Centurbo 060

Da liegt Sie nun, die lang ersehnte Centurbo 060, an deren Existenz ich nicht mehr zu glauben wagte. Und was passiert mir? Ich bekam eine Augenentzündung. Wie schrieb doch die st-computer sinngemäß vor ein paar Monaten? "Ein Produkt, das auf alles allergisch reagiert: auf sich selbst, auf den Falcon und auf den Benutzer. Sollte dies ein Effekt davon sein?

Tatsächlich hat es drei Jahre gedauert, bis der Beschleuniger für Ataris einstigen Wundervogel endlich sein Nest verlassen konnte. Unzählige Betatests, neu auftauchende Fehler und damit einhergehende Auslieferungsverzögerungen raubten auch hartgesottenen Falcon-Fans den letzten Nerv. Trotzdem setzte sich einmal mehr die schon sprichwörtliche Geduld der Atar-isti durch: Laut dem Entwickler Rodolphe Czuba zog nur ein einziger deutscher Kunde seine Bestellung zurück.

Erste im Internet veröffentlichte Resultate verhießen nach der Präsentation dann aber nichts Gutes. Zahlreiche Anwender klagten über Abstürze, andere Falcons wollten mit der CT6o gar nicht erst zusammenarbeiten und blieben mit schwarzem Bildschirm stehen. Umso gespannter waren wir natürlich auf den ersten Test.

Installation

Die Centurbo 060 ist als "Plug-and-Play"-Hardware konzipiert, theoretisch muss die Beschleunigerkarte also nur auf den Erweiterungsbus des Atari Falcon aufgesteckt werden. Soll allerdings auch der Atari beim Einbau gleich mit verbessert werden, so muss der Besitzer doch zum Lötkolben greifen. Kabel und SMD-Widerstände liegen dem Centurbo-Paket bei.

Wer sich den Eingriff nicht selbst zutraut, kommt für die optimale Nutzung der Centurbo nicht um den Besuch einer Fachwerkstatt herum. In unserem Fall brachte dieser Schritt eine Schreckensmeldung mit sich: Der auserkorene Falcon 030 schien in der Vergangenheit "Löt-Barbaren" zum Opfer gefallen zu sein, sodass nur wenig Hoffnung bestand, die Centurbo so einzulöten, dass der Rechner auch überlebte. Abhilfe schaffte da nur die Verwendung eines anderen, "jungfräulichen" Falcon. In unserem Fall musste also kurzfristig ein eBay-Anbieter glücklich gemacht werden.

Viele Falcon-Besitzer werden den Beschleuniger in das originale Tastatur-Gehäuse einbauen wollen, um sich so das originale "Falcon-Feeling" zu erhalten. Dies erschafft neue Probleme: Czuba-Tech verschickt die Centurbo 060 mit einem nicht allzu leisen Pentium-Lüfter, der zu allem Unglück auch noch recht groß ist und nicht unbedingt stabil wirkt. Erfolg hatten wir mit einem Lütter, der in den Kühlkörper des Prozessors eingeschoben wird. Dieser darf nicht größer als 40 x 40 Millimeter und nicht höher als 10 Millimeter sein. Nun geht auch das Tastatur-Gehäuse noch zu. Rodolphe Czuba empfiehlt die Ablage seines Lüfters irgendwo im Gehäuse, anscheinend in der stillen Hoffnung, dass der CPU-Kühlkopf dann noch etwas Frischluft abbekommt.

Allergiker?

Zur Behandlung oben genannter Allergie stehen mehrere "Medikamente" zur Verfügung: der sogenannte "ABE-Flash", der "SDR-Flash" und ein gepatchtes TOS. Die Flash-Programme müssen der CT6o allerdings mittels Spezialkabel "injiziert" werden und haben die Aufgabe, die wichtigsten Chips der Centurbo zu programmieren. Dazu stehen zwei Xilinx-Chips (ABE und SDR) für Daten bereit. Nicht immer muss jedoch zum Update gegriffen werden, Rodolphe Czuba versorgt seine Kundschaft mittlerweile mit fast wöchentlichen Bulletins zur Fehlerbehebung. Wer eine CT6o nutzt, sollte also unbedingt über einen Internet-Zugang verfügen.

Absolut notwendig sind aber die weiteren Programme, die der französische Entwickler Didier Mequinon, der Schöpfer des Aniplayer, auf seiner Webseite anbietet. Diese Applikationen sind für den Start der CT60 unerlässlich und bestehen aus dem für den ersten Schritt notwendigen Grundprogrammen. Dazu gehören ein Patch-Programm sowie ein paar CPX-Module zur Konfiguration. Die notwendigen Installationen und Einstellungen können dabei problemlos auch auf dem nicht erweiterten Falcon vorgenommen werden, da sich die Änderungen nur auf den Betrieb der Centurbo auswirken. Von der Verwendung des CPX-Moduls "Video Boo" sollte man allerdings die Finger lassen, wenn man nicht ganz genau weiß, was man tut, da mit diesem das NVRAM auch "zu Tode konfiguriert" werden kann - in unserem Test ist uns dies dann auch treffsicher gelungen, was einen Falcon ohne Bildschirmausgabe ergab.

Vor der Installation der Systemsoftware sollte daher auf jeden Fall eine Sicherheitskopie des Bootlaufwerks vorgenommen werden. Danach sollte ein neuer AUTO-Ordner Stück für Stück aufgebaut werden, um eventuelle Fehlerquellen beim nachfolgenden Hochfahren des Falcon gezielt zu vermeiden. Auf den Webseiten von Czuba-Tech findet sich eine Beispiel-Konfiguration.

