Coldfire, Demos & mehr

Die Error in Line fand in Dresden statt und ein nicht unbedeutender Teil des Coldfire-Entwicklerteams befindet sich dort. Folglich gab es auf der Party neues zu hören.

Im Hardwarebereich sind seit fast zwei Jahren zwei Ankündigungen ein Dauerthema die CT60 und der Coldfire. Letzterer wurde von einigen sogar bereits abgeschrieben und in Foren tauchen immer wieder gut gemeinte Ratschläge auf, doch ein frei erhältliches CF-Board zu nehmen (das oft weder PS/2 noch PCI hat) oder doch gleich ein PPC-Board zu nehmen. Wie auch immer: die Hardware-Entwickler haben sich für eine Eigenentwicklung entschieden.

Vom sogenannten Willhelm-Board ist keine Rede mehr. Zwar wurde das Angebot von Willhelm Elektronik dankbar angenommen, aber die Board-Spezifikationen erwiesen sich als unbrauchbar. Zu Änderungen am Board war Willhelm nicht bereit - was bei einer potenziellen Absatzmenge von hundert Stück auch verständlich ist. Auf dem Willhelm-Board war z.B. der ARM-Prozessor der eigentliche Chef auf dem Motherboard und viele Zugriffe auf die Hardware hätten über diesen Chip laufen müssen - was von den Treiberentwicklern Kenntnisse in ARM-Assembler verlangt hätte.

Da auch Fredi Aschwanden dem CF-Team nicht mehr in dem Maße zur Verfügung stand, wie das vorher der Fall gewesen ist, gab es nun ein kleines Problem. Fortan wurden Leute gesucht, die bei der Entwicklung eines Boardes helfen könnten. Dafür, das Atari schon als Retro gilt, haben sich sehr viele gemeldet. Wie üblich waren darunter auch einige, die aus verschiedenen Gründen nicht beitragen konnten, aber andere hatten handfestes anzubieten.

Coldfire Evaluation Board

Vorab war schon vom Coldfire Evaluation Board (kurz: CEB) die Rede. Das CEB stammt jedoch nicht vom CF-Team, sondern wurde von einem Motorola-Mitarbeiter kostenlos (!) zur Verfügung gestellt. Dazu muss man wissen, dass ein Computer normalerweise nicht aus sich selbst entsteht, sondern durch andere Computer designt wird. Auch einzelne Teile wie etwa Grafik und Hauptprozessor werden erst außerhalb des geplanten Computerdesigns getestet.

Das CEB ist ein Board speziell für Entwickler. Es ist völlig ungeeignet, daraus einen eigenen Computer zu bauen, aber dafür kann man mit ihm die Teile des zukünftigen Coldfire-Atari testen. So kann etwa versucht werden, die Grafikkarte anzusprechen, um herauszufinden, welche Signale zurückgeschickt werden.

Da das CEB natürlich mit einem Coldfire bestückt ist, kann sich der Treiberentwickler auch schon einmal mit dem Prozessor vertraut machen. Anders ist das kaum möglich - der Coldfire wird normalerweise nicht in Desktop-Rechnern eingesetzt.

Am Sonntag wurde das CEB gezeigt und auch eingesetzt. Interessanter war aber die erste Version vom Coldfire-Board.

Coldfire-Board

Das Coldfire-Board wurde am Samstag präsentiert oder vielmehr "unter der Hand gezeigt". Viele dürften es gar nicht mitbekommen haben.

Das erste Board wird jetzt getestet und nach und nach erweitert. Auf dem Board sind allerdings schon einige Bestandteile des Endproduktes: ein PCI-Slot, die Coldfire-CPU und die FPGA. Das Endresultat wird natürlich mehr als einen PCI-Slot besitzen, zu erwarten sind etwa zwei bis drei Steckplätze.

Was letztendlich auf eine PCI-Steckkarte kommt und was On-Board realisiert wird, steht noch nicht fest. So wäre es sicherlich sinnvoll, das zwei PCI-Steckplätze frei bleiben - zwar gibt es nur wenige Treiber für PCI-Karten, aber es wäre ja durchaus denkbar, das jemand einen neuen Treiber schreiben möchte. Ein Slot wird von vornherein belegt sein, sei es durch die Deessee oder durch eine Grafikkarte.

