Prozessorgeflüster: Revidierende Retrospektiven

Timo Schöler beobachtet für Sie die aktuellen Entwicklungen aus der bunten und zum Teil verrückten Prozessorwelt.

Im Sturme der auf der ISSCC (International Solid-State Circuits Conference) verbreiteten Neuigkeiten und nebulösen Gerüchteschwaden konnte man in den vergangenen Wochen kurzfristig den Überblick verlieren…

Mittlerweile hat sich jedoch Klarheit über unseren Geiste ergossen, so dass wir nun mit vermehrter Weisheit erneut zur Feder greifen können, um frohe Kunde zu verlautbaren. Diesmal möchte ich mich nicht nur auf die Prozessoren stürzen, zu welchen wir ja bereits in der letzten Ausgabe reichlich gesagt haben (mal ganz abgesehen von meinen immer wiederkehrenden Ausflüge in die faszinierende Welt der Automobile), sondern auch über weiche Ware und anderen Komponenten ein paar Worte verlieren.

Prompte Lieferung

In den beiden HighEnd-Maschinen Apples steckt er nun, Voyager, welcher dann doch ein bisschen anders aussieht, als es bis dato den Anschein hatte -entgegen bisherigen Vermutungen hat man den Kern des PPC7400, des Ur-G4, sowie des 7410 „Nitro", welcher in den neuen PowerBooks zu finden ist, nicht nur ein wenig überarbeitet, sondern völlig über den Haufen geworfen. Voyager, der als offizielle Bezeichnung die letzte Ausgabe von mir für den Apollo reservierte Ziffernfolge PPC7450 tragen darf, kommt nun mit integriertem L2-Cache, insgesamt vier statt einer AltiVec-Einheit, sowie einer längeren Pipeline - letztere primär verantwortlich für den höheren Takt. Laut zuverlässiger Quelle purzeln ab und an Voyager-Chips aus den Fertigungsanlagen, welche schon heute mit 1.2G Hz problemlos laufen - einziges Problem: Die nur homöopatischen Dosen, in welchen solche Chips auftauchen, lassen es (noch) nicht zu, diese auf den Markt zu bringen. Vielleicht rahmt man sie ein und hängt sie ans schwarze Brett bei Motorola...?

Apollo ad astra

Der schon am Horizont erscheinende Thronfolger, welcher übrigens multiple Eltern haben wird, dazu jedoch später mehr, greift hinsichtlich seiner eigenen und der Gesamtleistung des Systems wirklich zu den Sternen... Apollo (für welchen man bereits die definitive Modellbezeichnung PPC 7460 verkünden kann) wird vom Körperbau her gesehen die gleichen Attribute besitzen wie Voyager - mindestens vier AltiVec-Einheiten dürften hier an Bord sein (sollten die Chipdesigner noch ein paar Quadratmillimeter Platz zu viel haben - kommt leider viel zu selten vor - könnten ja noch ein paar dazukommen), wichtig ist aber der neue Bus, welcher nun ins Spiel kommt.

Busbreite mal doppelflankige Frequenz?!

Der bereits dem Ur-G4 gehörig auf die Sprünge helfende MaxBus wurde einer umfassenden Kraftkur unterzogen; bei einer Busbreite von 128 Bit und mit einer Frequenz von 200MHz bei Verwendung von Double Data Rate-Technologie, also der Ausnutzung beider Signalflanken zur Übertragung eines Datenworts, kommt er auf eine theoretische Busbandbreite von 50 GBit oder 6,25 GByte pro Sekunde, was einem Geschwindigkeitsgewinn vom Faktor sechs entspricht! Was davon in der Praxis beim Anwender ankommt, wird in immer größerem Maße applikationsspezifisch sein - wer den ganzen Tag seine G4 nur zum Abspielen von MP3 benutzt, wird hier keinen Unterschied bemerken; Kopiervorgänge großer Datenmengen im Hauptspeicher (eine typische Photoshop-Situation) werden hier enorm profitieren.

