit der Funktion »SOUND THROU ON« die passende Stelle an. Bei der entsprechenden Musikpassage klickt man auf das »SAMPLE«-Feld. Die THROU-Funktion schleift die am Eingang anliegenden Signale direkt auf die Ausgänge durch, so daß sich ein Hörvergleich zwischen Klangquelle und ADAP mit Hilfe der Maus steuern läßt, ohne an der externen Verstärkeranlage umschalten zu müssen.

Ein so aufgenommener Sample — oder zum Kennenlernen ein Sample von der Beispiel-Diskette — läßt sich anschließend mit den weiteren Funktionen der Edit-Page bearbeiten. Dabei hilft es, den in einem Grafikfenster sichtbaren Schwingungsverlauf des Samples durch Zoomen der grafischen Darstellung in verschiedenen Auflösungen der x- und y-Achse zu betrachten.

Mit der Maus werden Teilbereiche des Schwingungsbildes ausgewählt und durch Invertierung gekennzeichnet, um sie anschließend diversen Modifikationen zu unterwerfen. Klangausschnitte lassen sich aus-schneiden (»CUT«) oder kopieren (»COPY«), an anderer Stelle einfügen (»INSERT und »MULTI INSERT«), in der Lautstärke beeinflussen (»ADJUST VOLUME«) und schließlich sogar rückwärts (»REVERSE«) einsetzen oder invertieren (»INVERT«).

UNDO macht die zuletzt ausgeführte Funktion wieder rückgängig. Dabei bleiben jedoch alle vorgenommenen Änderungen im Speicher, so daß mit der UNDO-Taste blitzschnell ein direkter Vergleich zwischen zwei Einstellungen erfolgen kann.

Ebenfalls mit der Maus lassen sich Gesamthüllkurven für einen Sample oder einen Teilbereich frei zeichnen (»DRAW ENVELOPE«), der Entwurf einer eigenständigen Schwingungsform mit der Maus (»DRAW WAVE«) ist vorgesehen.

Teilbereiche des Schwingungsvorganges lassen sich als Loops abspielen. Beim Setzen der Grenzpunkte solcher Loops sollte man allerdings darauf achten, Anfang und Ende des Schwingungsausschnittes gut zusammenpassend zu wählen, da sich ein abruptes Ändern der Klangstruktur bei jedem Loop durch Knacken unangenehm bemerkbar macht. Am besten eignet sich der Nulldurchgang eines möglichst gleichmäßig verlaufenden Schwingungsabschnittes. Das sogenannte Cross-Fade-Looping (weiches Überblenden von Loop-Ende und Loop-Anfang) sowie ein intelligenter Loop-Generator (automatische Suche geeigneter Loop-Punkte) sind erst für kommende Versionen eingeplant. Bereits jetzt lassen sich zwei verschiedene Loops setzen, die miteinander verrechnet werden, sich also in ihren Lautstärkeverläufen gegenseitig beeinflussen (»XFADE SUSTAIN« und »XFADE RELEASE«).

Die gesampleten Klänge sind selbstverständlich auf Diskette speicherbar. Umfangreiche Sounds lassen sich auf mehrere Disketten verteilen. Der gleiche Trick zur Speicherung sehr langer Musikpassagen durch Verteilung auf mehrere Festplatten ist in Arbeit.

Die Sounddaten anderer bekannter Sound Sampler wie Prophet 2000/2002+ , Ensoniq Mirage, Akai S-900, Korg DSS-1, Emu Emax, Roland S 50, Digidesign Standard etc. bearbeitet das ADAP-System direkt, man lädt sie einfach von den Originaldisketten. Natürlich sind die Nachbearbeitungsfunktionen der entsprechenden Sampler dann nicht mehr verfügbar, der Funktionenreichtum des ADAP-Systemes bietet jedoch auch verwöhnten Anwendern genügend eigene Werkzeuge zur Nachbearbeitung der Sounds.

Gespeicherte Samples lassen sich über ein an den ST angeschlossenes MIDI-Keyboard beeinflussen oder sogar wie beliebige Klänge spielen. Eine besondere Keyboard-Page erlaubt die Einstellung der wichtigsten MIDI-Parameter sowie eine komfortable Verteilung mehrerer Samples auf unterschiedliche Tastaturbereiche.

Bild 2. Mäuseklavier: Das MIDI-Keyboard singt und trommelt ganz nach Wunsch

ADAP kann zur Zeit sechsstimmig (später achtstimmig) auf allen 16 MIDI-Kanälen senden und empfangen (Poly-Mode). Im Omni-Mode läßt sich nur eine Auswahl von MIDI-Kanälen angeben, die ADAP ansprechen soll. Mit Hilfe eines auf dem Bildschirm eingeblendeten Tastaturausschnitts, der sich über die gesamte Breite von acht Oktaven scrollen läßt, ordnet man auf einfachste Weise unterschiedliche Samples den verschiedenen Tastaturbereichen und sogar einzelnen Tasten zu. So läßt sich ein recht differenziertes Multisampling mit bis zu 64 verschiedenen Samples verwirklichen. Auf einzelne Tasten lassen sich dabei bis zu sechs verschiedene Samples gleichzeitig legen. Der verfügbare Arbeitsspeicher begrenzt diese Möglichkeiten, da alle Samples natürlich immer im RAM-Speicher des Rechners vorhanden sein müssen.

