Crazy Sounds machte es vor, Rational Sounds konnte es verbessern: Quasselnde Computer gibt es nicht erst seit heute. Wir schauten uns die Version 2.0 von Rational Sounds näher an.
Die Arbeit am Computer kann ganz schön vereinsamen. Die Kommunikation mit der Umwelt droht in dem Verhältnis weniger zu werden wie die Stunden an der Maschine zunehmen. Zu allem Unglück ist auch der Rechner selbst nicht sonderlich gesprächig. Besitzer anderer Computersysteme haben es da schon etwas abwechslungsreicher. Unter Windows und MacOS haben sich sogenannte „Themes“ durchgesetzt, die den Computer rattern, klötern und schnattern lassen. Die für den Atari erhältlichen Betriebssysteme sind von Haus aus weniger kommunikativ veranlagt.
Dies hatte vor Jahren auch schon die Firma Maxon erkannt und veröffentlichte mit „Crazy Sounds“ eine Systemerweiterung, die bestimmte Aktionen wie Programmstarts und -ausgaben aber auch Aktionen wie das Öffnen und Schließen von Fenstern oder die Darstellung von Alertboxen mit einem passenden Klang oder Kommentar unterlegte. Mit dem Rückzug von Maxon aus dem Atari-Markt wurde auch die Weiterentwicklung von Crazy Sounds eingestellt, weshalb verschiedene Inkompatibilitäten z.B. mit MagiCMac nie bereinigt wurden.
Vor ca. zwei Jahren jedoch kam wieder Leben auf den Atari: Nils Schneider und Heiko Achilles entwickelten die Systemerweiterung Rational Sounds, die ganz in der Tradition von Crazy Sounds steht und dessen Intentionen in ein moderneres, kompatibleres Umfeld stellte. Mittlerweile liegt das Programm in der Version 2.0, die kommerziell über die Firma woller Systeme vertrieben wird.
Grundsätzlich sollte Rational Sounds auf jedem TOS-Rechner laufen, auf dem auch die Systemerweiterung GEMJing läuft. Rational Sounds liefert also keine eigenen Ausgaberoutinen mit, sondern setzt vollständig auf GEMJing auf, weshalb es auch von dessen Flexibilität profitiert. Vorausgesetzt wird außerdem eine Soundhardware (also im Falle von Milan und Hades eine Soundkarte), eine Festplatte und mindestens 2 MB RAM, empfehlenswert sind jedoch mindestens 4 MB Speicherausbau.
Natürlich eignet sich nicht jeder Atari gleich gut zum Abspielen der Sounds. Zwar ist grundsätzlich der Einsatz auf einem ST bzw. Mega ST möglich, weitaus bessere Ergebnisse liefert jedoch erst ein DMA-Sound, wie ihn STE, TT, Falcon und Soundkarten liefern.
Zu empfehlen ist außerdem der Einsatz eines multitaskingfähigen Betriebssystems, da der Einsatz unter SingleTOS
Ein grobes Manko von Crazy Sounds war die Beschränkung auf das eigene HSN-Sampleformat. Zwar hatte dieses keine Einschränkungen in der Klangqualität, Sounds in anderen Formaten mussten aber erst durch ein Zusatztool nach HSN gewandelt werden, was etwas mühselig war. Rational Sounds ist durch sein Aufsetzen auf GEMJing von dieser Einschränkung frei und kann mit Samples in den Formaten WAV (verbreitet in der Windows-Welt), HSN (das gute alte Crazy-Sounds-Format), AVR, SMP und mit einigen Einschränkungen auch mit Klängen im Sun-Format arbeiten. GEMJing nutzt bei der Ausgabe die maximale vom System zur Verfügung gestellte Qualität, was im Falle von ST und Mega ST den Soundchip und auf neueren Ataris den DMA-Sound meint. Ein weiterer Vorteil des Einsatzes von GEMJing ist, dass die Zusammenarbeit mit XBIOS-kompatiblen Systemen gesichert ist, was den Betrieb auf Clones und unter Emulatoren wie MagiCMac einschließt.
