Artis 4.0/Prism Paint

Die Qualität von als Freeware freigegebener Atari-Software kann nicht immer überzeugen. Ob Artis anders ist, zeigt der Test.

Artis ist vor einiger Zeit als Freeware freigegeben worden. Dies geschah auf Initiative des Autors dieses Testes. Wolfgang Ante, einer der Autoren von Artis zeigte sich von der Idee begeistert und wollte sich sogleich auf die Suche nach dem Sourcecode begeben. Der Source ist zwar immer noch nicht wieder aufgetaucht, aber dank der Mithilfe von Bernd Mädicke gibt es jetzt zumindest Artis 4.0 zum Downloaden.

Artis ist 1989 als reinen Monochrom-Grafikprogramm veröffentlicht worden. Als Nachzügler in diesem Markt hatte das Programm mit übermächtiger Konkurrenz zu kämpfen. Neben dem Klassiker STAD tummelten sich etliche Spezialitäten auf dem Software-Markt, die den Schwerpunkt z.B. auf technische Zeichnungen oder Animation legten. Der PD-Markt war ebenfalls überflutet mit ca. sechzig Monochrom-Grafikprogrammen, darunter auch PAD oder Laser Design Pro.

Artis versuchte sich mit künstlerischen Funktionen abzuheben. Damit sind nicht etwa "natürliche" Malwerkzeuge gemeint, sondern Funktionen zum automatischen Zeichnen von Blubberblasen. Trotzdem war Artis kein durchschlagender Erfolg gegönnt, denn Schlagworte wie Auflösungsunabhängigkeit wurden bei Neuerscheinungen im Grafikmarkt als immer wichtiger erachtet. Ungeachtet dessen wurde Artis bis zur Version 4 weiterentwickelt.
In den USA wurde Version 4 als Prism Paint II vermarktet, obwohl Artis völlig anders aussieht als Prism Paint 1.5 und auch dessen Bilder nicht lesen kann. Amerikanische ST-Besitzer müssten also ähnlich verwundert gewesen sein, wie die Europäer es beim Anblick von 1st Word 4 (alias "That's Write Junior") waren.

Start

Die Installation von Artis verläuft völlig unkompliziert und besteht aus einem Archiv, das auf der Festplatte entpackt werden muß. Die Minimalanforderungen sind mit einem MB und Monochrom-Monitor sehr gering. Das Programm fühlt sich aber auch unter 800*600 mit 16,7 Mio. Farben wohl, nutzt allerdings die Farbenpracht nicht aus. Einzig 256 Farben mag Artis dem Grafiker zugestehen.
Beim Start verschwindet erstmal der Desktop mit der Menüleiste. Alle Funktionen von Artis sind in einem Dialog untergebracht, der sich auf dem Bildschirm verschieben läßt. Accessories und parallel laufende Programme lassen sich über eine Funktion im Artis-Dialog aufrufen.

Die Zeichenwerkzeuge

Die Werkzeuge

Alle Werkzeuge passen gar nicht in den Hauptdialog von Artis. Deshalb wird mit den vier Icons links oben zwischen den einzelnen "Seiten" des Hauptdialogs umgeschaltet. Neben den Zeichenfunktionen gibt es die Seiten Block, Effekte und Clipboard.
Ständig sichtbar sind die drei Icon-Reihen am unteren Dialogrand. Mit ihnen werden u.a. Bilder geladen/gespeichert und der Scanner angesteuert.

Zeichenfunktionen

Die Zeichenfunktionen bieten all das, was auch heute noch von einem Malprogramm erwartet wird. Neben dem Stift gibt es einen Radier mit frei wählbarer, rechteckiger Größe, Linien und Linienzüge. Was folgt ist die Kür: rechte Winkel, horizontale Linien oder Parallellinien. Quadrate und Rechtecke werden unterschieden und wer schon immer eine Funktion gesucht hat, um Linien zeichnen zu lassen, die vom linken zum rechten Bildschirmrand gehen, wird sie hier finden. Als nächstes gibt es Kreis, Kreis durch drei Punkte, Rechteck, Dreiecke in drei verschiedenen Geschmacksrichtungen und ein Achteck. Runder wird es mit Bézier- und einfachen Kurven. Der 3D-Teil beschränkt sich hingegen auf das Zeichen von 3D-Rechtecken. Sprühdose und Füllwerkzweug runden die Palette ab.
Etwas sinnlos erscheint die Funktion zum Zeichnen von Karos. Sinnvoller sind da die Textfunktionen, die Speedo, Signum2! oder dem Systemfonts verwenden können.

Blockfunktionen

Die Blockfunktionen sind eigentlich eine Ansammlung von Effektfunktionen für Blöcke - das Kopieren, Ausschneiden etc. von Blöcken ist im Clipboard-Teil.
Bei den Block-Effekte dürften sich verspielte Naturen voll austoben. Neben verschiedenen Rahmen gibt es Schatten, Invertierung, "Einstampfen", Bewegung und Auslassen jeder zweiten vertikalen oder horizontalen Linie. Wozu "Program 1" bis "Program 4" gut ist, läßt sich ohne Handbuch aber höchstens erahnen.
Ein Großteil der Blockfunktionen sind unübersehbar noch für monochrome Bilder optimiert. Bei einem Bild mit 256 Farben ist das Resultat eher unansehnlich.

Effekte

Mit den Effekten alleine lassen sich schon interessante Bilder malen. Die Tuschefeder zeichnet mit einer schrägen Linie auf dem Bildschirm. Die Größe des Federkiels wird bei gedrückt gehaltener Maustaste immer kleiner. In den Optionen hierzu kann die Anfanggröße des Federkiels festlegen. Seltsame Bilder erzeugt der Stift: nachdem mit gedrückter Maustaste schnell über den Bildschirm gefahren wurde, verbindet Artis die einzelnen Punkte miteinander. Das Resultat sieht gerade am Anfang etwas ungeplant, aber dennoch nett aus.
Gewohnt Farbarm ist die Sprühdose, die es in drei "Stärken" gibt. Extravaganter ist das "Sternenspray". Hiermit werden große und kleine Sterne auf dem Bildschirm gesprüht. Die größtmögliche Sternengröße kann eingestellt werden. Planeten können mit dem Spotlight gezeichnet werden, der, ganz in der Tradition monochromer Grafikprogramme, mit Rastern statt mehreren Farben arbeitet.
Neben den Sternen ein weiterer Hit sind die Blubberblasen, eine Ansammlung von verschieden großen Kreisen auf kleinstem Raum.
Aus der Kategorie "Mein erstes Grafikdemo" stammen die Lissajous-Figuren, die stark einer Brezel ähneln.
Das die Programmierer ein Herz für den Weltraum haben, zeigen "Starcross" und "Globe-Efffect".

Unendliche Farbräume - Artis kennt RGB, YMC und HLS

Hinter dem "4-Punkt-Effekt" verbirgt sich eine Art Fluchtpunkt. Mit der Maus werden vier Punkt plaziert und nach jedem nochmaligen Drücken wird der neu gesetzte Punkt mit den vier gesetzten verbunden.
Mit dem Liniennetz wird eine Serie von Punkten (maximal dreißig) untereinander verbunden. Ähnlich funktioniert die Halbnetz-Funktion, bloß das die erste Serie von Punkten mit einer zweiten Serie verbunden wird.
Eine Funktion, um Karos zu zeichnen, wird im Programm als "Diamant" bezeichnet. Es muß nur eine horizontale Linie gezogen werden.
"Aufziehbare Sterne" sind eines der flexibleren Effekt-Werkzeuge. Zuerst wird ein Mittelpunkt gesetzt, danach kann eine Ellipse aufgezogen werden. Nach dem Aufziehen einer weiteren Ellipse wird ein gezackter Stern gezeichnet.
Verrückt ist das Werkzeug "Zeichnen mit rotierenden Dreiecken". Ein Dreieck rotiert selbstständig um die eigene Achse. Ein Mausklick und das Dreieck hinterläßt seine Spuren auf dem Bild.
Aus dem Omikron-Basic-Handbuch bekannt ist das Zeichnen mit Rechtecken.

Der "Ellipsen-Effekt" ist interessanter: Mit der Maus werden zwei Punkt plaziert. Fortan können durch unregelmäßiges Bewegen mit der Maus Halbellipsen vom aktuellen Punkt zu den zwei Gesetzten gezeichnet werden.
Relativ nutzlos ist dann wieder die Funktion zum Zeichnen von Mercedes-Sternen: einfach Kreis aufziehen und Artis zeichnet den typischen Stern.

Clipboard

Wer sich von den Effekt-Funktionen erholen muß, hat auf der Clipboard-Seite Gelegenheit dazu. Wie man es von einem ordentlichen Grafikprogramm erwarten darf, kennt Artis sowohl den rechteckigen Blockmarkierer, als auch das Lasso. Vier Blöcke lassen sich zudem zwischenspeichern, um z.B. bestimmte Cliparts immer griffbereit zu haben.

Animation

Die Animationsfähigkeiten von Artis entsprechen ziemlich genau denen von Prism Paint. Mit der Steuerung auf dem Hauptdialog wird zwischen den einzelnen Bildern (Frames) umgeschaltet. Wird ein neues Frame eingerichtet, enthält es zunächst den Inhalt vom Vorgängerbild. Durch Veränderung wird der Daumenkino-Effekt erreicht, die Flüssigkeit der Animation hängt natürlich auch von der Anzahl der Frames ab. Jedes Frame belegt aber Platz im Speicher und im Gegensatz z.B. zu Deluxe Paint kennt Artis keine Shapes, die einem Bewegungspfad folgen.
Wenn die Animation beim letzten Frame angekommen ist, kann sie entweder zum ersten Frame zurückspringen, stoppen oder rückwärts laufen (Ping Pong).
Anspruchsvolle Animationen sind daher mit Artis nicht möglich, aber für einen Ab- und Vorspann reicht es auf jeden Fall.

Bildformate

Artis kann Bilder im XIMG, BMP, GIF, Screen (32K), Degas und Stad-Format laden. Die Bilder werden wenn nötig auf 256 Farben reduziert. Wie beim laden einen Bildes zu sehen ist, haben die Artis-Programmierer in diesem Punkt die Arbeit Dieter Fiebelkorn überlassen, der auch für GEMView verantwortlich ist. Allerdings ist das Modulformat von Artis ein anderes als von GEMView.
Gespeichert werden kann als XIMG, BMP und Screen. Das Programm erkennt das gewünschte Format an der gewählten Endung in der Dateiauswahl.

Fazit

Artis 4 ist ein sehr gutes Grafikprogramm, auch wenn viele Funktionen aus diversen Basic-Grafik-Demos bekannt sind. Zwei kleine Unsauberkeiten sollen nicht verschwiegen werden: beim Beenden des Programms wird der Bildschirminhalt nicht korrekt restauriert und in TC-Auflösungen erscheinen manche Bilder als Pixelmüll.

http://www.artissoftware.com/


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 06 / 2002, Seite 20

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