Meinungen & Ansichten - Viele Wege führen ins Internet

Als Atari-User hat man in vielen Bereichen nicht mehr -die grosse Auswahl, wenn es darum geht, ein Programm für den gewünschten Zweck zu finden oft hofft man viel eher, dass es überhaupt noch etwas passendes gibt. Nur mit der Internet-Zugangssoftware, auch TCP-/IP-Stack genannt, verhält es sich völlig anders. Hier hat man wohl sogar eine weitaus größere Auswahl als auf anderen Plattformen. Nach meiner letzten Zählung kann die Atari-Gemeinde inzwischen auf immerhin sechs TCP-/IP-Stacks zurückgreifen: Da wären die kostenlosen Varianten STIK, STinG und MiNTNet sowie die kommerziellen Vertreter I-Connect, Draconis und PPP Link (WenSuite).

Wie ist es nun zu dieser Situation gekommen? Geht man in der Geschichte zurück, so lässt sich festhalten, dass STIK (etwas später STinG) und MiNTNet zuerst da waren. Nur, warum dann noch mal das Rad von neuem erfinden? In diesem Punkt ist die Antwort der Entwickler hinter I-Connect und Co. einstimming: Zum Zeitpunkt, als mit den Projekten begonnen wurde, unterstützte STIK nicht das PPP-Protokoll. Letzteres setzte sich jedoch immer mehr bei Providern als Standard für den Verbindungsaufbau durch. Also musste etwas neues, eigenes her und natürlich gibt es noch 1000 weitere gute Gründe für einen eigenen Stack. MiNTNet blieb sowieso ausser Frage, da es nur etwas für MiNT-User ohne Angst vor komplizierten Skripten und Konfigurationsdateien war. Die Zeit strich ins Land, und als die fertigen Ergebnisse in Reichweite waren, konnte inzwischen auch der quasi STIK Nachfolger STinG mit dem PPP-Protokoll umgehen.

Uns als Anwender kann das natürlich erst einmal egal sein - auch wenn man sich vielleicht einen kurzen Augenblick lang wundern mag, ob die Zeit von einigen Programmierern nicht in andere Dinge hätte investiert werden können. Nun gut, eigentlich ist es ja auch gar nicht so schlecht, die freie Wahl zu haben und sich das Programm aussuchen zu können, mit dem man am einfachsten das gewünschte Ziel erreicht. Doch leider hört diese freie Wahl spätestens nach dem Satz „Ich bin drin...“ wieder auf. Denn jeder Stack will nur in seiner eigenen, zu den anderen Stacks inkompatiblen, Sprache mit Clients (also WebBrowser und Co.) kommunizieren. Dies führt dazu, dass man mit Stack A auch nur Clients, die speziell für Stack A geschrieben wurden, benutzen kann. Besonders tragisch ist dies vor allem dann, wenn für einen Internetdienst zwar ein passender Atari Client vorhanden ist, dieser aber mit dem eigenen Stack nicht zusammenarbeitet.

Einige Client-Programmierer versuchen diese Hürde nun dadurch zu umschiffen, indem sie ihr Programm mit entsprechendem Aufwand an mehrere Stacks anpassen. Eine weitere Möglichkeit stellen sogenannte „Gateways“ dar, die es erlauben, Clients von fremden Stacks mit dem eigenen zu benutzen. MiNTNet-Benutzer können z. B. mit frei erhältlichen Gateways inzwischen Draconis- und STiK/-STinG-Clients bei sich nutzen - und wer bereit ist, dafür etwas tiefer in die Tasche zu greifen, erhält mit ifusion ein STinG-Gateway für I-Connect oder Draconis.

Doch auch wenn es im übertragenden Sinne demnächst so sein sollte, dass die verschiedenen Stacks alle auch die Sprache ihrer Pendants fließend sprechen können (bzw. sich die Entwickler auf das einheitliche Esperanto einigen können) bleibt immer noch eine Frage sowohl für die Anwender als auch für die Entwickler offen: Hätte man sich nicht eine Menge Ärger und Arbeit ersparen können?


Jan Daldrup
Aus: ST-Computer 02 / 2000, Seite 7

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