Auf die Platte damit! Und noch einen Standard verwendet Rational Sounds: die Installation mittels GEMSetup. Die verschiedenen Komponenten können also einfach und individuel zusammen gestellt werden. Auch GEMJing wird auf Wunsch gleich mit installiert. Natürlich gilt es vor der Installation zu bedenken, dass eine Partition ausgewählt werden sollte, die genügend Platz für dem umfangreichen Ordner mit dem Samples bietet. Das Hauptverzeichnis belegt ca. 3.6 MBytes auf der Festplatte, ein weiteres Verzeichnis mit Klängen ca. 1.3 Mbytes. Da Atari-Anwender traditionell dazu neigen, eher kleine Festplattenkapazitäten zur bevorzugen, sollte also eventuell etwas Platz frei geschaufelt werden.
Bei der Installation wird automatisch ein Autoordner-Programm sowie ein CPX-Modul für die Konfiguration installiert. Hinzu kommen die beiden erwähnten Verzeichnisse.
Grundsätzliches. Bevor uns nun in die Tiefen und Untiefen der Vertonung und Kommentierung des täglichen Arbeitslebens begeben, wollen wir noch etwas näher darauf eingehen, was Rational Sounds denn tatsächlich vertonen kann. Dazu gehört zuerst einmal das Hochfahren des Rechners. Wenn Sie also bei jedem Systemstart auf Ihre individuelle Anfangsmelodie Wert legen, ist hier Ihre Chance gekommen.Ebenso kann sich der Atari beim Herunterfahren - also beim Shutdown von MagiC und N.AES - von Ihnen verabschieden - wer legt nicht wert auf gute Manieren?
Beim eigentlichen Arbeiten erweist Rational Sounds allerdings erst seine wahre Flexibilität. So können alle Fensteraktionen mit einem passenden Klang unterlegt werden. Dem Öfnnen eines Fensters kann z.B. ein Knarren zugeordnet werden, während das Verschieben einen passenden Ziehlaut bekommt. Auch die einzelnen Bedienelemente wie die Slider und Buttons sind vertonbar. Ergänzt wird dieses Angebot durch die Kommentierung von Fenstertiteln, wobei bei der Definition auch Wildcards verwendet werden dürfen.
Wem dies nun als reiner Spielkram vorkommen mag, der sollte die Ausgabe von Alertboxen nicht vergessen. Es kann durchaus sinnvoll sein, diese mit einem dezenten Warnton zu belegen, um z.B. auch dann, wenn der Monitor nicht permanent betrachtet wird, auf ein Problem aufmerksam zu werden. Auch bei Multitasking-Betriebssystemen mit vielen offenen Fenstern macht dies durchaus Sinn.
nicht verschont geblieben: Wie wäre es z.B. mit dem altmodischen Klackern einer Schreibmaschine beim Tippen auf dem Atari? Wenn dies nicht jedermanns Sache ist, gilt es soch zu überlegen, ob z.B. die Return- oder die Help-Taste mit einem wiedererkennbaren Klang unterlegt wird. Rational Sounds ordnet dem Atari also nicht nur einen neuen ständigen Tastaturklick zu, sondern ermöglicht es auch, jede einzelne Taste mit einem separaten Klang zu bedenken. Es ist z.B. recht witzig, den Zehnerblock mit den typischen Piepen einer Telefontastatur zu unterlegen.
Geradezu klassisch ist der helle Systemping des Atari. Wer diesen in all den Jahren leid ist, kann Rational Sounds bemühen um einen neuen einzustellen. Wie wäre es z.B. mit einem Sample des Huptons Ihres heilig Blechles?
