Wie der Atari Futter für die Hitparaden produzierte
Das heutige Interview ist mit Sicherheit nicht nur für MIDI-Anwender, sondern für alle Atari- und Musikfans gleichermaßen interessant. Wir haben uns nämlich mit einem professionellen Musikstudio unterhalten, das lange Zeit mit dem Atari arbeitete und nun zum Macintosh gewechselt ist. Ali Goukassian führte ein interessantes Gespräch.
Um Musikproduktion am Atari und Mac vorzustellen, haben wir das Team des Produktionsstudios „Click Music“ nahe Dortmund besucht, denn dort entstehen Hits, die Ihnen bekannt sein dürften: „Here she comes again“ oder „If you believe“ sind die erfolgreichen Werke des Ex-Schmusesängers Sasha, doch auch andere Stars wie Thomas Gottschalk haben („What happened to Rock’n Roll“) ihre Hits von Click Music schreiben und produzieren lassen.
Im Zentrum der Aufnahmen stand über viele Jahre ein Atari ST, der heute auch immer wieder vermisst wird. Mittlerweile ist es ein G4-Mac, der die einzig erträgliche Alternative zum Atari-Arbeitspferd darstellt.
Erzählt doch mal ein wenig über eure Studio-Historie. Viele junge Musiker haben den Traum, ein Popstar oder Hit-Produzent zu werden, aber es gehört doch eine Menge dazu, sich zu trauen, diesen Traum auch umzusetzen. Wie habt Ihr euch entschieden, ins Profi-Gewerbe einzusteigen?
1984, direkt nach dem Abitur, habe ich Click Music gegründet und das Equipment zunächst als reines Aufnahme-Studio an Musiker vermietet. Damals arbeiteten wir mit einer recht spartanischen Ausstattung. Weil wir Charly Steinberg, der hier aus Gegend stammt, kannten, haben wir zunächst auf Steinberg-Produkte gesetzt. Anfangs wurde also auf einem Atari 520 ST, der nahezu kleinsten Variante des damals musiktauglichsten Computers, sequenzt. Als Software diente zu Beginn Steinberg 24, ab 1987 stiegen wir dann auf die ersten Versionen von Cubase auf.
Mit seinen integrierten MIDI-Schnittstellen war der Atari doch sicherlich prädestiniert für einen reibungslosen Ablauf, oder?
Ja, das schon. Allerdings bereitete auch der uns Kopfschmerzen. Entweder, weil es mit ein paar lustigen Bomben abstürzte, oder weil es immer wieder Probleme mit der Time-Clock-Synchronisation gab. Immerhin waren finanzierbare Harddisc-Recording-Systeme noch undenkbar, so dass wir als Einsteiger mit einem MS 16 Tascam-Bandaufnahmegerät die Audio-Aufnahmen machten. Eine der 16 Spuren ging für die Audio-Synchronisation mit dem ST-Sequenzer drauf. Und wenn man Pech hatte, dann hieß es plötzlich „Try to save your work“ - und das System schmierte ab.
Kein Grund, vor dem System zu flüchten?
Nein, wir haben bis weit in die Neunziger hinein mit dem Atari gearbeitet. Trotz der einen oder anderen Bombe war er über lange Zeit das von uns favorisierte System, weil er im Großen und Ganzen und im Vergleich zur heutigen Technik reibungslos arbeitete. Die Hits von „Der Wolf“ oder auch „Young Deenay“ entstanden beispielsweise noch mit dem ST und Cubase.
Aber 1997 kam der Wechsel. Es begann mit einem 7200er Mac. Über den 9500er kamen wir schließlich zum G3 und sind heute beim G4 mit 733 MHz gelandet. Als wir uns dann 1997/ 1998 den Unitor von Emagic anschafften, stiegen wir zeitgleich auf Logic Audio und die ProTools um, weil dies die am besten harmonierende Hard- und Softwarekombination war.
Und seid Ihr auch heute noch mit dem System zufrieden? Ihr habt euch ja erst kürzlich einen neuen PowerMac angeschafft, also deutet die Zukunft auch weiterhin auf die Rechner mit dem Apfel-Symbol?
Ja, wir sind durchaus zufrieden. Ein paar mehr Spuren dürften gern bald mal mit unserem aktuellen System unterstützt werden. Derzeit müssen wir uns auf 64 Spuren begrenzen, was Probleme aufwirft. Da ist es schon gelegentlich nötig, unsere Akai-Sampler als zusätzliche Harddisc-Recording-Geräte zweckentfremdet einzusetzen - was übrigens ganz schön heftig ist.
