Leonard Tramiel im Gespräch

Kaum ein anderer Name steht so signifikant für die ST-Ära von Atari wie der der Familie Tramiel. Nachdem Jack Tramiel sein ehemaliges Reparaturunternehmen für Schreibmaschinen zur Weltfirma Commodore führte und so wegweisende Produkte wie den PET, den VC20 oder auch den C64 veröffentlichte, kaufte er 1985 das mittlerweile marode Spielunternehmen Atari auf. Nur sechs Monate später führte er es mit dem ST in eine Schlacht gegen sein Ex-Unternehmen und neue Gegner wie Apple und IBM. Nach vielen Siegen und Niederlagen trennte sich Atari Anfang der 90er Jahre von seiner Computer-Division.

Begleitet wurde Jack bei Atari stets von seinen Söhnen, die er auch als Präsidenten über das Unternehmen einsetzte. Bei langjährigen Atari-Mitarbeitern erwarben sie sich den Ruf der „Sturmtruppen“.

Die Tramiels leben heute zurückgezogen in Kalifornien in den USA. Thomas Raukamp hatte die seltene Gelegenheit, sich mit einem Mitglied einer der erfolgreichsten Familien Amerikas zu unterhalten. Er traf Leonard Tramiel zu einem Gedankenaustausch über Hochs und Tiefs von Atari, in dem beide in Erinnerungen kramten.

Mr. Tramiel. sind Sie eigentlich überrascht, dass es immer noch Tausende von Atari-Fans in der ganzen Welt gibt und dass es mit der st-computer sogar noch ein Printmagazin rund um den Atari gibt?

Ich bin wirklich überrascht, dass ein ST-Magazin heutzutage noch überleben kann. Aber ich wundere mich nicht über die vielen Fans.

Die „Tramiel-Ära“ war ja ohne Zweifel die erfolgreichste Epoche für die Computer-Linie von Atari. Als Ihre Familie das Ruder übernahm, war Atari ja eher als Hersteller von Spielkonsolen bekannt. Erst Sie verwandelten Atari völlig in eine Computerfirma. Hatten Sie nie Angst davor, dass die Leute keine Computer von einer Spielefirma kaufen würden?

Nein. Ich denke auch nicht, dass dies so ein signifikantes Problem darstellte.

In welchem Zustand war Atari, als Ihre Familie es aufkaufte?

Das Unternehmen verlor knapp 2 Millionen Dollar pro Arbeitstag. So ein Verlust war groß genug, um allen bei Warner Communications mächtig Angst zu machen. Der Spielemarkt wurde von Nintendo geraubt und den XL-Computern ging es auch nicht besonders gut.

Ihr Vater gab der Welt den C64, den ersten extrem erfolgreichen Computer, der von Shiraz Shivji entwickelt wurde. Viele Leute sagen rückblickend, dass der Atari XL/XE eigentlich für seine Zeit das viel bessere Computersystem war. Was war und ist Ihre Meinung darüber?

Ich war zu der Zeit noch nicht bei Commodore, aber ich glaube gar nicht, dass Shiraz so viel mit dem C64 zu tun hatte. Der C64 war im Grunde genommen ein stark erweiterter VC20. Wenn ich mich recht erinnere, stammt das ursprüngliche Design von denselben Leuten, die auch den VC20 entwickelten.
 
Die Atari XL-Maschinen hatten einen ganz anderen Ansatz als die Commodore-Rechner. Es gab eine Menge signifikanter neuer Technologien im XL, so z.B. DLIs, Sprites, verschiedene Farbmodi mit vielen Farben. Außerdem wurde das System entwickelt, um die Möglichkeiten des NTSC-Standards zu nutzen. Der C64 wurde im Gegensatz dazu entwickelt, um einfach zu sein – einfach in der Programmierung, einfach herzustellen und damit günstig in der Produktion.

Was war dann die Idee hinter dem ST? Sahen Sie diesen eher als Nachfolger des Commodore 64 oder als die günstigere und bessere Version des Apple Macintosh?

Eigentlich als beides. Es war klar, dass die grafischen Oberflächen Computer viel leichter benutzbar machten. Die Idee war, eine Maschine zu entwickeln, die diese Eigenschaft mit einem Preis verbandt, den die Leute auch bezahlen konnten.

Atari war das erste Unternehmen, das eine moderne Benutzeroberfläche zusammen mit einem Computersystem zu einem vernünftigen Preis verkaufte. Heute spricht man aber nur noch von Apple und Microsoft, wenn es darum geht, wer den größten Anteil an der Verbreitung der Computerbedienung mit Maus und GUI hat. Denken Sie manchmal, dass Ataris Beitrag zur heutigen Computerwelt unterbewertet wird?

