Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt der Volksmund, und so wollen wir in diesem Monat von den Erschütterungen berichten, die den einstigen Atari-Erzfeind Numero Uno in den letzten Monaten so zahlreich heimgesucht haben
Wir erinnern uns: Im Dezember 2000 kündigte die Frankfurter Hardwareschmiede bplan GmbH das eigenentwickelte Power-PC-Mainboard "Pegasos" an, das auf das AmigaOS-3-kompatible Betriebssystem MorphOS und diverse Linux-Distributionen zugeschnitten wurde. Nach zwei weiteren Jahren Entwicklungszeit und Änderungen an der Geschäftsstruktur präsentierte das eigens für die Pegasos-Schiene entstandene Fusionsunternehmen Genesi S.a.r.l. den neuen PowerPC-Rechner auf der jährlichen Amiga-Messe im Dezember letzten Jahres.
Das stark skalierbare MicroATX-Board ist mit den aktuellen Standards der PC- und Mac-Welt ausgestattet. In der rund " 580.-teuren Basisversion wird der Pegasos mit einem G3-Prozessor mit einer Taktrate von 600 MHz ausgeliefert, der CPU-Slot ist jedoch theoretisch auch mit einer G4- oder Dual-G4-basierten PowerPC-Karte bestückbar. Die beiden PCi33-RAM-Sockel fassen insgesamt bis zu 2 Gigabytes an SD-RAM-Bausteinen, über den AGP 2x Port werden gegenwärtig vereinzelte Grafikkarten aus den Radeon-, Voodoo- und Permedia2-Familien eingebunden. Bis zu vier ATA-kompatible Festplatten, CD-ROM- oder DVD-ROM-Drives und andere Medienlaufwerke können über die zwei ATAioo-Ports als Datenträger dienen. Die beiden PCi33-RAM-Sockel fassen insgesamt bis zu 2 Gigabyte an SD-RAM-Bausteinen. Vier USB-Ports, drei PCI-Slots, von denen einer optional für eine Riser-Card ausgelegt wurde, ein On-board-Ethernet-Modul, ein Sigmatel AC-gy-Codec für die Audio-Seite, eine IRDA-Schnittstelle für die Fernbedienung über Infrarot sowie Standard-Schnittstellen wie PS/2 für Maus und Tastatur, seriell, Centronics, Floppy und Gameport runden die Ausstattungsmerkmale ab. Die lEEE1394-Schnittstelle, in Anwenderkreisen bekannter unter der Bezeichnung "Firewire", ist mangels Treibern bislang nicht real nutzbar.
Bei der Wahl des Betriebssystems haben Sie die Qual: Neben MorphOS sind derzeit die Linux-Distributionen von Debian, SuSE, Mandrake, OpenBSD und Yellow Dog lauffähig, Portierungen von Gentoo Linux und eventuell NetBSD sollen noch im Februar oder März folgen. Die Palette wird weiterhin möglicherweise durch die BeOS-kompatiblen Operating Systems BeOS, OpenBeOS, NewOS und Zeta erweitert. Von Interesse dürfte die Lauffähigkeit von Mac OS 8/9/X unter Linux durch die Zuhilfenahme der Emulator-Oberfläche Mac-on-Linux sein - und über diesen Umweg gelangen Atarianer schließlich zu MagiC, wenn die tatsächliche Arbeitsgeschwindigkeit eines solchen "Betriebssystem-Towers" auch nicht wirklich befriedigen dürfte.
Schlappe 10 Sekunden benötigt der minimalistisch konfigurierte Testrechner zum Starten von MorphOS, dem Betriebssystem, das einen großen Teil der reichlich vorhandenen AmigaOS-Software ausführen kann. Ein erster Streifzug durch "Ambient", der wandlungsfähigen grafischen Benutzeroberfläche von MorphOS mit 24-bit-Farbtiefe, führt zunächst zur Menüleiste am oberen Bildschirmrand, an dessen rechter Seite eine Digitaluhr integriert ist. Aus dem Ambient-Menü heraus lassen sich Befehle über ein Eingabefeld aufrufen, ein neues Shellfenster öffnen und Informationen zum System und seinen Schöpfern abrufen. Hier wird beispielsweise auch die CPU-Taktrate oder das Vorhandensein einer (auf G4-CPUs enthaltenen) Altivec-Einheit ermittelt. Neben dem Icons-Menü mit dem Format-Disk-Befehl und dem bekannten Tools-Menü beherbergt die Leiste außerdem die Debug- und Debug-Actions-Menüs und das Settings-Menü mit den allgemeinen, System- und MUI-Einstellungen.
