Wenn die bekannte Daumenkinoanimation gefragt ist, können ST-Klassiker durchaus noch wertvolle Dienste leisten. Zwei von ihnen sind nicht nur äußerst leistungsfähig, sondern auch noch leicht zu bekommen: Cyber Paint und der Aegis Animator.
Dank der Webseite der dead hackers society gibt es einige alte Grafikschätze zum Download - zwar nur selten mit Einwilligung der Programmierer, aber Jim Kent hat sowohl Cyber Paint als auch Aegis Animator programmiert und letzteren als Freeware freigegeben. Im ST-Magazin hat er sogar zwei Routinen aus seinem Programm veröffentlicht.
Das Daumenkino-Prinzip gilt eigentlich für alles, was mit Animation zu tun hat, denn erst durch eine Anzahl von ähnlichen, aber nicht gleichen Bildern wird der Eindruck von Bewegung erzeugt. Beim Daumenkino sind zumeist Bilder auf Papier gemalt, die dann beim schnellen Durchblättern eine Bewegung ergeben.
Wer sich so ein Daumenkino selbst bastelt, wird verstehen, warum Zeichentrickfilme erheblich längere Produktionszeiten haben, als Realfilme.
Es gibt aber auch Vorteile. So müssen keine Familienmitglieder als Schauspieler rekrutiert werden, der Film entsteht ganz auf dem Zeichentisch/dem Computer. Schwächen im Ausdruck der Figuren werden beim Zeichentrick eher toleriert als im Realfilm und es sind natürlich Dinge möglich, die im Realfilm nicht möglich sind.
Durch den Computer wird das Erstellen von Animationen erheblich erleichtert: Farben lassen sich ändern und mißglückte Bilder entfernen. Das Zeichengefühl fehlt jedoch und weder Paint noch Animator unterstützen ein Grafiktablett.
Der Aegis Animator ist vom gleichen Autor wie Cyber Paint, verfolgt aber ein anderes Konzept. Aegis war Mitte der 80er neben Electronic Arts DIE Firma für den noch jungen Amiga-Computer und brachte mit Videoscape und Sonix zwei äußerst beachtete Anwendungen heraus. Das Programm für Einsteiger hieß Animator und wurde von Jim Kent programmiert. Dieser hatte zuvor einen eigenartigen Deal ausgehandelt: die Rechte am Sourcecode im Austausch für seine noch ausstehenden Urlaubstage. Viele Ideen, die nicht in der Amiga-Version verwirklicht wurden, sind in der Umsetzung enthalten und das Programm ist auch erheblich schneller.
Vorbild für den Animator war ein Apple II-Programm, das Polygone ineinander umwandeln konnte. Der Begriff "Tweening" tauchte zum ersten Mal auf. Natürlich hat Animator ST erheblich mehr Möglichkeiten ein solches Objekt zu manipulieren als das alte Apple-Programm.
Animator unterscheidet zwischen Hintergrund und Objekten unterschieden. Ein Hintergrund könnte z.B. ein Strand sein und das Objekt ein fliegender Vogel. Da der Hintergrund ohnehin oft statisch ist, macht das Konzept oft Sinn. Die Objekte, die auch animiert sein können, bekommen einen Bewegungspfad zugewiesen.
Bei Animator muss daher nicht Bild für Bild bearbeitet werden, da die Zwischenbilder vom Programm generiert werden. Kleinere Modifikationen im Bewegungsablauf sind durch das Ändern der Zwischenbilder möglich. Dazu gibt es auch eine Art frühes Morphing. So kann eine Pyramide vom Programm in einen Stern umgewandelt werden, indem einfach die entsprechenden Objektpunkte an neue Positionen gesetzt werden.
Wem dies alles bekannt vorkommt: eine Weiterentwicklung dieses Konzepts hat mittlerweile im Web viele Anhänger gewonnen - Macromedia Flash.
Jedem Bewegungsablauf kann eine Zeit übergeben werden, an die sich der Animator ungefähr hält. Wenn sich viele Objekte bewegen sollen und die Rechenleistung zu gering wird, wird der der Ablauf der Animation in größere Schritte unterteilt und die Bewegung wird weniger weich.
Eine der Verbesserungen an Animator ST ist das Color Cycling. Damit wird ein Teil der Farbpalette rotiert, eine Technik, mit der schon Neochrome Animation erzeugte (z.B. bei dem berühmten Wasserfall). Das größte Manko an dem frei erhältlichen Animator ist das fehlende Handbuch. Aber selbst dieses findet sich im Internet, denn es gab schon früher Leute, die ganze Handbücher abtippten. Darin erfährt man auch mehr über das Einstiegsmenü und die Dialogboxen, die 1:1 vom Amiga übernommen wurden. Es gibt auch eine Menüleiste, die erscheint, wenn am oberen Bildrand die linke Maustaste gedrückt wird.