Zurück zu den Dingen, die auf alle Fälle (sofern sich so etwas mit 100% Wahrscheinlichkeit sagen lässt) auf dem Board zu finden sein werden. Das auf der Party gezeigte Board hat noch kaum Schnittstellen - kein Wunder, gibt es doch beim derzeitigen Entwicklungsstand wichtigere Arbeitsschritte, z.B. Optimierung der Hardware oder Anpassung der Grafikkarte. Maus und Tastatur werden wie gehabt über PS/2 angeschlossen, eine Lösung, die seit längerem üblich ist und wohl trotz USB auch eine ganze Weile überleben wird.

Favorisiert wird auch MIDI-On Board. Das wäre zwar rein von der Planung vielleicht unsinnig, denn MIDI-Musiker werden wohl eher eine High-End-Karte mit mehreren MIDI-Ports vorziehen und eine MIDI-PCI-Karte gibt es bereits für den Milan. MIDI auf dem Board würde aber ein Signal sein, dass die ACP sich als Atari-Nachfolger sieht - außerdem sieht die Rückseite dann nicht zu sehr nach PC aus.

Ein muss ist natürlich auch Ethernet. Die Netzwerkschnittstelle wird ab Werk verbaut sein, womit die ACP - geeignete Software vorausgesetzt - schnell im Internet/Netzwerk sein sollte.

Daneben gibt es USB. Es wird interessant sein, ob es dafür Treiber geben wird oder diese Schnittstelle das Schicksal der LAN-Schnittstelle in den neueren Ataris antreten wird.

Die Grafik war ein weiteres heißes Thema. Es sieht leider so aus, dass die beiden derzeitigen Platzhirsche auf dem Gebiet, NVIDIA und ATI, keine detaillierten Informationen schicken wollen. Seitens ATI kam zwar Material, aber diesem fehlten wichtige Details. Kooperativer verhielt sich Matrox, die mit wachsendem Erfolg eine Nische auf dem Markt der 2D-Grafikkarten reservieren konnten. Es ist kaum davon auszugehen, das Atari-Programmierer scharenweise die 3D-Möglichkeiten moderner Grafikkarten ausschöpfen möchten und so ist eine Matrox mehr als ausreichend. Zumal auch mit diesen Grafikkarten schnellere 3D-Grafiken möglich sind, als man sie bisher vom Atari gewohnt ist.

Bei der Grafik will man jedoch zweigleisig fahren. Nature waren auf der Party und so fand ein Kontakt zwischen den Coldfire- und Super-Videl-Entwicklern statt. Der Super-Videl wäre die Ideallösung für den Coldfire, denn mit weitgehender Falcon-Kompatibilität und hervorragenden Eigenschaften könnten sich Atari-Fans wohl eher mit dem SVidel statt mit der Matrox anfreunden. Rein Hardwaretechnisch soll es durchaus machbar sein, den Super-Videl in das Boarddesign zu integrieren. Das einzige Problem ist derzeit die CT60, die immer noch nicht verfügbar ist. Von ihr waren bei Redaktionsschluss nur erste Benchmarks verfügbar - wäre eigentlich geschickter, diese erst nach dem Hardware-Release zu veröffentlichen...

Klein aber fein

Das erste Testboard ist erstaunlich klein und so gab es (auch unter den ACP-Leuten) schon wilde Fantasien, worin das Board verbaut werden könnte. Inspiriert von den PC-Case-Moddern wurden Vorschläge gemacht wie eine Tupperdose, eine Milchtüte und so ziemlich jeden Behälter, in dem sich bis jetzt noch kein Computer befand. Da sich aber noch nicht alle Bauteile auf dem Board befinden, wird dessen Größe sicherlich noch wachsen. Selbst dann wird der Computer aber wohl sehr klein. Wer also dazu Lust hat, wird die Platine in ein TT- oder Milan 2-Gehäuse zwängen können, wenn die Bauhöhe nicht auch noch ansteigt.

Eine andere Idee ähnelte sehr dem iMac-Entwurf unserer Schwesterzeitschrift maclife: Die Platine wird mit kleinem Gehäuse hinten auf einem LCD-Monitor montiert - fertig ist der stylische und platzsparende Atari-Clone, der für einige Crews auf der Error-in-Line ein wahrer Segen gewesen wäre.

