Calamus-Talk: Im Gespräch mit Ulf Dunkel (1)

Niemand kennt den Publishing-Markt auf dem Atari besser als Ulf Dunkel, Geschäftsführer von invers Software. Thomas Raukamp führte ein ausführliches Gespräch mit dem Mann hinter Calamus. In dieser Ausgabe finden Sie den ersten Teil dieses Gedankenaustauschs, in der kommenden st-computer erwartet Sie der zweite Teil.

st-computer: Ulf, Dein Name wird ja nun schon seit einigen Jahren mit dem Produkt Calamus assoziiert. Wie lange beschäftigst Du Dich schon mit dem Programm?

Ulf Dunkel: Ich nutze Calamus seit der legendären Version 1.09, die vor dreizehn Jahren herauskam. Zuerst hatte ich die Demo-Version bestellt, die auf zwei Disketten geliefert wurde. Ich habe sie erwartungsvoll auf meinem damaligen Atari 1040 STF gestartet, nicht viel begriffen und ehrfurchtsvoll wieder beendet. Da ich kein Handbuch dazu hatte, war ich froh, beim späteren Ausprobieren von meinen Satzkenntnissen aus meiner Ausbildung profitieren zu können. Erst etwa zwei Jahre später habe ich mir dann den 1.09N „geleistet", der noch über Atari Deutschland vertrieben wurde. Der Sprung zum SL dauerte bei mir ziemlich lange - ich hatte noch zu wenig Ahnung von Farbe und meine technische Ausrüstung (ein TT030 mit 16c-Monitor) ließ auch zu wünschen übrig. Erst Ende 1993 habe ich den alten Schwarzweiß-Calamus von meiner Festplatte gelöscht. 1994 habe ich dann die Calamus-Entwicklerunterlagen angefordert, weil ich gern auch Calamus-Module entwickeln wollte. Doch aus Zeitgründen und damals mangelnden C-Kenntnissen wurde lange nichts daraus. Ich muss noch heute schmunzeln, wenn ich mich daran erinnere, wie ich den damaligen Betreuer der externen Entwickler, Raimund Thiel, fragte, ob man nicht auch in GFA BASIC für Calamus programmieren könne. Er sagte, es gäbe darauf eine kurze und eine lange Antwort. Die kurze hieße „Nein!“ - und ob ich denn auch die lange hören wolle...

stc: Wie lange beschäftigst Du Dich bereits mit dem digitalen Publizieren, und wie bist Du gerade auf den Calamus gekommen?

Dunkel: Ich habe bis 1991 in der Werbemittelfirma meines Vaters gearbeitet und dort den Calamus mehr und mehr für die Gestaltung der firmeneigenen Drucksachen eingesetzt - zunächst Briefbogen, Formulare, später kompliziertere und immer größere Dokumente. 1991 habe ich mich mit einer Satzagentur selbständig gemacht und natürlich hauptsächlich mit Calamus SL gearbeitet. 1993 habe ich den Belichtungsservice AVANTI aus Oldenburg aufgekauft und bis 1998 sehr viele Kunden mit Calamus-Belichtungen und Satzarbeiten versorgt.

Mein erster Computer war ein Atari, weil ich ein Notensatzprogramm nutzen wollte und von MasterScore begeistert war. In der st-computer (ja, schon damals) habe ich dann über die Entwicklung von Calamus gelesen und so lag nichts näher als dieses Programm.

stc: Kaum ein Programm hat in den letzten Jahren die professionelle Anwenderbasis so an der (ehemaligen) Atari-Plattform wie Calamus. Wo siehst Du die Gründe für diese Favorisierung eines Programms?

Dunkel: Durch den jahrelangen Calamus-Support habe ich viele Gründe erfahren, warum die Leute mit Calamus arbeiten. Natürlich können wir jetzt über Gewöhnung und die Vertrautheit des zuerst genutzten Programms reden. Aber der Hauptgrund scheint zu sein, daß die Anwenderinnen und Anwender bei Calamus das sichere Gefühl haben, jederzeit zu wissen, dass ihr Dokument, in das sie viel Arbeit gesteckt haben, noch so ist wie vorher. Bei anderen Programmen gibt es immer wieder abenteuerliche Veränderungen, Ungenauigkeiten oder Neuformatierungen - spätestens aber in der Ausgabe scheiden sich die Geister. Die anderen heutigen Layoutsysteme basieren vollständig auf der PostScript-Ausgabe und schleppen daher die ganzen PostScript-Probleme mit sich herum. Das bewährte Softripping von Calamus aber bietet die Sicherheit, dass auf dem Papier oder Film auch das ankommt, was man auf dem Bildschirm sieht. Und das bei einer Genauigkeit bis zu einem 10.000tel Millimeter und Zoom-Möglichkeiten weit über das hinaus, was unsere „Konkurrenz" bieten kann.

stc: Wieviele Leute nutzen Calamus eigentlich derzeit?