Eigentlich nicht. Der ST kam nach dem Macintosh heraus. Es gebührt Apple, den ersten Computer produziert zu haben, der eine grafische Oberfläche besaß und kommerziell erfolgreich war. Aber sie sollten sich nicht mit den Federn schmücken, diese Oberfläche erfunden zu haben. Dieser Ruhm gebührt den Leuten von XEROX PARC.

Das Lustige am ST ist, dass er ein Design von Shivji war, während die „Lorrain“, die später als „Amiga“ bekannt wurde, von Jay Miner stammt, der auch den Atari XL entwickelte. Atari versuchte sogar, das Design der Lorrain zu kaufen. Dieses hatte einen stärkeren Fokus auf Entertainment. War nicht eigentlich der Amiga viel eher ein Atari als der ST?

Atari hatte sogar das Design der Lorrain bereits gekauft! Das Geschäft war etwas merkwürdig, da Amiga die Chance eingeräumt wurde, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Geld zurück zu zahlen – Atari hatte dann gar nichts in den Händen. Um das ganze noch merkwürdiger zu machen, kam das Geld, um Atari auszuzahlen, wahrscheinlich von Commodore.
 
Die Tatsache, dass Atari dann einen Computer produzierte, der im Design eigentlich zu Commodore passte, und dass Commodore eigentlich einen Rechner produzierte, der im Design eher ein Atari war, hat mich oft amüsiert. Komischerweise fiel nur sehr wenigen Leuten diese Kuriosität auf...

Bleiben wir noch etwas bei den ersten Tagen des ST. Es gab damals eine Menge Rivalität zwischen Atari- und Amiga-Fans. Hier und da existiert diese immer noch. Was ist eigentlich Ihre persönliche Meinung zum Amiga?

Der Amiga war eine sehr interessante Maschine. Ich denke aber, dass der Gewinn von vielen darstellbaren Farben den Verlust hoher Auflösungen und einer höheren Geschwindigkeit nicht wett machte. Mir kam es auch so vor, dass der Amiga aufgrund seiner Komplexität schwer zu programmieren war. Und ich mochte die grafische Oberfläche überhaupt nicht, sie schien nur aus wirklich absurden Grafiken und völlig falsch gewählten Farben zu bestehen. Allerdings war das multitaskingfähige Betriebssystem eine gute Idee. Dieses war seiner Zeit weit voraus.

Gerüchten zufolge wurde der Atari ST in nur 6 Monaten entwickelt…

Die Entwicklung des ST dauerte vom ersten Prototypen bis zum fertigen System auf der CES in Las Vegas mit den fertigen Custom-Chips 6 Monate.

Ich habe gehört, dass Sie anfangs einen ganz anderen Prozessor als den MC68000 nutzen wollten…

Wir wollten eigentlich einen richtigen 32 Bit-Prozessor. Die beste Wahl war damals der National Semiconductor 32016. Dieser war aber einfach nicht in den gewünschten Kapazitäten erhältlich, und die ersten Modelle waren dann auch recht langsam.

Wie kam es eigentlich dazu, dass das TOS und das GEM für den Atari Verwendung fanden? Von wem stammt eigentlich das TOS?

Wir wussten, dass wir auf jeden Fall eine grafische Oberfläche benutzen wollten, aber wir hatten keine Zeit, unsere eigene zu entwickeln. Damals waren nur zwei Optionen verfügbar: GEM und Windows. Wir sprachen sowohl mit Microsoft als auch mit DRI, und nur DRI konnte das anbieten, was wir suchten. Sowohl das GEM als auch das TOS stammen von Digital Research.

Es gab in einem Forum im Internet vor einiger Zeit eine Diskussion darüber, ob die Abkürzung „TOS“ für „The Operating System“ oder für „Tramiel Operating System“ steht. Können Sie hier für Licht sorgen?

Offiziell steht die Abkürzung „TOS“ für „The Operating System“. In unseren Treffen mit DRI haben wir diese Formulierung auch immer benutzt, also schlug Gary Kildall vor, dass wir das ganze einfach nur „TOS“ nennen. Er bemerkte dann, dass diese Abkürzung auch für „Tramiel Operating System“ stehen könne.

Der Atari bekam schnell einen Spitznamen als „Jackintosh“ oder als „Mac-Killer“. Apple grüßte ja offiziell IBM, als diese ihren ersten PC veröffentlichten. Gab es auch Reaktionen von Apple auf den ST?