Weiter geht es mit einzelnen Buttons innerhalb von Dialogboxen. Ein „OK“-Button könnte mit einem bestätigenden Sound, ein „Cancel“ mit einem verneinenden Ton unterlegt werden. Da einige Dialogfenster hier etwas mehr Text benutzen, kann wiederum mit Wildcards gearbeitet werden.
Damit die Überraschungen kein Ende nehmen müssen, kann Rational Sounds sogar Menüs vertonen. Ganz passend ist dies z.B. bei Popup-Menüs, wenn diese beim Ausklappen z.B. wie das Herunterlassen einer Jalousine klingen. Recht witzig ist auch die Möglichkeit das Starten bestimmter Programme mit einer Anfangsmelodie zu belegen. Man kennt dies z.B. auf Mac und PC von Programmen wie Outlook Express. Rational Sounds selbst ist zu Demonstrationszwecken mit einem Startsound für papyrus vorkonfiguriert, der recht lustig den Start vertont. Auch das Verlassen und Öffnen von Fenstern eines Programms kann kommentiert werden.
Eine echte Systemergänzung stellt die Möglichkeit der Uhrzeitansage dar -zumal wir hier eine weitere sinnvolle Einsatzmöglichkeit von Rational Sounds gefunden haben. Dabei kann das Programm entweder ähnlich einer Standuhr festgelegte Töne abspielen oder die Uhrzeit sogar sprachlich ansagen. Rational Sounds liefert gleich verschiedene Dialekte bzw. Sprachen mit.
Viele heutige GEM-Programme (so auch Rational Sounds) verwenden für ihre Online-Hilfsfunktion die Systemerweiterung BubbleGEM, in der Hilfetexte innerhalb von Comic-Sprechblasen geliefert werden. Das Öffnen einer Hilfeblase kann nun mit dem vom Mac bekannten „Plopp“ - und natürlich auch anderen Sound - unterlegt werden.
Last but not least ist auch die wohl unerfreulichste Eigenschaft des Atari zu kommentieren: das Werfen von Bomben beim Systemabsturz. Lassen Sie Ihren Gefühlen hier ruhig freien Lauf!
Das Konfigurationsprogramm von Rational Sounds kann entweder direkt aus dem Programmverzeichnis oder als CPX-Modul gestartet werden. Es ist äußerst übersichtlich und attraktiv gestaltet, sodass es gleich Spaß macht, mit eigenen Einstellungen herumzuspielen. Die verschiedenen Unterpunkte (Einstellungen, Systemsounds, Programme, Buttons, Tasten, Fenstertitel und Alarme) sind über Karteireiter aufrufbar - besser geht es nicht mehr. Die Bedienung ist dabei immer transparent gehalten: In der linken Fensterhilfe stellt ein Scrollmenü die zu belegenden Systemereignisse dar, rechts davon kann diesen über einen Button ein Klang zugeordnet werden. Ein geladener Sound kann durch Anwahl jederzeit gestestet werden. Für weitere Einstellungen (Zeitansagen etc.) stehen Aufklappmenüs bereit. Die exzellente Sprechblasenhilfe hilft bei Fragen, zusätzlich steht auf Abruf eine Online-Hilfe im ST-Guide-Format zur Verfügung.
Besondere Beachtung verdient in jedem Fall der Karteireiter „Alarme“, der eine weitere praktische Funktion von Rational Sounds offenbart: Das Programm ist als orgineller Wecker einsetzbar. So kann eine freie Alarmzeit nach Tag und/oder Datum bestimmt und mit einem Klang versehen werden. So entgeht Ihnen kein wichtiger Termin mehr -endlich ist der Hochzeitstag gerettet!
Rational Sounds versteht GEMScript. Dadurch kann das Programm ferngesteuert agieren um z.B. das Nachladen von Sample-Sets zu ermöglichen. Außerdem können auf diesem Wege Systemklänge unabhängig vom Namen des verwendeten Samples abgespielt werden. Programmierer können so selbst entwickelte Elemente wie Popup-Menüs mit dem eingestellten Klang unterlegen.
