Editorial - Die Lücke hat sich geschlossen

Es ist schon recht witzig, auf welchen Minimalismus sich die Benutzung eines Computers zusammen schrumpfen lässt. Ich habe mich zum Beispiel in der Vorbereitung auf unser lang angekündigtes 8-Bit-Special „gezwungen“, wieder mit meinem allerersten Computer, einem Atari 130 XE zu arbeiten. Ich schaufelte ihn also in seinem sicheren Kellerfach frei, baute ihn komplett mit Diskettenlaufwerk und Monitor auf, und startete ihn, woraufhin mich schon ein recht sentimentales Gefühl beim Anblick des guten, alten „READY“ beschlich. Tatsächlich arbeitete der alte Rechner also noch, und ich konnte es mir nicht verkneifen, den schon so oft bemühten „Commodore is doof!“-Gag in den BASIC-Interpreter zu hämmern, damit dieser das Statement immer und immer wieder wiederholte.

Mit der Programmversorgung sah es allerdings nicht mehr ganz so gut aus: Viele Disketten waren nicht mehr lesbar, die meisten anderen enthielten Spiele - und ich hatte mir doch vorgenommen, am XE zu arbeiten. Also schickte ich eine Suchanzeige ins ABBUC-Forum. Wenige Tage später hatte ich die Textverarbeitung„ Atari Writer“ bei mir im Briefkasten. Die „Szene in der Szene“ funktioniert also perfekt und strahlt gerade die Nähe und Unterstützung aus, die so viele Computeranwender in der PC-Welt so vermissen.

Mittlerweile hat mein 130 XE wieder ein festen Platz auf meinem Schreibtisch. Und es klingt verrückt, ist aber wahr: Ich denke danach, die gut 20 Jahre alte Maschine noch aufzurüsten. Einen praktischen Nutzen hat das nicht wirklich, der 130 XE ist eben „nur“ ein „Liebhab-Computer“ für mich, und es bereitet mir eine diebische Freude, den hoch wichtigen Brief an die Bank mit einem XE zu tippen und mit einem modernen Laserdrucker auszugeben.

Einen praktischen Wert erwarten Besitzer eines Atari ST, STe, TT oder Falcon schon noch von ihrem Rechner. Und nicht zuletzt deshalb bewegen sich die meisten Anwender in diesem unbefriedigendem Gefühl zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Motivation und Resignation für unsere Plattform. Zu gern würden die meisten Fans den Atari wieder als ihren Hauptrechner einsetzen, immer weniger fühlen sie sich dazu imstande. Und dieses Gefühl lähmt.

Für das Jahr 2003 eine neue Hardware in Aussicht zu stellen, grenzt wohl an Augenwischerei. Die Möglichkeit, ein komplett freies Atari-Environment ohne den Umweg über Windows oder Linux auf dem PC zu nutzen, ist dagegen in greifbarer Nähe. Mit der Freigabe und Weiterentwicklung des alternativen Desktops Teradesk wurde die letzte Lücke im Puzzle geschlossen.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 12 / 2002, Seite 5

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