Interessant auch, dass hier schon offiziell von „neuen Herstellungsprozessen" gesprochen wird - um die versprochenen 1.4GHz bei einer Verlustleistung von nur 5 Watt erreichen zu können (ja, hier läuft ein Pentium noch nicht einmal mehr im Standgas) wird man zu dem bereits in der letzten Ausgabe beschriebenen CMOS 9S-Prozess von IBM greifen. Zwar spricht man nicht aus, dass dieser Prozess genutzt werden wird, es bleibt aber bei Angaben wie „Silicon on Insulator" und 0,13pm Strukturbreite kein anderer Weg der Herstellung übrig...

Erbreihe

Mittlerweile sollen sich schon bis Cupertino Grundlagen der Volkswirtschaftslehre herumgesprochen haben - auch hier sah man die negativen Aspekte eines Monopols, hier in Gestalt von Motorola. Man kann jedoch Apple nicht vorwerfen, blauäugig in diese Situation geraten zu sein: Anfangs verbündeten sich Apple, IBM und Motorola (das „AIM-Konsortium") zu Beginn der Neunziger Jahre, um mit der PowerPC-Architektur, welche damals als Desktopvariante der großen POWER-Prozessoren von IBM verstanden sein wollte, eine neue Ära einzuläuten. Dies gelang auch soweit vorzüglich, bis sich IBM und Motorola ein wenig in die Haare gerieten, was die Implementierung der Architektur anging. Während Motorola zusätzliche Recheneinheiten wie beispielsweise AltiVec (bei Apple VelocityEngine genannt) einbauen wollte, hielten die Jungs von IBM es für kluger, die RISC-Idee weiter konsequent zu verfolgen, um bei geringerer Komplexität höhere Taktraten erreichen zu können. Hier den G3 als Beispiel anzuführen, wäre zwar logisch, da es ihn einige Zeit in höheren Frequenzen gab als den G4, allerdings würde man hiermit Motorola unrecht tun.

Gut gebettet

Motorola versteht sich primär als Hersteller von sogenannten „Embedded"-Prozessoren, also von den Chips, die Laserdrucker, Mobiltelefone, PDAs et altera antreiben; hier wird zwar auch hohe Leistung verlangt, jedoch gilt als Hauptkriterium eine geringe Verlustleistung unter Vollast - hiermit wäre dann auch geklärt, warum die Desktopvarianten der PowerPCs solche Stromsparer sind... Diesem Hauptaugenmerk Motorolas sind auch die Fertigungsanlagen und die darauf gefahrenen Prozesse und Verfahren angepasst -Motorola ist zwar nicht unfähig, hochgetaktete Coprozessoren zu liefern, allein ist das Verhältnis der funktionierenden Chips zum Ausschuß derart ungünstig, dass es sich für Motorola fast „nicht rechnet", die Fertigung hier auf die Spitze zu treiben. Mit der Architektur der Chips hat dies nichts zu tun.

Gemeinsam mit Apple wurde nun an einer Lösung gearbeitet, und wie es sich meistens im Leben erweist, liegt das Gute oft nah: IBM ist schon geraume Zeit in der Lage, schnellere G4-Chips zu liefern als der geistige Vater - Motorola - es selbst könnte, da IBM über die hierfür geeigneteren Herstellungsprozesse verfügt. Allein wollte Motorola, aus welchen Gründen auch immer, IBM keine Lizenz über AltiVec geben, mithin der Grund, weshalb bei IBM jetzt wohl einige tausend mit 800MHz und höher taktbare G4-Prozessoren der 7400- und 7410-Serie auf der Halde liegen -IBM darf diese ohne Lizenz zwar herstellen, jedoch nicht verkaufen.

Am runden Tisch soll nun, so munkelt man, eben jene Problematik dazu geführt haben, dass sich Motorola mit IBM dahingehend geeinigt hat, um IBMs CMOS 9S Prozeß für den Apollo einsetzen zu können - Motorola entwirft, IBM baut. IBM wird sich weiterhin auf den G3 konzentrieren (s. letzte Ausgabe) sowie die auf große Variante der PowerPCs, der POWER-Serie, welche zur Mitte des Jahres in der Implementierung des POWER4 als absoluten Prozessorkönig noch vor Alpha, MIPS und Co. ihren nächsten Höhepunkt finden wird - auch hiervon profitiert Apple, da hier gewonnenes Know How in die kleineren Serien mit einfließt, wenn man mal vom Imagegewinn absieht.