Ein Blick auf die System-Festplatte (und die beim Amiga gewohnte RAM-Disk) gibt weitere Sicherheit bei der Handhabung der Oberfläche: Systembibliotheken werden im Verzeichnis "Libs:" abgelegt, Befehle in "G", Startelemente und Voreinstellungen in "S:" und der berühmten "WBStartup", Einstellungen in "Prefs:", Sprachdaten in "Locale: ", Gerätetreiber und Datatypes in Devs:" und Klassen und Gadgets in "Classes:", während ".recycled" als Mülleimer fungiert und in "MorphOS" die PPC-nativen Elemente liegen.
Abgesehen von den nativen PowerPC-Applikationen wird durch das Emulationssystem "A-Box" die Lauffähigkeit von AmigaOS-RTG-Software (Re-Targetable Graphics) und Komponenten des Betriebssystems wie Ambient ermöglicht. Später soll die A-Box durch die in Entwicklung befindliche Q-Box, die stärker mit dem Quark Microkernel verbunden ist und mehr Features aufweist, ergänzt oder ersetzt werden. Zum Leistungsumfang des Systems zählen aber schon jetzt das ausgereifte Audio-Treibersystem "AHI", die objektorientierte GUI-Erweiterung "MUI", der USB-Stack "Poseidon" und das Grafikkarten-Treibersystem CyberGraphX 5. Das Grafiksystem wurde darüber hinaus durch die Beflügelung seitens der leistungsstarken AGP-Grafikkarten beispielsweise durch Features wie Transparenz oder Overlays modernisiert. Ebenso wird 3D-Beschleunigung über den RavesD-API geboten, während ein Wrapper für die WarpsD API und OpenGL-Unterstützung, die Hardware-seitig schon gegeben ist, noch in Entwicklung ist. Allein die allgemeine Benutzerführung von MorphOS weiß noch nicht so recht zu begeistern. Kleinere Bugs beispielsweise bei Sortierfunktionen oder fehlende Unterstützung von komfortablen Funktionen wie dem Markieren mehrerer Elemente sollten aber mit einer der nächsten Versionen ausgebügelt worden sein - intern wird bereits an der Version 1.4 gearbeitet.
Schon jetzt ist die Liste der nativen bzw. vollwertig kompatiblen Anwendungen und Spiele für MorphOS erstaunlich lang und kann auch qualitativ durch Titel wie das Online-Rollenspiel Tales of Tamar, die professionelle Bildbearbeitung fxPAINT, den Texteditor CygnusEd, den Webbrowser Voyagers oder den E-Mail-Client YAM begeistern. Eine ganze Palette brauchbarer und unterhaltsamer Applikationen und Spiele liegt dem System gar kostenlos bei, darunter der Moorhuhn-Klon Birdie Shoot oder der hochprofessionelle Audiosequencer Pro Station Audio, weitere Software wie das vom Atari stammende Office-Paket papyrus sind konkret in Planung.
Entscheidend für den weiteren Erfolg des Pegasos sind auf der einen Seite der technische Fortschritt von MorphOS als elementare Plattform für ein breites Spektrum an Anwendungen und Spielen und auf der anderen Seite die in Aufbau befindliche Produktpalette rund um Pegasos als Hauptplattform. Die "Video Microwave" ist ein exklusiver Desktop-Rechner, der in ein Stahlmikrowellengehäuse eingebaut und mit in der Tür integriertem TFT-Bildschirm ausgestattet wurde und Hur in sehr geringen Stückzahlen verfügbar ist - ein Spielzeug für wirkliche Fans halt. Der "Psylent" soll in seinem schwarzen, modernen Gehäuse DVD-, CD- und MP3-Player, Radio, TV-Spiele, Photo-Station, Internet-Surf-Station, Video-Telefon und Videoschnittmaschine in einem Gerät vereinen. Weitere Ankündigungen einer kabellosen Kamera, eines Dataplay-Diskettenlaufwerks und eines Smartcard-Lesegeräts würden sich nahtlos in dieses Konzept eingliedern. Zusammen mit dem Partner Plexuscom sollen mehrere Hunderttausend Einheiten auf den Set-top-box-Markt gebracht werden. Besonderes Potenzial wird dem "Eclipsis" zugesprochen, der noch in diesem Jahr die Marktreife erlangen soll. Das mobile Handheld-Gerät kombiniert mithilfe des MorphOS-Betriebssystems die Welten von Telefon mit GSM-/GPRS-Funktionalität, Personal Digital Assistant, Videocamera und Laptop. Gleichzeitig soll der Anschluss von Eingabegeräten wie Maus und Tastatur und eines SVGA-Monitors möglich sein, um den Eclipsis als Desktop-Computer im Westentaschenformat nutzbar zu machen - und das bei voller Kompatibilität zu nativer und emulierter Software.
