CyPress: Textverarbeitung für lau


CyPress läuft auch unter modernen Multitasking-Umgebungen wie MagiC.

02.15 Uhr, die Nacht ist lang: Thomas Raukamp durchstöbert das Internet auf der Suche nach frischer Software für seinen Atari. «Ha», dröhnt es triumphierend aus seinem Büro, «die Suche war erfolgreich! Wieder was ümmesünst!» Gut ausgeschlafen und wieder frisch rasiert will er Sie natürlich an seinem Fang teilhaben lassen...

Neben dem Linux-System dürfte der Atari durchaus zur Zeit die Plattform sein, für die die meisten Programme als Freeware deklariert werden. Darunter sind durchaus große Namen wie z.B. Twilight oder Outside zu finden -seit kurzer Zeit ist die Freeware-Welle nun auch in den so wichtigen Bereich der Textverarbeitungen geschwappt und hat CyPress mitgerissen. Diese Entwicklung hat natürlich eine positive und eine negative Seite: Auf der einen Seite können sich natürlich alle Atari-Anwender diebisch darüber freuen, dass Software, die vorher zum Teil nicht wenig Geld gekostet hat, nun umsonst erhältlich ist, auf der anderen Seite bedeutet dies natürlich auch, dass die jeweiligen Applikationen nicht mehr weiterentwickelt werden und auch kein Support gewährleistet ist. Aber gerade im Textverarbeitungsbereich gibt es ja noch einige Programme, die weiterentwickelt und unterstützt werden, so dass wir uns frohen Mutes daranmachen können, Ihnen CyPress noch einmal vorzustellen, da der letzte Test ja schon einige Jahre zurückliegt.

History

CyPress wurde im Jahre 1992 von dem Flensburger Unternehmen Shift auf den Markt gebracht und hatte als rein kommerzielles Produkt leider nur ein kurzes Leben: Bereits im Jahre 1994 verabschiedete sich Shift aus dem Atari-Markt und ließ seine Anwender zurück.

1995 übernahmen dann zwei unabhängige Programmierer die Weiterentwicklung der leistungsfähigen Textverarbeitung und boten diese als Shareware zum Preis von DM 50.- an. Nachdem einige Verbesserungen vorgenommen wurden, wurde es wieder Stiller um CyPress. Vor einigen Wochen tauchte der Name aber nun wieder in den Maus- und Newsgruppen der Atari-Welt auf: CyPress ist nun frei erhältlich und steht zum Download von der Homepage der Entwickler bereit.


CyPress findet sich auf der Homepage der Entwickler - auch die anderen dort erhältlichen Atari-Programme sind Freeware und durchaus einen Blick wert.

Kompatibilität

CyPress basiert im Großen und Ganzen immer noch auf der Anfang der 90er Jahre entwickelten Version. Denkt man nun etwas zurück, so wird schnell klar, dass das Programm schon deshalb recht genügsam sein muss, weil STs mit 4 oder sogar weniger Megabytes RAM an der Tagesordnung waren. Wer einen TT mit 8 MB besaß, galt schon als Krösus und konnte sich über viele Besuche zum Zwecke der Rechnervorführung freuen.

CyPress läuft daher auf jedem Atari ST mit 1 MB RAM und TOS 1.4, zeigt sich aber größeren Systemen durchaus aufgeschlossen: In unserem Test lief es auf einem Falcon 030 ebenso "rund" wie auf einem Power Mac G4 mit 320 MB RAM sowie MagiCMac und einem Mega ST mit dem exotischen SST-Stealth-Beschleuniger von Dave Small.


CyPress bietet eine Vielzahl von Optionen. Multitasking-Nutzer sollten den programmeigenen Desktop abschalten.

Zwar ist kein eigener Tabelleneditor im eigentlichen Sinne vorhanden, Textzeilen können aber trotzdem in Tabellenform gewandelt werden.

Grafiken können zwar eingesetzt aber nur zeilenorientiert platziert werden.

