Editorial - Konrad-Duden antWORTET nicht

Die Weisheit, dass Kleider Leute machen, gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Software. Was würden Sie schließlich von einem Editor namens "Editor" halten? Stellen Sie sich vor, Signum! hieße "Schöndruckprogramm mit integrierter Textverarbeitung" - sicherlich kein schöner Name für ein Programm. Doch gerade bei der Namensgebung scheinen viele Software-Häuser große Probleme zu haben, denn die meisten guten Namen sind bereits vergeben. Natürlich könnte Signum! auch "Aphrodite" heißen, aber solcherlei Namensgebung lässt doch einiges zu wünschen übrig, sagt sie doch nicht viel über das Programm aus. So versammelt sich dann die halbe Sagenwelt um den ST und nennt sich Merkur, Wodan, Hermes, Phoenix, Zerberus, Medusa, Hades und Pegasus.

Doch das Dilemma der Namensgebung nimmt auch recht ungewöhnliche Formen an. Orthografische Ungetüme wie "ReProK", die jedem Redakteur die Tastatur erzittern lassen, sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Von Rechtschreibung kann hier keine Rede mehr sein, nur von künstlerischer Freiheit. Hinter dem Namen "OMIKRON." sitzt beispielsweise immer ein Punkt. Das ist zwar werbewirksam, beendet nach "OMIKRON." aber grundsätzlich den Satz, sodass man sich immer überlegen muss, wie man den Namen als letztes Wort im Satz platzieren kann - ganz abgesehen davon, dass das Wort groß geschrieben wird, was orthografisch ebenfalls nicht zu rechtfertigen ist. Hinzu kommen Schöpfungen wie "vortex", "rhotron", "eickmann", "thomas raukamp Communications", "falkemedia", "st-computer" oder als Krönung "mouseWare PAD", die nicht im Anfang eines Satzes stehen sollten, weil sie immer klein geschrieben werden.

Doch nicht nur Software-Hersteller, sondern auch andere Gruppen erfinden immer neue Wortungetüme. Bei Studenten, die ja bekanntlich viel mit Computern arbeiten, hat sich beispielsweise die Bezeichnung "StudentInnen" eingebürgert. Was aus Emanzipationsgründen entstanden ist, sieht inzwischen eher nach dem krampfhaften Versuch aus, eigene Wortschöpfungen zu kreieren. Und selbst hier fehlt eine klare Line. Geht man davon aus, dass man hieraus die Begriffe "Student", "Studentin", "Studenten" und "Studentinnen" bilden kann, müsste das Wort eigentlich "StudentInNEn" heißen!

Ist es nötig, die Rechtschreibung so zu vergewaltigen? Stellen Sie sich eine "frankFurter.SparKASSE" oder den "metzGER_aM_mARKT" vor. Würde Ihnen das gefallen? Der geneigte Leser kann daraus nur eine Lehre ziehen: Nicht alles, was man spricht, ist Deutsh!


Martin Pittelkow original e
Aus: ST-Computer 04 / 2001, Seite 5

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