Über die Auslieferungsform wurde nicht gesprochen. Sicher ist, das jeder das Board bestellen kann, aber es wird auf Wunsch wohl auch ein Gehäuse geben, denn nicht jeder möchte sich seinen Computer selber zusammenbauen.

Von einigen wurde der Wunsch geäußert, den ACP in ein Tastaturgehäuse unterzubringen. Da schwingt wahrscheinlich viel verklärte Nostalgie mit, denn die STs hatten weder die beste Tastatur, noch unbedingt das beste Tastaturgehäuse. Auch wenn ein schönes Tastaturgehäuse eine nette Sache wäre, wird daraus wohl nichts - solche Gehäuse werden nicht mehr hergestellt. Wenn man also nicht alte Computer ausschlachten will (a la SID-Station), kommt man um ein normales Gehäuse nicht herum, aber davon gibt es mittlerweile auch sehr schöne Exemplare.

AGP, go home!

AGP war der spezielle Slot für die Grafikkarte und wurde von Intel seinerzeit eingeführt, um die Performance zu verbessern. Im Grunde war AGP ein abgewandelter PCI-Slot, aber die Integration auf das Coldfire-Board würde Schwierigkeiten bedeuten. Zum Glück hat Intel auf die Bitten des Coldfire-Teams reagiert und AGP eingestampft. Die neue Boardgeneration, die im nächsten Jahr kommt, wird ohne AGP ausgeliefert. Stattdessen gibt es den schnelleren PCI-Express, der die bisherigen PCI-Slots ablöst und abwärtskompatibel bleibt. AGP machte ohnehin keinen Sinn mehr - der Geschwindigkeitsgewinn wurde weitestgehend ausgereizt. Ein weiteres Feature, dass die Grafikkarte Hauptspeicher für das Zwischenlagern von Texturen verwenden kann, ist mit dem großen Speicherplatz moderner Karten überflüssig geworden.

Leisetreter und Sparschwein

Der Coldfire wurde für den Embedded-Markt entwickelt. Dabei wollte Motorola nicht unbedingt die Kochplatten mit Chips ausstatten und so ist der CF im Gegensatz zu seinen Kollegen Pentium 4 und PowerPC eine echte Frostbeule. Wer also gehofft hatte, seine Standheizung durch einen Coldfire-Atari zu ersetzen, wird enttäuscht sein.

Ebenso groß ist die Enttäuschung beim Geräuschpegel. Es ist schon sehr ärgerlich, das es das CF-Team nicht fertig gebracht hat, einen Computer zu konstruieren, dem man seine Leistungsfähigkeit auch anhört. Vermutlich wird nichts zu hören sein, noch nicht mal ein Lüfter. Hoffentlich überlegt man es sich noch anders und baut einen Geräuschgenerator ein - man stelle sich mal vor, eine Harley würde völlig geräuschlos durch die Gegend zuckeln. Kleiner Tipp für zukünftige CF-Besitzer: mit dem Programm "Trailer" [2] von Gunnar Gröbel einen Sample von Atari Teenage Riot ausgeben lassen, um überhaupt zu merken, dass der Rechner läuft.

ED

Relativ kleinlaut wurde bemerkt, dass der Coldfire-Atari wohl doch nicht mit einem Diskettenlaufwerk ausgestattet wird. "Kleinlaut" wohl deswegen, weil ein nicht unerheblicher Teil der Democrews laut für die Integration eines ED-Laufwerks demonstriert hat. Parallel dazu wurden die Auktionshäuser im Internet gesichtet, ob irgendjemand sich von seinen kostbaren ED-Disketten trennen würde. Von einigen Computerhändlern gab es leider nur dümmliche Kommentare (ãEhdee? Wir wären schon über eine Idee froh!"). Nicht auszudenken, wenn bekannt geworden wäre, das es im Coldfire (standardmäßig) kein Diskettenlaufwerk geben wird - zumal vor nicht allzu langer Zeit völlig verwirrte PC-Neueinsteiger nach dem Auspacken ihres heiß erkämpften Aldi-PCs feststellen mussten, das ihm irgendein rechteckiger Einschub fehlte, in den wiederum andere Rechtecke reingesteckt werden.