Bezug

CyPress steht wie erwähnt auf der Homepage der Entwickler In Your Mind zum Herunterladen bereit. Zwar sind das Programm, die Druckertreiber und die Dokumentation auch separat erhältlich, empfehlenswert ist jedoch ein Download des Gesamtarchivs, das knapp 900 KB umfasst. Hat man dieses heruntergeladen, muss das ZIP-Archiv in einem vorher angelegten Ordner entpackt werden. Mit STZIP gab es hier übrigens beim ersten Entpacken einige Warnhinweise, bei einem neuerlichen Versuch (entpackt wurde hier in die RAM-Disk) traten diese aber nicht mehr auf. Nach dem Entpacken liegen drei selbstextrahierende TOS-Dateien im angelegten Verzeichnis, die mit einem Doppelklick entpackt werden und automatisch die richtige Verzeichnisstruktur erzeugen.

Bis vor einigen Jahren konnte CyPress alternativ auch mit einem gedruckten Handbuch bezogen werden. Dem Freeware-Paket liegt dagegen eine Online-Hilfe im ST-Guide-Format bei. Dieses ist eine direkte Kopie der gedruckten Version und ist vorbildhaft umfangreich gehalten. Sogar die Grundfunktionen des Atari, Tipps & Tricks und Hinweise für eine attraktive Textgestaltung werden geboten. An einigen Stellen merkt man zwar, dass der Text von der gedruckten Version 1:1 übernommen wurde - aber das ist zu verschmerzen. Schön wäre es, wenn die Autoren oder vielleicht ein Anwender die Online-Hile auf den neuesten Stand der freien Distribution bringen würde: Das erwähnte Installationsprogramm sucht man z.B. vergeblich, was im ersten Moment durchaus verwirren kann.

Der erste Start

Beim ersten Start ist zu merken, dass das Programm schon einige Jahre auf dem Buckel hat und teilweise etwas veraltete Konzepte nutzt: Ähnlich wie ältere Versionen des Quasi-Standards Papyrus öffnet es einen eigenen Desktop mit eigenem Hintergrund, auf dem sich z.B. Symbole für Drucker, Klemmbrett und Papierkorb befinden und die Belegungen der Funktionstasten dargestellt werden. War ein eigener Desktop unter TOS-Systemen durchaus gängig und auch praktisch, so ist diese Arbeitsweise unter modernen Multitasking-Betriebssystemen wie N.AES oder auch MagiC einfach hinderlich. Glücklicherweise lässt sich der CyPress-Desktop in den Voreinstellungen abschalten, so dass nach einem neuerlichen Start der Textverarbeitung der gewohnte Desktop nicht ausgeblendet wird.

Der Freeware-Distribution liegen leider keinerlei Beispieldokumente bei, die die Leistungsfähigkeit des Programms demonstrieren könnten. Wer mit heutigen Textverarbeitungen wie Papyrus oder auch Tempus Word 4 arbeitet, wird sich etwas umgewöhnen müssen. Während sich die beiden genannten Textboliden eher als Synthesen aus Text- und DTP-Programmen beschreiben lassen, ähnelt CyPress nach dem Anlegen eines neuen Textes eher einem klassischen Texteditor, der strikt zeilenorientiert arbeitet. Buttonleisten mit den wichtigsten Funktionen im oberen Drittel eines Dokumentfensters, wie man sie von Papyrus oder auch Microsoft Word kennt, sucht der Anwender vergebens. Stattdessen werden ein einfaches Lineal und einige Informationen zum bearbeiteten Text angezeigt. Wer also nicht den programmeigenen Desktop verwenden will, ist auf den Abruf der Funktionen aus der Menüleiste angewiesen.

Wer etwas in diesen Menüs herumblättert, dem wird schnell klar, dass er es hier in erster Linie mit einer klassischen Textverarbeitung zu tun hat und weniger mit einer Kombination aus Text- und Layoutprogramm: Zwar können Bilder eingesetzt werden, diese können jedoch nicht frei auf der Seite bewegt oder umflossen werden. Außerdem werden ausschließlich die Formate PAC, PIC, ABM und IMG unterstützt - heute gebräuchliche Formate sucht der Anwender also vergeblich. Auch mehrspaltiger Text oder gar Textrahmen sind nicht möglich. Ich erzähle Ihnen dies nun nicht alles, um Sie vor CyPress zu warnen oder das Programm schlecht zu machen - Sie sollten sich aber vor Augen führen, dass CyPress auf einem Stand von Ende 1995 ist und daher selbstverständlich nicht mehr in jeder Hinsicht mit Boliden wie Papyrus oder Tempus Word 4 mithalten kann. Führt man sich dies vor Augen, wird man trotzdem positiv überrascht vom sonstigen Funktionsumfang sein.

