Die Szene strotzt vor Kreativität, Genie und Mut - und leider auch vor zweifelhaften Karrieren. Der Buchautor Evrim Sen (Hackerland) hat sich eine dieser Entwicklungen näher angesehen: den Aufstieg des ehemaligen Sceners „Kimble", Multimillionär durch Hintertüren.
Das heikle Thema Telefonbetrug ist über die vielen Jahre hinweg zu einem zeitlosen Klassiker geworden. Zu den bekanntesten und berüchtigsten deutschen Hacker in diesem Bereich zählt ohne Zweifel Kimble. Zwar gehört er nicht zu der einzigen Gruppe junger Internet-Millionäre, doch macht ihn zumindest eine Tatsache für uns interessant, denn Kimble war einmal ein „gewöhnlicher" Scener und machte seine ersten Gehversuche in unseren Kreisen.
Telefone hatten seit ihrer Erfindung immer etwas Faszinierendes an sich. Als in den späten 60er Jahren die Deutsche Bundespost noch die deutsche Bevölkerung mit geradezu astronomischen Preisen schockte, sorgte das Telefonieren in den USA bereits für Reibereien zwischen pubertierenden Teenagern und ihren Eltern.
So mitreißend das Gerät auch ist, so muss am Ende doch jedes Gespräch bezahlt werden. Die damaligen primitiven und vor allem analogen Vermittlungsgeräte der Telefongesellschaften wurden noch mit Signaltönen gesteuert. Die Entdeckung eines kleinen, blinden Jungen aus Kalifornien namens Dennie kam da für einige Hobbybastler genau zur rechten Zeit. Mit einer Spielzeugpfeife aus einer Müslipackung der Marke „Cap'n Crunch", konnte er durch Hineinpfeifen in das Telefon die Gebührenübermittlung stoppen. Sein Wissen gab der Junge an einen engen Kontakt - einen ehemaligen US-Airforce Soldaten namens John Draper - weiter, der mit eigens entwickelten Geräten die Erkundschaftung und Schwächen der Telefongesellschaften vollends ausnutzte. So jedenfalls muss man sich die Anfänge der Gebührenmanipulation und die ersten Ansätze von Telefonbetrug vorstellen. John Draper, der sich später selbst das Pseudonym „Cap'n Crunch" verlieh, war somit der Urvater des „Blue Boxing", der Telefonmanipulation durch Töne.
Bis zu den Anfängen der 90er Jahre wurde das Blue Boxing zu einer Art Hackerkultur. Sie schaffte sich den Weg bis hin zur heutigen Demoszene, deren Entstehungsgeschichte zu der illegalen Crackerszene zurückführt. Nachdem die Telefongesellschaften Gegenmaßnahmen ergriffen hatten, entwickelte sich das Blue Boxing schon bald zu einem nostalgischen Hobby unter den hartgesottensten aller Phreaker. Aber die Szene ließ nicht lange auf sich warten, denn schon bald hatte man eine neue Methode entdeckt, die Telefongebühren zu umgehen.
Diese neue Möglichkeit, die den Telefongesellschaften eine lange Zeit ein Dorn im Auge war, war der illegale Handel mit den sogenannten „Calling Cards". Der von den Kommunikationsgesellschaften angebotene Service des bargeldlosen Telefonierens von überall aus mit einer 14-stelligen Nummer, eröffnete gerade den Telefonhackern neue Wege. Mit verschiedenen Methoden schafften die Phreaker es, mit geklauten oder selbsterhackten Zahlen die Computer der Anbieter zu überlisten und so auf Kosten anderer zu telefonieren. Diese neue Ära dauerte eine Weile an, und während dieser Zeit konnte ein besonderes Mitglied der Szene seinen habsüchtigen Wünschen freien Lauf lassen.
Zunächst als gewöhnlicher Trader und Systemoperator einer illegalen BBS (Bulletin Board System), später dann als Telefonbetrüger und Kreditkartenfälscher unterwegs, schaffte es Kim Schmitz alias „Kimble" auf seiner Laufbahn gegen seine eigene Szene zu arbeiten, kurzweilig für drei Monate in Haft zu sitzen, später für viel Geld als Berater für die Deutsche Telekom scheinbar untätig zu sein, um dann seine eigens gegründete Firma gegen Hackerattacken für eine zweistellige Millionensumme weiter zu verkaufen.
Geradezu unglaublich klingt die Story um einen der exzentrischsten Menschen in der Geschichte der Szene, der in dieser Zeit des Calling-Card-Betrugs erstmals aktiv wird. Wenige Scene-Angehörige schafften es wohl derart, für Schlagzeilen zu sorgen und in das Kreuzfeuer der Kritik und Peinlichkeiten zu geraten wie Kimble.
Aber auch Kimble fing als „gewöhnlicher" Scener an. Doch wie die meisten Szeneleute, denen der Sprung in die Demoszene etwa als Programmierer, Musiker oder Grafiker gelang, schaffte er dafür den anderen Weg in die illegale Seite geradezu meisterhaft. In der Szene galt er als jemand, der um jeden Preis seine Ziele erreichen wollte - egal mit welchen Mitteln. Und dies schien zumindest in seinem Fall funktioniert zu haben.