Probleme beim Start gab es trotzdem reichlich. So blieb der Falcon bei Verwendung der Systemerweiterung WDialog in unserem Test gnadenlos stehen - zum Glück wird sie ab MagiC 6.x nicht mehr benötigt. Unversöhnlich zeigte sich leider auch das Kontrollfeld COPS, das durch eine von Didier Mequignon gepatchte Version von XControl ersetzt werden musste.

Als einzige funktionierende Software für Bildschirmerweiterungen haben wir Centscreen ermitteln können, da alle anderen entsprechenden Programme ihre dazugehörige Hardware vermissten. Centscreen kann von der Webseite der "dead hackers society" (www.dhs.nu) herunter geladen werden. Nachdem man sich also durch die Mühen der Konfiguration gekämpft hat (Windows lässt grüßen), stellt sich nun die Fragen der Kompatibilität, des Tempos und dem allgemeinem "Wohlfühl-Faktor".

Kompatibilität

Abgesehen von den beiden oben genannten Ausreißern und einem fehlerhaften Arbeiten der Programme XConvert bzw. NConvert hat sich die CT60 erfreulich kompatibel zum Rest unserer Programm-Ausstattung gezeigt, wobei wir allerdings vermuten, dass alle drei genannten Programme eher Schwierigkeiten mit dem PS/2-Riegel haben, den wir bei der Gelegenheit getauscht haben - man sollte eben nicht alles bei ebay ersteigern.

Einige Programme wie zum Beispiel GEMView arbeiten allerdings nur, wenn der Cache des 68060 ausgeschaltet wird. Natürlich kann dieser aus Sicherheitsgründen immer ausgeschaltet bleiben, dies führt allerdings zu spürbaren Geschwindigkeitseinbußen. Insgesamt sind nur ca. 5 Prozent aller Programme von dem Cache-Problem betroffen, entsprechende Auflistungen finden sich im Internet. Es steht auch zu hoffen, dass dieses Problem weiter eliminiert werden kann, je mehr Anwender die Centurbo 060 nutzen.

Geschwindigkeit

Die wichtigste Frage ist aber definitiv die der Geschwindigkeit, hier dürfte auch die größte Neugier der Anwender liegen. Um es vorweg zu sagen: Wir waren absolut positiv überrascht was aber auch nicht verwundern sollte, da Atari-Programme im Vergleich zu WindowsProdukten gnadenlos in ihrer Geschwindigkeit optimiert sind.

Beim Browsen in Webseiten benutzen viele Atari-Anwender nach wie vor CAB. Die Beschleunigung ist hier frappierend: Webseiten werden auch im Vergleich mit heutigen Systemen gleichwertig schnell aufgebaut. Selbst der Vergleich mit 1 GHz schnellen Windows2000-Rechnern fällt sehr zufrieden stellend aus. Erfolgt die Verbindung über ein ISDN-Modem, ist der Atari sogar manchmal schneller - unglaublich, aber wahr. Ein positiver Nebeneffekt der Centurbo 060: Auch die Modem-Schnittstelle hat eine spürbare Beschleunigung dadurch erfahren, dass die Daten einfach schneller abgearbeitet werden.

Auch die Arbeit mit dem PDF-Viewer Porthos ging schnell vonstatten. Die Anzeige von einfachen PDF-Dokumenten unterschied sich in der Geschwindigkeit wiederum nur unwesentlich von den entsprechenden Windows-Programmen.

Im Bereich der Office-Software sind die Ergebnisse natürlich nicht ganz so auffällig. Beim Scrollen in langen Dokumenten erlaubt sich Papyrus immer noch so manches Stocken. Fixer wird es beim Ausdruck: So wird die Ausgabe eines komplexen HTML-Dokuments aus Papyrus nur noch von der Leistung des angeschlossenen Druckers ausgebremst.

Den Härtetest aber unternahmen wie mit dem Aniplayer: Ein Video wurde im MPEG-2-Format abgespielt - dasselbe Format also, dass auch DVD-Videos nutzen. Hier zeigte sich allerdings, dass die Verarbeitung schierer Datenmengen nicht immer durch Optimierung ausgeglichen werden kann: Während die Musik sauber durchlief, erweckte der Film doch eher den Eindruck, mit einer per Hand gekurbelten Kamera aufgenommen zu sein. Abzuwarten bleibt in dieser Hinsicht, ob die von der Entwicklergruppe "nature" geplante Grafikerweiterung SuperVIDEL hier spürbare Verbesserungen mit sich bringt.

Persönliches Fazit

Mit der Centurbo 060 macht es wieder richtig Spaß, den Atari Falcon zu starten und mit Bootzeiten belohnt zu werden, die im Gegensatz zur Konkurrenz nicht in Bereichen liegt, die das Einschalten einer Kaffeemaschine rechtfertigen. Einziger Knackpunkt ist die doch recht aufwändige Installation der Hardware, wenn sie denn optimal sein soll. Hier sind gute Lötkenntnisse vonnöten. Der Support von Rodolphe Czuba ist allerdings gut. Die Kompatibilität ist entgegen anderer Befürchtungen sehr hoch und lag auf unserem Testsystem sogar höher als beim Milan. Der Geschwindigkeitszuwachs ist enorm. Der Falcon arbeitet auch bei heutzutage üblichen Anwendungen mit einer angenehmen und zeitgemäßen Geschwindigkeit.

Es steht zu hoffen, dass Czuba-Tech in Kürze die Modalitäten für eine zweite Serie nennt. Genügend Interessenten dürfte er finden. gb, tr

Eine deutsche Anleitung zum Einbau der Centurbo 060 findet sich unter www.beninde.net/ .



Aus: ST-Computer 11 / 2003, Seite

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