Schriften

Die Verwaltung von Schriften definiert einen sehr wichtigen Punkt einer Textverarbeitung und bestimmt zum großen Teil deren Leistungsfähigkeit. CyPress kann standardmäßig mit Signum-Fonts umgehen. Wenn ein GDOS wie NVDI installiert ist, werden jedoch auch Vektorzeichensätze unterstützt. Für die Auswahl steht ein eigenes Dialogfenster mit Vorschaufunktion bereit. Auf einem schnellen Rechner ist auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit erfreulich hoch.

Tabellen

CyPress verfügt über Funktionen zum Tabellensatz, die allerdings recht gewöhnungsbedürftig sind: Der in der Tabelle darzustellenden Text wird in CyPress eingegeben und markiert. Nun wird die Funktion "Tabellensatz" aufgerufen und eine entsprechende Tabellenart ausgewählt. CyPress formatiert nun den erwähnten Text in Tabellenform und fügt auf Wunsch waagerechte und senkrechte Trennungsstriche ein. Zusätzlich kann nun noch festgelegt werden, wie der Text in den Zellen ausgerichtet werden soll. Wer sich noch etwas weiter in die Voreinstellungen einarbeitet, kann das Aussehen der Tabelle noch weiter beeinflussen.

Formulare

CyPress hilft auch bei der Erstellung von Formularen - Dokumenten also, bei denen nur an einer bestimmten Stelle Eingaben zugelassen werden. Dies ist für den Heimanwender hilfreich z.B. bei der Erstellung von Überweisungsträgern oder den Papieren für Steuererklärungen.

Makros

Makros bei CyPress sind nicht nur reine Textmakros, sondern sie bieten die Möglichkeit, längere Bewegungsabläufe zu automatisieren. Hierbei wird das Makro einfach durch einmaliges Ausführen der gewünschten Funktionsfolge aufgezeichnet, damit es anschließend für eine weitere Verwendung zur Verfügung steht. Außerdem lassen sich so erzeugte Makros natürlich im Nachhinein noch verändern.

Formelsatz

CyPress verfügt über Möglichkeiten der Formeleingabe. Formeln werden innerhalb von sogenannten Formelbereichen eingegeben, die streng genommen ähnlich arbeiten wie Textrahmen: In einem frei positionierbaren Rahmen wird also Text eingegeben. Die verschiedenen Rahmen lassen sich außerdem in Gruppen zusammenfassen. Auf diese Weise lassen sich also auch Überschriften, Bildunterschriften etc. frei positionieren.

Und sonst?

Auch sonst kann CyPress seine Anwender durch einige Funktionen durchaus überzeugen. So ist Rechnen im Text ebenso möglich wie das Anlegen von Serienbriefen. Die Auswahl der Druckertreiber ist zwar nicht mehr auf dem neuesten Stand, für kompatible Standardmodelle reicht es aber immer noch. Leider ist kein Ausdruck über GDOS möglich. Obwohl das Programm schon einige Jahre auf dem Buckel hat, wirkt es recht modern und alle Dialoge sind in eigenen GEM-Fenstern untergebracht.

Fazit

CyPress ist die richtige Wahl für den Anwender, der nur hin und wieder einmal einen Brief verfasst und daher nicht den Funktionsumfang, wie ihn z.B. Papyrus bietet, benötigt. Besonders im gestalterischen Bereich haben die heutigen Lösungen dem Programm natürlich einiges voraus. Trotzdem weiß CyPress nach wie vor durch einige Funktionen zu überzeugen. Da es frei erhältlich ist, braucht niemand zu scheuen, es als "Zweit-Textverarbeitung" zu installieren.

http://www.inyourmind.de, CyPress findet sich außerdem auf der kommenden stc-Leser-CD


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 05 / 2000, Seite 50

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