Die nächste Bildschirmseite »RACK-Page« bietet gleich drei verschiedene Funktionen. Die erste verwandelt das ADAP-System in einen Funktionsgenerator, der Rechteck-, Dreieck-, Sägezahn- und Sinusschwingungen mit einstellbarer Frequenz und Amplitude erzeugen kann. Die Berechnung der Schwingungsformen benötigt allerdings einige Zeit. Bei der Berechnung einer Sinuskurve meldet sich ADAP erst nach gut drei Minuten zurück. Die übrigen Kurvenformen werden erheblich schneller berechnet, durchschnittlich in zirka fünf bis zehn Sekunden. Die Schwingungen können anschließend sowohl in der Lautstärke (geeichte Dezibel-Skala) wie in der Frequenz (in Hertz) eingestellt werden.

Die zweite Funktion der Bildschirmseite simuliert einen sogenannten Pitch Transposes der die Tonhöhe jedes eingespeisten Audiosignals in Echtzeit verschiebt. Veränderbare Parameter transponieren das eintreffende Signal in weiten Bereichen noch oben oder unten. Aus einer normalen menschlichen Stimme sind Mickey Mouse-Gequäke oder eine Donnerstimme kein Problem mehr.

Die dritte Funktion entspricht einem digitalen Echogerät, das Verzögerungszeiten bis zu drei Sekunden und ausreichende Einstellungsfunktionen für Wiederholungsrate, Intensität etc. bietet. Mit eingeschränkten Einstellungsvarianten läßt sich die Echofunktion bereits bei der derzeitigen Softwareversion auf die im Rechner vorhandenen Samples anwenden.

Das Gespann Atari und ADAP als reines Echogerät oder als Pitch Transposer wäre sicherlich eine viel zu teure Angelegenheit, aber diese Funktionen sind eher als Zugaben gedacht, die weitere Fähigkeiten des Systems andeuten sollen. Beispielsweise ist auch die softwaremäßige Emulation eines digitalen Hallgeräts oder eines anderen Effektgeräts, etwa eines Verzerrers, denkbar. Die Rack-Page soll mit weiteren Effektgeräten bestückt werden, die dann über den Bildschirm scrollen.

Die weiteren Bildschirmseiten emulieren ein Echtzeit-Oszilloskop, das die Schwingungsform eintreffender Audiosignale anzeigt, sowie einen in Echtzeit arbeitenden Spektralanalysator, der die eintreffende Schwingung in Partialschwingungen zerlegt und ihre Amplitude für den jeweiligen Frequenzbereich in einem Diagramm angibt. Zur genaueren Betrachtung kann man die Momentanwerte einfrieren (»FREEZE«), so daß das Spektralbild oder Oszilloskopbild stehenbleibt.

Leider sind beide Programmteile noch nicht so weit entwickelt, daß sie zu einer ernsthaften Anwendung taugen. Besonders der Spektralanalysator, mit seinem Anzeigebereich von 1 kHz bis 5 kHz und einer Sample-Rate von 22 kHz, erfüllt natürlich keinesfalls ernsthafte Ansprüche. Das gewählte Verfahren zeigt allerdings die Fähigkeiten einer Echtzeit-Spektralanalyse mit ADAP auf. Wenn die Analyse mit 44,1 kHz und einem Bereich von 20 Hz bis 20 kHz aufwartet, wird dieser Programmteil auf vielen Gebieten sinnvoll einsetzbar sein.

Für die Zukunft geplant ist eine direkte Übernahme von Daten aus digitalen Speichersystemen wie Compact Disc, CD-ROM oder Digital Audio Tape (digitaler Kassettenrecorder). So können Musikstücke, die im digitalen Code vorliegen, direkt in das ADAP-System überspielt werden, eine DA-AD-Wandlung entfällt.

Die direkte Eingabe von Digitaldaten in Verbindung mit mehreren Festplatten macht das ADAP-System zu einer preisgünstigen digitalen Aufzeichnungsmaschine für Musikproduktionen. Der Gesamtpreis für ein System mit Atari ST, ADAP System und mehreren Festplatten liegt erheblich unter den Kosten für eine professionelle digitale Aufzeichnungsmaschine. Diese Kostenfrage wird dann interessant, wenn die Software für ADAP eine digitale Mehrkanalmaschine simulieren kann.

Als weitere sinnvolle Nutzung des ADAP/Atari ST-Systems ist der Einsatz als digitale Mastermaschine zum Editieren (Schneiden) digital gespeicherter Musik denkbar. Wegen der variablen Bearbeitungsfunktionen, also beispielsweise Kopieren und Einfügen von Teilstücken der aufgenommenen Musik, stünde mit diesem System ein digitaler Schnittplatz zur Verfügung, der Profileistung zu semiprofessionellem Preis auf den Markt bringen würde.

Das ADAP/Atari ST-Computersystem vermittelt einen ersten umfassenden Eindruck von der Wandlungsfähigkeit eines Musikcomputers, dessen Spezifikationen und Funktionen letztlich nur von den steuernden Programmen abhängen. Das Konzept, eine universelle Hardware anzubieten, die durch ständige Software-Updates immer weiter aufgewertet werden kann, ist richtungsweisend. Das Handbuch stellt ADAP nicht als fertiges Produkt dar, sondern vielmehr als ein Projekt, das ständig weiterentwickelt wird. Man darf gespannt sein, was den Programmierern von Hybrid Arts noch alles einfallen wird.

(Wolfgang Klemme/ Wolfgang Fastenrath/ Ulrich Hofner)

Hybrid Arts Deutschland GmbH, Lindenscheidstr. 1, 6230 Frankfurt 80

Bild 3. Regel für die Zukunft: Die Rag-Page soll weiter gefüllt werden


Aus: ST-Magazin 04 / 1988, Seite 44

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