Luna scheint zurzeit eine unangefochtene Größe am Editoren-Himmel zu sein. Doch auch 7up liegt in einer aktuellen Form vor. Kann es ebenso erfrischen?
Der Texteditor 7up hat mittlerweile eine recht lange Tradition. Schon in den 90er Jahren fand das Programm von Michael Thänitz viele Freunde. Da sich der Entwickler aber Ende der 90er Jahre anderen Aufgaben zuwandte, stellte er den Support ein und erklärte 7up zur Freeware. Obwohl damals noch niemand von der Open Source-Bewegung sprach, veröffentlichte er auch den Quelltext und machte damit den Weg für einen Weiterentwicklung frei. Diese erfolgte dann ab dem Jahre 1997 durch Markus Kohm. Mittlerweile hat Gerhard Stoll, der z.B. auch das Genealogieprogramm "GENEA" geschrieben hat, den Staffelstab des offenen Projekts übernommen. Aktuell ist derzeit die Version 2.33PL06 vom 13. September 2000, die unserem Test zugrunde liegt.
Die aktuelle Version von 7up ist in zwei Distributionen erhältlich. Die Binary-Distribution ist auf Anwender zugeschnitten und enthält die ausführbaren Programme, während die Source-Distribution in erster Linie für Entwickler interessant ist und ergänzend die Quelltexte enthält. Die Online-Hilfe im ST-Guide-Format ist in einem externen Archiv erhältlich.
Auch die aktuelle Version ist in ihren Voraussetzungen sparsam. Theoretisch läuft 7up sogar auf einem alten 520 ST, der nur mit 512 KBytes RAM ausgestattet ist. Gleichzeitig macht das Programm aber auch auf modernen Multitaskingsystemen keinerlei Ärger. Wir testeten 7up auf einem Atari Falcon 030 mit Skunk-Beschleuniger sowie auf einem Apple Macintosh G4. In beiden Fällen war MagiC in der Version 6.1x installiert.
7up wird als selbstextrahierendes TOS-Archiv ausgeliefert, das selbständig eine korrekte Verzeichnisstruktur anlegt. Damit das Programm in seinem gesamten Umfang genutzt werden kann, sollten Sie den Inhalt des Home-Ver-zeichnisses im 7up-Ordner in das Home-Verzeichnis auf der Bootpartition Ihrer Festplatte kopieren, sofern dieses existiert. 7up schaut nämlich im Home-Verzeichnis des Systems nach der Konfigurationsdatei sowie einigen Ergänzungen. Sind diese nicht im Home-Verzeichnis des Systems zu finden, startet das Programm ohne sie, was zu einigen Verwirrungen führen kann. Aber darauf kommen wir später noch zu sprechen.
Nach dem ersten Start fühlt sich der Anwender eines Multitasking-Betriebssystems etwas in der Zeit zurück versetzt. 7up legt nämlich seinen eigenen Desktop in quietschgrüner Atari-Farbe an. Bietet dieser zwar einige Vorteile durch eigene etwas altertümlich anmutende Desktop-Piktogramme, wird der heutige Anwender von MagiC oder N.AES jedoch eine saubere Systemintegration bevorzugen. Glücklicherweise ist der Desktop vollständig anwendbar, so-dass 7up mit anderen Programmen im Multitasking koexistieren kann.
Ist diese Hürde überwunden, präsentiert sich 7up als durchaus moderne Applikation, die keine gravierenden "Altersschwächen" mehr mit sich herum trägt. Die Oberfläche ist elegant im GEM untergebracht, eine (wenn auch nicht ganz aktuelle) Online-Hilfe im ST-Guide-Format liegt wie erwähnt vor. Auf heutige Standards wie eine Sprechblasenhilfe muss der Anwender aber leider nach wie vor verzichten. Auch die Dialogboxen verraten leider, dass 7up schon einige Jahre auf dem Buckel hat: sie sind in sogenannten "Flydials" untergebracht und enthalten also ein Eselsohr, mit dem sie sich verschieben lassen. Diese Flydials sind modal, blockieren also auch im Multitasking das gesamte System. Eleganter wäre eine nonmodale Unterbringung in eigenen GEM-Fenstern.