Doch ein entscheidender Punkt wurde noch nicht angesprochen: Wegen technischer Probleme mit der so genannten Northbridge "Articia S" und den damit verbundenen Geschwindigkeitseinbußen entschied sich Genesi für die Einstellung des Pegasos 1, der damit nur in einer Stückzahl von rund 1000 Einheiten in Umlauf gebracht wurde und schon jetzt Seltenheitswert haben dürfte - man fühlt sich unwillkürlich an das STBook-Desaster von Atari erinnert. Die Einstellung erfolgte zugunsten der Weiterentwicklung der Technologie, an dessen vorläufigem Ende der Pegasos II stehen soll. Im dritten Quartal 2003 soll das Nachfolgeprodukt auf den Markt gebracht werden, das dann auch realen und nicht nur nominellen Support für Dual-G4-Prozessorkarten und DDR-SD-RAM bieten wird - so zumindest der Hersteller.
Nach dem Dahinschwinden einer Fremdentwicklung aus dem Hause Escena und kurze Zeit nach der Pegasos-Ankündigung folgte die Konkurrenz in Form einer Koalition aus Amiga Inc., dem britischen Unternehmen Eyetech und dem Software-Hersteller Hyperion Entertainment mit der Ankündigung einer eigenen neuen PowerPC-Lösung, dem AmigaOne samt dem passenden Betriebssystem AmigaOS 4.0. Der "AmigaOne XE", der dieser Tage ausgeliefert wird, basiert auf einer Entwicklung von Mai Logic und wurde auf die Bedürfnisse der Amiga-Gemeinde zugeschnitten. Mit einem G4-7445-Prozessor mit 1.3 GHz Taktfrequenz ausgestattet, verfügt er über ausreichende Rechenpower für semiprofessionelle Ansprüche zum Einstiegspreis von " 750.? (G3-800-Version).
Allerdings wurde zu den Boards zunächst die Linux-Distribution Debian (inklusive AmigaOne-spezifischer Installationsanleitung), und nicht wie bislang vorgesehen das Originalset der Firma SuSE, mitgeliefert, da dieses in der PowerPC-Version nicht mehr verfügbar sei. AmigaOS 4 werde auf Wunsch bei Fertigstellung nachgeliefert. Wann dies sein wird, ist allerdings noch unklar - mit diesem Jahr wird allerdings gerechnet. Das neue PowerPC-native Betriebssystem wird gegenwärtig von Hyperion Entertainment, seinerseits für Portierungen von Spielehits wie Heretic II auf Mac OS und AmigaOS bekannt geworden, vorangetrieben. Die Liste der neuen Features und Programm-Elemente ist dabei derart lang, dass sie Abhandlungen füllen könnte. Immerhin wagen die Entwickler unter der nominellen Schutzhand von Amiga Inc. den ersten Schritt zum Loslösen des 68k-Betriebssystems, das nach fast 20 Jahren ausgedient haben sollte. Das Ziel werde jedoch komplett erst mit dem Erscheinen von AmigaOS 5 erreicht, das bereits in Planung sei. Letzteres, vermutlich sogar schon die Version 4.2 oder 4.5, soll wiederum mit dem von Amiga Inc. gehegten Amiga Digital Environment bzw. AmigaAnywhere kompatibel sein, einer anpassungsfähigen Betriebsumgebung für verschiedenartigste Hardware-Plattformen, von Handheld- bis hin zu Desktop-Rechnern. In den USA ist bereits eine erste AmigaDE-Version mit sehenswerten Spielen für PDAs mit Windows Pocket PC 2002 erschienen, weitere Evolutionsstufen; wurden in Aussicht gestellt. Unterdessen schrauben eifrige Programmierer an AmigaOS-4-nativer Software, darunter der Audio-Sequencer Audio Evolution 4, der Raytracer Real 30 oder das Strategical Sudden Strike 2.
Trotz des offenen Streits zwischen den Classic-68k-, Emulator-, Pegasos-PPC- und AmigaOne-PPC-Lagern gilt auch in der Amiga-Gemeinde nach wie vor das Prinzip Hoffnung. Nach der langen Dürreperiode scheint mit AmigaOne und AmigaOS 4, Pegasos und MorphOS sowie AmigaDE einmal mehr eine rettende Oase in Sicht. Ob die Community nur durch eine Fata Morgana getäuscht wurde oder ob die Hoffnungen berechtigt sind, werden jedoch erst die kommenden Monate offenbaren.