Dunkel: Das weiß niemand. Nein, Spaß beiseite. Wir haben die User-Datenbanken von DMC, MGI, adequate systems, FRS und allen anderen Calamus-Anbietern zusammengeführt und haben eine User-Datenbank von etwa 25.000 registrierten Usern. Ob die noch alle mit Calamus arbeiten, wage ich zu bezweifeln. Wir haben den Calamus-Vertrieb 1997 von MGI bekommen und den Abwärtstrend, der sich bei DMC mit den Verkaufszahlen des SL96 fortsetzte und unter 1000 Upgrades rutschte, aufgefangen. Der SL98 hatte erstmals wieder steigende Upgrade-Zahlen, vom SL99 haben wir knapp über 2.000 Upgrades verkauft. Der SL2000-Verkauf ist fantastisch angelaufen, wir liegen schon jetzt nach einem Monat bei über 1.000 verkauften Upgrades. Dazu kommen die Lite-Versionen, die wir für einen Fahrschulverlag konzipiert haben, sowie die natürlich weiterlaufende SL99-Sonderaktion für den Milan.

stc: Wie sieht diese Anwenderbasis aus? Wird Calamus hauptsächlich professionell im täglichen Layout-Einsatz in Studios genutzt oder herrschen eher semiprofessionelle Anwender vor?

Dunkel: Quer durch den Garten. Von Einzelkämpfern bis zu großen Agenturen ist alles vertreten. Es ist sehr spannend, zu sehen, was alles mit Calamus gemacht wird und wofür die Leute ihn einsetzen. Das Gros der Anwenderschaft ist allerdings eher die Ein- und Zwei-Personen-Agentur. Dem haben wir schon 1 997 mit der Einführung der generellen Zwei-Nutzer-Lizenz Rechnung getragen.

stc: Durch Upgrade-Aktionen usw. hast Du ja bereits einen recht guten Überblick über die Hardware, auf der Calamus heute genutzt wird. Wie sieht die Verteilung hier aus?

Dunkel: Sehr spannend. Seit wir es gewagt haben, den SL99 zum ersten Mal direkt mit einem Emulator gekoppelt als sogenanntes „WindowsPack“ herauszubringen, ist der Trend noch deutlicher als vorher sichtbar. Nach den aktuellen SL2000-Verkaufszahlen können wir feststellen, dass etwa 50% der User einen Windows-Rechner nutzen, 35 % einen Apple-Computer und nur noch 15 % reine Atari-Anwender sind. Das hat allerdings sicher auch damit zu tun, dass wir durch die jetzt erforderliche Mindest-Bildschirmauflösung von 640x480 Pixeln und 256c die alte ST-Generation abgelöst haben. Man braucht nun mindestens einen Atari TT oder Falcon mit Grafikkarte, ein Hades oder Milan sind besser. Viele haben aber neben diesen Rechnern noch mindestens einen PC oder Mac oder beides.

stc: Wie siehst Du den Calamus eigentlich selbst? Handelt es sich Deiner Ansicht nach in erster Linie um ein Atari-Programm, das auf anderen Plattformen emuliert werden kann oder siehst Du den Calamus als weitestgehend plattformunabhängige Publishing-Philosophie?

Dunkel: Calamus ist sein eigenes graphisches Betriebssystem, das auf das Erstellen von Dokumenten zum Druck hin optimiert wurde. Es wurde und wird auf Atari-Systemen entwickelt und kann dank der weitestgehend autonomen Funktionen in fast jedem Emulationssystem auch auf anderen Betriebssystemen neben TOS eingesetzt werden. Als ASH 1995 MagiCMac herausbrachte, sind viele Calamus-User auf die leistungsfähigeren Apple-Rechner umgestiegen, ohne dem Atari eine Träne nachzuweinen. Mit MagiC PC, GEMulator, Janus-Karten und TOS2Win setzte sich der Abschied vom Atari in Richtung Windows-Rechner fort. Zum Glück ist Calamus relativ plattformunabhängig. Denn da wir von MGI noch immer keine Erlaubnis zum Portieren auf andere Plattformen haben, hätten die Calamus-User ihr Publishing-System sonst nicht mit auf andere Systeme mitnehmen können.