Obwohl der Animator ein 2D-Programm ist, hat jedes Objekt einen Z-Achsen-Wert. Mit dem entsprechenden Kommando kann ein Objekt in den Hintergrund des Rames verschwinden, Objekte mit einem höheren Z-Wert überlagern das sich entfernende Objekt.
Bilder können im Neochrome-Format eingelesen werden. Beim Abspeichern von Animationen liegen die Steuerdateien im ASCII-Format vor.
Eine Zeitlang war der Animator so beliebt, dass er für einige Musikvideos und Amiga-Spiele ("Defender of the Crown") verwendet wurde. Aber auch heute ist noch einiges mit ihm möglich. Leider läuft das Programm nur auf einem ST wirklich stabil.
Ähnliche Programme: Video Construction Set, Film Director
Obwohl Animator ein fortschrittliches Prinzip vertrat, wollten erstaunlich viele die Bild-für-Bild-Animation. Jim Kent schrieb Flicker als Antwort, ein Programm, das eine Reihe von Bildern schnell hintereinander abspielte. Der Benutzer musste jedes Bild einzeln modifizieren. Aegis war an dem Programm nicht interessiert und so erschien Flicker im STart Magazine, dem ST-Magazin von Antic. Das Programm kann immer noch heruntergeladen werden - inklusive C/Assembler-Quellcode. Die neue Verbindung zu Antic Publishing brachte Jim aber noch mehr - er lernte dort seine Frau Heidi kennen.
Flicker war die Basis von Cyber Paint 1.0 und um das Erstellen von Animationen einfacher zu machen, unterstützt das Programm die Onion-Skin-Technik: das vorherige Bild war beim zeichnen zu sehen.
Das größte Manko von Flicker war die fehlende Kompression: jedes Bild belegt die vollen 32 KB, was bei den damaligen Speichergrößen von 512 KB-1MB Platz für etwa zwölf Bilder ließ. Für Cyber Paint 1.0 wird das Delta-Kompressionsverfahren benutzt, das nur die Unterschiede zwischen zwei Frames speichert.
Cyber Paint hat am unteren Bildschirmrand stets eine Steuerleiste, die an einen Videorecorder erinnert. Damit wird zwischen den Bildern gewechselt, oder der Film abgespielt. Ebenfalls vorhanden ist ein Knopf zum Einfügen neuer Bilder.
Genau wie Animator fährt auch Paint zweigleisig: es gibt ein Pull-Down-Menü und verschiedene Tool-Leisten.
Cyber Paint kennt eine Reihe von Effekten. Bilder können durch den Raum wirbeln, ein- und auszoomen, mit verschiedenen Filtern wie Gummi, Crystalize und Anti-Aliase versehen werden und mehr.
Animationen werden im SEQ-Format abgespeichert, das ein spezifisches Cyber Paint-Format ist. Um sie in ein gebräuchliches Format zu bekommen, sollte die Animation in einem Emulator abgespielt werden. Mit geeigneten Tools (auf PCs z.B. SnagIt) wird das Emulator-Fenster als Video-Datei gespeichert.
Ähnliche Programme: Prism Paint, The Cartoonist, Apex Media
Das Animationsprogramm Imagic wurde eine zeitlang von Application Systems für umgerechnet 250 Euro vertrieben. Das legendäre Denise Team, das sich vorher durch ein paar Animationsdemo (u.a. „erotischer“ Art) einen Namen gemacht hatte, war verantwortlich für das Animationspaket.
Imagic besteht aus mehreren Programmen. Die Bilder werden im Programm Denise gezeichnet oder importiert. Danach muss ein Script in Imagine geschrieben werden, einer Programmiersprache, die etwas an Pascal erinnert. Schon in Denise kann aber mit einer Symbol-Sprache das „Drehbuch“ zusammengeklickt werden.
Durch die Animationsskripte lassen sich in Imagic komplexere Animationen erstellen. Um Speicherplatz zu sparen, kennt auch Imagic Delta-Packing. Das wird aber anders berechnet und verbraucht noch weniger Speicherplatz als bei Cyber Paint - dafür wird mehr Zeit beim Entpacken benötigt.
Hauptnachteil von Imagic ist wohl, dass das Programm schwer erhältlich ist. Einzig die Demoversion und die Grafikdemos sind noch erhältlich.
Ähnliche Programme: Cyber Mate
Die Quelltexte von Flicker, The Cartoonist und weiteren Animationsprogrammen gibt es im Internet. So können sich ST-Filmemacher mit Programmierkenntnissen leicht eigene Routinen schreiben.