Scene-Report: Chipmusik auf dem Atari ST

Die Erstellung von Musik auf dem Computer hat in der Scene eine lange Tradition. Stefan Benz aka Lotek Style stellt uns wichtige Evolutionsschritte und Sounder näher vor.

«Was liegt näher, als gelegentlich nach Feierabend mit dem Computer ein kleines Spielchen zu machen oder sogar Musikstücke zu komponieren, die man sofort vom „Atari-Orchester" spielen lassen kann?». «Die Voraussetzungen des Atari 520 ST sind dazu relativ gut». Mit diesen oder ähnlichen Sätzen wurde Mitte der 80er Jahre versucht, den Soundchip des Atari ST besser zu verkaufen, als er eigentlich ist. Die Wahrheit sah damals leider etwas anders aus. Der Yamaha 2149-Soundchip, der im ST zu finden ist, wurde unter anderem lediglich deshalb ausgewählt, weil er billiger war als der im C64 befindliche SID-Chip. Dieser preisliche Unterschied machte sich auch schnell im Klang erkennbar.

Geschichtliches

Im Jahr 1986 glaubte man somit, dass es kaum möglich wäre, aus dem Soundchip des Atari ST halbwegs vernünftige Musik herauszuholen. Holger Gehrmann bewies dann aber das Gegenteil durch die ersten Chipmusiken zu dem Spiel EXTENSOR.

Richtig ins Rollen kam der Chipmusik-Stein dann aber im Jahre 1987 durch das langsame Entstehen der Demoszene auf dem Atari ST. Die Vorreiter dieser Bewegung waren die aus Deutschland stammenden „The Exceptions (TEX)". In ihrer ersten Produktion, dem LCD-Demo, benutzen sie noch die oben bereits erwähnten EXTENSOR-Musiken. Doch bereits bei ihrer zweiten Demo hatte sich ein junger Musiker zu ihnen gesellt, der die ST-Chipmusik maßgeblich prägen sollte: Jochen Hippel aka Mad Max.

Eines der größten Probleme für Chipmusiker zu dieser Zeit war, dass es einfach keine Soundeditoren für den ST gab. Die wenigen Musiker der ST-Frühzeit gaben die Noten ihrer Musiken noch einzeln in den Assembler ein. Da diese Methode aber mehr als umständlich war, entwickelten viele Musiker ihre eigenen gruppeninternen Editoren. Nach und nach tauchten jedoch auch andere Musiker neben Jochen Hippel aus der Versenkung auf. Zu ihnen gehörten unter anderem Anders Nilson (An Cool/The Carebears), Gunnar Gaubatz (Big Alec/Delta Force), Nie Alderton (Count Zero/Electronic Images), Sebastien Gerard (Jess/Overlanders) und Frank Seemann (Tao/ACF Cream).

Wie auch die Programmierer der Demoszene versuchten die Musiker immer mehr aus dem Soundchip des ST herauszuholen. So war es auch nicht verwunderlich, dass 1989 die ersten Spiele erschienen, die Chipmusik mit Digi-drums sowie auch reine Digitalmusik enthielten. Eines der besten Beispiele ist an dieser Stelle „Chambers of Shaolin" von Thalion Software. Diese Entwicklung lag unter anderem auch daran, dass viele ehemalige Demoszene-Mitglieder mittlerweile für Softwarefirmen arbeiteten und ihre Kenntnisse somit einbringen konnten.

Bild oben: jochen Hippel ist mittlerweile eine Kultfigur der Sounder auf dem Atari ST.
Bild unten: Grazey arbeitet derzeit am ultimativen Musik-Demo auf dem ST - wir sind gespannt!

Im Jahre 1992 wurde die ST-Chipmusikwelt dann von Joris Maarten de Man (Scavenger/Synergy) und seiner genialen SID-Technik überrascht. Er hatte es geschafft, eine Technik zu entwickeln, die aus dem Yamaha-Chip SID-ähnliche Klänge ertönen ließ. Die erste dieser Musiken war im bereits legendären DBA MAG 6-Intro von Synergy zu hören.

Editoren

Etwa im gleichen Zeitraum wurden diverse Chipmusik-Editoren wie etwa CHIPMON, MUS1CMON, SIDSOUNDDESIGNER oder INSIGNIA TRISOUND für den ST entwickelt. Diese bedienten sich teilweise ausgiebig an den vorher entwickelten Techniken, und es war nunmehr auch Musikern möglich, Chipmusik zu machen, ohne über Programmierkenntnisse verfügen zu müssen.

Die Landung des Falcon

Die nahende Veröffentlichung eines neuen Atari-Rechners sollte 1993 die Szene spalten. Der Atari Falcon 030 und dessen digitale Möglichkeiten ließ die ST-Chipmusik antiquiert vorkommen. Ein Teil der ST-Demoszene wechselte auf den Falcon, andere wiederum auf den PC und verließen somit den Atari. Einige wenige blieben auf dem ST und komponierten auch weiterhin Chipmusik, wie z.b. Jedi von Sector One.

Verfall der Scene

Doch der Verfall der ST-Szene war kaum noch aufzuhalten, und so versiegten nach einer Weile auch die letzten Chipmusik-Quellen.

Über die Jahre 1994 bis 1997 kamen so nur noch vereinzelt neue Chipmusiken an die Öffentlichkeit.

1997 veröffentlichte die Gruppe .tSCc. ihre Module-Compilation Nr. 14. In dem Intro dazu gab es nach langjähriger Abstinenz wieder einmal eine Musik von Tao, welche die ST-Chipmusik revolutionären sollte. SYNCBUZZER hieß ein neuer Effekt, der von Tao eigens entwickelt wurde und auch kaum mit Worten zu umschreiben ist.

Revival

Verbunden mit der zu dieser Zeit aufkommenden 80er Jahre Retro-Welle erlebte die ST-Chipmusik in den darauffolgenden Jahren eine regelrechte Wiedergeburt. Die einfache Handhabung der Chipmusik-Editoren und wachsendes Interesse an dieser Musikform veranlassten auch bisher unbekannte Musiker sich daran zu versuchen. Zu diesen zählen u.a. 505, MSG, MC LASER, DMA SC, VIKING, NEMO, D-FORCE und BAGGIO, um nur einige zu nennen.

Im Jahre 2002 ist die Chipmusik auf dem ST so lebendig wie zuvor und aus dem Szenebild nicht mehr wegzudenken. Eine der größten Sammlungen von ST-Chipmusiken wird uns hoffentlich bald von Grazey/PHF präsentiert. Er arbeitet schon seit geraumer Zeit an dem „Ultimate Ultimate Music Demo", welches einige Tausend Atari ST-Chipmusiken in einer großen Demo vereinigen wird. Die Demonstration wird ca. 10 Disketten umfassen und nur von Festplatte lauffähig sein. Wer sich also jetzt für diese Musik interessieren sollte, der kann auf die eben erwähnte Demo warten oder einige der in der Infobox zu findenden Links im Internet besuchen.


Stefan Benz
Aus: ST-Computer 07 / 2002, Seite 12

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