Wir diskutieren heute nicht mehr über „Calamus und Atari“. Unsere Kunden selbst haben uns gezeigt, dass sie in erster Linie Calamus-User sind, nicht Atari-Fans. Natürlich trauern viele den damaligen, leicht bedienbaren und robusten Systemen nach, doch die neueren PCs und Macs haben nun mal wesentlich mehr Power - und genau das braucht Calamus.

stc: Wie wichtig ist für Dich in diesem Zusammenhang neue „Atari“-Hardware wie der Milan II? Denkst Du, dass sich auf 68k-Basis noch professionelles Publishing betreiben lässt, oder wird ein Leistungshungriger eher gleich den weitaus grösseren Leistungsschub der Kombination G4-Mac/MagiCMac/Calamus wählen?

Dunkel: Wer hochprofessionell im Print-und Publishing-Bereich produzieren will, kommt schon aufgrund des Termin- und Preisdrucks in der Branche kaum um die jeweils schnellsten und leistungsfähigsten Rechner herum. Der Milan II tritt mit dem Anspruch des „Easy Computing“ auf den Markt und muss meines Erachtens zwei wesentliche Punkte erfüllen, um sich durchsetzen zu können: Er muss endlich verfügbar sein und sein Preis-/ Leistungs-Verhältnis optimal ausreizen. Dann werden sicher viele Neu-User auf den Milan-Zug aufspringen. Wie schon gesagt, bieten wir ja für den Milan seit Ende 1999 eine Sonderaktion, die es allen Milan-Käuferinnen und Käufern ermöglicht, für nur DM 199.- einen neuen, vollwertigen SL99 zu erwerben. Wir erhoffen uns auch aus dieser Aktion weitere Neukunden.

stc: Wie siehst Du überhaupt die Chancen für den Milan II? Kann er die Atari-Anwenderbasis effektiv verbreitern oder ist er Tropfen auf dem heißen Stein?

Dunkel: Die jetzigen Noch-Atari-User sind sicher ein wichtiger Prüfstein für den Erfolg des Milan II. Dennoch meine ich, dass er als einfach zu bedienender, fix und fertig vorkonfigurierter Internet-Low-Cost-Rechner direkt in Märkten präsentiert eine gute Chance hat, rasch zu interessanten Stückzahlen zu kommen, die eine Weiterentwicklung und stärkeres Marketing im zweiten Schritt ermöglichen. Wichtig ist natürlich ein rundum stabiles Betriebssystem, damit Neu-User nicht verschreckt werden, wenn mal was „klemmt“.

stc: In den 90er Jahren gab es ja Anstrengungen, den Calamus auf andere Plattformen zu portieren, so z.B. auf Windows NT. Sind diese Überlegungen völlig verworfen? Könnte ein nativer Calamus für den Mac nicht mehr Akzeptanz und Aufmerksamkeit erregen - ganz einfach schon deshalb, weil aus den Köpfen der Anwender die Gleichung Emulation = Schneckentempo endlich verschwinden würde?

Dunkel: DMC hat 1993 eine dänische Firma mit der Portierung des SL auf Windows beauftragt und 1995 den Calamus95 präsentiert. Dieser Calamus wurde nach anfänglichen Erfolgen im Hochpreis-Marktsegment verramscht und kann heute noch als Einzel-CD ohne Handbuch oder Verpackung auf Computer-Grabbeltischen für ein paar Mark gefunden werden. Als 1995 die kanadische Software-Firma MGI die Calamus-Rechte kaufte, übernahm man die dänische Crew, die bis Ende 1998 am Nachfolger des Calamus95, dem sogenannten „Calamus Publisher", arbeitete. Kurz vor Fertigstellung und Vermarktung stoppte MGI im Dezember 1998 das Publisher-Projekt. Somit gibt es jetzt de facto wieder nur noch den originalen Calamus SL — auf Atari-Source-Basis.

MGI hat dem invers Software Vertrieb das weltweite Exklusiv-Vertriebsrecht und das Entwicklungsrecht am Calamus SL übertragen, bleibt aber weiter Rechtsinhaberin. Daher sind wir nur „Pächter" und dürfen leider derzeit noch immer nicht portieren. Eine PC-Portierung wäre meines Erachtens auch unsinnig, da es ja mit dem in der Versenkung verschwundenen Calamus Publisher schon einen fertigen PC-Calamus gibt. Zudem haben wir mit dem SL-WindowsPack eine akzeptable und akzeptierte Kompromisslösung gefunden. Die Spezialversion des STEmulators, die Calamus unter Windows lauffähig macht, braucht kein NVDI oder eine TOS-Desktop-Shell, ist im SL2000 sogar schneller als MagiC PC, dichter an Windows und bietet direkten Zugriff auf sämtliche Windows-Druckertreiber.