Anders als z.B. bei qed ist der Anwender bei 7up nicht einzig auf die Bedienung des Programms per Menü oder Tastatursteuerung angewiesen. Im Arbeitsfenster kann zusätzlich eine Piktogramm-Leiste dargestellt werden, die die wichtigsten Funktionen jederzeit per Mausklick bereit hält. Die Leiste ist erfreulich übersichtlich gehalten. Im Gegensatz wirkt das Äquivalent von Luna mittlerweile etwas überladen und wenig intuitiv. Die 7up-Entwickler haben sich hier also auf das Nötigste beschränkt und beweisen wieder einmal, dass Weniger manchmal Mehr ist.
Die Piktogrammleiste bietet übrigens eine kleine Hilfefunktion. Zwar ist wie erwähnt leider keine BubbleGEM-Hilfe integriert, fährt der Anwender mit der Maus über ein Icon, so wird in der Infozeile darüber jedoch dessen Bedeutung angezeigt. Zumindest im Texteingabefenster ist also ein kleiner Ersatz geschaffen.
Übrigens kann 7up gleichzeitig bis zu sieben Texte verwalten. Die Zeilenlänge kann je Text bis zu 512 Zeichen pro Zeile betragen.
Neben den Standardfunktionen bei der Behandlung von Blöcken bietet 7up einige Zusatzfunktionen, die durchaus für einen reinen Texteditor nicht alltäglich sind und fast in den Bereich der Textverarbeitung vorstoßen. Herausragend sind hier die Formatierungsmöglichkeiten. So kann ein Text links- bzw. rechtsbündig, zentriert oder sogar im Blocksatz dargestellt werden. Die Formatierung kann auch nachträglich auf komplette Blöcke, den aktuellen Absatz sowie den Text nach der aktuellen Cursorposition angewandt werden. Für die Formatierung kann dabei eine Zeilenlänge angegeben werden. Auch hier sind Werte bis 512 Zeichen möglich.
Der "Spaltenblock" ergänzt die Block- bzw. Formatiermöglichkeiten in einem Text durch einen Spaltensatz. Dabei kann ein Textblock oder eine Zahlenkolonne komfortabel an eine andere Position kopiert werden. So kann ein Teil eines Textes selektiert und in eine andere Spalte kopiert werden. Diese Arbeitsweise ist natürlich nicht so komfortabel wie z.B. die Arbeit mit verschiedenen Textrahmen, ist aber in der Praxis recht einfach anwendbar und erweitert den Editor um eine nützliche Funktion.
Such! Die Funktionen zum Suchen und Ersetzen von Phrasen sind ebenso umfangreich. Neben der normalen Suche kann auch mit Wildcards und nach Mustern im Text gesucht werden. Besonders letzteres bietet vielfältige Möglichkeiten.
Sollen z.B. in einem Text die Worte "Qualle", "Quelle" und "Quälgeist" gefunden werden, kann als Suchmuster "[Q]u.[l]" eingegeben werden. Der Inhalt der eckigen Klammern legt dabei fest, dass es sich bei den zu findenden Worten nur um Worte mit einem "Q" an erster Stelle sowie einem "l" an einer beliebigen nachfolgenden Stelle handeln darf. Der Punkt "." hinter dem "u" steht für ein beliebiges Zeichen. Die oben genannten Worte erfüllen nun diese Definition, denn es kommen die Buchstaben "Q" und "l" vor. Dazwischen stehen unterschiedliche Buchstabenkombinationen, in diesem Fall "ua", "ue" und "uä". Besonders in langen Texten werden dem ambitionierten Anwender hier vielfältige Möglichkeiten an die Hand gegeben.
Praktisch ist auch die Selektions-Suche. Dabei wird das Wort, das gerade unter dem Cursor steht, im nachfolgenden Text gesucht.
Aber nicht nur im Text kann gesucht werden. In 7up können eigene Seitenlayouts angelegt werden, die definieren, wieviele Zeilen auf einer Seite erscheinen können, wie groß der linke und rechte Rand ist, ob Kopf- und Fußzeile vorhanden sind usw. Dementsprechend kann auch nach Seiten und Zeilen gesucht werden.
Abgerundet wird dieser Leistungsum-fang durch die Möglichkeit Textmarken zu setzen und diese zu suchen. 7up kann bis zu fünf Marken verwalten, was für normale Textprojekte reichen sollte.