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Apple jemals ein Grußwort an Atari schickte. Man kann aber auch nicht IBM mit Atari vergleichen, das ist ein wenig verrückt...

Es gab auch Gerüchte, dass Steven Jobs Atari kaufen wollte, als er bei Apple rausflog und bevor er NeXT gründete…

Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Ich höre das jedenfalls zum ersten Mal.

Besonders der Mega ST konnte Atari in Europa als ernsthafte Computerfirma etablieren. Der amerikanische Markt war dagegen nicht so einfach zu erobern, und der ST war eigentlich nur als Spielmaschine bekannt. Warum konnte sich der ST nicht im amerikanischen Markt durchsetzen?

Ich denke, dass IBM den Markt der Personal Computer sehr schnell übernommen hat. Als der ST herauskam, war der PC in den Vereinigten Staaten schon sehr etabliert. Der europäische Markt war dagegen weitaus flexibler und die Vorteile des ST in Bezug auf Leistung und Preis erschienen daher einfach wichtiger.

Ist es eigentlich wahr, dass die Nachfrage nach STs in Amerika höher war, als die Verkaufszahlen zeigten? Es wird gesagt, dass alle Einheiten des ST nach Europa verkauft wurden…

Die Speicherbausteine des ST waren damals sehr schwer zu bekommen. Wir konnten daher nicht so viele Maschinen produzieren, wie wir vielleicht hätten verkaufen können. Also war es unsere Entscheidung, in erster Linie den europäischen Markt zu versorgen, um hier unseren Marktanteil zu halten. Die Vereinigten Staaten erhielten daher nur wenige Maschinen.

Atari vergab leider die Chance, einer der wichtigsten Anbieter im sich damals entwickelnden DTP-Markt zu werden. Auf den TT mussten professionelle Anwender lange warten, der Falcon konnte hier nicht befriedigen…

Der TT hatte schon einige Akzeptanz als die Zukunft der Computerlinie. Ich erinnere mich aber nicht mehr an die Details der Entwicklung und die Pläne.

Atari war eines der ersten Unternehmen, das Design zu einem wichtigen Faktor bei Computern machte. Der TT und der Mega STE hatten ein sehr modernes Äußeres, das auch heute noch elegant wirkt. Der iMac machte Design dann zu einem marktentscheidenden Faktor. Haben Sie diese Entwicklung vorausgesehen?

Design ist ein wichtiger Teil eines jeden Produkts. Ich denke, bei Computern ist ein gutes Äußeres sehr wichtig, obwohl es sicher nicht der entscheidende Faktor ist.

Als der Atari Falcon 030 veröffentlicht wurde, beschwerten sich jedoch viele Leute über die fehlenden Erweiterungsmöglichkeiten. Es war aber wieder der iMac der zeigte, dass den Leuten ein leistungsfähiges Komplettsystem wichtiger ist als die Summe der erweiterbaren Teile.

Ich denke nicht, dass das Thema der Erweiterungsmöglichkeiten jemals wirklich wichtig war. Ich erinnere mich aber an Leute, die daran bei Atari herumnörgelten. Auf der anderen Seite ist es doch so, dass jedes System irgendwo seine Schwachstelle hat, und genau daran wird dann herumkritisiert. Ich glaube aber nicht, dass viele Leute ihre Kaufentscheidung von der Erweiterungsfähigkeit eines Computers abhängig machen.

Bleiben wir beim Falcon. Ich muss sagen, dass dies eine der attraktivsten und aufregendsten Maschinen ist, die je produziert wurden. Der Falcon hatte aber nie den Erfolg, den er verdiente. Was waren die Probleme der Maschine? Waren Sie wirklich glücklich über die Wahl des Gehäuses und der schon damals etwas schwachen 030-CPU?

Das Gehäuse hat mich nie gestört. Die CPU hat mich nicht allzu sehr gestört, aber natürlich war sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ich denke das Hauptproblem des Falcon war eigentlich, dass Atari es schon vorher versäumt hatte, einen genügend großen Marktanteil im Bereich Multimedia aufzubauen, in dem die Maschine wirklich geglänzt hat.

Eine Menge professioneller Anwender erwarteten nach dem Falcon 030 eine Version mit einer stärkeren CPU. Gerüchten zufolge soll die Microbox oder der Falcon 040 fast produktionsreif gewesen sein. Warum erschienen diese Maschinen nie?