Für den Apple arbeiten wir schon seit Ende letzten Jahres zusammen mit Andreas Kromke an einer ähnlichen Lösung, dem „Calamus XL MacPack". Das Ziel dieses Projekts ist, Calamus direkt auf dem Finder (dem Desktop des MacOS) zu starten, mit echter MacOS-Menüleiste und direktem Zugriff auf die Mac-Laufwerke (die eben nicht „C:“ oder „D:“ etc. heißen, sondern plastische Namen wie „Macintosh HD“ haben). Der erste Schritt ist schon seit einiger Zeit realisiert, doch Andreas Kromke hat den dicksten Brocken noch vor sich: MagiCMac soll MacOS-X-tauglich werden. Dazu ist es nötig, einen eigenen 68k-Emulator in MagiCMac zu integrieren. Jetzt ist also ASH gefragt, Andreas Kromke bestmöglich zu unterstützen, damit wir anschliessend den Calamus XL mit einem integrierten MagiCMac präsentieren können.

Generell glaube ich, dass die Gleichung „Emulation = Schneckentempo“ nicht mehr aufgeht. Calamus SL ist mit dem WindowsPack-Emulator ausreichend schnell; dazu kommt der Vorteil der rechnerunabhängigen Dokument-Kompatibilität. Denk mal an den Ärger, den man hat, wenn man ein Word-Dokument vom PC zum Mac bringt - und auf dem Mac brauchen wir über Geschwindigkeit nicht zu reden. Da ist Calamus so schnell, dass wir einige Funktionen sogar abbremsen müssen, damit man sie auf den schnellen Power Macs überhaupt noch bedienen kann. Das ist kein Witz!

stc: Gehen wir nochmals zurück zur Philosophie des Calamus. Das Programm setzt meiner Ansicht nach ein Umgewöhnen und sogar Umdenken des Anwenders voraus, der vorher mit Programmen wie Quark, InDesign oder Pagemaker vertraut war. Auf den ersten Blick scheint sich der Calamus dem Anwender nicht allzu schnell zu offenbaren, einige Funktionen sind schwer zu finden, die Anzahl der Werkzeuge und Module ist schwer überschaubar. Hältst Du das Bedienungskonzept von Calamus noch für zeitgemäß?

Dunkel: ja,., absolut. Wir werden das Grundprinzip nicht ändern, zumal uns die meisten jetzigen Anwender dann sicher lynchen würden. Seien wir doch mal ehrlich: Die Icon-Leisten von Quark, Photoshop, InDesign, Pagemaker und allen anderen - die sind doch nun wirklich nicht aussagekräftig. Okay, wenn man eines dieser Programme zum ersten Mal startet, weiß man eigentlich nur einigermaßen sicher, dass hier die Lupe ist und dort ein Textwerkzeug sein müßte. Aber das war's dann auch schon.

Calamus hat wesentlich mehr Funktionen schon im Standardlieferumfang als diese Programme. Diese Funktionsvielfalt kann man nicht in Menüleisten unterbringen. Kennst Du noch die erste Windows-Version von AutoCAD? Unmöglich, kaum zu bedienen. Durch die großzügige Panelanordnung im Calamus mit seinem 3x7-Icon-Raster kannst Du auf einen Blick eine ideale Icon-Anzahl optisch erfassen. Zudem sind unsere cons größer als die der anderen Programme. Es lässt sich mehr mit ihnen sagen. Dazu kommen die unterteilbaren Panels, dann die Hilfstexte zu jeder Funktion, nicht zuletzt die modifizierbaren Panels der CXmy-Module. Dazu die verschiebbaren Module- und Koordinatenleiste, die Dokumentleiste des Navigators, andere Werkzeuge und Darstellungsmodi, die zum Teil gerade von InDesign abgekupfert wurden. Denk mal an unsere Piping-Symbole. Als wir die InDesign-Entwickler auf die frappierende Ähnlichkeit zu Calamus ansprachen, schmunzelten sie nur. Es ehrt uns, abgekupfert zu werden.

Die Bedienung des Calamus lebt allerdings viel mehr von der Einstellbarkeit der Oberfläche, von den sehr komplex anwendbaren, von jedem selbst erstellbaren Tastaturkürzeln, den sogenannten Makros, mit denen man Calamus irrsinnig schnell bedienen kann. Und - ich muß es immer wieder gebetsmühlenartig herunterbeten - niemand muss sämtliche zur Verfügung stehenden Module gleichzeitig laden und sich von deren Vielfalt erschlagen lassen.