Übrigens gibt es auch ein ColdFire-Team in der Amiga-Welt. Ziel ist es aber nicht, einen eigenen Rechner zu entwickeln, sondern Beschleunigerkarten für die klassischen Amigas vom A500 bis zum A^j000. Die Ergebnisse sind bereits recht vielversprechend, sodass auch hier mit einigen Innovationen gerechnet werden kann. Und vielleicht finden ja auch einige Amiga-Fans Gefallen an der ColdFire-Hardware des ACP. STC
Links:
AMIGA, Inc. - www.amiga.com
AmigaOS 4 - os.amiga.com
AMIGAplus - www.amigaplus.de
amiga-news.de - www.amiga-news.de
Eyetech - www.eyetech.co.uk
Hyperion - www.hyperion-entertainment.com
MorphOS - www.morphos.de
Pegasos - www.pegasosppc.com
Von Thomas Raukamp
Es tut sich nicht nur etwas im Atari-lager, auch (oder gerade) Amiga-Fans sind trotz einiger Pleiten, Pannen und viel Pech ihrem Rechner treu geblieben und werden nun mit einer neuen Maschine versöhnt. die ersten Pegasos-Käufer sind ja bereits für ihre Geduld belohnt worden und arbeiten unter MorphOS unter voller PowerPC-geschwindigkeit. nicht ganz so glücklich erscheint für außenstehende dagegen bisher die Präsentation des Amigaone. Seit Jahren wird von einem PPC-Amiga geredet, nachgekommen ist bisher nicht viel. So mancher Anwender befürchtete schon, dass es dem Amiga ähnlich gehen würde wie dem Milan II. mittlerweile wird immerhin die Hardware ausgeliefert - ob ein Amiga ohne AmigaOS allerdings überhaupt noch das prädikat "Amiga" verdient, dürfte allerdings fraglich sein. bisher ist der "Amiga"one nichts weiter als eine teure Linux-Box auf PPC-basis. Man stelle sich vor, Apple würde Rechner ausliefern, auf denen Linux liefe und mac os x in Aussicht stellen, damit Anwender auch das gefühl haben, mit einem Macintosh zu arbeiten...
Trotzdem belegen beide Beispiele, dass ein komplett neuer Rechner inklusive einem erweiterten Betriebssystem durchaus machbar ist. wer nun einwendet, dass der Amiga-Markt ja immerhin noch ein Mutterunternehmen habe, der sollte bedenken, dass der Pegasos und MorphOS auch abseits des offiziellen Segens von Amiga inc. entwickelt worden sind. Der Enthusiasmus und die Größe der community scheint im Amiga-markt aber einfach noch größer zu sein als beim Atari, auch Leserzahlen und -reaktionen bei unserem Schwestermagazin Amiga plus verraten dies.
Für viele Atari-Anwender scheint die gegenwärtige Entwicklung des Amiga-Markts ein Traum zu sein: neue Hardware oder gar ein auf einen heutigen Prozessor portiertes Betriebssystem scheint für Atari-Fans immer noch in weiter ferne zu sein. hinzu kommt das Unverständnis vieler Anwender darüber, warum sich die Entwickler im Atari-Markt derzeit voll auf den Coldfire-Prozessor stürzen und den ungleich leistungsstärkeren PowerPC links liegen lassen. Kein Wunder: der powerpc hat einfach eine lange Tradition auf dem Amiga: bereits zu Hochzeiten des 68000 gab es die ersten PPC-Beschleuniger für den einstigen Atari-Konkurrenten. der Atari hat es bis heute nicht zum einem lauffähigen PPC-Beschleuniger gebracht - was aus diversen Ansätzen für den Atari Falcon geworden ist, weiß kein Mensch. Software-schnittstellen zur PPC-Hardware gibt es ebenso wenig.
Einen neuen Keil in die Amiga-Welt hat die frage des Betriebssystems geschlagen: nachdem sich in den Foren Anhänger der softwareseitigen PPC-schnittstelle stritten (Warpup gegen Powerup), heißt es nun Amigaos gegen MorphOS. einen kleinen Kuchen noch weiter aufzuteilen, ist fast harakiri und kann von außenstehenden nur noch mit Kopfschütteln bedacht werden. Wenn nun das versprochene Amigaos 4 nicht einmal für den Pegasos erscheint, könnten Besitzer der frühen Hardware bald zusätzlich im regen stehen - herzlichen Glückwunsch!
Ist eine der Entwicklungen tatsächlich für die Atari-Welt interessant? Natürlich stellt sich die frage, warum die restlichen Entwickler ihre Energien wieder einmal in einen Sonderweg investieren, zumal beim Pegasos mit MorphOS ein hervorragender 68k-Emulator gleich mitgeliefert wird und Soft- und Hardware bereits bereitstehen. Hinzu kommt eine vielzahl attraktiver schnittstellen, die bestimmt nicht in einen Atari Coldfire wandern.
Wird hier also wieder einmal eine Chance verschlafen? Im gewissen Sinne schon. Gleichzeitig macht die Nutzung einer PowerPC-Plattform aber nur dann Sinn, wenn wie beim Amiga eine native PPC-Version des Betriebssystems zu erwarten ist. Ansonsten hat der Anwender lediglich ein besseres MagiCMac zu erwarten... stc