An dieser Stelle verdient auch nochmals die Online-Hilfe im ST-Guide-Format lobende Erwähnung. In die Arbeitsweise und Konfiguration von GEMScript wird bis ins Detail eingegangen und auch die erwähnten GEMScript-Möglichkeiten sind genaue-stens beschrieben.
Natürlich wird auch Rational Sounds II die seit Maxons Crazy Sounds entstandene Diskussion um Sinn und Unsinn eines plaudernden, pfeifenden und motzenden Computers nicht beenden. Zugegeben: Kein Anwender braucht Rational Sounds wirklich. Ein Computer weiß sich auch auf dem Bildschirm recht gut auszudrücken und viele Funktionen (Uhrzeitsignal, Terminüberwachung) sind auch durch einige Share-und Freewaretools abgedeckt.
Trotzdem kann der Einsatz von Rational Sounds aber auch Sinn ergeben. Eine Alertbox mit einem Warnklang zieht sofort die Aufmerksamkeit des Anwenders auf sich und verhindert z.B. das ungewollte Löschen von Dateien. Andere Klänge wie z.B. das Unterlegen des Iko-nifizierens eines Fensters unterstreichen die Aktionen des Rechners durch immer wieder kehrende Klänge.
Letzterer Punkt kann aber auch zum Fluch werden - und damit sind wir beim unvermeidlichen Nervfaktor von Rational Sounds. Wer die Systemerweiterung einige Tage bei der täglichen Arbeit im Hintergrund auf ihren immer wieder kehrenden Auftritt warten lässt, der spielt schnell mit dem Gedanken an ein abgeschiedenes Leben in einem Kloster. Wer es in der ersten Entdeckungswut in den Voreinstellungen übertrieben hat und wirklich alle Register des Programms zieht, hat schnell das Chaos aus Kommentaren und Tönen satt. Deshalb merke: Auch hier ist - wie so oft - weniger mehr. Überlegen Sie sich genau, welche Aktionen es wirklich wert sind, dass sie mit Klängen unterlegt werden und suchen Sie sich im Internet einige dezente und passende Samples.
Und hier sind wir beim eigentlichen Hauptkritkpunkt des Gesamtpakets: Die mitgelieferte Sampleauswahl weiß wahrscheinlich nur der humoristische Bruchpilot zu schätzen, der auch über Brachialkomik à la Stefan Raab (was will man von einem Metzger auch erwarten?), Ingo Appelt oder Verona Feldbusch lachen kann. Hinzu kommt, dass viele Samples von Crazy Sounds bereits bekannt sind und ihr Witz - sofern er jemals vorhanden war - somit über die Jahre doch arg abgenutzt klingt. Viele Samples rauschen auch sehr stark, da sie - wohl aufgrund der Rücksichtnahme auf reine STE- und TT-Anwender und der Auslieferung von Rational Sounds auf Disketten - nur in 8-Bit-Qualität vorliegen. Bedenkt man jedoch, dass ab dem Falcon aufwärts jeder TOS-Rechner mit CD-Qualität klarkommt und CD-ROM-Laufwerke auch in der Atari-Welt außerordentlich weit verbreitet sind, sollte der Distributor überlegen, ob das Gesamtpaket inklusive (in jeder Hinsicht) hochwertigerer Samples nicht auf einer CD besser aufgehoben wäre.
Die hervorragende Qualität von Rational Sounds wird durch die langweilige Sampleauswahl jedoch nicht beeinträchtigt, und schließlich kann und soll ja auch dank GEMJing jeder Anwender seine Klangauswahl ganz individuell zusammen stellen. Konfiguration und Dokumentation erfordern Höchstnoten, und die Betriebssicherheit dieses „legalen Hacks“ ist erstaunlich hoch. Soviel Freude lässt auch den etwas happigen Kaufpreis verdaulicher werden,
Neukauf: 79 DM, Update: 39 DM