Wer ohne Schulung oder ohne Konzept an Calamus herangeht, hat denselben Eindruck, den ein Segelflugpilot hat, der das erste Mal ein Starfighter-Cockpit von innen sieht - sooo viele Knöpfe! Natürlich muss man auch im Calamus etwas von der Materie verstehen, für die Calamus geschaffen wurde. Ich habe ja vor einiger Zeit ein Schulungskonzept für Calamus hier in der st-computer veröffentlicht. Ich bekam darauf sehr gute Resonanzen, die Leute fühlen sich wohl, wenn man ihnen den Calamus in kleinen, sinnvollen Portionen näherbringt.

stc: Trotzdem gibt es doch sicher Überlegungen für eine Überarbeitung der Oberfläche und/oder des Konzepts?

Dunkel: ja, natürlich. Wir suchen ständig nach Möglichkeiten der Verbesserung. So haben wir ja gerade im SL2000 einige deutliche Verbesserungen der Bedienung mit dem Dokument-Manager, dem neuen Farbdialog und den neuen Rahmen-Bedienungsmöglichkeiten geschaffen.

Ich kann mir vorstellen, dass auch bei der Dialog-Optik noch nicht das letzte Wort gesprochen ist - doch das sind nur kosmetische Dinge. Wichtiger ist mir, dass technische Konzepte verbessert werden. Momentan stehen auf der To-Do-Liste ganz oben die beiden Punkte „Vektorausgabe“ und „Textformat“. Wir möchten die Vektorausgabe-Genauigkeit endlich aufbohren, sodass die alte 32.000-Pixel-Grenze bei Vektorobjekten wegfällt und die Genauigkeit im Vektoreditor höher wird. Zudem würde die Ausgabe noch wesentlich beschleunigt werden können. Außerdem arbeiten wir an der Umsetzung eines anderen, sehr alten Wunsches: der Textlineal-Verwaltung. Das lässt sich nur mit einer Änderung des Textformats im Calamus realisieren, sodass es nicht mal eben so geschehen kann. Bedenke: Sämtliche Module, die irgendwie mit Textrahmen arbeiten, müssen angepasst werden. Ich möchte gern das Konzept der aktiven Text-Controlcodes, das Michael Monscheuer letztes Jahr entwickelt hat, realisiert sehen. Dadurch wären Fußnoten und Inhaltsverzeichnisse endlich ein Kinderspiel, abgesehen von ganz anderen, verrückten Text-Features. Rechnen im Text, mitlaufende Marginalien, Unicode-Formatierung - dies sind nur einige Stichworte.

stc: Die immer noch zweidimensionalen Piktogramme wirken z.B. meiner Ansicht nach einfach etwas altbacken. Natürlich weiß ich, dass Funktion in einem professionellen Programm vor der Präsentation steht, jedoch meine ich, dass das grundsätzliche Wohlfühlen innerhalb einer Arbeitsumgebung ein nicht zu unterschätzender Punkt ist. Als Anwender bin ich doch viel eher bereit, mich mit einem Programm zu befassen, dass sich mir möglichst schnell erschließt und mit dem ich mich wohlfühle als mit einer Umgebung, die erst einmal eine längere Einarbeitung erfordert - was meiner Ansicht nach beim Calamus doch der Fall ist. Wie siehst Du das?

Dunkel: Dass Windows aufgrund der riesigen Verbreitung auf fast jedem Rechner ist, muss ja noch nicht heißen, dass die Oberfläche deswegen perfekt ist. Die Grau-in-Grau-Icons vieler Windows-Programme bieten für das Auge eine wesentlich schlechtere Wiedererkennungsmöglichkeit als die Calamus-Panels. Wir bleiben derzeit konsequent den bewährten Benutzer-Interface-Richtlinien treu, wonach wichtige Flächen, in denen Eingaben vorgenommen oder Symbole selektiert werden sollen, möglichst hohe Farbkontraste haben, also schwarz-weiß sind. Die Augen danken es uns. Übrigens: Die Dialoge sind natürlich längst im 3D-Grau-in-Grau-Look, wenn Du willst. Natürlich abschaltbar, wie so vieles in Calamus.

Insgesamt ist Calamus aber nun mal ein riesiges Werkzeug mit immens komplexen Möglichkeiten - das erlernt man nicht in fünf Minuten. Die Leute müssen wirklich schon etwas von der Materie Satz und Layout verstehen.

Den zweiten Teil dieses Interviews finden Sie in der kommenden Ausgabe der st-computer.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 09 / 2000, Seite 48

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