Was Luna erst in der aktuellen Version beherrscht, ist für 7up ein alter Hut: das Rechnen im Text. Um die numerischen Funktionen zu nutzen, arbeitet der Anwender mit den erwähnten Spaltenblöcken, in denen auch Rechenfunktionen ausgeführt werden können. Das Ergebnis kann in einer Dialogbox oder ins Klemmbrett ausgegeben und so innerhalb von 7up oder in anderen Programmen weiter verarbeitet werden. In den Voreinstellungen legt der Anwender dabei fest, ob eine deutsche oder englische Notation benutzt wird (unterschiedliche Tausenderseparatoren). 7up beherrscht die Berechnung von Summen und Mittelwerten. Außerdem können Gleichungen mit den vier Grundrechenarten nach dem algebraischen Ordnungssystem gelöst werden. Dabei sind bis zu 30 Klammerebenen möglich. Auch Standardabweichungen sind bestimmbar.
Nützlich im Büroeinsatz ist auch die Berechnung der Mehrwertsteuer aus einem Wert. Der aktuell gültige Satz wird in den Voreinstellungen festgelegt.
Erfahrene Anwender können 7up weitestgehend automatisieren, denn das Programm bietet einen eigenen Makrorekorder. Sie Makrosequenzen sind abspeicherbar. Ein Makro kann auch einen Wiederholungsfaktor festlegen, der bestimmt, wie oft eine Sequenz abläuft, nachdem sie einmalig vom Anwender aufgerufen wurde.
Etwas unscheinbar im Menü für die Makros sind auch die Shortcuts untergebracht. Sie ermöglichen eine weitere Individualisierung des Programms, erlauben sie doch die Definition eigener Menüeinträge und der dazugehörigen Tastaturaufrufe. Die erzeugten Sets sind selbstverständlich speicherund nachladbar.
Die zu vergebenen Indizes haben übrigens Einfluss auf die erwähnte Piktogrammleiste im Arbeitsfenster. Den Icons können auf diesem Wege andere Funktionen zugewiesen werden. Ob dies sinnvoll ist, ist jedoch die Frage...
Ergänzt werden diese Anpassungen durch die Möglichkeit den Funktionstasten vordefinierte Phrasen zuzuweisen. Diese sind sogar untereinander verknüpfbar. Hat z.B. [F1] den Inhalt "Mit freundlichem Gruß" so können Sie durch ein nachgestelltes "\f2" den Inhalt von [F2] anhängen. Dieser könnte in diesem Fall Ihren Namen enthalten. Fügen Sie aus-serdem ein Carriage-Return ein, würde die Ausgabe im Text nach Anwahl von [F1] so aussehen:
Mit freundlichem Gruß Christiane Mustermann
Besonders Entwickler werden die Möglichkeit der Prüfung der Konsistenz von Klammerpaaren schätzen. So erledigt der Rechner das lästige Suchen nach nicht geschlossenen Klammerpaaren für Sie.
Und sonst? 7up bietet noch zahlreiche Möglichkeiten mehr, die das Programm nach wie vor sehr attraktiv machen. So kann z.B. eine Druckvoransicht angezeigt werden, die sich nach den Einstellungen im erwähnten Seitenlayout richten. Praktisch ist auch die "Pickliste", die die zuletzt bearbeiteten Texte auflistet. Geladene Texte können außerdem miteinander verglichen werden, was z.B. beim Lektorat recht hilfreich ist.
Texteditoren gibt es ja eine ganze Menge für den Atari, und so war ich von den zum Teil außergewöhnlichen Funktionen in 7up angenehm überrascht. Besonders überzeugen konnten die umfangreichen Formatie-rungs- und Suchfunktionen. Aber auch die vielfältigen Rechenfunktionen und die Möglichkeit der Individualisierung konnten gefallen und trösten über "Alterserscheinungen" wie fehlendes BubbleGEM und nonmodale Dialoge hinweg. Schmerzlich vermisst werden auch umfangreiche Möglichkeiten der Umlautkonvertierung (z.B. nach HTML), wie sie von qed und Luna geboten werden.
Trotzdem ist 7up jedem Atari-Anwender zu empfehlen. Wem qed zu fade ist und Lunas zum Teil nicht GEM-konfor-mes Verhalten nicht gefällt, der erhält mit 7up eine interessante Alternative.
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