Die Microbox und der Falcon 040 waren niemals soweit, dass sie hätten in Produktion gehen können. Die Microbox erreichte den Prototypen-Status, aber einer der wichtigsten Custom-Chips war fehlerhaft, und so funktionierte das gesamte System nicht.
 
Der Falcon 040 ist nicht einmal soweit gekommen. Beide Maschinen wurden auf Eis gelegt, als klar wurde, dass Atari-Computer nicht mehr erfolgreich sein könnten.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, einige Ihrer Entscheidungen rückgängig zu machen, welche wären das?

Das ist ein komplexe Frage. Ich versuche gar nicht erst, eine Antwort zu finden...

Der Jaguar verkaufte sich dann in Amerika recht gut. Würden Sie den Jaguar als Erfolg bezeichnen?

Nein.

Was war Atari aus Ihrer Sicht: eine Computerfirma oder ein Spieleunternehmen? Welchen Teil mochten Sie mehr?

Es war beides, und ich mochte beide Teile.

Was waren Ihre Gefühle, als Atari seine Computer-Division aufgab?

Ich war sehr enttäuscht, dass wir nicht erfolgreich waren.

Heute ist der Markt fest in den Händen von Microsoft. Es gibt viel Hardware-Power, aber nur wenig Innovation und nur wenige wirklich aufregende Maschinen wie den Falcon und den Amiga. Was denken Sie darüber?

Ich weiß nicht so recht, ob man dies so sagen kann. Die heutigen PCs können alles das, was ein ST oder ein Amiga auch konnte. Und noch viel mehr.

Was halten Sie von Bewegungen wie Linux? Liegt hier das Potenzial, die Dominanz von Microsoft zu brechen?

Ich denke, Linux ist eine tolle Sache. Aber die Dominanz von Microsoft zu brechen, ist eine sehr schwierige Sache. Die Stabilität von Linux kann hier nicht als Faktor geltend gemacht werden, da die Leute so erzogen worden sind, dass sie von Computern gar nichts anderes erwarten, als dass diese abstürzen. Die Anzahl der für Windows verfügbaren Applikationen wird auch für Linux sehr schwer zu bekämpfen sein.

Arbeiten Sie hin und wieder noch mit einem Atari?

Schon seit einer Weile nicht mehr. Ich habe auch gar keinen Falcon mehr. Wenn ich noch einen besäße, würde ich darauf Special Effects für Halloween produzieren.

Eine Menge Leute glauben, dass es in der „Tramiel-Ära“ bei Atari nur um das Schaufeln von Geld ging, andere sehen die Innovationen, die unter Ihrer Führung gediehen. Wir würden Sie selbst Ihre Arbeit bei Atari beschreiben?

Es ging bei Atari absolut ums Geldverdienen. Die Geschäftsplan war es jedoch, Innovationen und die Märkte so zu nutzen, dass die Leute glücklich waren und das Unternehmen trotzdem Geld verdiente.

Gibt es etwas, was Sie den heutigen Fans mitteilen möchten?

Ein großes Dankeschön. Ich bin glücklich, dass unsere Produkte Ihnen nützlich waren und sind.

Einige Leute träumen vom Comeback des ST. Glauben Sie, dass ein moderner ST erfolgreich sein würde? Ein anderes Beispiel ist die Firma Amiga, die ja schon seit einiger Zeit an ihrem Comeback arbeitet…

Ich glaube nicht, dass der neue Amiga Erfolg haben wird. Sie können es versuchen, aber selbst daran zweifle ich. Ich denke auch nicht, dass ein moderner ST wirklich Sinn macht.

Wie würde denn ein neuer ST aussehen, wenn Sie ihn machen dürften?

Keine Ahnung. Ich denke, dass die wirklich kommenden Innovationen in Geräten liegen, die das Leben automatisieren. So könnte sich z.B. Ihr Fernseher merken, welche Programme sie gern schauen, um Sie dann zur richtigen Zeit darauf hinzuweisen und sich anzuschalten. Eine noch ambitioniertere Version könnte bemerken, ob etwas für Sie interessantes passiert ist, um dann auf diesen Kanal zu schalten.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie heute Jugendliche mit Atari-Shirts auf der Straße treffen?

Das ist mir noch nicht passiert. Aber ich wäre sehr überrascht.

Sind Sie sich eigentlich bewusst, dass Atari das Leben so vieler Menschen positiv beeinflusst hat?

Ja, sowohl Atari als auch Commodore lieferten die Maschinen für viele der heutigen Computer-Pioniere und Millionen von anderen Leuten.

Danke für Ihre Zeit.

Sehr gern.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 11 / 2001, Seite 20

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite