Drop Da Bomb: Powered by Atari

Noch mehr Interviews mit Musikern, die den Atari für ihre Produktionen benutzen, finden Sie in Ausgabe 02-2003 der st-computer. In unserem großen Musik-Special stellen wir auch MIDI-Software vor.

Auch aktuelle Musiker benutzen zur Produktion Ihrer Werke oft einen Atari ST. Eines dieser Projekte ist "Drop Da Bomb" aus der Schweiz. Thomas Raukamp unterhielt sich mit Remo Suter von Drop Da Bomb.

Drop Da Bomb ist sicher nicht vielen Atari-Fans ein Begriff. Könntet Ihr Euch kurz vorstellen?

Wir sind ein Musiker-/DJ-Kollektiv aus Basel in der Schweiz und produzieren Electro, dies zu einem großen Teil mit Lo-Fi-Instrumenten und -Computern. Seit einigen Jahren veröffentlichen wir die erstellten Songs auf unserer Website [1], Micromusic.net/Domizil Records und einigen weiteren Websites.

Unsere Crew besteht aus: Stu (Atari ST, Synths, Effekte), Remo (Laptop, Synths & Samplers) und Dj Rewind (Turntables). Auf unseren Live-Auftritten sorgt unser Laser-Techniker "Dr. Argon" zusätzlich für visuelle Effekte.

Seht Ihr Euch in erster Linie als Scene-Gruppe oder als Band?

Wir sind schon eher eine Band. Die einzelnen Crew-Members übernehmen bei uns unterschiedliche Aufgaben, wie dies in herkömmlichen Band-Formationen auch der Fall ist.

Wie habt Ihr zusammen gefunden?

Vor ca. 12 Jahren haben Stu und ich zusammen mit anderen Freunden eine Hip-Hop-Formation gegründet. Später kam Dj Rewind dazu.

Ihr scheint Atari-Computer sehr intensiv bei der Musikproduktion einzusetzen. In welchen Bereichen genau?

Ataris finden bei uns sehr vielseitig Verwendung. Zum einen werden sie bei fast allen Produktionen als Sequenzer eingesetzt (mit Cubase oder Logic), weiter werden bei einigen Songs Atari-Samples eingesetzt, die wir mit Musicmon (1 und 2) generiert haben. Und es gibt auch einige Songs, die ausschließlich mit MusicMon auf Atari produziert wurden.

Wie sieht Euer derzeitiger Atari-Hardware-Park aus?

2 Atari ST 1040 plus ein Mega ST 4.

Wie seid Ihr überhaupt zum Atari gekommen?

Per Zufall: Wir suchten nach einem billigen Sequenzer und stellten fest, dass viele Musiker den Atari 1040 ST als MIDI-Sequenzer einsetzen. Stu kaufte sich dann einen Atari, und ich musste auch sofort einen haben, weil wir ziemlich begeistert waren.

Arbeitet Ihr nur mit Atari, oder setzt Ihr auch andere Rechner ein?

Nein, wir setzen auch andere Rechner ein. Beim Mastering kommt selbst bei den reinen Chiptunes am Ende ein PC zum Einsatz.

Welche Software benutzt Ihr zur Produktion?

Auf Atari wie gesagt Cubase, Logic und Musicmon. Auf PC: Reason, diverse Freeware-Tracker und Wave-lab.

Es gibt ja auch zum Sequencing sehr viel ausgefeiltere Software für Macintosh und PC. Was ist für Euch der Grund, trotzdem in erster Linie auf Atari zu setzen?

Atari-Sequenzer können im MIDI-Bereich nicht weniger als als moderne Produkte auf PC oder Mac, das ist mal der eine Grund. Weiter setzen wir den Atari aber auch wegen dem Klang des Soundchips ein: Der Atari hat von allen Computern seiner Generation auf jeden Fall den interessantesten Klang.

Wie seht Ihr überhaupt die Entwicklung im Produktionsbereich? Meiner Ansicht nach ist an den "großen" Sequencersystemen in den letzten Jahren für den Enduser nicht wirklich viel getan worden. Viele der heutigen Funktionen betreffen doch in erster Linie nur professionelle Anwender im Studio, während die wirklichen Musikschaffenden mit einem Notator SL auf dem Atari fast über ihren Möglichkeiten bedient sind…

Ich glaube, man braucht, um gute Musik zu machen, nicht all die vielen Features, welche in moderner Produktionssoftware vorhanden sind. Das soll nun aber nicht heißen, dass modernes Equipment den Anwender davon abhält, gute Songs zu machen, und schon gar nicht, dass es keinen Spass macht. Wir setzen bei uns auch beides ein: moderne Soft- und Hardware und gleichzeitig alte Geräte.

Ihr setzt natürlich auch Synthesizer auf Euren Produktionen ein. Welches Equipment nutzt Ihr hier?

Zurzeit stehen in unserem Geräte-Park folgende Synths und Drumcomputer: Novation Basstation, Clavia Nordlead 2, Roland PMA-5, Casio RZ-1.

Die klassischen Hardware-Synthesizer werden derzeit ja in vielen Studios von Software-Synthies ersetzt. Ich selbst habe vor einiger Zeit mit Reason auf einem Macintosh herumgespielt und muss zugeben, dass ich schon sehr beeindruckt war. Gleichzeitig bedaure ich aber, dass Hardware-Synthies immer weiter verschwinden, immerhin besitzt nahezu jedes Gerät ähnlich einem "echten" Instrument einen ganz eigenen Charakter und unverwechselbaren Sound. Eure Meinung zu dieser Entwicklung?

Wenn man die vielen tollen Hardware-Synths sieht, dann bedauert man schon, dass diese Dinger am Verschwinden sind. Ich glaube aber, dass es für viele Musiker mit beschränktem Budget auch seine Vorteile hat, Software statt Hardware einzusetzen. Der einzige Nachteil, den ich bei den Software-Synths feststellen kann, ist, dass es damit nicht mehr möglich ist, richtig intuitiv mit den Händen zu arbeiten.

Bei alten Synthesizern konnte man noch richtig an Potis herumdrehen, um dem Gerät die gewünschten Klänge zu entlocken. Setzt Ihr bereits Software-Synthesizer ein?

Ja, zum Beispiel Reason. Bei Trackern kann man zudem auch Klänge erzeugen, was ja auch einer Synth-Funktion entspricht. So betrachtet setzen wir natürlich sehr viel "Software-Synthesizer" ein.

Für den Atari Falcon gibt es mit ACE MIDI ja bereits einen hervorragenden Synthesizer. Konntet Ihr schon erste Erfahrungen mit der Software machen?

Nein, bisher nicht.

In Eurer Musik setzt Ihr ja ganz bewusst auch Chipsounds ein. Ist das alles der YM des Atari ST?

In den meisten Songs ist es der YM, aber teilweise setzen wir auch den Gameboy ein, um Chiptunes zu erstellen; mit der Software "LSDJ".

Benutzt Ihr auf dem Atari spezielle Software zum Erzeugen von Sounds auf dem Atari?

Ja/wir setzen dazu vor allem den Tracker MusicMon ein.

Chipmusic ist derzeit ja wieder sehr beliebt. Woher kommt diese Popularität Eurer Ansicht nach?

Das ist sehr schwierig zu sagen. Was sicher unter anderem zur Popularität beigetragen hat, sind Musik-Communities wie micromusic.net, auf welchen man neue Chiptunes und anderes Lo-Fi-Zeug herunterladen kann. Aber auch das 80er-Jahre-Revival dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben, obwohl ich das eigentlich nicht wirklich so toll finde.

Ihr habt ja scheinbar schon einige Remix-Arbeit gemacht. Was war dabei bisher der bekannteste Act?

Der bekannteste Act ist vermutlich Psilodumputer aus Schweden. Für Ihn haben wir den Song "Full of SID" geremixed.

Interessant ist auch die Arbeit an Filmmusik. Wie unterscheidet sich die Arbeit an Soundtracks von anderer Musikproduktion "

Dazu muss ich sagen, dass wir eigentlich nie explizit für einen Film Musik produziert haben. Die Songs von uns, die in Filmen Verwendung fanden, wurden von den Filmemachern dafür ausgewählt, und wir wurden nur angefragt, ob die Songs verwendet werden dürfen.

Wie kam der Kontakt zum Filmteam von "Lincoln & 3Ist" zustande?

Wir wurden per E-Mail angefragt, und nachdem wir das Skript vom Film gelesen hatten, gaben wir unser Einverständnis. Und ich muss sagen, dass der Kurzfilm "Lincoln & 31 st" auch wirklich toll geworden ist. Ich glaube, man kann von Damien Caldwell noch einiges erwarten...

Drop Da Bomb hat ja bereits einige Live-Einsätze hinter sich. Inwiefern setzt Ihr dabei Elektronik, vielleicht sogar den Atari ein?

Wir versuchen, bei Live-Dingen unser Equipment immer so klein wie möglich zu halten. Meistens verwenden wir bei Konzerten folgende Geräte-Kombination: Atari ST, Roland PMA-5, Gameboy, Notebook, Plattenspieler und Effektgeräte.

Wie ist überhaupt Eure Einstellung zu Elektronik, speziell zu Sequenzer-Software, auf der Bühne?

Wenn wir live auftreten, können wir selbstverständlich nicht alle Klänge direkt live vor dem Publikum erzeugen, das ist unmöglich. Was wir aber live machen können, ist das neue Zusammensetzen von vorproduzierten Patterns. Zusätzlich scratcht unser DJ ja auch noch über die Beats, was dann schon ein echtes Live-Feeling ergibt.

Wenn ich mir Eure Stücke anhöre, scheint Ihr mir in der musikalischen Tradition von Kraftwerk zu stehen? Wo liegen Eure Einflüsse?

Musikalische Einflüsse ziehen wir einerseits aus unserem Umfeld: Wir werden durchaus von Musikern der Chiptune- und Elektro-Szene beeinflusst. Andererseits haben wir aber auch eine musikalische Vergangenheit, die uns ebenfalls stark prägt. Man hört sicher immer noch an vielen Stellen, dass wir früher und zum teil heute auch noch viel Hip-Hop hör(t)en. Drop Da Bomb produziert auch Filmmusik. "Lincoln & 31st" ist ein äußerst ambitioniertes Projekt.

Elektronische Musik und Musiker, die im Internet veröffentlichen, bilden derzeit eine recht kreative Keimzelle, die "wirkliche" Musikkreativität. Die Chartmusik scheint dagegen völlig still zu stehen. Inwieweit kann die Kreativität der Internet-Musik Eurer Meinung nach die heutige Chartmusik wieder befruchten?

Schwierig zu sagen. Ich glaube, dass bereits einige der Top-Produzenten sich von Musik im Internet beeinflussen lassen. Sobald irgendwo echte Trends erkannt werden, gibt es Leute, die diese auch kommerziell für sich nutzen. Vermutlich müssten aber die großen Plattenlabels wieder risikofreudiger werden und ab und zu auch etwas Schräges, Neues pushen.

Zerstört die derzeitige Entertainment-Branche mit Shows wie DSDS das kreative Gefühl der breiten Masse?

Hahaha, jetzt hab ich ziemlich lange gebraucht, um herauszufinden, wofür DSDS steht...

Naja, ich glaube dass solche Shows nur der Gipfel des Eisbergs sind. Heute sind die Bosse von Plattenfirmen nicht mehr Musikinteressierte mit gutem Geschäftssinn, sondern Manager, welche das "Produkt" Musik verkaufen. Man möchte in möglichst kurzer Zeit möglichst große Stückzahlen absetzen und ist nicht mehr bereit, einer Band Zeit zu lassen, damit sie sich entwickeln kann.

Zurück zum Atari: Meint Ihr, dass ein heutiger Atari im Musikbereich noch Chancen hätte? Was müsste ein solches Gerät mitbringen, um wieder "der Musikcomputer" zu sein?

Ein solcher Atari müsste ein robustes, modulares Gerät sein, mit einem offenen, extrem stabil laufenden Betriebssystem. Ich glaube aber, dass die Chancen gering wären, ein solches Gerät erfolgreich zu vermarkten...

Was ist in Zukunft von Drop da Bomb zu erwarten?

Wir planen vor allem, im Live-Bereich mehr aktiv zu werden. Und früher oder später kommt bestimmt auch wieder mal ein Offline-Release. stc

[1] http://www.dropdabomb.org/


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 03 / 2003, Seite 12

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