Es ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass die Szene, so viele kreative Seiten sie auch unter Beweis stellen kann und konnte, auf der anderen Seite solchen Menschen wie Kimble als Sprungbrett gedient hat. Der Tausch mit Raubkopien boomte schon von der ersten Stunde der Szene an, wo auch Kimble kräftig mitmischte. Doch dass gerade die Zeit der Telefonmanipulation Kimble zum heutigen Millionär gemacht hat, ist eine interessante Geschichte um den abstrusen Selfmademan.
Kimble ist in diesem Fall ein Einzelfall, das hat der Buhmann der Hackerszene nicht nur seinem ausgeprägten Ego zu verdanken. Auf seiner Website sind mindestens 300 Bilder von ihm abgebildet: Kimble im Hubschrauber, Kimble auf seiner Jacht, Kimble in seiner Villa, Kimble mit hübschen Frauen. Er zeigt, was er hat und was er geschafft hat. Und neuerdings scheint er selbst davon überzeugt zu sein, eines Tages zu den hundert reichsten Männern der Welt gehören zu können. Kimble Hand und Hand mit Bill Gates? Wohl kaum. Dennoch bleibt die wesentliche Frage um den korpulenten Maulhelden offen: Wie konnte aus einem ewig pubertierenden ein Internet-Millionär werden?
Kimble war unter den Phreakern und Usern, die gerne zu Mailboxen in aller Welt kostenlos anriefen, bekannt als der „König der Calling Cards". Nebst seines Imperiums mit gestohlenen Calling Cards baute Kimble seine eigene Partyline, eine kommerzielle Telefon-Konferenzverbindung, auf, um am Insiderwissen der Szenemitglieder ganz nah dran zu sein. Doch gerade das Geschäft mit der eigenen BBS und den Raubkopien schien Kimble zunächst zu seinem eigenen Schicksalsschlag zu werden. Denn Kimble selbst wurde von einem sogenannten Buster, der angeblich für den Münchener Rechtsanwalt von Gravenreuth gearbeitet haben soll, an die Polizei verraten. Und hier passierte das unglückselige Ereignis, das man sich so vorstellen muss: Als die Beamten lediglich die Mailbox samt Raubkopien beschlagnahmen wollten, fanden sie dazu noch Hunderte von gefälschten Telefon- und Kreditkarten - ein Zufallstreffer, wie man ihn aus Kriminalromanen kennt. Die Anklage: Zwei Millionen Mark Schaden. Von Gravenreuth selbst habe Kimble bei dieser schwierigen Lage „beraten“, hieß es damals von der Seite der Anwaltskanzlei. Kimble habe im Gegenzug sämtliche illegal agierenden Szenemitglieder an den Anwalt verraten, wurde es laut, als zeitgleich tatsächlich mehrere Mailboxen, die in Kontakt mit Kimble standen, aufgrund illegaler Tätigkeiten ihre Pforten für immer schließen mussten. Zufall? So oder so, Kimble hatte sich fein aus der Affäre gezogen - so schien es zumindest für die meisten.
Doch damit war Kimble nicht am Ende seiner Kräfte angelangt. Im Jahre 1996 schaffte er zum ersten Mal den berühmten GSM-Hack - das Duplizieren einer Handykarte, um auf Kosten eines anderen zu telefonieren. Dies brachte ihm von der Deutschen Telekom den umstrittenen Beratervertrag ein, der von nun an zu seinem vermeintlichen Hauptverdienst wurde. Während der Chaos Computer Club sich darum stritt, ob dieser Beratervertrag, der Kimble angeblich einen monatlichen Nettoverdienst von dreißigtausend Mark einbrachte, ein Schweigegeld war, oder ob Kimble angeblich für den Verfassungsschutz gearbeitet habe, baute Kimble inzwischen seine eigene Firma auf diesen Geldern nach und nach auf. Aussagen des Chaos Computer Clubs zufolge hatte Kimble - außer das Blatt vor den Mund zu nehmen - ohnehin nichts für die Telekom getan. Aber auch der CCC, der sich angeblich so gern in der vermeintlichen Wahrheit sonnt, hat bis heute bei den technischen Erläuterungen zum GSM-Hack auf ihrer Website den Großsprecher der deutschen Hackerszene nicht zu Wort kommen lassen. Dort wird der GSM-Hack scheinheilig als eigene Entdeckung gepriesen.
Mit seinem 26 Jahren und mindestens 50 Kilo Übergewicht häufte der Selfmade-Millionär bis heute ein geschätztes Vermögen von 250 Millionen Mark an. Er ist an mehreren Unternehmen und Projekten beteiligt, darunter „Data Protect“, die wohl bekannteste Firma Kimbles, die seither Sicherheitssoftware gegen Hacker entwickelt. Der nächste Schritt - so Kimble - ist die Börse. Da stellt sich wohl eher die Frage: Wer wird wohl eine Kimble-Aktie besitzen wollen? □ tr