64 Spuren reichen nicht aus? Wenn ich die heutigen Charts rauf und runter höre, dann hört es sich so an, als würden die 16- oder 32-spurigen Billig-PC-Sequenz-Programme mit Hunderten vorgefertigter Samples ausreichen, um einen Hit zu landen.
Es ist viel Müll dabei, bei dem, was da geboten wird! Na klar, für den einen oder anderen Musikanspruch mag es reichen, aber nicht zuletzt unser eigener Musikanspruch bedingt, dass wir - wie beim neuen Sasha-Album auch - natürliche Instrumente zusätzlich zu den Synthies einsetzen, um eine möglichst echte und natürliche Musik zu produzieren. Wenn man sich so einige Songs der 80er Jahre anhört, dann ist es richtig peinlich, wie statisch diese klingen. Wahrscheinlich waren einige Musiker damals so stolz auf die Quantisier-Funktion, die Rhythmus-Ausrutscher bereinigt, dass sie die Hi-Hat haben drei Minuten lang durchticken lassen. Bei manchen wurde sogar die Lautstärke der Hi-Hat über die gesamte Laufzeit derart vereinheitlicht, dass nicht der Ansatz einer natürlichen Musikproduktion mehr zu hören war, sondern wie ein Maschinengewehr klang.
Kein Wunder, dass die groovigen Disco-Hits von heute doch eher die Covers von 70er-Jahre-Songs sind. Egal, ob „Lady“ von Modjo Band oder „Crying at the discotheque“ von Alcazar, denn hier war durch die Menschlichkeit beim Einspielen noch echter Groove im Song.
Aber zurück zu den 64 Audio-Kanälen, die uns nicht reichen: Allein das Schlagzeug benötigt eine Menge eigener Spuren, hinzu kommen die Gitarren, Gesangsstimmen inklusive Backing-Vocals und beispielsweise auch noch Streicher. Da ist man schnell an seinen Grenzen und muss einige Spuren mehrfach belegen. Da wird es fast sportlich, weil man im richtigen Moment den einen oder anderen Kanal am Mischpult für ein neues Instrument freigeben muss.
Die Kritik an den Music-Mix-Studio-Programmen wirft die Frage auf, was Ihr denn generell von virtuellen Synthesizern haltet. Reason beispielsweise simuliert auf einem Mac ab 300 MHz ein mehrstöckiges Rack mit einer Soundvielfalt, wie sie sonst nur einem echten Ceräte-Rack mit Synthies und Modulen im Wert mehrerer Tausend Mark entstammen könnten. Ist das auch alles untauglich für den professionellen oder zumindest semiprofessionellen Einsatz?
Ganz und gar nicht. Hier wird immerhin professionelle Software geboten, die nicht vorgaukelt, für 99 Mark ein komplettes Hit-Studio inklusive Video-Mischpult zu bieten. Reason und vergleichbare Programme sind genauso gut wie die physikalisch vorhandenen Synthesizer. Auch wir greifen auf diese Technik zurück, weil sie Geld und Platz spart. Immerhin macht ein Synthesizer auch nichts anderes, als Sound elektronisch oder auf Basis von Samples wiederzugeben.
Ist Gleiches auch über die virtuellen Mischpulte zu sagen? Immerhin habt Ihr hier ein vier Meter breites und mit Hunderten von Knöpfen und Drehreglern übersätes Modell stehen, das unter Umständen überflüssig werden könnte.
In Puncto Qualität denke ich, dass die virtuellen Mischpulte durchaus die gleichen Anforderungen erfüllen wie die originalen Pulte. Es gibt zwar immer wieder die Meinung, dass ein vollkommen digitaler Sound nicht so gut klingen kann wie ein auch analog vorliegender Sound. Aber auch dafür haben VST und Co. mittlerweile Emulationen. Es ist nur eine Frage der Bedienbarkeit. Ich kann mir beim Finishen eines Albums einfach nicht vorstellen, mit dem Mauszeiger in Richtung Schieberegler zu fahren und diesen dann präzise und schnell so einzustellen, dass der Sound derart beeinflusst wird, dass es mir gefallen könnte. Es hat etwas praxistaugliches, wenn man schnell auf Soundereignisse reagieren und Regler und Knöpfe direkt greifen und bedienen kann.
Nachdem Ihr dem Hobby-Musiker also Mut gemacht habt, dass er auch mit dem deutlich preiswerteren Software-Studio durchaus studiotaugliche Produktionen machen kann - wenn er denn kann -, würde mich interessieren, ob ihr den einen oder anderen Tipp, beispielsweise für Gesangsaufnahmen, habt. Immer, wenn ich Privat-Produktionen höre, dann klingen diese eben nicht so wie die aus einem Profi-Studio. Der Gesang liegt eher über der Musik und ist nicht integriert.
Leider gibt es kein Patentrezept. Nicht umsonst arbeiten wir zum Beispiel seit über 15 Jahren an professionellen Produktionen und können uns nach wie vor permanent steigern. Aber wichtig ist unter anderem der Raum, in dem der Gesang aufgenommen wird. Er sollte nicht zu trocken klingen. Singt eure Spur also nicht im Schlafzimmer voll Matratzen und Bettdecken ein, die den Schall schlucken. Aber ein verhallter Raum ist auch nicht gut, weil man hinterher kaum Möglichkeiten hat, noch viel am Sound zu ändern.
Des Weiteren sollte unbedingt ein gutes Mikrofon eingesetzt werden. Das ist häufig schon die halbe Miete, wenn es darum geht, das volle Gesangsvolumen zu erfassen. Na klar, wenn jemand eine doofe Stimme hat, dann ist auch mit einem 3000-Marks-Mikro nichts mehr zu retten. Andersherum gibt es auch herausragende Persönlichkeiten wie einen Morten Harket von a-ha oder einen Jack Radics, die nicht einmal ein Mikro benötigen, um den Raum mit ihrer Stimme beeindruckend zu füllen.
Last but not least kommt es darauf an, den Compressor richtig zu bedienen. Er sieht so simpel aus, weil er nur ganz wenige Knöpfe und Regler hat, aber die richtige Mischung zu finden, ist eine echte Kunst, die man sich durch Übung aneignen muss.
Okay, unser ambitionierter Leser hat nun also sein eigenes Musikstudio, einen Atari, ein tolles Mikro, eine brauchbare Stimme und kann mit dem Compressor umgehen. Wie weit ist der Weg zum Popstar?
Unendlich weit- leider. Ich habe kaum einen Musiker erlebt, der von heute auf morgen wirklich durch Qualität zum Star geworden ist. Entweder er musste einen jahrelangen Leidensweg durchleben und darauf hoffen, dass er eines Tages entdeckt wird, oder er wird wie in der Serie „Popstars“ mit Hilfe eines riesigen Marketing-Aufwands in die Charts gepusht. Aber von dieser Musik-Schiene distanzieren wir uns, denn wir selbst gehen mit dem Anspruch an die Sache, langjährig anerkannte Produktionen zu machen und nicht die Kommerz-Eintagsfliege im Musikbusiness zu sein. Ich halte nichts davon, eine Boutique-Verkäuferin von heute auf morgen zum Popstar zu machen, um sie dann ein oder zwei Jahre später wieder beiseite zu legen, wenn Nachschub nötigt ist.
Aber wie gesagt, es ist nicht einfach. Selbst wenn man als Produzent mit einem tollen Song, einer jungen Interpretin, die nicht nur gut aussieht, sondern auch noch brillant singen kann, bei der Plattenfirma auftaucht, dann will diese erst wissen, welche Fernsehsendungen denn schon im Boot seien und den kommenden Popstar Supporten würden. Hinzu kommt, dass das neue Chart-Bemessungssystem, bei dem Air-Play im Radio keine Rolle mehr für den Chart-Einstieg spielt, neue Musiker kaum aufkommen lässt. Früher hat der Mut einiger Radiosender, die einen neuen Song, der ihnen gefällt, durchaus auch spielen, gereicht, um ein neues Stück zumindest in die Top 100 zu bringen und damit im Plattenladen verfügbar zu machen. Heute zählt nur noch der reine Plattenverkauf, der aber wiederum nur funktioniert, wenn die CDs auch vom Verkäufer ins Regal sortiert werden.
Ein Grund, nun verbittert über die Musikbranche zu sein oder es aufzugeben?
Auf keinen Fall. Die Branche war irgendwie immer schwer und ungerecht. Man muss sich halt durchbeißen.
Kommen wir zu einem anderen Thema, das für unsere Leser sicherlich interessant sein dürfte: Wie steht Ihr zum MP3-Format?
Einerseits ist es toll. Wir können mal schnell Demoaufnahmen oder die passenden Streicher-Quartetts über den Globus schicken und schauen, ob sie so für die benötigten Zwecke geeignet sind.
Aber aus Sicht eines Musikers sind die Raubkopien, die durch MP3 entstehen, doch sehr schädigend. Man schätzt den Verkaufsrückgang speziell durch MP3-Raubkopien auf 25% allein für das Jahr 2000. Die Plattenfirmen versuchen dies wiederum durch eine Steigerung der CD-Preise aufzufangen, was natürlich auch kontraproduktiv ist!
Vielen Dank für das ehrliche und informative Gespräch, das uns wirklich einen authentischen Einblick in die Musikbranche und in die Musikproduktion mit dem Mac und dem Atari gewährt hat.