Aber nicht nur alte Beziehungen werden reanimiert, insgesamt soll von fünf (!) Herstellern die Rede gewesen sein: Samsung, bereits Lizenznehmer von Alpha, Inc. (Alpha-Prozessor, bisher der Vorreiter im 64Bit-Bereich, noch unübertroffen in seiner Leistungsfähigkeit), soll ebenso im Boot sitzen wie Texas Instruments, alles weitere wird sich wohl noch zeigen...

Beziehungskrisen

Nachdem ATI sich letztes Jahr vor Steves Keynote zur Vorstellung des Cube ein wenig „verplappert" hatte, flogen bekanntermaßen zwischen Apple und ATI die Fetzen - anders ist es auch kaum zu erklären, dass die aktuellen Topmodelle eine nVidia GeForce2 MX mitbringen; leistungsmäßig wie auch von Treiberseite gesehen hätten die meisten Macianer eine ATI Radeon hier wohl lieber gesehen.

ATIs „Rachefeldzug" startete ad hoc: Vor kurzem teilte man mit, dem Pentium4 mit einem integrierten Chipsatz, sprich Chipsatz inklusive Grafikfunktionalität (gar ein Radeon-Kern?), endlich das lang ersehnte DDR-SDRAM-Interface zur Seite zu stellen... wahrscheinlich hat man sich auch in Kanada Gedanken über Termini wie „Monopol" und „Diversifizierung" gemacht - zu offensichtlich war die Abhängigkeit von Apple.

Trotz alledem muss man zugestehen, dass ATI in Bezug auf Verlustleistung die ansprechendsten Chips herstellt: Während nVidia und 3dfx (ein Name, welchen man so nicht mehr lange hören wird) bereits eigene Spannungsversorgungsbuchsen auf ihren Karten mit massenhaft Elektronen gefüttert wissen wollen, kann sich ATI auf diesem Gebiet rühmen, mit die sparsamsten Karten und Chipsätze zu bauen. Die Vorstellung des ATI Radeon Mobility war hier logische Konsequenz - Anfang Februar ließ man verlautbaren, dass dieser Chipsatz lieferbar sei.

Akkuschoner

Dieses auf den Notebookmarkt zugeschnittene Produkt glänzt durch phänomenale Enthaltsamkeit:

Nur 0,5 Watt sollen benötigt werden, nutzt man nicht alle Funktionen des Chips. Möglich wird dies durch die Funktionalität, nicht benötigte Einheiten quasi „abzuschalten" - bei reiner zweidimensionaler Arbeit (wie beispielsweise dem Schreiben dieses Texte) senkt man einfach den Speichertakt und schaltet weitgehend die für die 3D-Verarbeitung notwendigen Einheiten ab...

Auf dem Grafikcontroller selbst sollen schon 8MB Speicher enthalten sein, insgesamt 64MB sollen in Double Data Rate-Manier bei einem Takt, welcher dynamisch (!) zwischen 66 und 200MHz geregelt werden kann, möglich sein. Zudem kann zwecks weiterer Energieersparungen die Kernspannung in weiten Bereichen herunterskaliert werden.

Indizierte Benchmarks

Die Ergebnisse in einer ganz anderen Disziplin gehören wahrscheinlich nur in PC-Zeitschriften „verboten“ - aus Angst, die Power-Gamer würden schnell zum nächsten Applehändler spurten und sich eine G4 kaufen, wobei der Benchmark selbst in Deutschland auf dem Index steht.

Faszinierend sind vor allem die Angaben, welche bezüglich der für den Startvorgang notwendigen Zeit genannt werden - nur noch 30 % der Zeit, welche die Public Beta benötigt, obgleich letztere für ein vollwertiges UNIX-System samt erhabener Oberfläche schon sagenhaft schnell ist... eine Dual G4/533 soll in knapp 10 (in Worten: zehn) Sekunden damit fertig sein - eine schnelle Festplatte vorausgesetzt.

tr


Timo Schöler
Aus: ST-Computer 03 / 2001, Seite 14

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