Solche Szenen wird es also auf dem Coldfire nicht geben - schade eigentlich.

Kompatibilität

Nun aber zurück zu etwas ernsthafteren Themen. Bestätigt wurde, dass der Coldfire beim Erscheinen schon zu bestimmten Programmen kompatibel sein wird. Ganz vorne stehen dabei die Entwicklungstools, also gcc, PureC, GFA-Basic und Resource Master. Dabei könnte es durchaus notwendig sein, die Compilerlibraries zu patchen, damit der Coldfire hinterher nicht zuviel emulieren muss.

Wer jetzt ungefähr 17 Sprachen in der Aufzählung vermisst, kann beruhigt sein: natürlich werden die esoterischen Sprachen auch den Coldfire heimsuchen (har, har).

Ausgehen kann man auch davon, das Standard-Programme laufen werden. Dazu zählen papyrus, Calamus SL und Draconis. Niemand hat die Zeit, z.B. einen neuen Internet-Browser zu programmieren (auch wenn dies derzeit sehr in Mode ist).

Die nächsten Entwicklungsschritte

Leider werden wir den Coldfire-Atari, wenn er denn kommt, nicht mehr in der st-computer vorstellen können. Es arbeitet eben niemand hauptberuflich am Coldfire - ein Unterschied zum C-One, für den Jeri Ellsworth ihre Computer-Ladenkette verkauft hat. Das erste Board wirkte aber schon erstaunlich professionell, dafür, das es in wenigen Stunden per Hand (!) gelötet wurde. Die endgültigen Boards werden in jedem Fall maschinell gefertigt, ein Produzent ist schon in Aussicht.

Wie lange es bis zum endgültigen Board dauert, ist reine Spekulation. Da Spekulation schon immer Sache der Presse war, schätze ich den Zeitrahmen bis zum endgültigen Board auf etwa ein bis 1 1/2 Jahre ein (positive Schätzung). Hoffentlich verstehen sich die Chips auf der ACP besser als auf der CT60 - bei letzterer scheinen sich wirklich alle Bauteile spinnefeind zu sein. Nicht in dieser Schätzung inbegriffen sind plötzliche Ereignisse wie ein Meteoriteneinschlag oder ein überraschender Konkurs Motorolas. Von den ACP-Hardwareleuten ist leider keine Zeitplanung herauszukitzeln - man hofft auf eine erfolgreiche Anpassung der Grafikkarte als nächsten Meilenstein. Die bei verschiedenen Elektronikhändlern erhältlichen Coldfire-Boards sind allerdings ungeeignet, bei der Entwicklung weiterzuhelfen.

Persönliches Fazit

Es ist schon lustig: das ACP-Team scheint sich völlig entgegengesetzt zum CT60-Team zu verhalten. Das heißt nicht, das sich beide Teams nicht mögen würden, sondern die Art der Öffentlichkeitsarbeit ist sehr unterschiedlich. Während zur CT60 munter schon Benchmarks veröffentlicht werden, obwohl die Karte eine ausgeprägte Allergie gegen den Falcon, sich selber und vermutlich sogar den Benutzer hat, gibt es vom ACP nur selten etwas zu hören. Von der ACP wird es wohl auch in Zukunft keine wöchentlichen Status-Updates, wie es von einigen Atari-Fans - durchaus verständlich - gefordert wurde. Letztlich kann man aber niemanden eine Vorgehensweise aufdrängen, die ihm nicht liegt und so wird es weiterhin bei sporadischen News bleiben. Schade dürfte es sein, das somit viele den Glauben an ein Gelingen des ACPs verlieren. An der Qualität der Hardwareentwickler wird die ACP auf keinen Fall scheitern und das Projekt ist in seiner derzeitigen Form so interessant, das es immer mal wieder Entwickler anziehen wird.

Interessant wird es vielleicht, was aus dem Lager des Reconfigurable Computers (Commodore One) kommt - vielleicht brütet ja Jeri Ellsworth bereits an der zweiten Version, die Amiga und ST vereint...


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 05 / 2003, Seite 12

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